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10. Nacht

Dinarsade weckte in der folgenden Nacht, als
es Zeit war, ihre Schwester, und bat sie, die Geschichte vom Fischer
fortzusetzen.

Der Sultan bezeigte auch seine Ungeduld, zu
vernehmen, welchen Zwist der Geist mit Salomon gehabt hatte; und Scheherasade
fuhr also fort:

„Herr, der Fischer hatte nicht sobald
die Worte des Geistes vernommen, als er sich wieder erholte, und zu ihm sagte:
„Stolzer Geist, was sprichst du da? Es sind mehr als achtzehnhundert Jahre,
dass Salomon, der Prophet Gottes, tot ist, und wir sind gegenwärtig am Ende der
Tage. Erzähle mir deine Geschichte, und weshalb du in diesem Gefäße
verschlossen warest.“

Auf diese Anrede blickte der Geist den
Fischer mit stolzer Gebärde an, und antwortete ihm: „Rede höflicher mit
mir; du bist sehr dreist, mich einen stolzen Geist zu nennen.“ –
„Wohlan,“ erwiderte der Fischer, „ist es höflicher geredet, wenn
ich dich den Uhu des Schicksals nenne?“ – „Ich rate dir,“ erwiderte
der Geist, „höflicher zu mir zu reden, bevor ich dich töte.“ –
„He,“ versetzte der Fischer, „warum willst du mich töten? Ich
habe dich soeben in Freiheit gesetzt: Hast du es schon vergessen?“ –
„Nein, ich erinnere mich dessen wohl,“ erwiderte der Geist, „aber
das soll mich nicht abhalten, dich zu töten: und ich habe nur eine einzige
Gnade dir zu gewähren.“ – „Und welche Gnade ist das?“ fragte der
Fischer. – „Sie ist,“ antwortete der Geist, „dass ich dir die
Wahl lasse, auf welche Weise ich dich töten soll.“ – „Und
wodurch,“ versetzte der Fischer, „habe ich dich beleidigt? Willst du
mich also für die Wohltat belohnen, die ich dir erwiesen habe?“ –
„Ich kann dich nicht anders behandeln,“ sagte der Geist; „und
damit du selber dich davon überzeugest, so höre meine Geschichte:

Ich bin einer der abtrünnigen Geister,
welche sich dem Willen Gottes widersetzten. Alle anderen Geister erkannten den
großen Salomon, den Propheten Gottes, und unterwarfen sich ihm. Wir, Sakar und
ich, waren die einzigen, welche sich nicht so erniedrigen wollten. Um sich
dafür zu rächen, gebot dieser mächtige König seinem ersten Minister Assaf,
Barachia’s Sohn, mich gefangen zu nehmen. Das geschah. Allaf kam, sich meiner zu
bemächtigen, und führte mich mit Gewalt vor den Thron des Königs seines
Herrn.

Salomon, Davids Sohn, befahl mir, mein
bisheriges Leben aufzugeben, seine Macht anzuerkennen und mich seinen Befehlen
zu unterwerfen. Ich versagte trotzig, ihm zu gehorchen; und ich wollte mich
lieber seinem ganzen Zorne aussetzen, als ihm den Eid der Treue und
Untertänigkeit leisten, welchen er von mir forderte. Zur Strafe schloss er mich
in dieses kupferne Gefäß ein; um sich meiner zu versichern, und damit ich mein
Gefängnis nicht sprengen könnte, so drückte er selber auf den bleiernen
Deckel sein Siegel, in welches der hohe Name Gottes eingegraben war. Als das
geschehen war, übergab er das Gefäß einem der Geister, welche ihm gehorchten,
mit dem Befehle, mich ins Meer zu werfen; was auch zu meinem großen Verdruss
geschah.

Während des ersten Jahrhunderts meiner
Gefangenschaft schwur ich, wenn jemand mich vor Ablauf dieser hundert Jahre
daraus befreie, ihn reich zu machen, selbst nach seinem Tode. Aber das
Jahrhundert verlief, und niemand leistete mir diesen guten Dienst. Während des
zweiten Jahrhunderts schwur ich, jedem, der mich in Freiheit setzte, alle
Schätze der Erde zu eröffnen; aber ich war nicht glücklicher. In dem dritten
gelobte ich, meinen Befreier zu einem mächtigen König zu machen, stets als
Geist bei ihm zu sein, und ihm jeden Tag drei Bitten zu gewähren, von welcher
Art dieselben auch immer sein möchten; aber auch dieses Jahrhundert verging,
wie die beiden vorigen, und ich blieb stets in demselben Zustande. Endlich,
verzweifelnd, oder vielmehr erbost, mich so lange gefangen zu sehen, schwur ich,
wenn in der Folge jemand mich befreite, ihn erbarmungslos zu töten, und ihm
keine andere Gnade zu gewähren, als die, dass ich ihm die Wahl ließe, auf
welche Weise ich ihn töten sollte. Deshalb also, da du heute hierher gekommen
bist, und mich befreit hast, wähle, wie du von mir getötet sein willst.“

