Project Description

11. Nacht

Schachriar und seine Gemahlin brachten diese Nacht ebenso
zu, wie die vorhergehenden, und ehe der Tag anbrach, weckte Dinarsade durch
folgende Worte, welche sie an die Sultanin richtete: „Meine Schwester, ich
bitte dich, die Erzählung vom Fischer wieder aufzunehmen.“ – „Sehr
gern,“ antwortete Scheherasade, „ich will dir genugtun, mit Erlaubnis
des Sultans.“

„Als der Geist,“ fuhr sie fort,
„versprochen hatte, die Wahrheit zu sagen, sprach der Fischer zu ihm:
„Ich möchte wohl wissen, ob du wirklich in diesem Gefäße warst:
Getrauest du dir wohl, es bei dem hohen Namen Gottes zu beschwören?“ –
„Ja,“ antwortete der Geist, „ich schwöre bei diesem hohen Namen,
dass ich darin war; und das ist gewisslich wahr.“ – „bei meiner
Treue,“ erwiderte der Fischer, „ich kann’s nicht glauben. Dieses
Gefäß vermöchte ja nicht einmal einen deiner Füße in sich zu fassen: wie
wäre es möglich, dass du ganz und gar darin eingeschlossen gewesen
wärst?“ – „Ich schwöre es dir gleichwohl,“ sagte der Geist,
„dass ich darin war, so wie du mich hier siehst. Glaubst du mir noch nicht,
nach dem großen Eide, den ich dir geschworen habe?“ – „Wahrhaftig,
nein,“ antwortete der Fischer; „und ich werde dir nicht glauben, wenn
du mich nicht durch den Augenschein überzeugest.“

Hierauf verflüchtigte sich der Leib des Geistes wieder
und verwandelte sich in Rauch, welcher sich, wie zuvor, über das Meer und
Gestade ausbreitete, dann sich wieder sammelte und in das Gefäß hineinzog, und
in gleichmäßiger und langsamer Bewegung so fort fuhr, bis gar nichts mehr davon
draußen war. Alsbald kam eine eine Stimme daraus hervor, welche zu dem Fischer
sagte: „Wohlan, ungläubiger Fischer, da bin ich wieder in dem Gefäße;
glaubst du mir nun?“

Der Fischer aber, anstatt dem Geiste zu antworten, nahm
den bleiernen Deckel, verschloss eilig das Gefäß damit, und rief ihm zu:
„Geist, jetzt ist die Reihe an dir, um Gnade zu bitten, und wähle nun,
welchen Tod ich dich soll sterben lassen! Aber nein, es ist besser, dass ich
dich wieder ins Meer werfe, an derselben Stelle, wo ich dich herausgezogen habe.
Dann will ich mir auf diesem Gestade ein Haus bauen, und hier wohnen, um alle
Fischer, welche hierher kommen und ihre Netze auswerfen, zu warnen, dass sie
sich wohl hüten, einen so boshaften Geist wieder herauszufischen, welcher
geschworen hat, jeden zu töten, der ihn etwa in Freiheit setzt.“

Bei diesen spöttischen Worten strengte der erzürnte
Geist alle seine Kräfte an, um wieder aus dem Gefäße zu kommen; aber es war
ihm unmöglich, denn das aufgedrückte Siegel des Propheten Salomon, des Sohnes
Davids, verhinderte ihn daran. Als er nun sah, dass der Fischer ihn in seiner
Gewalt hatte, unterdrückte er seinen Zorn, und sagte zu ihm, mit besänftigter
Stimme: „Fischer, hüte dich wohl, das zu tun, was du sagst. Was ich hier getan
habe, ist nur aus Scherz geschehen, und du musst die Sache nicht ernsthaft
nehmen.“ – „O Geist,“ antwortete der Fischer, „du, der vor
einem Augenblick der größte aller Geister war, und gegenwärtig der kleinste
bist, wisse, dass alle deine listigen Reden dir nichts helfen. Du musst wieder
ins Meer zurück. Wenn du so lange Zeit darin gewesen bist, wie du mir gesagt
hast, so kannst du auch wohl bis zum Tage des jüngsten Gerichts dort bleiben.
Ich habe dich im Namen Gottes gebeten, mir nicht das Leben zu rauben, und hast
meine Bitten verworfen; jetzt will ich dir Gleiches mit Gleichem
vergelten.“

