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108. Nacht

„Als die beiden Liebenden eingeschlafen waren,“
fuhr der Großwesir Giafar fort, „sagte der Geist, der sich wieder zur Fe
begeben hatte, zu dieser, dass es Zeit wäre zu vollenden, was sie so glücklich
angefangen und so weit geleitet hätten. Lassen wir uns nicht von dem Tag
überraschen, der bald anbrechen wird; geht und entführt den Jüngling, ohne
ihn aufzuwecken.“

Die Fee begab sich in die Kammer der in tiefen Schlaf
versunkenen Liebenden, entführte Bedreddin-Hassan in dem Zustand, in welchem er
sich befand, das heißt, im Hemd und in Untereinkleidern, und flog in
wunderbarer Schnelle mit dem eist bis an das Tor von Damaskus in Syrien,
woselbst sie gerade zu der Zeit anlangten, als die zu solcher Verrichtung
bestimmten Diener der Moscheen das Volk mit lauter Stimme zum frühen
Morgengebet riefen. Die Fee legte nahe am Tor den Bedreddin sanft auf die Erde,
und entfernte sich mit dem Geist.

Man öffnete das Stadttor, und die Leute, die sich schon
in großer Anzahl versammelt hatten, um hinauszugehen, waren höchlich erstaunt,
Bedreddin-Hassan im Hemde und in Unterbeinkleidern auf der Erde liegen zu sehen.
Der eine sagte: „Er ist so eilig gewesen von seinem Schätzchen zu gehen,
dass er nicht Zeit gehabt hat, sich anzukleiden.“ – „Da sehe
man,“ sagte der Andere, „welchen Unfällen man ausgesetzt ist; er hat
wahrscheinlich einen guten Teil der Nacht damit zugebracht, mit seinen Freunden
zu zechen; er wird sich betrunken haben, eines Bedürfnisses wegen
herausgegangen sein, und statt wieder hineinzugehen, wird er bis hierher
gekommen sein, ohne zu wissen, wie, und der Schlaf wird sich seiner bemächtigt
haben.“ Andere sagten anderes, und niemand konnte erraten, durch welches
Abenteuer er sich dort befand. Ein leises Lüftchen, welches zu wehen begann,
erhub sein Hemde und ließ seine Brust sehen, die weißer als Schnee war. Sie
waren alle von dieser Weise überrascht, dass sie einen Schrei des Erstaunens
ausstießen, der den jungen Mann erweckte. Er staunte nicht weniger, sich am Tor
einer Stadt, wohin er niemals gekommen war, und von einer Menge ihn aufmerksam
betrachtender Leute umgeben zu sehen. „Ihr Herren,“ sagte er zu ihnen,
„seid so gut mir zu sagen, wo ich bin und was ihr von mir wollt?“
Einer nahm das Wort und erwiderte ihm: „Junger Mann, so eben ist das Tor
dieser Stadt geöffnet worden, und als wir herauskamen, fanden wir euch, so wie
ihr hier liegt. Wir blieben stehen, um euch zu betrachten. Habt ihr hier die
Nacht zugebracht? Und wisst ihr wohl, dass ihr euch an einem Tor von Damaskus
befindet?“ – „An einem Tor von Damaskus?“, erwiderte Bedreddin,
„ihr spottet meiner: als ich mich diese Nacht niederlegte, war ich in
Kairo.“ Bei diesen Worten sagten einige, von Mitleid gerührt, es wäre
Schade, dass ein so wohl gebildeter junger Mann den Verstand verloren hätte, und
gingen ihres Weges.

„Mein Sohn,“ sagte ein guter alter Mann zu ihm,
„ihr bedenkt nicht, was ihr sprecht; wie hättet ihr gestern Abend in Kairo
sein können, da ihr diesen Morgen in Damaskus seid? Das ist nicht
möglich.“ – „Und doch ist es gewiss,“ versetzte Bedreddin,
„und ich kann euch sogar zuschwören, dass ich von ganzen gestrigen Tag in
Balsora zugebracht habe.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als ein
allgemeines Gelächter entstand und alle ausriefen: „Er ist ein Narr, er
ist ein Narr!“ Einige beklagten ihn jedoch, wegen seiner Jugend, und einer
von diesen sagte zu ihm: „Mein Sohn, ihr müsst den Verstand verloren
haben, ihr bedenkt nicht, was ihr sprecht: ist es möglich, dass ein Mensch den
Tag über in Balsora, die Nacht über in Kairo, und am anderen Morgen in
Damaskus sei? Ihr seid vermutlich noch schlaftrunken! Ermuntert euren
Geist.“ – „Was ich sage,“ entgegnete Hassan, „ist so
wahrhaft, dass ich gestern Abend in Kairo verheiratet worden bin.“ Alle
diejenigen, welche vorher gelacht hatten, verdoppelten nun ihr Gelächter.
„Nehmt euch wohl in Acht,“ sagte dieselbe Person, welche eben zu ihm
gesprochen hatte, „ihr müsst das Alles geträumt haben, und die Täuschung
ist euch geblieben.“ – „Ich weiß wohl, was ich sage,“ erwiderte
der junge Mann; „sagt selbst, wie es möglich ist, dass ich im Traum nach
Kairo kam, wo ich nach meiner festen überzeugung wirklich gewesen bin, wo man
siebenmal meine Gattin, immer neu gekleidet, vor mich geführt hat, und wo ich
einen Buckligen gesehen habe, den man ihr zum Manne geben wollte? Sagt mir nur,
was aus meinem Kleide, meinem Turban und meinem Beutel mit Zeckinen geworden
ist?“

Obgleich er versicherte, dass alle diese Dinge wirklich
wären, so lachten die Zuhörer nur darüber; was ihn so beunruhigte, dass er
selbst nicht mehr wusste, was er von allem dem, das ihm begegnet war, denken
sollte.
Der Tag, der Schachriars Gemach zu erleuchten begann, legte Scheherasade
Stillschweigen auf, die in der nächsten Nacht ihre Geschichte folgendermaßen
fortsetzte: