28. Kapitel


Cassy

Kurze Zeit genügte, um Tom mit allem, was er in seiner neuen Lebensweise zu hoffen oder zu fürchten hatte, vertraut zu machen. Er war ein geschickter und brauchbarer Arbeiter in allem, was er angriff; und war sowohl aus Gewohnheit wie aus Grundsatz pünktlich und treu. Von stiller und friedlicher Gemütsart, hoffte er durch unausgesetzten Fleiß wenigstens einem Teile der Leiden seiner Lage zu entgehen. Er hatte soviel Tyrannei und Jammer vor Augen, daß er wohl hätte am Leben verzweifeln können; aber er war entschlossen, sich mit frommer Geduld zu mühen und Ihm zu vertrauen, der gerecht urteilt, nicht ohne einige Hoffnung, daß sich noch ein Weg der Rettung für ihn finden könnte.

Legree war ein stummer Beobachter von Toms Brauchbarkeit. Er schätzte ihn als einen seiner allerbesten Arbeiter, und doch fühlte er eine geheime Abneigung gegen ihn – den angeborenen Widerwillen des Schlechten gegen das Gute. Er sah klärlich, daß, sooft seine Gewalttätigkeit und Roheit Hilflose traf, wie es häufig geschah, Tom es wohl beachtete, denn so fein ist die Atmosphäre der Meinung, daß sie sich selbst ohne Worte fühlbar macht, und sogar die Meinung eines Sklaven kann einem Herrn unangenehm sein. Tom legte auf verschiedene Weise eine Weichheit des Gefühls und eine zärtliche Teilnahme für seine Leidensgenossen an den Tag, die ihnen seltsam und neu war und welche Legree mit argwöhnischem Auge beobachtete. Er hatte Tom in der Absicht gekauft, mit der Zeit eine Art Aufseher aus ihm zu machen, dem er manchmal während kurzer Abwesenheiten seine Angelegenheiten anvertrauen konnte; und seiner Ansicht nach war das erste, zweite und dritte Erfordernis für eine solche Stelle unnachsichtige Härte. Legree war darin mit sich einig, daß Tom, da er noch nicht hart genug sei, hart gemacht werden müsse; und einige Wochen nach Toms Ankunft beschloß er seine Kur zu beginnen.

Eines Morgens, als sämtliche Sklaven antraten, um aufs Feld zu gehen, gewahrte Tom zu seiner Überraschung ein neues Gesicht unter ihnen, dessen Erscheinung seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine schlanke und zart gebaute Frau mit merkwürdig feinen Händen und Füßen und in sauberen und anständigen Kleidern. Nach ihrem Gesicht zu urteilen mochte sie zwischen 35 und 40 Jahre alt sein; und es war ein Gesicht, das man, einmal gesehen, nie wieder vergessen konnte, eins von den Gesichtern, welche auf den ersten Blick uns an eine phantastische, leidensvolle und romantische Lebensgeschichte denken lassen. Die Stirn war hoch und die Bogen der Augenbrauen wunderschön gezogen, die gerade, gut geformte Nase, der schön geschnittene Mund und die anmutigen Umrisse ihres Kopfs und ihrer Büste verrieten, daß sie früher schön gewesen sein mußte; aber ihr Gesicht war von tiefen Furchen des Schmerzes und stolzen und bitteren Duldens durchzogen. Ihre Gesichtsfarbe war fahl und ungesund, ihre Wangen hohl, ihre Züge spitz und die ganze Gestalt ausgemergelt. Aber ihr Auge war im höchsten Grade merkwürdig – so groß, so düster schwarz, von langen, ebenso dunklen Wimpern beschattet und von so trauervollem und wild verzweifeltem Ausdruck. In jedem Zuge ihres Gesichts, in jeder Biegung ihrer zuckenden Lippe, sprach sich ungezähmter Stolz und Trotz aus; aber in ihrem Auge lag eine unergründlich tiefe, nicht zu erhellende Nacht des Schmerzes – ein so hoffnungsloser und unveränderlicher Ausdruck, daß er grauenerregend gegen den Stolz und Trotz ihres ganzen übrigen Wesens abstach.

Woher sie kam, oder wer sie war, wußte Tom nicht. Er sah sie zuerst, wie sie aufrecht und stolz im ungewissen Zwielicht des Morgens neben ihm herschritt. Die übrigen Sklaven kannten sie jedoch, denn mancher Blick und mancher Kopf wendete sich ihr zu, und unter den elenden, zerlumpften, halbverhungerten Geschöpfen, die sie umringten, gab sich ein unterdrücktes, aber sichtbares Frohlocken kund.

»Endlich muß sie auch dran glauben – freut mich!« sagte einer.

»Hi! hi! hi!« sagte eine andere. »Nun wirst du auch schon sehen, wie es tut, Missis! Na, wird die arbeiten!«

»Bin neugierig, ob sie auch abends ihre Hiebe kriegt, wie wir andern!«

»Sollte mich freuen, wenn sie einmal die Peitsche zu kosten bekäme, das schwöre ich!« sagte wieder eine andere.

Die Frau beachtete diese Reden nicht, sondern ging mit demselben Ausdruck zürnenden Trotzes ihres Wegs, als ob sie nichts hörte.

Tom hatte beständig unter gebildeten Leuten gelebt, und fühlte daher sogleich aus ihrem ganzen Wesen heraus, daß sie zu dieser Klasse gehörte; aber wie und warum sie so tief gesunken, konnte er nicht erraten. Die Frau sah ihn nicht an und sprach nicht mit ihm, obgleich sie auf dem ganzen Wege nach dem Felde an seiner Seite blieb.

Tom war bald eifrig mit seiner Arbeit beschäftigt, aber er warf oft einen Blick auf sie, um zu sehen, wie sie arbeitete. Er sah sogleich, daß angeborenes Geschick und Gewandtheit ihr die Arbeit viel leichter machten als den meisten andern. Sie las sehr rasch und sehr rein und mit einer Miene von spöttischem Trotz, als ob sie ebensosehr die Arbeit wie die Schande und Erniedrigung der Lage, in der sie sich befand, verabscheute.

Im Laufe des Tages arbeitete Tom neben der Mulattin, welche in demselben Transport mit ihm hierher gekommen war. Offenbar war sie außerordentlich leidend und Tom hörte sie oft beten, wie sie wankte und zitterte und auf dem Punkte zu stehen schien, hinzusinken. Ohne ein Wort zu sprechen, legte Tom, wie er in ihre Nähe kam, mehrere Handvoll Baumwolle aus seinem Sack in den ihrigen.

»Ach, nein, nein!« sagte die Frau mit überraschtem Blick. »Ihr werdet in Ungelegenheiten kommen.«

Gerade jetzt kam Sambo heran. Er schien einen besonderen Haß auf diese Frau geworfen zu haben und sagte, die Peitsche schwingend im brutalen Kehltone: »Was ist das, Luce – macht wohl Streiche hier?« und dabei gab er der Frau mit seinem schweren, rindsledernen Schuh einen Tritt und schlug Tom mit der Peitsche übers Gesicht.

Tom ging wieder schweigend an seine Arbeit; aber die Frau, die schon den letzten Grad der Erschöpfung erreicht hatte, fiel in Ohnmacht.

»Ich will sie schon wieder zu sich bringen!« sagte der Aufseher mit rohem Grinsen. »Ich will ihr was eingeben, was besser als Kampfer ist!« Und er zog eine Nadel aus dem Rockaufschlag und bohrte sie ihr bis an den Kopf ins Fleisch. Die Frau stöhnte und erhob sich bald. »Steh auf, du Bestie, und arbeite, oder ich will dir noch ein Kunststück zeigen!«

Die Frau schien für ein paar Augenblicke zu einer unnatürlichen Kraft angestachelt zu sein und arbeitete mit verzweifeltem Eifer.

»Sieh zu, daß du dabei bleibst«, sagte der Aufseher, »oder du wirst heute abend wünschen, du wärest tot, sage ich dir!«

»Das wünsche ich jetzt schon!« hörte Tom sie sagen; und wieder hörte er sie sagen: »O Gott, wie lange? O Herr, warum hilfst du uns nicht!«

Auf die Gefahr, sich den größten Mißhandlungen auszusetzen, trat Tom wieder zu ihr und tat alle Baumwolle aus seinem Sack in den ihrigen.

»Ach nein, das dürft Ihr nicht tun! Ihr wißt gar nicht, wie sie Euch bestrafen werden!«

»Ich kann es besser ertragen, als Ihr«, sagte Tom, und er stand wieder auf seiner Stelle. In einem Augenblick war alles vorbei.

Plötzlich erhob die unbekannte Frau, die wir beschrieben haben und die während ihrer Arbeit nahe genug gekommen war, um Toms letzte Worte zu hören, ihre schweren, schwarzen Augen und heftete sie einen Augenblick auf ihn, dann nahm sie eine Quantität Baumwolle aus ihrem Korbe und legte sie in seinen Sack.

»Ihr kennt nichts von diesem Ort«, sagte sie, »oder Ihr würdet so etwas nicht tun. Wenn Ihr erst einen Monat hier seid, werdet Ihr nicht mehr daran denken, jemand zu helfen; Ihr werdet es schwer genug finden, für Eure eigne Haut Sorge zu tragen.«

»Der Herr verhüte das, Missis!« sagte Tom, indem er unbewußt seine Mitarbeiterin auf dem Felde mit der ehrerbietigen Benennung anredete, welche unter den gebildeteren Klassen, unter denen er gelebt hatte, gang und gäbe ist.

»Der Herr kommt nie hierher«, sagte die Frau bitter, wie sie mit raschen Fingern ihre Arbeit fortsetzte; und abermals zuckte das höhnische Lächeln um ihre Lippen.

Aber der Aufseher auf der anderen Seite des Feldes hatte wohl gesehen, was die Frau getan hatte, und die Peitsche schwingend kam er jetzt heran.

»Was! Was!« sagte er zu der Frau mit triumphierender Miene. »Ihr macht gar Streiche? Wart nur! Ihr steht jetzt unter mir – nehmt Euch in acht, oder Ihr sollt’s kriegen!«

Da schoß es wie ein Blitzstrahl plötzlich aus diesen schwarzen Augen heraus; sie drehte sich mit zitternden Lippen und mit offenen Nasenlöchern um, richtete sich empor und heftete einen vor Wut und Hohn flammenden Blick auf den Aufseher.

»Hund!« sagte sie. »Rühre mich an, wenn du’s wagst! Ich besitze noch Macht genug, um dich von Hunden zerreißen, lebendig verbrennen oder in Stückchen zerschneiden zu lassen! Ich habe nur ein Wort zu sprechen.«

»Wozu, zum Teufel, seid Ihr denn hier?« sagte der Mann, offenbar eingeschüchtert, und trat mürrisch ein paar Schritte zurück. »Meinte es nicht bös, Misse Cassy.«

»Nun, so komm mir nicht zu nahe!« sagte die Frau. Und wirklich schien der Aufseher ganz besonders geneigt zu sein, sich etwas an dem anderen Ende des Feldes zu tun zu machen, und ging schnellen Schrittes dorthin.

Die Frau machte sich jetzt rasch wieder an ihre Arbeit, und machte damit Fortschritte, welche Tom in das höchste Erstaunen setzten. Sie schien wie durch Zauberei zu arbeiten. Ehe der Abend da war, war ihr Korb voll, die Baumwolle zusammengepreßt und noch daraufgehäuft, und doch hatte sie mehrere Male große Quantitäten Tom gegeben. Lange nach Dämmerung marschierte der ganze müde Zug mit den Körben auf dem Kopfe nach dem zum Aufspeichern und Wiegen der Baumwolle bestimmten Gebäude. Legree war da und sprach eifrig mit den beiden Aufsehern.

»Dieser Tom da macht einem schrecklich zu schaffen, tat immer Baumwolle in Lucys Korb. Das ist einer von denen, die allen Niggers glauben machen, ’s ginge ihnen schlecht, wenn Master nicht ein Auge auf ihm hat!« sagte Sambo.

»Was da! Der schwarze Schlingel!« sagte Legree. »Er wird wohl erst eine Lektion kriegen müssen, Bursche?«

Beide Neger grinsten scheußlich bei dieser Andeutung.

»Ja, ja! Überlaßt nur Master Legree das Lektionen geben; der Teufel selber könnte das nicht besser machen, als Master!« sagte Quimbo.

»Ich denke, Bursche, das beste ist, von ihm das Peitschen besorgen zu lassen, bis er seine Grillen los wird. Wir wollen es ihn schon lehren.«

»Ach, Master, ’s wird viel Mühe kosten, ihm das aus dem Kopf zu bringen!«

»Aber es muß ihm aus dem Kopfe«, sagte Legree und schob den Tabak auf die andere Seite seines Mundes.

»Dann ist da die Lucy – die widerspenstigste und häßlichste Dirne auf der ganzen Plantage!« fuhr Sambo fort.

»Nimm dich in acht, Sam; ich werde nächstens einmal fragen, warum du einen solchen Haß auf Lucy geworfen hast.«

»Nun, Master weiß ja, sie war widerspenstig gegen Master selbst und wollte mich nicht nehmen, wie es ihr geheißen wurde.«

»Ich wollte sie schon durch die Peitsche gehorsam machen«, sagte Legree und spuckte aus, »wenn wir nur nicht so schrecklich viel zu tun hätten, daß wir sie nicht zuschande hauen dürfen. Sie ist schwächlich, aber die schwächlichsten Dirnen lassen sich halb totschlagen, um ihren Willen zu behalten.«

»Ja, Lucy war ganz widerspenstig und faul, wollte nichts tun – und Tom hat ihr mit lesen helfen.«

»So? Nun, dann soll Tom das Vergnügen haben, sie zu peitschen. Es wird für ihn eine gute Übung sein, und er wird sie nicht so schrecklich hauen, wie ihr Teufel.«

»Hoho! ha! ha! ha!« lachten die beiden Schwarzen, und die teuflischen Laute schienen in Wahrheit kein unpassender Ausdruck des dämonischen Charakters zu sein, den Legree ihnen beigelegt hatte.

»Ja, Master, Tom und Misse Cassy haben Lucys Korb gemeinschaftlich gefüllt. Ich möchte fast meinen, ’s sind Steine drin, Master.«

»Ich werde das Wiegen besorgen!« sagte Legree mit Nachdruck.

Beide Aufseher ließen wieder ihr teuflisches Lachen erschallen. »Also Miß Cassy hat ihr Tagewerk verrichtet«, setzte er hinzu.

»Sie liest wie der Teufel und alle seine Engel!«

»Sie hat sie alle im Leibe, glaube ich!« sagte Legree und ging, einen brutalen Fluch brummend, nach dem Waagezimmer.

Langsam kamen die müden und niedergedrückten Geschöpfe in das Zimmer und brachten mit unterwürfigem Zaudern ihre Körbe an die Waage.

Legree schrieb das Gewicht auf seine Schiefertafel, an deren einer Seite ein Namensverzeichnis angeklebt war.

Toms Korb wurde gewogen und richtig befunden; und er wartete mit besorgtem Blick, wie es der Frau, der er geholfen hatte, gehen würde.

Vor Schwäche wankend, trat sie vor und gab ihren Korb hin. Er hatte das gehörige Gewicht, wie Legree recht wohl bemerkte, aber sich zornig stellend sagte er: »Was, du faule Bestie! Schon wieder zu wenig! Tritt dorthin, du sollst’s schon kriegen, und bald!«

Die Frau stöhnte voll tiefster Verzweiflung und setzte sich auf ein Brett hin.

Die Person, die man Miß Cassy genannt hatte, trat jetzt vor und übergab mit stolzer nachlässiger Miene ihren Korb. Wie sie ihn hinreichte, sah ihr Legree mit einem höhnischen, aber forschenden Blick in die Augen.

