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101. Nacht

Der Jude, welcher Isaak hieß, sagte zu Bedreddin-Hassan,
nachdem er ihn gegrüßt und ihm die Hand geküsst hatte: „Herr, darf ich
mir wohl die Freiheit nehmen, euch zu fragen, wohin ihr zu dieser Stunde so
allein und wie es scheint, ein wenig bewegt geht? Bekümmert euch irgend
etwas?“ – „Ja,“ antwortete Bedreddin-Hassan, „Ich bin vorhin
eingeschlafen, und im Schlafe ist mir mein Vater erschienen. Sein Blick war
schrecklich, als ob er in heftigem Zorn gegen mich entbrannt wäre. Ich bin
plötzlich und voll Schrecken erwacht, und sogleich vom Hause weggegangen, um
auf seinem Grab zu beten.“ – „Herr,“ erwiderte der Jude, der
nicht wissen konnte, weshalb Bedreddin aus der Stadt gegangen war, „da der
verstorbene Großwesir, euer Vater und mein Herr, glückseligen Andenkens,
Schiffe, die noch auf dem Meer sind, und die euch gehören, mit Waren beladen
hat, so bitte ich euch, mir vor jedem andern Kaufmann den Vorzug zu geben. Ich
bin im Stande, mit barem Geld die Ladung aller eurer Schiffe zu kaufen, und wenn
ihr mir, – um einen Anfang zu machen, – die des ersten, welches glücklich in
den Hafen zurückkehrt, überlassen wollt, so will ich euch tausend Zeckinen,
die ich in meinem Beutel habe, im voraus bezahlen.“ Indem er dies sagte,
zog er aus seinem Kleide einen großen, mit seinem Petschaft versiegelten Beutel
hervor, den er unter seinem Arm trug.

Bedreddin-Hassan, in dem Zustand, worin er sich befand,
vom Haus verjagt, alles dessen, was er auf der Insel besessen, hatte, beraubt,
sah das Anerbieten des Juden für eine Gunst des Himmels an, und ging mit
Freuden darauf ein. „Herr,“ sagte hierauf der Jude, ihr überlasst mir
also für tausend Zeckinen die Ladung eures ersten, in unserem Hafen anlangenden
Schiffes?“ – „Ja, ich verkaufe sie euch für tausend Zeckinen,“
erwiderte Bedreddin-Hassan, „und es ist eine abgemachte Sache.“
Sogleich übergab ihm der Jude den Beutel mit tausend Zeckinen, und erbot sich,
ihn zu zählen. Bedreddin ersparte ihm diese Mühe, indem er ihm sagte, dass er
ihm traute. „Weil dem nun so ist,“ versetzte der Jude, „so habt
die Güte, Herr, mir ein schriftliches Wort über den abgeschlossenen Handel zu
geben.“ Dies sagend, zog er sein Schreibzeug heraus, das er am Gürtel
trug, und nachdem er einwohlgeschnittenes Schreibrohr hervorgesucht hatte,
überreichte er es ihm, mit einem Stück Papier, welches er in seiner
Schreibtafel fand, und während er das Schreibzeug hielt, schrieb
Bedreddin-Hassan diese Worte:

„Diese Schrift bezeugt, dass Bedreddin-Hassan von
Balsora dem Juden Isaak, für die von diesem erhaltene Summe von tausend
Zeckinen, die Ladung des ersten seiner Schiffe, welches in diesem Hafen landen
wird, verkauft hat.

Bedreddin-Hassan von Balsora“

Nachdem er diesen Schein geschrieben hatte, gab er ihn dem
Juden, der ihn in seine Schreibtafel legte und sich ihm sodann empfahl.

Während Isaak seinen Weg nach der Stadt verfolgte, setzte
Bedreddin-Hassan den seinigen nach dem Grabe seines Vaters Nureddin-Ali fort.
Als er dort angekommen war, warf er sich mit dem Gesicht auf die Erde, und fing
an, mit in Tränen schwimmenden Augen, sein elendes Geschick zu beklagen.
„Ach,“ sagte er, „unglückseliger Bedreddin, was wird aus dir
werden? Wo wirst du einen Zufluchtsort finden, der dich vor dem ungerechten,
dich verfolgenden Fürsten schützt? War es nicht genug, durch den Tod eines so
geliebten Vaters betrübt zu werden, musste das Geschick zu deiner gerechten
Trauer ein neues Unglück fügen?“ Hierauf sprach er folgende Verse:

„Seitdem ihr abwesend seid, ist in dem Haus, das ihr
verließt, keine Bewohner mehr; doch – was sage ich – der Nachbar ist seit eurer
Entfernung nicht mehr Nachbar.
Die Hausfreunde, die ich gewohnt war darin zu sehen, sind nicht mehr
Hausfreunde; und der Mond, den ich aus den Fenstern des Hauses betrachtete,
scheint nicht mehr derselbe Mond.
Ihr seid nicht mehr; deshalb ist mir die Welt zur Wüste geworden. Nah und fern
ist für mich nichts, als Dunkelheit.
Wären doch dem Raben, der euren Tod verkündigte, die Federn ausgerauft worden!
Hätte nie ein Nest ihn gehegt!
Meine Geduld vermag euren Verlust nicht zu ertragen; denn der Schmerz hat mir
schon alle meine Kräfte geraubt. O wie viele Bündnisse hat der Tag der
Trennung nicht schon gelöst!
Bald wirst du vergangene Nächte wiederkehren sehen, denn bald wird eine Wohnung
(das Grab) uns wieder umschließen!“

Er blieb lange Zeit in diesem Zustande, aber endlich erhub
er sich, und indem er sein Haupt auf das Grab seines Vaters stützte, erneuerten
sich seine Schmerzen heftiger, als vorher, und er hörte nicht auf, zu weinen
und zu klagen, bis er, dem Schlafe unterliegend, sein Haupt vom Grab erhub und
sich der Länge lang auf das Pflaster hinstreckte und einschlief.

Kaum genoss er die Annehmlichkeiten der Ruhe, als ein
Geist, der sich den Tag über auf dieser Begräbnisstätte aufzuhalten pflegte,
im Begriff, seiner Gewohnheit gemäß, die Welt zu durchstreifen, den jungen
Mann in dem Grabe gewahrte. Er trat hinein, und da Bedreddin auf dem Rücken
lag, so wurde er von dem Glanze seiner Schönheit getroffen und geblendet.