Der Geist sparte nichts, den Fischer zu rühren: „öffne
das Gefäß,“ sagte er zu ihm, „und gibt mir die Freiheit, ich flehe
dich drum, und verspreche dir, dass du zufrieden mit mir sein sollst.“ –
„Du bist und bleibst ein Verräter,“ erwiderte der Fischer. „Ich
verdiente das Leben zu verlieren, wenn ich die Unklugheit hätte, dir zu trauen.
Du würdest nicht ermangeln, mich auf dieselbe Weise zu behandeln, wie ein
gewisser Griechischer König seinen Arzt Duban behandelte. Das ist eine
Geschichte, die ich dir erzählen will; höre zu:

Geschichte
des griechischen Königs und des Arztes Duban

In dem Lande Suman, in Persien, herrschte einst ein
König, dessen Untertanen ursprünglich Griechen waren. Dieser König war vom
Aussatze befallen, und seine ärzte, nachdem sie vergeblich alle ihre Mittel
angewandt hatten, ihn zu heilen, wussten nicht mehr, was sie ihm verordnen
sollten; als ein sehr geschickter Arzt, genannt Duban, an seinem Hofe ankam.

Dieser Arzt hatte seine Wissenschaft aus griechischen,
persischen, türkischen, arabischen, lateinischen, syrischen und hebräischen
Büchern geschöpft; überdies war er vollendet in der Weltweisheit, und kannte
vollkommen die guten und bösen Eigenschaften aller Arten von Kräutern und
Säften.

Sobald er von der Krankheit des Königs unterrichtet war,
und vernommen hatte, dass seine ärzte ihn schon aufgegeben hatten, kleidete er
sich so zierlich als er nur konnte, und fand Mittel und Wege, sich dem Könige
vorstellen zu lassen. „Herr,“ sprach er zu ihm, „ich weiß, dass
alle ärzte, welche Euer Majestät bedienen, euch nicht von dem Aussatze heilen
konnten: wenn ihr mir aber die Ehre erweisen und meine Dienste annehmen wollt,
so verpflichte ich mich, euch zu heilen, ohne Tränke und ohne Umschläge.“

Der König hörte auf diesen Antrag, und antwortete ihm:
„Wenn du ein so geschickter Mann bist, das zu tun, was du sagst, so
verspreche ich, dich reich zu machen, dich und deine Nachkommenschaft; und
außer den reichen Geschenken, welche ich dir machen will, sollst du mein
liebster Günstling sein. Du verheißest mir also, mich vom Aussatz zu befreien,
ohne mich einen Trank einnehmen zu lassen und ohne mir ein äußeres Mittel
aufzulegen?“ – „Ja, Herr,“ antwortete der Arzt, „ich
schmeichle mir, es wird mir gelingen, mit Gottes Hülfe, und gleich morgen will
ich den Anfang machen.“

Hierauf begab sich der Arzt Duban wieder in seine Wohnung,
und machte eine Kolbe zum Kugelspiel, deren Handgriff er aushöhlte und den Saft
darein tat, dessen er sich bedienen wollte. Als dies getan war, machte er auch
eine Kugel, auf die Weise, wie er wollte, und damit ging er am folgenden Morgen
hin und stellte sich dem Könige vor; er warf sich zu seinen Füßen, küsste
die Erde …“

Bei dieser Stelle bemerkte Scheherasade, dass es Tag war,
erinnerte Schachriar daran, und schwieg.

„In Wahrheit, meine Schwester,“ sagte darauf
Dinarsade, „ich weiß nicht, wo du alle die schönen Sachen
hernimmst.“ – „Du wirst morgen noch ganz andere hören,“
antwortete Scheherasade, „wenn der Sultan, mein Herr, die Güte hat, mir
das Leben noch zu verlängern.“

Schachriar, der nicht minder als Dinarsade vor Begierde
brannte, den Fortgang der Geschichte des Arztes Duban zu hören, dachte nicht
daran, diesen Tag die Sultanin töten zu lassen.