Sie sah ihn mit ihren schwarzen Augen fest an, ihre Lippen bewegten sich ein wenig, und sie sagte etwas auf französisch zu ihm. Was es war, wußte niemand, aber Legrees Gesicht nahm einen vollkommen teuflischen Ausdruck an, wie sie sprach; er hob die Hand, als wollte er schlagen – eine Gebärde, welche sie mit grimmiger Verachtung ansah, als sie sich umdrehte und fortging.

»Und nun komm einmal her, Tom«, sagte Legree. »Du weißt, ich sagte dir, daß ich dich nicht für die ganze gemeine Arbeit gekauft habe. Ich gedenke, dich zu befördern und dich zum Aufseher zu machen; und heute abend kannst du nur gleich anfangen, um deine Hand zu üben. Jetzt nimm diese Dirne da und peitsche sie aus; du hast es oft genug gesehen, um es machen zu können.«

»Ich muß Master um Verzeihung bitten«, sagte Tom, »hoffe, Master wird mich nicht dazu brauchen. Ich bin nicht daran gewöhnt – hab’s noch nie getan – und kann es nicht tun, ist mir nicht möglich.«

»Du wirst noch ziemlich viel lernen müssen, was du nicht kannst, ehe ich mit dir fertig bin!« sagte Legree, nahm einen Ochsenziemer und versetzte damit Tom einen schweren Schlag über die Wange und ließ darauf noch einen ganzen Regen von Hieben folgen.

»Da!« sagte er, wie er innehielt, um Atem zu holen. »Wirst du nun auch jetzt noch sagen, du könntest es nicht tun?«

»Ja, Master«, sagte Tom und wischte sich mit der Hand das Blut weg, das ihm am Gesicht hinablief. »Ich will gern arbeiten, Tag und Nacht, und arbeiten, solange noch Leben und Atem in mir ist; aber das zu tun, kommt mir nicht recht vor; und Master, ich werde es niemals tun, niemals!«

Tom hatte eine merkwürdige weiche, sanfte Stimme und ein ehrerbietiges Wesen, welche Legree zu dem Glauben veranlaßt hatten, er wäre feig und werde sich leicht fügen. Als er diese letzten Worte sprach, lief ein Schauer des Staunens durch jeden Anwesenden; die arme Frau schlug die Hände zusammen und sagte:

»O Herr!« und jeder sah den andern unwillkürlich an und hielt den Atem an, wie um sich auf das Unwetter vorzubereiten, das gleich losbrechen mußte.

Legree sah ganz verblüfft aus, aber endlich brach er los:

»Was! Du verdammte, schwarze Bestie! Du willst mir sagen, du hältst es nicht für recht, das zu tun, was ich dir befehle! Wie kann sich einer von euch verdammtem Viehzeug Gedanken machen, was recht ist? Dem will ich ein Ende machen! Was denkst du denn eigentlich, was du bist? Du denkst wohl gar, du bist ein Gentleman, Master Tom, daß du deinem Herrn sagst, was recht ist und was nicht recht ist! Also behauptest du, es wäre unrecht, die Dirne zu peitschen?«

»Das ist meine Meinung, Master«, sagte Tom. »Das arme Geschöpf ist krank und schwach; ’s wäre geradezu grausam, und ich werde es nie und nimmermehr tun. Master, wenn Sie mich töten wollen, so töten Sie mich; aber nie werde ich meine Hand gegen einen dieser armen Leute hier erheben, nie – eher will ich sterben!«

Tom sprach das in sanftem Tone, aber mit einer Entschiedenheit, welche nicht mißverstanden werden konnte. Legree zitterte vor Zorn; seine grünlichen Augen funkelten wild, und selbst sein Backenbart schien sich vor Leidenschaft zu kräuseln; aber wie manche wilden Tiere, die mit ihrem Opfer spielen, bevor sie es zerreißen, hielt er seinen starken Trieb, sofort Gewalt zu brauchen, noch im Zaume und brach in bitteren Hohn aus.

»Ha, da haben wir endlich einmal einen Frommen mitten unter uns Sünder bekommen! – Einen Heiligen, einen feinen Herrn, der uns Sündern von unseren Sünden vorpredigen soll! Ein gewaltig heiliger Kerl muß es sein! Höre, du Schuft, du willst dich so fromm stellen – hast du nie in deiner Bibel gelesen: Diener, gehorchet Eurem Herrn? Bin ich nicht dein Herr? Habe ich nicht 1200 bare Dollar für alles, was in deinem verwünschten, schwarzen Leichnam ist, bezahlt? Bist du nicht mein mit Leib und mit Seele?« sagte er und gab Tom mit seinem schwere Stiefel einen heftigen Tritt: »Sprich!«

In der Tiefe seines physischen Leidens und von brutaler Bedrückung niedergebeugt fiel diese Frage wie ein Strahl voll Freude und Triumph in Toms Seele. Er richtete sich plötzlich auf, blickte ernst gen Himmel, während Tränen sich unter das an seinem Gesicht herabfließende Blut mischten, und rief aus:

»Nein, nein, nein! Meine Seele gehört Ihnen nicht, Master! Die haben Sie nicht gekauft – die können Sie nicht kaufen! Die ist gekauft und bezahlt von einem, der imstande ist, sie zu bewahren; es ist einerlei, Sie können mir nicht schaden!«

»Ich kann nicht«, sagte Legree mit höhnischem Grinsen; »das wollen wir sehen! Hier Sambo, Quimbo! Gebt diesem Hund eine Tracht Schläge, die er vor einem Monat nicht vergißt!«

Die beiden riesenhaften Neger, die jetzt Tom, mit teuflischem Frohlocken im Gesicht, packten, wären keine unpassende Personifikation der Mächte der Finsternis gewesen. Die arme Frau schrie laut auf vor Angst, und alle standen, von einer gemeinsamen Bewegung erfüllt, auf, während jene ihn widerstandslos hinausschleppten.

22. Kapitel


Das Letzte auf Erden

Die Statuetten und Bilder in Evas Zimmer waren mit weißen Tüchern verhüllt, und nur leises Atemholen und gedämpfte Schritte hörte man dort, und das Licht stahl sich feierlich durch die teilweise geschlossenen Fenster.

Das Bett war weiß verhangen, und unter der ruhenden Engelsgestalt lag ein schlummerndes Kind, schlummernd, um nie wieder zu erwachen.

Für solche, wie du bist, geliebte Eva, gibt es keinen Tod! Weder die Nacht noch den Schatten des Todes; nur ein so glänzendes Verschwimmen, wie wenn der Morgenstern im goldenen Frühlicht aufgeht. Dein ist der Sieg ohne die Schlacht – die Krone ohne den Kampf.

So dachte St. Clare, als er mit übereinandergeschlagenen Armen vor der Leiche stand und sie betrachtete. Ach! Wer wagt zu sagen, was er dachte? Denn von der Stunde an, wo Stimmen im Sterbezimmer gesagt hatten: »Sie ist verschieden«, war alles um ihn ein wüster Nebel gewesen, eine schwere Dämmerung des Schmerzes. Er hatte Stimmen an sein Ohr schlagen hören; er war gefragt worden und hatte geantwortet; sie hatten ihn gefragt, wann das Begräbnis sei, und wo sie begraben werden solle; und er hatte ungeduldig geantwortet, daß ihm das einerlei sei.

Adolf und Rosa hatten das Sterbezimmer eingerichtet; so leichtfertig, launenhaft und kindisch sie auch im allgemeinen waren, so waren sie doch weichherzig und voller Gefühl.

Es standen immer noch Blumen im Zimmer – alle weiß, zart und wohlriechend, mit zierlichen, trauernden Blättern. Auf Evas kleinem mit einer weißen Decke überzogenen Tischchen stand ihre Lieblingsvase mit einer einzigen weißen Moosrosenknospe. Die Falten der Draperien und der Vorhänge hatten Adolf und Rosa mit dem feinen Blick, der ihrer Rasse eigentümlich ist, geordnet und wieder geordnet. Selbst jetzt, wo St. Clare nachdenklich dastand, kam die kleine Rosa mit einem Korbe weißer Blumen mit vorsichtigem leisem Schritt in das Zimmer. Sie trat zurück, als sie St. Clare erblickte, und blieb ehrerbietig stehen; aber da sie sah, daß er sie nicht bemerkte, kam sie näher, um die Leiche zu schmücken. St. Clare sah sie, wie in einem Traume, während sie zwischen die zarten Händchen einen schönen Capjasmin steckte und mit bewunderungswürdigem Geschmack andere Blumen rund um das ganze Lager anbrachte.

Die Tür ging wieder auf, und Topsy mit vom Weinen geschwollenen Augen erschien, etwas unter der Schürze versteckt haltend. Rosa machte eine rasche abwehrende Gebärde, aber jene trat einen Schritt ins Zimmer herein.

»Du mußt hinaus«, sagte Rosa mit scharfem bestimmtem Flüstern: »Du hast hier nichts zu suchen.«

»O bitte, laß mich! Ich habe eine Blume mitgebracht – eine so hübsche Blume!« sagte Topsy und hielt eine halb aufgeblühte Teerosenknospe empor. »Laß mich nur die einzige hinlegen.«

»Marsch fort!« sagte Rosa noch entschiedener.

»Sie soll bleiben!« sagte St. Clare plötzlich mit dem Fuße stampfend. »Sie soll hereinkommen.«

Rosa entfernte sich rasch, und Topsy trat ans Bett und legte ihre Blume zu Füßen der Leiche, dann warf sie sich plötzlich mit einem Schrei wilder Verzweiflung neben dem Bett nieder und weinte und stöhnte laut.

Miß Ophelia kam in das Zimmer geeilt und versuchte, sie aufzuheben und zu beruhigen; aber vergebens.

»O Miß Eva! O Miß Eva! Ich wollte, ich wäre auch tot – ja gewiß!« Es lag eine wilde herzzerreißende Verzweiflung in diesem Aufschrei; das Blut schoß in St. Clares weißes marmorgleiches Gesicht, und die ersten Tränen, die er seit Evas Tode geweint, standen ihm in den Augen.

»Steh auf, Kind!« sagte Miß Ophelia mit sanfterer Stimme: »Weine nicht so. Miß Eva ist im Himmel; sie ist ein Engel geworden.«

»Aber ich kann sie nicht sehen!« sagte Topsy. »Ich werde sie nie wieder sehen!« und sie fing wieder an zu schluchzen.

Alle standen einen Augenblick lang schweigend da.

»Sie sagte, sie hätte mich lieb«, sagte Topsy – »das hat sie gesagt! O Gott, o Gott! Ich habe nun niemanden mehr – niemanden!«

»Das ist nur zu wahr«, sagte St. Clare; »aber bitte«, sagte er zu Miß Ophelia, »versuche du, ob du das arme Geschöpf nicht trösten kannst.«

»Ich wollte, ich wäre gar nicht geboren«, sagte Topsy. »Es lag mir gar nichts daran, auf die Welt zu kommen; und ich sehe gar keinen Nutzen dabei.«

Miß Ophelia hob sie sanft, aber fest vom Boden auf und nahm sie mit in ihr Zimmer; aber bis sie dort waren, fielen ihr ein paar Tränen aus den Augen.

»Topsy, du armes Kind«, sagte sie, als sie dieselbe in ihr Zimmer führte, »verzweifle nicht! Ich kann dich lieben, obgleich ich nicht bin, wie das geliebte, selige Kind. Ich hoffe, ich habe durch sie ein wenig von der Liebe unseres Heilands gelernt. Ich kann dich liebhaben; ich werde dich lieben und versuchen, dir beizustehen, daß du eine gute Christin wirst.«

Miß Ophelias Stimme sagte mehr, als ihre Worte, und mehr noch als diese sagten die ehrlichen Tränen, welche aus ihren Augen strömten. Von dieser Stunde an erlangte sie einen Einfluß auf das Gemüt des verlassenen Kindes, den sie nie wieder verlor.

»O meine Eva, deren kurze Spanne Zeit auf dieser Erde so viel Gutes bewirkt hat«, dachte St. Clare, »welche Rechenschaft werde ich von meinen vielen Jahren abzulegen haben?«

Eine Weile lang hörte man leises Geflüster und Schritte in dem Zimmer, wie einer nach dem andern hereinschlich, um die Leiche zu sehen; und dann kam der kleine Sarg; und dann war das Begräbnis, und Wagen fuhren vor der Tür vor und Freunde kamen und setzten sich nieder; und man sah weiße Schärpen und Bänder und Kreppschleifen und Trauernde in schwarzem Krepp; und es wurden Worte aus der Bibel gelesen und Gebete gesprochen; und St. Clare lebte und ging herum und bewegte sich wie einer, der jede seiner Tränen vergossen hat. Bis zuletzt erblickte er nur einen Gegenstand, den goldenen Lockenkopf im Sarge; aber dann sah er, wie das Tuch darüber gebreitet und der Deckel des Sarges verschlossen wurde; und er ging mit, als sie ihn neben die andern stellten, bis zu einem kleinen Fleck hinten im Garten, und dort neben der Moosbank, wo sie und Tom so oft miteinander gesprochen und gesungen und gelesen hatten, war das kleine Grab. St. Clare stand neben demselben – schaute mit leerem Blick hinab; er sah, wie sie den kleinen Sarg hinunterließen; er hörte undeutlich die feierlichen Worte: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird nicht sterben, sondern das ewige Leben haben«, und wie die Erde darauf geworfen wurde und das kleine Grab ausfüllte, konnte er es nicht für wahr halten, daß sie seine Eva hier vor seinen Augen verscharrten.

Und so war es auch nicht! – Nicht Eva, sondern nur den schwachen Keim der strahlenden unsterblichen Gestalt, in der sie noch erscheinen wird an dem Tage Christi unseres Herrn.

Und sie waren alle fort, und die Leidtragenden kehrten alle zurück nach dem Hause, das sie nicht mehr sehen sollte; und aus Maries Zimmer war das Licht ausgesperrt, und sie lag auf dem Bett und schluchzte und stöhnte in unbezwinglichem Schmerz und rief jeden Augenblick nach allen ihren Dienstboten. Natürlich hatten diese keine Zeit zu weinen – wozu auch? Der Schmerz war ihr Schmerz, und sie war fest überzeugt, daß niemand auf Erden ihn so wie sie fühlte oder fühlen könnte und wollte.

»St. Clare vergoß keine Träne«, sagte sie: »Er sympathisierte nicht im mindesten mit ihr; es sei wirklich wunderbar, zu denken, wie hartherzig und gefühllos er sein müsse, da er doch jedenfalls wisse, wie sie leide.« So sehr sind die Menschen die Sklaven ihrer Augen und Ohren, daß viele von den Dienstboten wirklich glaubten, Missis leide bei weitem am meisten bei dieser Gelegenheit, vorzüglich, da Marie jetzt Anfälle von hysterischen Krämpfen bekam und nach dem Arzt schickte und erklärte, sie liege im Sterben; und das Laufen und Rennen und das Herbeischleppen von Wärmflaschen und das Warmmachen von Flanell und das Reiben und der allgemeine Lärm, den diese Anfälle verursachten, waren eine wahre Zerstreuung.

Tom jedoch hatte ein Gefühl in seinem Herzen, das ihn zu seinem Herrn hinzog. Er folgte ihm, traurig und sehnsüchtig, wohin er ging; und wenn er ihn so blaß und ruhig in Evas Zimmer über ihrer aufgeschlagenen kleinen Bibel sitzen sah, obgleich er keinen Buchstaben oder kein Wort darin erkannte, da sah Tom in diesem ruhigen, starren, tränenlosen Auge größeren Schmerz als in allem Seufzen und Jammern Mariens.