Diese Rede betrübte den Fischer gar sehr.
„Ich Unglückseliger,“ rief er aus, „dass ich an diesen Ort
gekommen bin, um einen Undankbaren einen so großen Dienst zu leisten! Ich bitte
dich, bedenke deine große Ungerechtigkeit, und widerrufe deinen so
unvernünftigen Eid. Verzeihe mir, damit Gott auch dir verzeihe. Wenn du mir
großmütig das Leben schenkst, so wird er dich gegen Nachstellungen schützen,
welche etwa dein Leben bedrohen.“ – „Nein, dein Tod ist gewiss,“
sagte der Geist; „wähle nur, auf welche Weise ich dich töten soll.“

Als der Fischer seinen beharrlichen Entschluss
sah, ihn zu töten, war er in großer Angst, nicht sowohl aus Liebe zu sich
selber, als wegen seiner drei Kinder, und beklagte ihr Elend, in welches sein
Tod sie versetzen würde. Er versuchte nochmals, den Geist zu besänftigen:
„Weh mir!“ rief er aus, „hab‘ Erbarmen mit mir, in Rücksicht
dessen, was ich für dich getan habe.“ – „Ich habe es dir schon
gesagt,“ erwiderte der Geist, „dass dieses gerade die Ursache ist, dass
ich dich töten muss.“ – „Das ist doch seltsam,“ entgegnete der
Fischer, „dass du durchaus Gutes mit Bösem vergelten willst. Zwar ist
jener Spruch aller Welt bekannt:

„Gutes haben wir erwiesen, man hat uns
mit Bösem belohnt: – so handelt, bei meinem Leben, nur der Gottlose!“

Doch es ist gewiss: Wer dem Unwürdigen Gutes
erweist, hat kein anderes Schicksal zu erwarten, als der einer Hyäne Zuflucht
gibt.“

Ich glaubte bisher immer, dass dieses falsch
wäre; und in der Tat, verstößt nichts so sehr gegen die Vernunft und gegen
dir Rechte der Gesellschaft: nichts desto minder erfahre ich nun grausamer Weise,
dass es nur zu wahr ist.“ – „Lass uns nicht die Zeit verlieren,“
unterbrach ihn der Geist, „alle Deine Vernünfteleien können mich von
meinem Vorhaben nicht abwendig machen. Mach‘ fort, und sage, wie du wünschest, dass
ich dich töte.“

Die Not macht erfinderisch. Der Fischer
besann sich auf eine List. „Da ich den Tod nicht vermeiden kann, sagte er
zu dem Geiste, „so unterwerfe ich mich denn dem Willen Gottes. Bevor ich
aber eine Todesart wähle, so beschwöre ich dich bei dem hohen Namen Gottes,
welcher auf dem Siegel des Propheten Salomon, des Sohnes David, eingegraben ist,
mir die Wahrheit zu sagen, auf eine Frage, die ich dir tun will.“

Als der Geist auf eine Weise beschworen
wurde, welche ihn zwang, bestimmt zu antworten, zitterte er innerlich, und sagte
zu dem Fischer: „Frage mich, was du willst, und eile dich …“

Da brach der Tag an, und Scheherasade
schwieg.

„Meine Schwester,“ sagte Dinarsade,
„man muss gestehen, je mehr du erzählest, je mehr Vergnügen gewährst du.
Ich hoffe, dass der Sultan, unser Herr, dich nicht töten lässt, bevor das Ende
des schönen Mährchens vom Fischer gehört hat.“ – „Der Sultan hat zu
gebieten,“ erwiderte Scheherasade; „wir müssen uns gefallen lassen,
was ihm beliebt.“

Der Sultan, welcher nicht weniger Lust hatte,
als Dinarsade, das Ende dieser Erzählung zu hören, verschob abermals den Tod
der Sultanin.