In wenigen Tagen kehrte die Familie St. Clare wieder nach der Stadt zurück, denn Augustin verlangte in der Ruhelosigkeit des Schmerzes nach einer anderen Umgebung, um seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben. So verließen sie denn Haus und Garten mit dem kleinen Grabe und begaben sich wieder nach New Orleans, und St. Clare bewegte sich geschäftig auf den Straßen und war bestrebt, die Kluft in seinem Herzen mit Eile und Rührigkeit und Ortsveränderungen auszufüllen; und Leute, die ihn auf der Straße sahen oder ihm in dem Café begegneten, erfuhren den Verlust, den er erlitten, nur durch den Flor um seinen Hut, denn er lächelte und spaßte und las die Zeitungen und unterhielt sich über Politik und besorgte Geschäftsangelegenheiten; und wer konnte wissen, daß diese ganze lächelnde Außenseite nur eine hohle Schale um ein Herz sei, das ein dunkles und stilles Grab war.

»Mr. St. Clare ist ein eigener Mann«, sagte Marie zu Miß Ophelia in klagendem Tone. »Ich glaubte immer, wenn er etwas auf der Welt liebte, so sei es unsere teuere Eva, aber er scheint sie sehr leicht zu vergessen. Ich kann ihn nie dazu bringen, von ihr zu sprechen. Ich glaubte wahrhaftig, er würde mehr Gefühl zeigen!«

»Stille Wasser sind oft die tiefsten, habe ich immer sagen hören«, sagte Miß Ophelia orakelhaft.

»Ach, das glaube ich gar nicht; das ist alles nur Rederei. Wenn Leute Gefühl haben, so werden sie es zeigen – sie können nicht anders; aber es ist immer ein großes Unglück, viel Gefühl zu besitzen. Ich wollte lieber, ich hätte eine Natur, wie St. Clare. Meine Gefühle nagen mir so am Herzen!«

»Aber gewiß, Missis, Master St. Clare wird so mager wie ein Schatten. Sie sagen, er esse gar nichts«, sagte Mammy. »Ich weiß, daß er Miß Eva nicht vergißt; das kann niemand – das liebe gesegnete Wesen!« setzte sie hinzu und wischte sich die Augen.

»Nun, jedenfalls nimmt er gar keine Rücksicht auf mich«, sagte Marie; »er hat mir kein Wort der Teilnahme gesagt, und er muß doch wissen, wieviel mehr eine Mutter fühlt, als es einem Manne je möglich ist.«

»Das Herz kennt seine eigene Bitterkeit«, sagte Miß Ophelia mit Ernst.

»Das denke ich eben auch. Ich weiß recht gut, was ich fühle – kein anderer Mensch scheint es zu wissen. Eva erriet es manchmal, aber sie ist nicht mehr!« Und Marie legte sich zurück in ihrem Sofa und schluchzte trostlos.

Marie war eine von den unglücklich konstituierten Sterblichen, in deren Augen alles, was für immer verloren ist, einen Wert annimmt, den es nie hatte, solange sie im Besitz desselben waren. Was sie besaß, schien sie nur zu besitzen, um Fehler darin zu finden; aber sowie es nicht mehr vorhanden war, so legte sie einen ungemessenen Wert darauf.

Zu gleicher Zeit mit diesem Gespräch in der Wohnstube fand ein anderes in der Bibliothek St. Clares statt.

Tom, der seinem Herrn beständig voller Unruhe Schritt für Schritt nachging, hatte ihn einige Stunden vorher in die Bibliothek gehen sehen; und nachdem er vergeblich gewartet hatte, ob er wieder herausgehen werde, beschloß er, sich etwas darin zu tun zu machen. Er trat leise ein. St. Clare lag auf einem Sofa am hinteren Ende des Zimmers. Er lag auf seinem Gesicht, und Evas Bibel lag aufgeschlagen nicht weit von ihm. Tom ging zu ihm hin und blieb vor dem Sofa stehen. Er zögert, und während er noch zögerte, erhob sich St. Clare plötzlich. Das ehrliche Gesicht so voller Schmerz und mit einem so flehenden Ausdruck von Liebe und Teilnahme fiel seinem Herrn auf. Er legte seine Hand auf die Toms und beugte sich mit dem Kopfe darüber.

»Ach, Tom, die ganze Welt ist so leer, wie ein hohles Ei.«

»Ich weiß es, Master – ich weiß es«, sagte Tom. »Aber ach, wenn Master nur hinaufsehen wollte – hinauf, wo unsere liebe Miß Eva ist – hinauf zu dem lieben Herrn Jesus!«

»Ach, Tom! Ich blicke hinauf; aber das Schlimmste ist, daß ich gar nichts oben sehe. Ich wollte, ich könnte was sehen.«

Tom seufzte schwer.

»Es scheint Kindern und armen ehrlichen Burschen, wie du bist, gegeben zu sein, zu sehen, was wir nicht sehen«, sagte St. Clare. »Woher kommt das?«

»Du hast solches verborgen vor den Weisen und Klugen, und hast’s offenbart den Unmündigen«, sagte Tom halblaut vor sich hin; »ja, Vater, also war es wohlgefällig vor Dir.«

»Tom, ich glaube nicht – ich kann nicht glauben; ich habe mir das Zweifeln angewöhnt«, sagte St. Clare. »Ich möchte dieser Bibel glauben, und ich kann nicht.«

»Guter Master, beten Sie zu dem guten Gott: Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben!«

»Wer weiß etwas von etwas?« sagte St. Clare zu sich selbst, während seine Augen träumerisch herumschweiften. »War alle diese schöne Liebe und Treue nur eine von den ewig wechselnden Phasen menschlichen Gefühls, die auf nichts Wirklichem beruhen und mit dem letzten Atemzuge vergehen? Und gibt es keine Eva mehr – keinen Himmel – keinen Christus – nichts?«

»Ach, lieber Master, wohl gibt es noch etwas! Ich weiß es; ich bin davon überzeugt«, sagte Tom und sank auf die Knie. »Lieber, lieber Master, glauben Sie!«

»Woher weißt du, daß es einen Christus gibt, Tom? Du hast nie den Herrn gesehen.«

»Ich habe ihn in meiner Seele gefühlt, Master – fühle ihn jetzt! O, Master, als man mich wegverkaufte von meiner Alten und den Kindern, war ich fast ebenso verzweifelt. Es war mir, als wäre nichts mehr übrig auf der Welt; und dann stand der gute Herr bei mir und sprach: ›Fürchte dich nicht, Tom!‹ und er bringt Licht und Freude in die Seele des Armen und macht, daß alles Friede wird; und ich fühle mich so glücklich und liebe jedermann und bin bereit des Herrn zu sein, und des Herrn Willen geschehen zu lassen und dorthin zu gehen, wohin mich der Herr sendet. Ich weiß, daß das nicht von mir kommen konnte, denn ich war ein armes unglückliches Menschenkind; es kam von dem Herrn; und ich weiß, daß er es auch für Master tun wird.«

Tom sprach mit halb erstickter Stimme. St. Clare legte den Kopf auf seine Schulter und drückte die harte, treue, schwarze Hand.

»Ich würde beten, Tom, wenn jemand da wäre, wenn ich bete; aber es ist mir stets, als spräche ich in die leere Luft. Aber bete du, Tom, und zeige mir, wie ich beten soll.«

Toms Herz war voll; er schüttete es im Gebete aus, wie Wasser, das ein Damm lange zurückgehalten hat. Eine Sache war klar genug: Tom glaubte, es höre ihn jemand, mochte jemand da sein oder nicht. Ja, St. Clare fühlte sich selbst auf der Flut seines Glaubens und Gefühls fast bis an die Tore des Himmels getragen, den er sich so lebendig vorzustellen schien. Es schien ihn Eva näherzubringen.

»Ich danke dir, guter Tom«, sagte St. Clare, als Tom aufstand. »Ich höre dich gern, Tom; aber jetzt geh und laß mich allein; ein andermal wollen wir mehr davon sprechen.«

Tom verließ schweigend das Zimmer.

23. Kapitel


Wieder vereint

Woche nach Woche schwand im Hause St. Clares dahin, und die Wellen des Lebens nahmen wieder ihre ehemalige Glätte an der Stelle an, wo die kleine Barke untergesunken war. Denn wie gebieterisch, wie gleichgültig, wie rücksichtslos gegen alle unsere Empfindungen sich der harte kalte einförmige Lauf täglicher Wirklichkeiten fortbewegt! Noch müssen wir essen und trinken und schlafen und wieder erwachen – noch feilschen, kaufen, verkaufen, Frage stellen und beantworten – mit einem Worte, tausend Schatten verfolgen, obgleich alles Interesse an ihnen erstorben ist; die kalte mechanische Gewohnheit des Lebens ist geblieben, nachdem alle lebendige Teilnahme dafür vorüber ist.

Alle Interessen und Hoffnungen von St. Clares Leben waren unbewußt mit diesem Kinde verwachsen gewesen. Nur für Eva verwaltete er sein Vermögen; nur für Eva richtete er seine Zeit ein; und das oder jenes für Eva zu tun – für sie zu kaufen, zu verbessern, zu verändern oder anzuordnen – war so lange seine Gewohnheit gewesen, daß jetzt, wo sie nicht mehr war, nichts mehr für ihn zu denken oder zu tun zu sein schien. Allerdings gab es noch ein andres Leben, ein Leben, welches, wenn man einmal daran glaubt, wie ein feierliches bedeutsames Zeichen vor den sonst bedeutungslosen Ziffern der Zeit steht und ihnen einen geheimen und ungezählten Wert verleiht. St. Clare wußte dies recht gut, und oft in mancher trüben Stunde hörte er diese zarte Kinderstimme aus dem Himmel herab ihm zurufen und sah die kleine Hand ihm den Weg des Lebens weisen; aber eine schwere Erstarrung des Schmerzes lag auf ihm – er konnte sich nicht erheben. Er war eine von den Naturen, welche religiöse Gegenstände nach eigenen Wahrnehmungen und Ahnungen besser und klarer fassen können, als mancher methodische und praktische Christ. Die Gabe, die feineren Schattierungen und Beziehungen sittlicher Verhältnisse zu würdigen und zu fühlen, scheint oft denen eigen zu sein, die ihr Leben in leichtsinniger Mißachtung derselben verbringen. Daher sprechen Moore, Byron, Goethe oft Worte, die das echte religiöse Gefühl wahrer ausdrücken, als Leute, deren ganzes Leben davon beherrscht ist. In solchen Geistern ist Mißachtung der Religion ein noch schrecklicherer Verrat – eine noch größere Todsünde.

St. Clare hatte nie den Anspruch gemacht, sich von religiösen Verpflichtungen beherrschen zu lassen; und eine gewisse Feinheit des Gefühls rief in ihm eine solche instinktmäßige Ansicht über die Ausdehnung der Forderungen des Christentums hervor, daß er sich schon im voraus vor dem Umfang scheute, den, wie er fühlte, die Forderungen seines Gewissens annehmen würden, wenn er sich ihnen einmal fügte, denn so inkonsequent ist die Menschennatur, vorzüglich im Idealen, daß etwas gar nicht zu unternehmen oft besser erscheint, als etwas zu unternehmen und das vorgesteckte Ziel nicht zu erreichen.

Dennoch war St. Clare in vielen Hinsichten ein anderer Mensch. Er las Evas Bibel ehrlich und mit Ernst; er dachte weniger leichtsinnig und praktischer über seine Verhältnisse zu seinen Dienstboten, und es genügte, ihn sehr unzufrieden mit seinem früheren und gegenwärtigen Benehmen zu machen; und etwas tat er bald nach seiner Rückkehr nach New Orleans: Er begann nämlich die nötigen gesetzlichen Schritte zu Toms Freilassung, die, sobald nur die notwendigen Formalitäten beendigt werden konnten, stattfinden sollte.

Unterdessen schloß er sich jeden Tag mehr an Tom an. In der ganzen weiten Welt schien ihn nichts so sehr an Eva zu erinnern; und er wollte ihn beständig um sich haben, und so zurückhaltend und unnahbar er hinsichtlich seiner tieferen Gefühle war, dachte er doch fast laut mit Tom. Auch würde sich niemand darüber gewundert haben, wenn er gesehen hätte, mit welchem Ausdruck von Liebe und Hingebung Tom fortwährend seinem jungen Herrn folgte.

»Nun, Tom«, sagte St. Clare eines Tages, als er die gesetzlichen Formalitäten zu seiner Freilassung begonnen hatte, »ich werde dich zum freien Manne machen; also packe deinen Koffer und mache dich fertig, nach Kentucky abzureisen.«

Der plötzliche Freudenschimmer, der über Toms Gesicht flog, wie er die Hände zum Himmel erhob, sein innig gefühltes: »Der Herr sei gepriesen!« überraschte St. Clare fast unangenehm; es gefiel ihm nicht, daß Tom so bereitwillig war, ihn zu verlassen.

»Du hast es hier nicht so sehr schlecht gehabt, daß du so entzückt darüber zu sein brauchst, Tom«, sagte er trocken.

»Nein, nein, Master! Das ist’s nicht – es ist weil ich ein freier Mann bin! Darüber freue ich mich so sehr.«

»Aber Tom, meinst du nicht, daß du dich für deinen Teil besser befunden hast, als wenn du frei wärst?«

»Nein gewiß nicht, Master St. Clare«, sagte Tom mit plötzlicher Energie. »Nein, gewiß nicht!«

»Aber Tom, du hättest unmöglich durch deine Arbeit solche Kleider und solche Kost verdienen können, wie du immer bei mir hast!«

»Das weiß ich alles, Master St. Clare; Master ist zu gut gewesen; aber Master, lieber hätte ich schlechte Kleider, schlechte Wohnung und alles schlecht, und es wäre mein eigen, als wenn ich alles vom Besten hätte, und es gehörte einem andern! Das wollte ich, Master; ich glaube, es ist Menschennatur, Master!«

»Das mag es sein, Tom, und du wirst in einem oder ein paar Monaten fortgehen und mich verlassen«, setzte er etwas mißvergnügt hinzu; »wiewohl kein Sterblicher weiß, warum du es anders machen solltest«, sagte er in heiterem Tone; und er stand auf und ging im Zimmer auf und ab.

»Nicht, so lange Master unglücklich ist«, sagte Tom. »Ich bleibe bei Master, solange er mich braucht – so lange ich von Nutzen sein kann.«

»Nicht, solange ich unglücklich bin, Tom!« sagte St. Clare und sah traurig zum Fenster hinaus. »Und wann werde ich nicht mehr unglücklich sein?«

»Wenn Master St. Clare ein Christ ist«, sagte Tom.

»Und gedenkst du wirklich zu bleiben, bis es dazu kommt?« sagte St. Clare halb lächelnd, als er sich vom Fenster umdrehte und seine Hand auf Toms Schulter legte. »Ach, Tom, du einfältiger törichter Bursche! So lange mag ich dich nicht behalten. Geh heim zu deiner Frau und deinen Kindern und grüße sie alle von mir.«

»Ich vertraue, daß der Tag kommen wird«, sagte Tom voll Ernst und mit Tränen in den Augen; »der Herr hat Arbeit für Master.«

»Arbeit?« sagte St. Clare. »Nun laß einmal hören, Tom, was für eine Arbeit das ist, sprich!«

»Nun, sogar einem armen Burschen, wie mir, ist eine Arbeit aufgegeben vom Herrn; und Master St. Clare, der gelehrt und reich ist und viele Freunde hat – wieviel könnte er für den Herrn tun?«

»Tom, du scheinst zu denken, daß der Herr sehr viel für sich zu tun verlangt«, sagt St. Clare lächelnd.

»Wir tun für den Herrn, wenn wir seinen Geschöpfen etwas tun«, sagte Tom.

»Gute Theologie, Tom, besser als die, welche Dr. B. predigt, das will ich beschwören«, sagte St. Clare.

Das Gespräch wurde hier durch die Anmeldung von Besuch unterbrochen. Marie St. Clare fühlte den Verlust Evas so tief, wie sie nur überhaupt etwas fühlen konnte; und da sie eine Frau war, die eine große Fähigkeit besaß, alle anderen unglücklich zu machen, wenn sie sich unglücklich fühlte, so hatten die Dienstboten und ihre unmittelbare Umgebung noch viel stärkeren Grund, den Verlust ihrer jungen Herrin zu beklagen, deren gewinnende Weise und sanftes Vorbitten sie oft vor den tyrannischen und selbstsüchtigen Forderungen ihrer Mutter geschützt hatten. Die arme alte Mammy besonders, deren Herz von allen natürlichen Familienbanden getrennt, sich an diesem einen schönen Wesen getröstet hatte, fühlte, daß ihr das Herz fast gebrochen war. Sie weinte Tag und Nacht, und das Übermaß des Schmerzes machte sie weniger geschickt und gewandt, ihre Herrin zu bedienen, als gewöhnlich, was auf ihr unbeschütztes Haupt ein beständiges Unwetter von Scheltworten herabzog.

Miß Ophelia fühlte den Verlust; aber in ihrem guten und ehrlichen Herzen trug er Frucht für das ewige Leben. Sie war sanfter und milder, und obgleich in jeder Pflicht so eifrig wie früher, tat sie doch jetzt alles in einer stilleren und demütigeren Art, wie eine, die nicht vergebens mit ihrem Herzen zu Rate gegangen ist. Sie gab sich mehr Mühe, Topsy zu unterrichten – legte hauptsächlich die Bibel zugrunde – schauderte nicht länger vor ihrer Berührung zurück und zeigte keinen schlecht unterdrückten Ekel mehr, weil sie keinen fühlte. Sie betrachtete sie nun in dem milden Lichte, das Eva zuerst ihren Augen gezeigt hatte, und sah in ihr nur eine unsterbliche Kreatur, die Gott ihr überschickt hatte, sie zur Herrlichkeit und zur Tugend zu führen. Topsy wurde nicht auf einmal eine Heilige; aber das Leben und der Tod Evas brachten eine merkwürdige Veränderung in ihr hervor. Die verhärtete Gleichgültigkeit war verschwunden, es war jetzt Gefühl, Hoffnung, Verlangen und ein Streben nach dem Guten vorhanden – ein unregelmäßiges, oft unterbrochenes, aber stets erneutes Streben. Eines Tages, als Miß Ophelia nach Topsy geschickt hatte, trat diese herein und schob etwas hastig in den Busen.

»Was hast du da wieder, du Satanskind? Du hast gewiß wieder was gestohlen«, sagte die herrische kleine Rosa, die sie gerufen hatte, und packte sie zugleich derb am Arme.

»Gehen Sie nur, Miß Rosa!« sagte Topsy und riß sich von ihr los. »Das geht Sie nichts an!«

»Nur nicht so frech!« sagte Rosa. »Ich sah, wie du was verstecktest – ich kenne deine Streiche«, und Rosa packte sie wieder beim Arm und versuchte in ihren Busen zu greifen, während Topsy ganz wütend strampelte und tapfer für ihr gutes Recht focht. Der Lärm und die Verwirrung des Gefechts führten Miß Ophelia und St. Clare herbei.

»Sie hat was gestohlen!« sagte Rosa.

»Nein, das ist nicht wahr«, schrie Topsy, vor Leidenschaft schluchzend.

»Gib es her, was es auch ist!« sagte Miß Ophelia sanft. Topsy zauderte, aber auf einen zweiten Befehl zog sie aus ihrem Busen ein in den Fuß eines ihrer alten Strümpfe gewickeltes Päckchen hervor.

Miß Ophelia machte es auf. Ein kleines Buch lag darin, ein Geschenk Evas an Topsy mit einem einzigen Bibelvers für jeden Tag des Jahres, und in einem Papier die Haarlocke, welche Eva ihr an dem denkwürdigen Tage gegeben, wo sie ihren letzten Abschied genommen.

St. Clare war sehr gerührt von dem Anblick; das kleine Buch war in einen langen Streifen schwarzen Flor, von den Trauerkleidern gerissen, gewickelt.

»Warum hast du das um das Buch gewickelt?« sagte St. Clare und zeigte ihr den Flor.

»Weil – weil – weil es von Miß Eva war. Ach, nehmen Sie mir es nicht weg, bitte!« sagte sie; und sie setzte sich auf den Boden, zog die Schürze über den Kopf und schluchzte krampfhaft.

Es war eine seltsame Mischung von Rührendem und Lächerlichem – der kleine alte Strumpf – der schwarze Flor – das Buch mit den Bibelversen – die blonde, weiche Locke – und Topsys trostloser Schmerz.

St. Clare lächelte, aber es standen ihm Tränen in den Augen, als er sagte:

»Sei ruhig – weine nicht; – du sollst es wiederhaben!« und er wickelte es wieder zusammen und warf es ihr in den Schoß. Dann zog er Miß Ophelia mit sich in das Zimmer.

»Ich glaube wirklich, du kannst etwas aus dem Mädchen machen«, sagte er, indem er mit dem Daumen über die Achsel wies. »Ein Gemüt, das einem wahren Schmerze zugänglich ist, ist des Guten fähig; du mußt versuchen, etwas aus ihr zu machen.«

»Das Kind hat sich sehr gebessert«, sagte Miß Ophelia. »Ich setze große Hoffnung auf sie; aber, Augustin«, sagte sie und legte die Hand auf seinen Arm, »eines muß ich dich fragen, wem soll das Kind gehören? – Dir oder mir?«

»Nun, ich habe es dir ja geschenkt«, sagte Augustin.

»Aber nicht in gesetzlicher Form, ich will sie nach gesetzlicher Form besitzen«, sagte Miß Ophelia.

»Hui! Cousine«, sagte Augustin. »Was wird die Abolitionistengesellschaft davon denken? Sie wird wegen deines Falles einen allgemeinen Fasttag ausschreiben, wenn du eine Sklavenbesitzerin bist!«

»Ach, Unsinn! Ich will sie als Eigentum haben, damit ich ein Recht habe, sie mit nach den freien Staaten zu nehmen, und ihr die Freiheit zu geben, damit nicht alles umsonst ist, was ich an ihr tue.«

»Ach, Cousine, was ist das für ein schreckliches Ding, Böses tun, damit Gutes daraus komme! Ich kann meine Billigung nicht dazu geben.«

»Ich will nicht scherzen, sondern verständig mit dir reden«, sagte Miß Ophelia. »Es nutzt gar nichts zu versuchen, aus diesem Kinde ein christliches Kind zu machen, wenn ich sie nicht vor den Zufälligkeiten und dem Unglück der Sklaverei rette; und wenn du sie mir wirklich lassen willst, so mußt du mir eine Schenkungsurkunde oder ein anderes gerichtliches Papier geben.«

»Nun gut, du sollst’s haben«, sagte St. Clare; und er setzte sich hin und schlug eine Zeitung auseinander, um sie zu lesen.

»Aber es muß gleich geschehen«, sagte Miß Ophelia.

»Wozu diese Eile?«

»Weil jetzt die einzige rechte Zeit ist, etwas zu tun. Komm nur her. Hier ist Papier, Feder und Tinte, schreib mir die Urkunde.«

St. Clare hatte, wie die meisten Menschen von seinem Charakter, einen herzlichen Widerwillen gegen sofortiges Handeln überhaupt; und deshalb war ihm Miß Ophelias bestimmte Forderung ziemlich unangenehm.

»Aber wozu denn eigentlich?« sagte er.

»Ich will die Sache sicher abgemacht haben«, sagte Miß Ophelia. »Du kannst sterben oder fallieren, und dann wird Topsy mit zur Auktion gebracht, und ich kann nichts dagegen tun.«

»Wahrhaftig, du bist recht vorsichtig. Freilich, da ich in der Hand eines Yankees bin, muß ich wohl nachgeben«, und St. Clare schrieb rasch eine Schenkungsurkunde, was, da er mit den gesetzlichen Formen vertraut war, ihm sehr leicht wurde, und schrieb seinen Namen mit großen krakeligen Buchstaben, die mit einem gewaltigen Zuge schlossen, darunter.

»Nun hast du es schwarz auf weiß, Miß Vermont«, sagte er, wie er es ihr übergab.

»Ein braver Junge«, sagte Miß Ophelia lächelnd. »Aber muß nicht auch noch ein Zeuge unterschreiben?«

»Auch das noch – richtig. Marie«, sagte er, indem er die Tür des Zimmers seiner Frau öffnete. »Marie, Cousine Ophelia will deine Unterschrift haben; hier schreib deinen Namen einmal hier drunter.«

»Was ist das?« sagte Marie, wie sie das Papier überlas. »Lächerlich! Ich dachte, die Cousine wäre zu fromm für so schreckliche Sachen«, sagte sie, während sie gleichgültig ihren Namen unterschrieb; »aber wenn sie Geschmack an diesem Stück Ware findet, so steht es ihr gern zu Diensten.«

»So, nun ist sie dein, mit Leib und Seele«, sagte St. Clare und reichte ihr das Papier hin.

»Sie gehört mir nicht mehr, als früher«, sagte Miß Ophelia. »Niemand als Gott hat ein Recht, sie mir zu geben; aber ich kann sie nun beschützen.«

»Nun, so ist sie durch eine juristische Fiktion dein Eigentum«, sagte St. Clare, wie er wieder in die Wohnstube zurückkehrte und die Zeitungen nahm.

Miß Ophelia, die selten lange in Mariens Gesellschaft blieb, folgte ihm, nachdem sie vorher das Papier sorgfältig aufgehoben hatte.

»Augustin«, sagte sie plötzlich, als sie mit Stricken beschäftigt dasaß, »hast du im Falle deines Todes irgendwie Vorsorge für deine Sklaven getroffen?«

»Nein«, sagte St. Clare, während er weiter las.

»Dann kann sich deine ganze Nachsicht gegen sie am Ende als eine sehr große Grausamkeit erweisen.« St. Clare hatte das schon selbst oft gedacht, aber er antwortete nachlässig:

»Nun, ich denke gelegentlich Vorsorge zu treffen.«

»Wann?« sagte Miß Ophelia.

»Oh, einen dieser Tage.«

»Aber wenn du vorher stirbst?«

»Cousine, was hast du nur?« sagte St. Clare, indem er die Zeitung hinlegte und sie ansah. »Meinst du, ich zeige Symptome des gelben Fiebers oder Cholera, daß du mit solchem Eifer an Anordnungen nach meinem Tode denkst?«

»Inmitten des Lebens sind wir im Tode«, sagte Miß Ophelia.

St. Clare stand auf, legte die Zeitung hin und ging ruhig nach der Tür, die auf die Veranda führte, um eine Unterhaltung abzubrechen, die ihm nicht angenehm war. Mechanisch wiederholte er das letzte Wort: – »Tod!« – und wie er sich gegen das Geländer lehnte und dem funkelnden Wasser zusah, wie es im Springbrunnen emporstieg und wieder herunterfiel, und wie er in einem dampfenden und blendenden Nebel die Blumen und Bäume und Vasen des Hofes sah, wiederholte er abermals das mystische Wort, das jedem Munde so geläufig und doch von so grauenhafter Macht ist: »Tod! Seltsam, daß es ein solches Wort gibt«, sagte er, »und eine solche Sache und daß wir sie je vergessen; daß ein Mensch heute lebendig, warm und schön, voll von Hoffnungen, Wünschen und Bedürfnissen ist, und morgen fort ist, gänzlich und auf immer!«

Es war ein warmer goldener Abend; und wie er nach dem anderen Ende der Veranda ging, sah er Tom, der voll Eifer in seiner Bibel las, mit dem Finger jedem einzelnen Worte folgte, und sie mit ernstem Gesichte halblaut vor sich hin flüsterte.

»Soll ich dir vorlesen, Tom?« sagte St. Clare und setzte sich achtlos neben ihn.

»Wenn es Master gefällig ist«, sagte Tom dankbar, »Master macht es mir viel deutlicher.«

St. Clare nahm das Buch und blickte hinein und begann eine der Stellen zu lesen, welche Tom mit starken Strichen am Rande bezeichnet hatte. Sie lautete:

»Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit. Und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.« St. Clare las weiter mit lebendigem Tone, bis er zu den letzten Versen kam.

»Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet. Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, Herr, wann haben wir Dich gesehen hungrig oder durstig, oder einen Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und haben Dir nicht gedienet? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich ich sage euch, was ihr nicht getan einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.«

Auf St. Clare schien die letzte Stelle großen Eindruck zu machen, denn er las sie zweimal; das zweite Mal langsam, als ob er sich die Worte überlegte.

»Tom«, sagte er, »diese Leute, welche so harte Strafe erleiden, scheinen genauso gelebt zu haben, wie ich – gut, ruhig und achtungswert, ohne sich zu bekümmern, wie viele ihrer Brüder hungerten oder dursteten oder krank oder gefangen waren.«

Tom gab keine Antwort.

St. Clare stand auf und ging gedankenvoll in der Veranda auf und ab, wobei er alles andere außer seinen Gedanken zu vergessen schien; so vertieft war er in sie, daß ihn Tom zweimal erinnern mußte, daß man zum Tee geklingelt habe, ehe er seine Aufmerksamkeit erregen konnte.

St. Clare war während der ganzen Teezeit zerstreut und gedankenvoll. Nach dem Tee nahmen er, Marie und Miß Ophelia von dem Salon Besitz.

»Ich las diesen Nachmittag Tom das Kapitel im Matthäus vor, welches das Gericht beschreibt, und es hat einen großen Eindruck auf mich gemacht. Man hätte meinen sollen, man müßte denen, die aus dem Himmel gestoßen werden, als Grund schreckliche Verbrechen schuld geben; aber nein – sie werden verdammt, weil sie nichts positiv Gutes getan, als ob das jedes mögliche Böse in sich schlösse.«

»Vielleicht«, sagte Miß Ophelia, »kann eine Person, welche nichts Gutes tut, nicht umhin Böses zu tun.«

»Und was«, sagte St. Clare und sprach gedankenvoll, aber mit tiefem Gefühl, »was wird zu einem gesagt werden, den sein Herz, seine Erziehung und die Bedürfnisse der Gesellschaft vergebens zu einem edlen Ziele aufgefordert haben, der als träumerischer und unparteiischer Zuschauer der Kämpfe, der Leiden und der Sünden der Menschheit dagestanden hat, während er hätte ein Arbeiter sein sollen?«

»Ich würde sagen«, sagte Miß Ophelia, »daß er bereuen und jetzt anfangen sollte.«

»Immer praktisch und auf das Ziel los«, sagte St. Clare, und ein Lächeln erhellte den Ernst seines Gesichts. »Du lassest mir nie Zeit zu allgemeinen Betrachtungen, Cousine, du lenkst mich immer bestimmt auf die wirkliche Gegenwart hin; du hast eine Art von ewigem Jetzt in deinem Sinne.«

»Jetzt ist die einzige Zeit, mit der wir etwas zu tun haben«, sagte Miß Ophelia.

»Arme kleine Eva – armes Kind«, sagte St. Clare. »Sie hatte sich in ihrer einfachen Kinderseele ein gutes Werk für mich vorgenommen.«

Es war das erste Mal seit Evas Tode, wo er eine so ausführliche Äußerung über sie tat, und während er sprach, unterdrückte er offenbar sehr starke Empfindungen.

»Meine Ansicht vom Christentum ist von der Art«, setzte er hinzu, »daß ich glaube, kein Mann kann sich aufrichtig dazu bekennen, ohne sich mit dem ganzen Gewicht seines Ichs gegen das ungeheure System der Ungerechtigkeit zu wenden, welches unserer ganzen Gesellschaft zugrunde liegt; und wenn nötig, sich selbst im Kampf zu opfern. Das heißt, ich meine, daß ich nicht anders Christ sein könnte, obgleich ich gewiß sehr viel aufgeklärte und christliche Leute kennengelernt habe, denen so etwas nicht einfällt; und ich gestehe, daß die Gleichgültigkeit von religiösen Leuten über diesen Gegenstand, ihr Mangel an Gefühl für Unrecht, welches mich mit Entsetzen erfüllte, in mir mehr Skepsis als alles andere erzeugt hat.«

»Wenn du alles das wußtest, warum hast du nicht danach gehandelt?« sagte Miß Ophelia.

»O, weil ich nur dasjenige Streben nach dem Guten besitze, welches darin besteht, auf dem Sofa zu liegen und die Kirche und die Geistlichkeit zu verwünschen, weil sie nicht Märtyrer und Bekenner sind. Du weißt ja, daß jedermann leicht sagen kann, wie andere Märtyrer sein sollten.«

»Nun, willst du es aber jetzt anders machen?« sagte Miß Ophelia.

»Gott allein kennt die Zukunft«, sagte St. Clare. »Ich habe mehr Mut als früher, weil ich alles verloren habe; und der, welcher nichts zu verlieren hat, kann sich allen Gefahren aussetzen.«

»Und was gedenkst du nun zu tun?«

»Meine Pflicht gegen die Niedrigen und Armen, hoffe ich, sobald ich sie entdecken kann«, sagte St. Clare, »und ich werde dabei bei meinen eigenen Leuten anfangen, für die ich noch nichts getan habe; und vielleicht zeigt es sich in einer späteren Zukunft, daß ich etwas für eine ganze Klasse tun kann, etwas, um mein Vaterland von der Schmach der falschen Lage, in welcher es sich allen anderen zivilisierten Nationen gegenüber befindet, zu befreien.«

»Hältst du es für möglich, daß eine Nation jemals ihre Sklaven freiwillig freiläßt?« sagte Miß Ophelia.

»Das weiß ich nicht«, sagte St. Clare. »Wir leben in einer Zeit großer Taten. Heroismus und Uneigennützigkeit zeigen sich hie und da auf Erden. Der ungarische Adel hat Millionen von Leibeigenen mit einem unermeßlichen pekuniären Verlust freigegeben; und vielleicht finden sich auch unter uns edle Geister, welche Ehre und Gerechtigkeit nicht nach Dollar und Cent abschätzen.«

»Ich glaube das kaum«, sagte Miß Ophelia.

»Aber nehmen wir einmal an, wir entschlössen uns morgen zur Emanzipation der Sklaven, wer würde diese Millionen erziehen und ihnen den Gebrauch der Freiheit lehren? Sie würden sich unter uns nie bestreben, was Ordentliches zu werden. Die Wahrheit ist, wir selbst sind zu träge und unpraktisch, um ihnen einen besonderen Begriff von dem Fleiße und der Energie zu geben, durch welche sie allein zu Menschen werden können. Sie werden nach dem Norden gehen müssen, wo die Arbeit Mode – allgemeine Gewohnheit ist; und jetzt sage mir einmal, besitzen eure nördlichen Staaten christliche Philanthropie genug, um sich ihrer Erziehung und Ausbildung zu unterziehen? Ihr schickt viele tausend Dollar nach fremden Missionen; aber würdet ihr’s ertragen können, wenn man die Heiden in eure Städte und Dörfer schickte und euch zumutete, eure Zeit, eure Gedanken und euer Geld aufzuwenden, um sie auf einen christlichen Standpunkt zu erheben? Das möchte ich wissen. Würdet ihr sie erziehen, wenn wir sie freiließen? Wie viele Familien in deiner Stadt würden einen Neger oder eine Negerin nehmen, sie unterrichten, Nachsicht mit ihnen haben und versuchen, sie zu Christen zu machen? Wie viele Kaufleute würden Adolf nehmen, wenn ich ihn zu einem Commis zu machen wünschte, oder wieviel Handwerker, wenn ich ihn ein Handwerk lernen lassen wollte? Wenn ich Jane und Rosa in eine Schule schicken wollte, wie viele Schulen in den nördlichen Staaten würden bereit sein, sie aufzunehmen? Wie viele Familien würden sie in Kost nehmen? Und dennoch sind sie so weiß, wie manche Frau im Norden oder im Süden. Du siehst, Cousine, ich verlange bloß Gerechtigkeit für uns. Wir sind in einer schlimmen Lage. Wir sind die augenfälligeren Tyrannen des Negers; aber die unchristlichen Vorurteile des Nordens sind ein fast ebenso harter Tyrann.«

»Das muß ich allerdings zugeben, Cousin«, sagte Miß Ophelia. »Ich war ganz in demselben Falle, bis ich sah, daß es meine Pflicht war, es zu überwinden; aber ich habe das Vertrauen, daß ich es überwunden habe, und ich weiß, es gibt viele gute Leute im Norden, denen in dieser Sache nur ihre Pflicht gelehrt zu werden braucht, und sie tun dieselbe. Es wäre gewiß eine größere Selbstverleugnung, Heiden in unsere Mitte aufzunehmen, als Missionare unter sie zu schicken; aber ich glaube, wir würden es tun.«

»Du würdest es tun, das weiß ich«, sagte St. Clare. »Ich möchte sehen, was du nicht tun würdest, wenn du es für deine Pflicht hieltest!«

»Nun, ich bin nicht ungewöhnlich gut«, sagte Miß Ophelia. »Andere würden dasselbe tun, wenn sie die Dinge so ansehen, wie ich. Ich gedenke, Topsy mit nach Hause zu nehmen, wenn ich wieder zurückkehre. Wahrscheinlich werden sich unsere Leute im Anfang wundern; aber ich glaube, sie werden sich daran gewöhnen, die Sache so anzusehen wie ich. Außerdem weiß ich, daß es im Norden viele Leute gibt, welche das tun, was du verlangst.«

»Ja, aber sie befinden sich in der Minderheit; und wenn wir in einem nur halbwegs großartigen Maßstabe zu emanzipieren anfingen, würden wir bald von euch hören.«

St. Clare ging noch einige Minuten im Zimmer auf und ab und sagte dann:

»Ich werde ein paar Augenblicke in das Kaffeehaus gehen und hören, was es Neues gibt.«

Er nahm seinen Hut und verließ das Zimmer.

Tom folgte ihm auf den Gang bis zum Hofe hinaus und fragte, ob er ihn begleiten solle.

»Nein, Tom«, sagte St. Clare. »Ich werde in der Stunde zurück sein.«

Tom setzte sich unter die Veranda. Es war eine schöne mondhelle Nacht, und er sah den funkelnden Strahl des Springbrunnens steigen und fallen, und hörte seinem Geplätscher zu. Tom dachte an seine Heimat und daß er bald ein freier Mann und imstande sein werde, nach Belieben nach Hause zurückzukehren. Er dachte, wie er arbeiten würde, um seine Frau und seine Kinder loszukaufen. Er befühlte mit einer Art Freude die Muskeln seiner kräftigen Arme, wie er bedachte, daß sie nun bald sein Eigentum sein würden, und wieviel sie würden arbeiten können, um seine Familie frei zu machen. Dann dachte er an seinen edlen jungen Herrn, und daran schloß sich von selbst das gewöhnliche Gebet, das er stets für ihn zum Himmel geschickt hatte; und dann lenkten sich seine Gedanken auf die schöne Eva, die nun unter den Engeln sein mußte, und er dachte daran, bis er das freundliche Gesicht und das goldene Haar fast durch die funkelnden Tropfen des Springbrunnens zu schauen glaubte. Und mit solchen Gedanken beschäftigt, schlummerte er ein und träumte, sie käme auf ihn zugesprungen, wie er sie sonst immer gesehen, das Haar mit einem Jasminkranz geschmückt, mit heiterem Gesicht und freudestrahlenden Augen; aber wie er so auf sie blickte, schien sie sich vom Boden zu erheben, ihre Wangen nahmen eine bleichere Farbe an – ihre Augen hatten einen tiefen göttlichen Glanz, eine goldene Glorie schien ihr Haupt zu umgeben – und sie entschwand seinen Blicken; und Tom erwachte von einem lauten Klopfen und dem Schall vieler Stimmen vor der Haustür.

Er eilte zu öffnen; und mit gedämpfter Stimme und schwerem Tritt brachten mehrere Männer auf einer Tragbahre einen in einen Mantel gehüllten Körper herein. Das Licht der Lampe fiel voll auf das Gesicht; und Tom stieß einen wilden Schrei des Staunens und der Verzweiflung aus, der durch alle Galerien schallte, wie die Männer mit ihrer Bürde nach der offenen Tür des Salons gingen, wo Miß Ophelia noch immer mit Stricken beschäftigt saß.

St. Clare war in ein Kaffeehaus getreten, um die Abendzeitung zu lesen. Während er las, erhob sich in demselben Zimmer ein Zank zwischen zwei Herren, die beide halb berauscht waren. St. Clare und ein paar andere von den Gästen bemühten sich, sie auseinander zu bringen, und St. Clare empfing dabei einen tödlichen Stoß mit einem Bowiemesser, welches er einem von den Streitenden entreißen wollte.

Das ganze Haus erschallte von Weinen und Klagen, Geschrei und Jammer. Tom und Miß Ophelia schienen allein einige Fassung zu behalten; denn Marie lag in heftigen Krämpfen in ihrem Zimmer. Unter Miß Ophelias Leitung wurde eins der Sofas im Salon hastig zurechtgemacht, und der blutende Körper darauf gelegt. St. Clare war aus Schmerz und Blutverlust in Ohnmacht gefallen; aber da Miß Ophelia Stärkungsmittel anwendete, kam er wieder zu sich, schlug die Augen auf, sah sie starr an, blickte sich ernst im Zimmer um, ließ die Augen trauervoll über jeden Gegenstand schweifen, bis sie endlich auf dem Bilde seiner Mutter haftenblieben.

Der Arzt kam jetzt an und untersuchte den Verwundeten. Schon an dem Ausdrucke seines Gesichts ließ sich erkennen, daß keine Hoffnung mehr sei; aber er verband die Wunde, und er und Miß Ophelia und Tom waren in möglichster Fassung damit beschäftigt, während die erschrockenen Dienstboten, die sich um die Türen und Fenster der Veranda drängten, laut weinten und jammerten.

»Nun müssen auch alle diese Leute fort«, sagte der Arzt; »es hängt alles davon ab, daß Ruhe um ihn herrscht.«

St. Clare schlug die Augen auf und heftete einen starren Blick auf die jammernden Wesen, die Miß Ophelia und der Arzt zu bewegen suchten, das Zimmer zu verlassen. »Die armen Geschöpfe!« sagte er, und ein Ausdruck bitteren Selbstvorwurfs trübte sein Antlitz. Adolf weigerte sich unbedingt, zu gehen. Der Schreck hatte ihn aller Geistesgegenwart beraubt; er warf sich auf den Fußboden und nichts konnte ihn überreden aufzustehen. Die übrigen fügten sich Miß Ophelias dringenden Vorstellungen, daß ihres Herrn Rettung von ihrer Ruhe und ihrem Gehorsam abhänge.

St. Clare sprach nur wenig; er lag mit geschlossenen Augen da, aber es war klar, daß er mit schmerzlichen Gedanken kämpfte. Nach einer Weile reichte er seine Hand Tom, der neben ihm kniete, und sagte zu ihm:

»Tom! Armer Bursche!«

»Was ist, Master?« sagte Tom dringlich.

»Ich sterbe!« sagte St. Clare und drückte ihm die Hand. »Bete!«

»Wenn Sie einen Geistlichen wünschen –« sagte der Arzt.

Und St. Clare schüttelte hastig den Kopf und sagte noch einmal zu Tom: »Bete!«

Und Tom betete mit seiner ganzen Seele und seiner ganzen Kraft für die Seele, die im Verscheiden lag, für die Seele, die so starr und traurig aus diesen großen melancholischen blauen Augen heraussah. Es war buchstäblich ein Gebet, das mit lautem Jammern und Weinen sich an Gott wendete. Als Tom aufhörte, ergriff St. Clare seine Hand und sah ihn mit ernstem Blick an, aber sprach nicht. Er schloß die Augen, hielt aber die Hand immer noch fest, denn an den Toren der Ewigkeit fassen sich die schwarze und die weiße Hand mit gleicher Wärme. Dann murmelte er vor sich hin.

»Er phantasiert«, sagte der Arzt.

»Nein! Er erkennt endlich die Wahrheit!« sagte St. Clare mit Energie. »Endlich! Endlich!«

Die Anstrengung des Sprechens erschöpfte ihn. Die zunehmende Blässe des Todes verbreitete sich über sein Antlitz; aber mit ihm kam, wie von den Fittichen eines barmherzigen Engels herab, ein schöner Ausdruck des Friedens, wie bei einem müden Kinde, welches schläft.

So lag er einige Augenblicke da. Sie sahen, daß die mächtige Hand des Todes auf ihm ruhte. Unmittelbar vor dem Verscheiden öffnete er die Augen mit einem plötzlichen Erglänzen, wie vor Freude des Wiedererkennens, und sagte: »Mutter!« und dann war er tot!

24. Kapitel


Die Schutzlosen

Wir hören oft von dem Schmerz der Negersklaven bei dem Verlust eines guten Herrn und mit gutem Grunde, denn kein Geschöpf auf Gottes Erde kommt in eine so vollkommene schutzlose und unglückliche Lage als ein Sklave unter diesen Umständen.

Ein Kind, das seinen Vater verliert, hat noch den Schutz seiner Verwandten und des Gesetzes; es ist etwas und kann etwas tun – es hat anerkannte Rechte und eine anerkannte Stellung; der Sklave aber nicht. In den Augen des Gesetzes ist er in jeder Hinsicht so vollkommen rechtlos, wie ein Ballen Ware. Die einzige mögliche Anerkennung eines seiner Gefühle und Bedürfnisse als menschliches und unsterbliches Wesen kann nur von dem souveränen und unverantwortlichen Willen seines Herrn ausgehen; und wenn dieser Herr stirbt, so bleibt ihm nichts übrig.

Die Zahl der Menschen, welche eine ganz unverantwortliche Macht mit Menschlichkeit und Edelmut zu gebrauchen wissen, ist klein. Das weiß jeder, und der Sklave weiß es am besten von allen, deshalb fühlt er auch, daß er die Aussicht hat, zehn schlechte und tyrannische Herren gegen einen nachsichtigen und gütigen zu finden. Daher ist die Trauer um einen gütigen Herrn laut und lang, wie es ganz natürlich ist.

Als St. Clare ausgeatmet hatte, erfaßte Schrecken und Bestürzung seinen ganzen Haushalt. Er war ihnen entrissen worden in einem Augenblick, in der Blüte und Kraft seiner Jugend! Jedes Zimmer und jeder Gang des Hauses widerhallte von dem Schluchzen und Geschrei der Verzweiflung.

Marie, deren Nervensystem durch die langwierige Gewohnheit weichlichen Genusses geschwächt war, hatte der Gewalt der Erschütterung nichts entgegenzusetzen und fiel zu der Zeit, wo ihr Gatte seinen letzten Atemzug tat, aus einer Ohnmacht in die andere; und der, mit dem sie durch das heilige Band der Ehe verknüpft war, schied von ihr auf immer, ohne ihr ein einziges Abschiedswort sagen zu können.

Mit charakteristischer Stärke und Selbstbeherrschung hatte Miß Ophelia bis zuletzt bei ihrer Verwandten ausgehalten. Sie war ganz Auge, ganz Ohr, ganz Aufmerksamkeit, tat alles von dem wenigen, was getan werden konnte, und stimmte mit ganzem Herzen in das inbrünstige Gebet ein, welches der arme Sklave für die Seele seines sterbenden Herrn zu Gott geschickt hatte.

Als sie ihn zur letzten Ruhe bereiteten, fanden sie auf seiner Brust eine kleine einfache Kapsel mit einem Miniaturbild. Es stellte ein schönes und edles weibliches Gesicht dar; und auf der Rückseite lag unter einem Glase eine dunkle Haarlocke. Sie legten das Kleinod wieder auf den nicht mehr von Leben erfüllten Busen – Staub auf Staub – armselige, traurige Reliquien früherer Träume, welche einstmals dieses kalte Herz so warm schlagen machten!

Toms ganze Seele war von Gedanken an die Ewigkeit erfüllt; und während er um die Leiche zu tun hatte, dachte er nicht ein einziges Mal daran, daß der plötzliche Schlag ihn in hoffnungslose Sklaverei zurückgestoßen hatte. Er fühlte keine Besorgnis um seinen Herrn, denn in jener Stunde, wo er sein Gebet in den Busen seines himmlischen Vaters ausgeschüttet, hatte er im Innersten seines Herzens eine Antwort der Ruhe und Gewißheit vernommen. In den Tiefen seiner eigenen liebereichen Natur fühlte er sich imstande, etwas von der Fülle göttlicher Liebe zu gewahren, denn ein altes Orakel sagt: »Wer in Liebe wohnet, wohnet in Gott und Gott in ihm.« Tom hoffte und vertraute, und Friede herrschte in ihm.

Aber das Leichenbegräbnis ging mit seinem prunkenden Aufzug von schwarzem Krepp und Gebeten und feierlichen Gesichtern vorüber, und die kalten schmutzigen Wellen des Alltagslebens fluteten zurück; und wieder ertönte die ewige zudringliche Frage: »Was soll nun geschehen?«

Die Frage drängte sich Marie auf, wie sie in weiten Morgenkleidern angetan, und umgeben von ängstlich besorgten Dienstboten in einem großen Lehnstuhl saß und Proben von Krepp und Bombassin besichtigte. Sie drängte sich Miß Ophelia auf, welche an die Heimkehr nach ihrer nördlichen Heimat zu denken anfing. Sie drängte sich mit stummem Schrecken den Dienstboten auf, die recht gut den gefühllosen tyrannischen Charakter der Herrin, in deren Gewalt sie sich jetzt befanden, kannten. Alle wußten recht gut, daß die Nachsicht, mit der sie behandelt worden waren, nicht von ihrer Herrin, sondern von ihrem Herrn herstammte; und daß jetzt, wo er nicht mehr war, jeder Schutz vor jeder tyrannischen Züchtigung fehlte, auf welchen eine durch Leiden verbitterte Launenhaftigkeit fallen konnte. Etwa vierzehn Tage nach dem Begräbnis hörte Miß Ophelia, die in ihrem Zimmer beschäftigt war, ein leises Klopfen an der Tür. Sie öffnete, und vor ihr stand Rosa, das hübsche Quadronmädchen, von dem wir schon öfter gesprochen, mit ungeordnetem Haar, und die Augen vom Weinen geschwollen.

»Ach, Miß Feely«, sagte sie und fiel vor ihr auf die Knie und faßte ihren Saum des Kleides, »bitte, bitte, verwenden Sie sich für mich! Bitten Sie für mich vor! Sie will mich auspeitschen lassen – sehen Sie nur!« und sie reichte Miß Ophelia ein Papier hin.

Es war eine Anweisung in Maries zierlicher und eleganter Handschrift an den Besitzer einer Auspeitschungsanstalt, der Überbringerin fünfzehn Streiche zu geben.

»Was hast du getan?« sagte Miß Ophelia.

»Sie wissen, Miß Feely, ich bin so heftig; es ist recht schlecht von mir. Ich probierte Miß Maries Kleid an, und sie schlug mich ins Gesicht, und ich brach heraus, ehe ich mir es überlegte und war unartig; und sie sagte mir, sie wolle es mir schon zeigen, und ein für allemal lehren, nicht den Kopf so hoch zu tragen wie früher; und sie schrieb diesen Zettel und befahl mir, ihn hinzutragen. Lieber wollte ich mich geradezu totschlagen lassen.«

Miß Ophelia stand da mit dem Papier in der Hand und überlegte, was zu tun sei.

»Ja, sehen Sie, Miß Feely«, sagte Rosa, »ich kümmerte mich um das Auspeitschen nicht so viel, wenn Miß Marie oder Sie es besorgten; aber von einem Manne sich auspeitschen lassen, und von einem so schrecklichen Manne! – Denken Sie nur die Schande, Miß Feely!«

Miß Ophelia wußte recht gut, daß es allgemeiner Brauch war, Frauen und junge Mädchen in die Auspeitschungsanstalt zu schicken, wo sie von den gemeinsten Kerlen – Kerle, die schlecht genug sind, um daraus ein Gewerbe zu machen – die roheste Entblößung und schmachvollste Züchtigung erdulden. Sie hatte es vorher gewußt, aber sie hatte es sich noch nie recht vorgestellt, bis sie die zarte Gestalt Rosas vor Schmerz krampfhaft erzittern sah.

Ihr ganzes ehrliches Frauenblut, das kräftige, neuengländische Freiheitsblut schoß ihr ins Gesicht und klopfte zornig in ihrem entrüsteten Herzen; aber mit ihrer gewöhnlichen Klugheit und Selbstbeherrschung bezwang sie sich, zerknitterte das Papier in der Hand und sagte bloß zu Rosa: »Setze dich, Kind, während ich zu deiner Herrin gehe.«

»Schändlich! Gräßlich! Unbegreiflich!« sagte sie zu sich selbst, als sie durch den Salon ging.

Als sie in Mariens Zimmer trat, saß diese in ihrem Lehnstuhl und Mammy kämmte ihr die Haare aus; Jane saß vor ihr auf dem Fußboden und rieb ihr die Füße.

»Wie befinden Sie sich heute, Cousine?« sagte Miß Ophelia.

Ein tiefer Seufzer und ein Schließen der Augen war die einzige Antwort für einen Augenblick; und dann sprach Marie: »O, ich weiß nicht, Cousine, ich glaube, so gut, wie ich mich jemals befinden werde!« und Marie trocknete sich die Augen mit einem Batisttaschentuch, das mit einer zollbreiten Kante von tiefstem Schwarz eingefaßt war.

»Ich komme«, sagte Miß Ophelia mit einem kurzen trockenen Husten, wie man ihn gewöhnlich anwendet, um einen schwierigen Gegenstand einzuleiten, »ich komme, um mit Ihnen wegen Rosa zu sprechen.«

Mariens Augen öffneten sich jetzt weit genug, und ihre blassen Wangen röteten sich, wie sie kurz antwortete: »Nun, was ist mit ihr?«

»Ihr Fehler tut ihr recht sehr leid.«

»Wirklich? Er wird ihr noch mehr leid tun, ehe ich mit ihr fertig bin! Ich habe die Unverschämtheit dieser Dirne lange genug ertragen; und jetzt will ich sie demütigen – sie soll vor mir im Staube kriechen!«

»Aber können Sie sie nicht auf eine andere Weise bestrafen, die nicht so beschimpfend wäre?«

»Ich will sie beschimpfen, das beabsichtige ich eben. Sie hat sich ihr ganzes Leben lang auf ihr Zartgefühl und ihr gutes Aussehen und ihr feines Benehmen etwas eingebildet, daß sie ganz vergißt, wer sie ist; und ich will ihr eine Lehre geben, die sie wieder auf ihren rechten Standpunkt herunterbringt, das will ich meinen!«

»Aber bedenken Sie, Cousine, wenn Sie Zart- und Schamgefühl in einem jungen Mädchen vernichten, so verderben Sie dasselbe sehr rasch!«

»Zartgefühl!« sagte Marie mit spöttischem Lachen, »ein schöner Ausdruck für solche Geschöpfe! Ich will ihr zeigen, daß sie mit all ihrem Vornehmtun nicht besser ist als die zerlumpteste Straßendirne! Sie soll nicht mehr vornehm tun vor mir.«

»Sie werden diese Hartherzigkeit vor Gott zu verantworten haben!« sagte Miß Ophelia.

»Hartherzigkeit! Ich möchte wissen, wo die Hartherzigkeit wäre? Ich habe nur 15 Streiche befohlen und ihm geschrieben, er solle nicht so stark schlagen. Gewiß ist da nichts Hartherziges dabei!«

»Nichts Hartherziges!« sagte Miß Ophelia. »Gewiß würde jedes Mädchen lieber den Tod erleiden!«

»Das mag Ihnen so vorkommen, aber derartige Geschöpfe kennen solche Empfindungen nicht und gewöhnen sich daran; nur auf diese Weise lassen sie sich in Zucht erhalten. Läßt man sie nur einmal erst fühlen, daß sie sich mit ihrem Zartgefühl und Ähnlichem zieren dürfen, so nehmen sie sich alles mögliche heraus, wie es meine Dienstboten jetzt immer gemacht haben. Ich habe jetzt angefangen, sie zum Gehorsam zu bringen; und sie mögen es sich alle gesagt sein lassen, daß ich eine so gut auspeitschen lasse wie die andere, wenn sie sich nicht in acht nehmen!« sagte Marie und sah mit entschiedenem Blicke um sich.

Jane hing bei dieser Drohung eingeschüchtert den Kopf, denn es war ihr, als wäre es ganz insbesondere auf sie gemünzt. Miß Ophelia saß für einen Augenblick da, als ob sie ein explosives Pulver verschluckt hätte und auf dem Punkt stände, zu platzen. Aber sie sah bald die gänzliche Nutzlosigkeit ein, mit einer solchen Natur zu streiten, behielt entschlossen den Mund zu und verließ das Zimmer.

Es war ein schmerzliches Geschäft, Rosa zu sagen, daß nichts für sie habe geschehen können; und kurz darauf kam einer von den männlichen Dienstboten mit der Botschaft, daß Missis ihm befohlen habe, Rosa nach dem Auspeitschungshause zu bringen, wohin sie trotz allen ihren Tränen und Bitten geschleppt wurde.

Ein paar Tage später stand Tom nachdenklich unter dem Balkon, als Adolf zu ihm trat, der seit dem Tode seines Herrn sich ganz niedergebeugt und untröstlich gezeigt hatte. Adolf wußte, daß ihn Marie nie hatte leiden können; aber solange sein Herr lebte, hatte er wenig darauf geachtet. Jetzt, wo er nicht mehr war, war er in täglicher Furcht und täglichem Zittern herumgegangen, ohne zu wissen, was der nächste Tag bringen werde. Marie hatte mehrere Beratungen mit ihrem Advokaten gehabt. Nachdem man sich auch mit St. Clares Bruder besprochen, faßte man den Entschluß, das Haus und alle Sklaven zu verkaufen. Nur diejenigen, welche ihr persönliches Eigentum waren, wollte Marie behalten und sie mit auf die Plantage ihres Vaters nehmen.

»Weißt du, Tom, daß wir alle verkauft werden sollen?« sagte Adolf.

»Woher weißt du das?« sagte Tom.

»Ich versteckte mich hinter dem Vorhang, als Missis mit dem Advokaten sich besprach. In wenigen Tagen werden wir alle in die Auktion gegeben, Tom!«

»Des Herrn Wille geschehe!« sagte Tom, indem er die Arme übereinanderschlug und schwer seufzte.

»Wir werden nie wieder einen solchen Herrn bekommen«, sagte Adolf besorgt. »Aber lieber will ich mich verkaufen lassen, als in Missis‘ Besitz kommen.«

Tom wendete sich weg; sein Herz war voll. Die Hoffnung auf Freiheit, der Gedanke an Weib und Kinder in der Ferne erhoben sich vor seiner geduldigen Seele, wie vor den Augen des Schiffers, der fast im Hafen Schiffbruch leidet, der Kirchturm und die geliebten Dächer sich über dem Kamm einer schwarzen Woge erheben, nur, um ihm ein letztes Lebewohl zu sagen. Er drückte die Arme fest auf seine Brust, zwang die bitteren Tränen zurück und versuchte zu beten. Die arme, alte Seele hatte ein so sonderbares unerklärliches Vorurteil zugunsten der Freiheit, daß es ein harter Kampf für ihn war; und je mehr er sagte: »Dein Wille geschehe!« desto schlimmer wurde es ihm zumute.

Er suchte Miß Ophelia auf, die seit Evas Tode ihn stets mit ausgezeichneter und achtungsvoller Güte behandelt hatte.

»Miß Feely«, sagte er, »Master St. Clare versprach mir meine Freiheit. Er sagte mir, er hätte die nötigen vorbereitenden Schritte getan; und wenn jetzt vielleicht Miß Feely so gut sein wollte, mit Missis darüber zu sprechen, würde sie die Sache zu Ende bringen, da es Master St. Clares Wunsch war.«

»Ich will für dich sprechen, Tom, und mein Bestes tun«, sagte Miß Ophelia, »aber wenn es von Mrs. St. Clare abhängt, so kann ich nicht viel für dich hoffen. Dennoch will ich es versuchen.«

Dieser Zwischenfall ereignete sich wenige Tage nach dem mit Rosa, als Miß Ophelia schon Vorbereitungen zur Rückkehr in die Heimat traf.

Nach ernstlichem Nachdenken sagte sie sich, daß sie vielleicht bei ihrer früheren Verhandlung mit Marie zu unbedacht und warm in ihren Ausdrücken gewesen; und sie beschloß daher, jetzt zu versuchen, ihren Eifer zu mäßigen, und so versöhnlich als möglich zu sein. So nahm denn die gute Seele ihr Strickzeug und begab sich nach Mariens Zimmer, erfüllt von dem Entschluß, so angenehm als möglich zu sein und Toms Sache mit der ganzen diplomatischen Gewandtheit, die sie aufbieten könnte, zu verhandeln.

Sie fand Marie in ihrer ganzen Länge auf einem Sofa liegend, auf der einen Seite von Kissen unterstützt, während Jane, die eine Runde durch alle Läden gemacht hatte, ihr Proben von verschiedenen leichten schwarzen Stoffen vorlegte.

»Das würde wohl das beste sein«, sagte Marie und wählte eins aus; »ich weiß nur nicht, ob es eigentlich zur Trauer paßt.«

»O gewiß, Missis«, beteuerte Jane mit Eifer, »Missis General Derbennon trug ganz dasselbe nach dem Tode des Generals vorigen Sommer; es nimmt sich reizend aus.«

»Was meinen Sie dazu?« sagte Marie zu Miß Ophelia.

»Das ist Gewohnheitssache, sollte ich meinen«, sagte Miß Ophelia. »Sie können das besser beurteilen als ich.«

»Die Sache ist eigentlich die«, sagte Marie, »daß ich kein einziges Kleid mehr habe, das ich tragen kann, und da ich den Haushalt auflösen und nächste Woche abreisen will, so muß ich mich zu etwas entschließen.«

»Wollen Sie schon so bald abreisen?«

»Ja. St. Clares Bruder hat geschrieben, und er und der Advokat gaben den Rat, die Sklaven und das Möblement zu versteigern und das Haus der Obhut unseres Advokaten zu übergeben.«

»Über eine Sache wünschte ich mit Ihnen zu sprechen«, sagte Miß Ophelia. »Augustin versprach Tom die Freiheit und hat die vorbereitenden Schritte bei Gericht schon getan. Ich hoffe, Sie werden Ihren Einfluß anwenden, um die Sache vollends zum Abschluß zu bringen.«

»Das werde ich ganz und gar nicht tun«, sagte Marie kurz. »Tom ist einer unserer wertvollsten Sklaven, und es ist uns in keiner Weise zuzumuten. Übrigens, wozu will er frei sein? Er befindet sich in seiner gegenwärtigen Lage viel besser.«

»Aber er wünscht es sehr dringend, und sein Herr hat es ihm versprochen«, sagte Miß Ophelia.

»Ich glaube wohl, daß er sich die Freiheit wünscht«, sagte Marie, »sie wünschen sie alle, weil sie unzufriedene Geschöpfe sind, die stets nach dem verlangen, was sie nicht haben. Nun bin ich aus Grundsatz gegen jede Freilassung. Solange ein Neger unter der Obhut eines Herrn bleibt, führt er sich gut auf und bleibt ein achtbarer Mensch; aber sowie man ihn freigibt, wird er faul und will nicht arbeiten und gewöhnt sich das Trinken an und sinkt immer tiefer, bis er nichts mehr nutz ist. Ich habe es hundertmal versuchen sehen. Die Freiheit tut ihnen nicht gut.«

»Aber Tom ist solide, fleißig und fromm.«

»O, das brauchen Sie mir nicht zu sagen! Ich habe schon Hunderte von der Art gesehen. Er wird sich gut genug aufführen, solange er unter Aufsicht bleibt, weiter ist’s nichts.«

»Aber dann bedenken Sie«, sagte Miß Ophelia, »wenn Sie ihn in die Auktion schicken, wie leicht er dann einen schlechten Herrn bekommen kann.«

»Ach, das ist alles Rederei!« sagte Marie. »Es kommt nicht einmal unter Hunderten vor, daß ein guter Sklave einen schlechten Herrn bekommt; die meisten Herren sind gut, trotz allen Redens. Ich bin hier im Süden aufgewachsen und habe mein ganzes Leben hier zugebracht, und es ist mir kein Herr vorgekommen, der nicht seine Sklaven gut behandelt hätte, ganz so gut, als sie es verdienen. Ich habe darüber nicht die geringsten Besorgnisse.«

»Aber ich weiß«, sagte Miß Ophelia mit Energie, »daß es einer von Ihres Gatten letzten Wünschen war, daß Tom seine Freilassung erlange; es war eine der Versprechungen, die er unserer guten Eva auf ihrem Sterbebette gab, und ich sollte meinen, Sie könnten sich nicht für ermächtigt halten, sie zu mißachten.«

Marie bedeckte bei diesen Erinnerungen ihr Gesicht mit dem Taschentuche und fing an, mit großer Heftigkeit zu schluchzen und ihr Riechfläschchen zu gebrauchen.

»Alles sucht mich zu verletzen!« sagte sie. »Jedermann ist so rücksichtslos! Ich hätte von Ihnen nicht erwartet, daß Sie mich auf diese Weise an all mein Unglück erinnern würden; es ist so rücksichtslos! Aber niemand behandelt mich mit Rücksicht! – Meine Prüfungen sind so eigentümlich! Es ist so hart, daß mir meine einzige Tochter genommen werden mußte! – Und ein Gatte, der so vortrefflich für mich paßte – und ich bin so schwer zufriedenzustellen! Und Sie scheinen so wenig für mich zu fühlen und bringen es mir auf eine so leichtsinnige Weise in Erinnerung, während Sie doch wissen, wie sehr es mich angreift! Ich glaube wohl, daß Sie es gut meinen, aber es ist sehr, sehr rücksichtslos!« Und Marie schluchzte und schnappte nach Luft und befahl Mammy, das Fenster zu öffnen und ihr das Kampferfläschchen zu bringen und ihr die Stirn zu besprengen und das Kleid aufzuhefteln; und in der daraus entstehenden allgemeinen Verwirrung flüchtete Miß Ophelia in ihr Zimmer zurück.

Sie sah auf den ersten Blick, daß es zu nichts nützen werde, noch weiter ein Wort zu verlieren, denn Marie besaß eine ganz unbeschränkte Fähigkeit für hysterische Anfälle; und sie fand es nach diesem ersten Versuch stets angemessen, einen zu bekommen, wenn ihres Gatten oder Evas Wünsche in bezug auf die Dienerschaft zur Sprache kamen. Miß Ophelia tat daher das nächste beste, was sie für Tom tun konnte; sie schrieb für ihn einen Brief an Mrs. Shelby, in welchem sie seine Drangsale auseinandersetzte und dringlich bat, ihm zu helfen.

Den Tag darauf wurden Tom und Adolf und ungefähr ein halb Dutzend andere Sklaven nach dem Sklavenspeicher gebracht, um hier zur Verfügung des Händlers zu bleiben, der eine Partie zur Versteigerung zusammenbrachte.

25. Kapitel


Der Sklavenspeicher

Ein Sklavenspeicher? Vielleicht beschwören sich meine Leser schreckliche Vorstellungen von einem solchen Orte herauf. Aber nein, heutzutage haben die Menschen die Kunst gelernt, mit Bildung und Anstand zu sündigen, so daß die Augen und Empfindungen achtbarer Gesellschaft nicht verletzt werden. Menschenware steht hoch im Kurs und wird daher gut gefüttert, sorgfältig rein gehalten und rücksichtsvoll gepflegt, damit sie wohlbehäbig und kräftig und von Gesundheit glänzend zum Verkauf komme. Ein Sklavenspeicher in New Orleans ist ein Haus, das von außen vielen anderen reinlich gehaltenen nicht sehr unähnlich sieht und wo man jeden Tag unter einer Art Schuppen vor der Tür Reihen von Männern und Weibern stehen sehen kann, welche der Ware, die drinnen verkauft wird, als Schild dienen.

Ein oder zwei Tage nach der Unterredung zwischen Marie und Miß Ophelia wurden Tom, Adolf und ungefähr ein halb Dutzend andere von den Negern St. Clares der zärtlichen Obhut Mr. Skeggs‘ übergeben, des Eigentümers eines Sklavenspeichers, um den Tag darauf versteigert zu werden.

Tom hatte einen ziemlich anständigen Koffer von Kleidern bei sich, wie die meisten seiner Kameraden. Man brachte sie für die Nacht in einem langen Saale unter, wo viele andere Neger von jedem Alter, jeder Größe und jeder Farbenschattierung versammelt waren und aus deren Mitte brüllendes Gelächter und gedankenlose Lust erschallten.

»Aha! So ist’s recht! Immer munter, Bursche – immer munter!« sagte Mr. Skeggs, der Aufseher. »Meine Leute sind immer so lustig! Schön, schön, Sambo!« sagte er beifällig zu einem wohlbeleibten Neger, der den andern niedrige Hanswurstiaden vormachte, welche das laute Gelächter verursachten.

Wie sich leicht denken läßt, war Tom nicht in der Laune, an dieser Unterhaltung teilzunehmen; und er setzte daher seinen Koffer so weit als möglich von der lärmenden Gruppe hin, nahm darauf Platz und lehnte das Gesicht gegen die Wand.

Die Händler mit Menschenware geben sich gewissenhaft und systematisch Mühe, sie in einer lärmenden Heiterkeit zu erhalten, um dadurch alles Nachdenken zu ersticken und sie gegen ihre Lage unempfindlich zu machen. Das ganze Abrichtungssystem, nach welchem man den Neger von dem Augenblick an, wo er auf dem nördlichen Markte verkauft wird, bis zu seiner Ankunft im Süden behandelt, zielt darauf hinaus, sein Gefühl zu verhärten, ihn gedankenlos zu machen und zu vertieren.

Der Sklavenhändler sammelt seinen Transport in Virginien oder Kentucky und treibt ihn nach einem passend gelegenen, gesunden Orte – oft einen Badeort – um ihn zu mästen. Dort werden alle täglich reichlich gefüttert, und weil manche leicht schwermütig werden, so wird ihnen gewöhnlich beständig auf der Violine vorgespielt, und sie müssen täglich tanzen; und wer nicht lustig ist, in wessen Seele Gedanken an Frau oder Kind oder Familie zu stark sind, um ihm zu erlauben, heiter zu sein, der gilt für einen verstockten und gefährlichen Menschen und muß alle Mißhandlungen erdulden, welche die Bosheit eines gänzlich unverantwortlichen und verstockten Menschen ersinnen kann. Munter, gewandt und von heiterem Aussehen zu sein, vorzüglich vor Zuschauern, das wird ihnen beständig eingeprägt, teils durch die Hoffnung, dadurch einen guten Herrn zu erlangen, teils durch die Furcht vor den Mißhandlungen, mit denen sich der Sklavenhändler für den Ausfall von Gewinn rächt, wenn sie unverkauft bleiben.

»Was macht der Nigger hier?« sagte Sambo und trat zu Tom heran, als Mr. Skeggs den Saal verlassen hatte. Sambo war ein kohlschwarzer Neger, sehr groß und stark, sehr lebhaft, von geläufiger Zunge, und ein Meister in Hanswurstiaden und Gesichterschneiden.

»Was tust du hier?« sagte Sambo und stieß Tom freundschaftlich in die Seite. »Denkst wohl gar nach, he?«

»Ich soll morgen mit versteigert werden!« sagte Tom ruhig.

»Versteigert werden! – Ha! Ha! Jungens, ist das nicht ’n Spaß? Ich wollt‘, ’s ginge mir auch so! – Sage euch, wie ich sie zu lachen machen wollte! Aber was ist das – die ganze Partie kommt wohl morgen dran?« sagte Sambo und legte seine Hand ungeniert auf Adolfs Schulter.

»Bitte, laßt mich in Frieden!« sagte Adolf stolz und richtete sich mit größtem Widerwillen gerade in die Höhe.

»Seht nur mal her, ihr Burschen! Das ist einer von den weißen Niggern – von der milchweißen Sorte, und parfümiert!« sagte er, indem er zu Adolf herantrat und ihn anroch. »O Gott! Der paßte gut für einen Tabaksladen, sie könnten ihn zum Parfümieren des Schnupftabaks gebrauchen! Gott, er würde für einen ganzen Laden allein ausreichen, ha, ha!«

»Bleibt mir vom Leibe, sage ich Euch!« sagte Adolf voller Wut.

»O Gott, wie eklig wir sind – wir weißen Nigger. Seht uns mal an!« und Sambo karikierte auf groteske Weise Adolfs Benehmen. »Das nenne ich mir Feinheit und Grazie. Wir sind in einer guten Familie gewesen, sollte ich meinen.«

»Ja«, sagte Adolf, »ich hatte einen Herrn, der euch alle als alten Plunder hätte kaufen können.«

»Hui, was wir für Gentlemen sind!« sagte Sambo.

»Ich gehöre der Familie St. Clare«, sagte Adolf mit Stolz.

»Ei, was Ihr nicht sagt! Ich will des Henkers sein, wenn sie nicht froh sind, Euch los zu sein. Ich vermute, Ihr kommt mit einer Partie zersprungener Teekannen und ähnlicher Sachen zur Auktion!« sagte Sambo mit höhnischem Lachen.

Von diesem Hohne zur höchsten Wut gereizt, stürzte Adolf fluchend und rechts und links um sich schlagend auf Sambo los. Die übrigen lachten und brüllten, und der Aufruhr brachte den Aufseher an die Tür.

»Was gibt’s da, ihr Burschen? Ruhe, Ruhe!« sagte er und schwang eine große Peitsche.

Alle entflohen nach verschiedenen Richtungen mit Ausnahme Sambos, der im Vertrauen auf die Gunst, in welcher er als privilegierter Spaßvogel bei dem Aufseher stand, seinen Platz behauptete und sich mit drolligem Grinsen duckte, sooft jener nach ihm schlug.

»Ach, Master, wir sind’s nicht – wir sind ganz gesetzt – es sind die neuen Leute; das sind die ärgsten – lassen uns gar nicht in Ruhe!«

Der Aufseher wandte sich nun gegen Tom und Adolf, teilte, ohne weiter zu fragen, ein paar Püffe und Hiebe unter sie aus, ließ den allgemeinen Befehl für alle zurück, sich gut aufzuführen und sich schlafen zu legen, und verließ den Saal wieder.

Unter einem prächtigen Kuppelgewölbe bewegten sich Menschen aller Nationen auf dem marmornen Fußboden hin und her. Auf allen Seiten des kreisrunden Umgangs befanden sich kleine Bühnen oder Stände für Redner und Auktionatoren. Zwei derselben, die einander gegenüberstanden, waren jetzt von glänzenden und talentvollen Herren besetzt, die in untermischtem Englisch-Französisch voll Begeisterung die Gebote der Kenner auf ihre verschiedenen Waren steigerten. Eine dritte Bühne auf der anderen Seite war noch unbesetzt, aber schon von einer Gruppe umgeben, welche auf den Beginn der Auktion wartete. Hier erkennen wir sogleich die Dienerschaft des St. Clareschen Hauses, Tom, Adolf und die andern. Verschiedene Zuschauer, von denen jedoch vielleicht nicht alle zu kaufen gedenken, sammelten sich um die Gruppe, betasteten und untersuchten die einzelnen und besprachen ihre verschiedenen Vorzüge und ihr Aussehen mit derselben Ungeniertheit, mit der sich eine Gruppe Jockeys über ein Pferd unterhält.

»Hallo, Alf! Was bringt dich hierher?« sagte ein junger Stutzer, indem er einem modisch gekleideten jungen Manne, der Adolf durch ein Augenglas betrachtete, auf die Achsel schlug.

»Ach, ich brauche einen Kammerdiener und höre, daß St. Clares Leute verkauft werden sollen. Ich dachte, ich wollte mir einmal seine Burschen ansehen.«

»Mich soll keiner dabei ertappen, einen von St. Clares Leuten zu kaufen! Sind alles verzogene Nigger ohne Ausnahme! Unverschämt, wie der Teufel!« sagte der andere.

»Davor fürchte ich mich nicht!« sagte der erste. »Wenn ich sie bekomme, will ich ihnen schon die Manieren austreiben! Sie sollen bald sehen, daß sie es mit einer andern Art Herrn zu tun haben, als Monsieur St. Clare war. Auf mein Wort, ich werde den Burschen kaufen. Sein Aussehen gefällt mir.«

»Du wirst finden, daß dein ganzes Vermögen nicht auslangt, ihn zu erhalten. Er ist ganz verwünscht verschwenderisch.«

»Ja, aber Mylord wird finden, daß er bei mir nicht verschwenderisch sein kann. Man schickt ihn ein paarmal in die Calabuse und läßt ihn tüchtig durchdreschen! Ich sage dir, das bringt ihm einen Begriff von seiner Stellung bei! O, ich will ihn schon in die Schule nehmen, von oben und unten – das sage ich dir! Ich kaufe ihn, das ist abgemacht.«

Tom hatte sich mit banger Unruhe unter der Menge der ihn umdrängenden Gesichter nach einem umgesehen, den er gern hätte Master nennen mögen. Er sah eine Unmasse Männer, große, starke, brummende; kleine, zirpende, vertrocknete; dürre, harte Männer mit langen Gesichtern und jede mögliche Abart von stumpfen und alltäglich aussehenden, die ihre Mitmenschen auflesen, wie man Späne aufliest, und sie mit demselben Gleichmut ins Feuer oder in einen Korb werfen, wie es ihnen paßt; aber er sah keinen St. Clare. Kurze Zeit vor Anfang der Versteigerung drängte sich ein kurzer, breiter und kräftig gebauter Mann in einem karierten Hemde, das vorn auf der Brust offen war, mit ziemlich schmutzigen und abgetragenen Beinkleidern durch die Umstehenden mit einem Eifer, welcher verriet, daß er in Geschäften kam. Er trat sogleich an die Gruppe heran und fing an, sie systematisch zu untersuchen. Von dem Augenblicke an, wo Tom ihn kommen sah, fühlte er eine sofortige Regung des Abscheus gegen ihn, der mit jedem seiner Schritte zunahm. Obgleich nicht groß, besaß er offenbar eine riesenmäßige Kraft. Sein runder Stierkopf, seine großen hellgrauen Augen mit den zottigen, sandgelben Augenbrauen und das grobe, starre und von der Sonne gebleichte Haar waren, wie man gestehen muß, keine sehr einnehmenden Züge; der breite gemeine Mund steckte voll Tabak, dessen Saft er von Zeit zu Zeit mit großer Sicherheit und Explosionskraft ausspritzte; die Hände waren sehr groß, stark behaart, sonnenverbrannt, sommersprossig und sehr schmutzig und mit langen ekelhaft unreinlich gehaltenen Nägeln versehen. Dieser Mann nahm eine sehr ungenierte persönliche Untersuchung der Partie vor; er faßte Tom bei der Kinnlade und riß ihm den Mund auf, um seine Zähne zu sehen; ließ ihn den Ärmel aufstreifen, um seine Muskeln zu zeigen; drehte ihn um und ließ ihn springen und laufen.

»Wo bist du her?« fragte er nach dieser Untersuchung.

»Aus Kentucky, Master«, sagte Tom und sah sich um, als suche er einen Erlöser.

»Was hast du dort gemacht?«

»Habe Masters Farm verwaltet«, sagte Tom.

»Ziemlich wahrscheinlich das!« sagte der andere kurz, während er weiterging. Einen Augenblick blieb er vor Adolf stehen, dann aber spuckte er eine Ladung Tabakssaft auf seine sorgfältig gewichsten Stiefel, ließ ein verächtliches »Hm!« vernehmen und ging weiter.

Adolf wurde für einen anständigen Preis dem jungen Herrn zugeschlagen, der vorhin die Absicht ihn zu kaufen geäußert hatte; und die anderen Sklaven St. Clares fielen verschiedenen Käufern zuteil.

»Nun kommst du dran, Bursche!« sagte der Auktionator zu Tom.

Tom trat auf den Block und warf ein paar bange, besorgte Blicke um sich; alles schien sich zu einem allgemeinen wirren Lärm zu vermischen; das geläufige Lobpreisen des Auktionators in Französisch und Englisch, die lebendig wetteifernden französischen und englischen Angebote, und kaum nach einen Augenblick ertönte der letzte Hammerschlag, und der klar akzentuierte Drucker auf der letzten Silbe des Wortes Dollar, wie der Auktionator den Verkaufspreis ausrief und Tom übergab. – Er hatte einen Herrn!

Man schob ihn vom Blocke; der untersetzte Mann mit dem Stierkopfe packte ihn an der Schulter, stieß ihn auf die eine Seite und herrschte ihn mit rauher Stimme an: »Da bleibst du stehen!«

Tom konnte kaum zur Besinnung kommen. Aber immer noch ging die Auktion lärmend weiter, und bald englische, bald französische Gebote erschallten. Der Bürger tut noch einige Gebote, indem er verächtlich seinen Gegner mißt; aber der Stierkopf hat Hartnäckigkeit und verborgene Länge des Geldbeutels vor ihm voraus, und der Wettstreit dauert nur noch einen Augenblick; der Hammer schlägt zu – das Mädchen gehört ihm mit Leib und Seele, wenn Gott ihr nicht hilft!

Ihr Herr ist Master Legree, der Besitzer einer Baumwoll-Plantage am Red River. Sie wird unter dieselbe Partie mit Tom und zwei andern geschoben und weinend fortgetrieben.

Dem Herrn mit dem wohlwollenden Gesicht tut es leid; aber dann geschieht ja dasselbe jeden Tag! Man sieht bei diesen Versteigerungen beständig Mädchen und Mütter weinen. Dem ist nicht abzuhelfen usw.; und er nimmt seinen Kauf in einer anderen Richtung mit sich fort.

Zwei Tage später remittiert der Advokat der christlichen Firma B. u. Comp. New York das erlöste Geld. Auf der Rückseite der Tratte mögen sie die Worte des großen Zahlmeisters schreiben, welcher dereinst Rechenschaft von ihnen fordern wird, wenn er nach dem Blute fragt, wird er nicht den Notschrei des Niedrigen vergessen.

26. Kapitel


Die Überfahrt

Auf dem hinteren Verdeck eines kleinen schlechten Bootes auf dem Red River saß Tom mit Fesseln an den Händen und an den Füßen und einer schweren Last als Fesseln auf dem Herzen. Alles war von seinem Himmel verschwunden, Mond und Sterne; alles war an ihm vorbeigegangen, wie die Bäume und Ufer, an denen er jetzt vorüberfuhr, um nie wieder zurückzukehren. Die Heimat in Kentucky mit Frau und Kindern und der nachsichtigen Herrschaft; das Haus St. Clares mit seiner Verfeinerung und seinem Glanze; das goldene Lockenköpfchen Evas mit den heiligen Augen; der stolze, heitere, schöne, scheinbar so achtlose und doch stets gütige St. Clare; Stunden voll Ruhe und gern gewährter Muße. – Alles vorüber! Und was ist an dessen Statt geblieben?

Es ist eine der schlimmsten Seiten der Sklaverei, daß der von Natur teilnehmende und sich leicht anschließende Neger, nachdem er in einer gebildeten Familie den Geschmack und die Empfindungen, die daselbst vorherrschen, angenommen hat, demungeachtet der Knecht und Sklave des Gemeinsten und Rohesten werden kann – gerade wie ein Stuhl oder ein Tisch, der früher einen prächtigen Salon schmückte, zuletzt zerstoßen und abgenutzt in die Schenkstube einer gemeinen Kneipe oder einer liederlichen Spelunke kommt. Der große Unterschied ist, daß der Tisch und der Stuhl nicht fühlen können und daß der Mensch fühlt; denn selbst ein Gerichtsbefehl, daß er vor dem Gesetze als persönliches Eigentum genommen und geachtet werden soll, kann nicht seine Seele mit ihrer eigenen kleinen Welt von Erinnerungen, Hoffnungen, Befürchtungen und Wünschen auslöschen.

Mr. Simon Legree, Toms Herr, hatte an verschiedenen Orten in New Orleans acht Sklaven gekauft und sie, paarweise zusammengefesselt, nach dem guten Dampfer Pirat getrieben, der im Begriff eine Fahrt nach dem Red River anzutreten am Levée lag.

Als das Boot in Bewegung war, trat er mit der wichtigen Miene, die ihn stets auszeichnete, zu den Sklaven, um sie zu besichtigen.

Er blieb zuerst vor Tom stehen, den man für die Auktion in seinen besten Tuchanzug mit wohl gestärktem Leinen und blanken Stiefeln gekleidet hatte, und sprach zu ihm: »Steh auf!«

Tom stand auf.

»Nimm das Halstuch ab!« Und als Tom, von seinen Fesseln behindert, damit nicht recht zuwegekommen konnte, kam er ihm zu Hilfe, indem er es ihm mit ziemlich unsanfter Hand vom Halse riß und in die Tasche steckte.

Legree nahm jetzt Toms Koffer vor, den er schon vorher umgewühlt hatte, nahm ein Paar alte Beinkleider und einen zerrissenen Rock heraus, in welchem Tom seine Stallarbeit verrichtet hatte, und sagte, indem er Tom von den Handschellen befreite und auf einen Winkel hinter den Kisten wies.

»Geh dort in den Winkel und zieh die Sachen an.«

Tom gehorchte und kehrte in wenigen Augenblicken zurück.

»Zieh deine Stiefel aus«, sagte Mr. Legree.

Tom tat, wie ihm geheißen.

»Da, zieh diese an!« sagte der andere und warf ihm ein Paar grobe, derbe Schuhe hin, wie sie Sklaven meistens tragen.

Tom hatte bei seinem eiligen Kleidertausche nicht vergessen, seine geliebte Bibel in die Tasche zu stecken. Es war ein Glück für ihn, denn als Mr. Legree Tom die Handschellen wieder angelegt hatte, fing er eine gründliche Untersuchung seiner Taschen an. Er zog ein seidenes Taschentuch heraus und steckte es in seine Tasche. Verschiedene Tändeleien, welche Tom hauptsächlich aufbewahrte, weil sie Eva gern hatte, betrachtete er mit verächtlichem Grunzen und warf sie über die Achseln in den Fluß.

Nun fiel ihm Toms Methodistengesangbuch, das dieser in der Eile vergessen hatte, in die Hand und er blätterte darin.

»Hm! Ein Frommer, wie ich sehe! Na, wie heißt du da? Du bist Mitglied der Kirche, nicht wahr?«

»Ja, Master«, sagte Tom fest.

»Na, das wollen wir dir schon vertreiben. Ich leide keinen betenden und singenden Nigger auf meiner Plantage, bedenk das wohl. Überhaupt hörst du«, sagte er, indem er mit dem Fuße stampfte und aus seinen grauen Augen einen wütenden Blick auf Tom schoß, »ich bin jetzt deine Kirche! Du verstehst mich – du hast zu tun und zu lassen, was ich befehle.«

Ein Etwas in dem schweigenden Schwarzen antwortete »Nein!« und als ob eine unsichtbare Stimme sie wiederholte, vernahm er die Worte eines alten prophetischen Spruches, den ihm Eva oft vorgelesen hatte: »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!«

Aber Simon Legree hörte keine Stimme. Diese Stimme wird er niemals hören. Er warf nur noch einen wilden Blick auf Toms niedergeschlagenes Gesicht und ging weiter. Er nahm Toms Koffer, der eine sehr hübsche und reichliche Garderobe enthielt, mit nach dem Vorderteile des Bootes, wo bald die ganze Mannschaft sich darum versammelte. Unter vielem Lachen auf Kosten der Nigger, welche feine Herren zu sein beanspruchten, waren die verschiedenen Artikel bald verkauft, und zuletzt kam der leere Koffer zur Versteigerung. Es kam ihnen allen wie ein ganz vortrefflicher Spaß vor, vorzüglich wie sie sahen, wie Tom mit traurigen Blicken seinen Sachen folgte, wie sie dahin und dorthin verteilt wurden; und die Versteigerung des Koffers war das Drolligste von allem und gab Anlaß zu zahllosen witzigen Reden.

So wie dies Geschäftchen abgemacht war, trat Simon wieder zu seinem Eigentum.

»Du siehst, Tom, du bist nun dein Extragepäck losgeworden. Nimm die Kleider da gar sorgfältig in acht. Es wird ziemlich lange dauern, ehe du neue bekommst. Ich suche was drin, Nigger wirtschaftlich zu machen – ein Anzug muß auf meiner Plantage ein ganzes Jahr ausreichen.

Jetzt hört mich einmal alle an«, sagte er und trat ein oder zwei Schritte zurück – »seht mich an – seht mir ins Auge – gerade ins Auge«, sagte er und stampfte bei jeder Pause mit dem Fuße.

Wie durch Verzauberung heftete sich jetzt jeder Blick auf das funkelnde, grünlich graue Auge Simons.

»Seht ihr diese Faust?« sagte er, indem er seine graue schwere Hand zusammenballte, daß sie etwa wie ein Schmiedehammer aussah, »fühle einmal«, sagte er und ließ sie auf Toms Hand fallen. »Seht mal diese Knochen an! Ich sage euch, diese Faust ist so hart geworden wie Eisen vom Niederschlagen von Niggern. Hab‘ noch keinen Nigger gekannt, den ich nicht mit einem Hieb zu Boden gebracht hätte«, sagte er und hielt seine Faust Tom so nahe vors Gesicht, daß dieser mit den Augen zuckte und zurücktrat. »Ich halte keine von euern verwünschten Aufsehern; ich bin selber mein Sklavenaufseher; und ich sage euch, ’s ist eine Aufsicht bei mir. Jeder von euch muß seine Sache bis auf den letzten Punkt verrichten; rasch – gleich – den Augenblick, wo ich spreche. Das ist die Art, mit mir auszukommen. Ihr findet keinen weichen Fleck in mir, nirgends. Also nehmt euch in acht, denn ich kenne kein Erbarmen!«

Die Frauen hielten unwillkürlich den Atem an, und der ganze Transport saß mit niedergeschlagenen demütigen Gesichtern da; Simon aber drehte sich auf dem Absätze um und ging nach der Bar des Bootes, um ein Glas zu trinken.

»So springe ich mit meinen Niggern um«, sagte er zu einem feinaussehenden Manne, der während der Rede neben ihm gestanden hatte, »’s ist mein System, gleich stark anzufangen, damit sie wissen, was sie zu erwarten haben.«

»So!« sagte der Unbekannte, welcher den andern mit der Neugier eines Naturforschers, der ein selten zu findendes Exemplar besichtigt, betrachtete.

»Jawohl. Ich bin keiner von den Gentlemanpflanzern mit weißen, zarten Fingern, die sich von einem verdammten alten Schuft von Aufseher betrügen lassen! Fühlen Sie nur einmal meine Knöchel an; sehen Sie meine Faust. Ich sage Ihnen, Herr, das Fleisch ist hart wie Stein geworden, bloß vom Negerprügeln – fühlen Sie nur einmal.«

Der Unbekannte betastete die dargebotene Faust und sagte einfach:

»Sie ist hart genug, und ich vermute«, setzte er hinzu, »die Gewohnheit hat Ihr Herz ebenso gemacht.«

»Nun, das könnte ich wohl sagen«, sagte Simon mit einem herzlichen Lachen. »Ich rechne, ich habe so wenig Weiches in mir, als sonst was Lebendiges. Sage Ihnen, mich bringt niemand herum! Mich erweichen die Nigger nie mit Jammern oder guten Worten – das ist Faktum.«

»Sie haben da einen schönen Transport.«

»Gewiß«, sagte Simon. »Da ist der Tom; sie sagten mir, er wäre was ganz Ungewöhnliches. Ich habe ein bißchen viel für ihn bezahlt, weil ich eine Art Aufseher aus ihm machen will; wenn ihm nur erst die Grillen aus dem Kopfe getrieben sind, die er gelernt hat, weil er behandelt worden ist, wie Nigger nie behandelt werden sollten, wird er sich prächtig machen! Mit der gelben Frau dort hat man mich übers Ohr gehauen. Ich glaube fast, sie ist kränklich; aber ich werde es schon aus ihr herauskriegen, was sie wert ist – ein oder zwei Jahre kann sie aushalten. Ich bin nicht fürs Schonen der Nigger. Verbrauchen und mehr kaufen ist meine Regel; macht weniger Mühe, und ich bin überzeugt, es kommt am Ende billiger«, und Simon nippte sein Glas aus.

»Und wie lange halten sie gewöhnlich aus?« fragte der Unbekannte.

»Das weiß ich nicht, kommt ganz auf ihre Konstitution an. Kräftige Kerle halten es sechs oder sieben Jahre aus, schwächliche werden in zwei oder drei Jahren alle. Als ich zuerst anfing, habe ich mir schreckliche Mühe mit ihnen gegeben, damit sie lange aushielten – habe an ihnen gedoktert, wenn sie krank waren, und ihnen Kleider und Decken gegeben, und was sonst noch, um anständig für ihr Wohlbefinden zu sorgen; aber es hat gar nichts genutzt; ich habe nur Geld verloren und schreckliche Mühe dabei gehabt. Jetzt aber, sage ich Ihnen, müssen sie dran, mögen sie krank oder gesund sein. Wenn ein Nigger stirbt, kaufe ich einen andern; und ich finde, daß ich in jeder Hinsicht billiger und bequemer dabei weggekommen bin.«

Der Unbekannte entfernte sich und setzte sich neben einen Herrn, der mit einiger Unruhe dem Gespräch zugehört hatte. »Sie dürfen diesen Kerl nicht als ein Muster der Pflanzer des Südens betrachten«, sagte er.

»Das möchte ich hoffen«, sagte der junge Mann mit Nachdruck.

»Er ist ein gemeiner, niederiger, brutaler Kerl!« sagte der andere.

»Und dennoch erlauben ihm die Gesetze, jede Anzahl menschlicher Wesen mit seinem unumschränkten Willen zu beherrschen, ohne daß sie einen Schatten von Schutz haben, und so schlecht er ist, so können Sie doch nicht leugnen, daß es viele der Art gibt.«

»Aber es gibt auf der anderen Seite auch viele rücksichtsvolle und menschliche Personen unter den Pflanzern.«

»Zugegeben«, sagte der junge Mann; »aber nach meiner Meinung sind gerade diese rücksichtsvollen und menschlichen Leute für die Roheiten und die Mißhandlungen, welchen diese Armen ausgesetzt sind, verantwortlich, weil ohne ihre Billigung und ihren Einfluß das ganze System keine Stunde bestehen bleiben könnte. Wenn es keine anderen Pflanzer gäbe, als solche«, sagte er, indem er mit dem Finger auf Legree deutete, der ihnen den Rücken zugekehrt hatte, »so ginge das ganze System zugrunde, wie ein Mühlstein. Nur ihre Achtbarkeit und Menschlichkeit beschönigt und beschützt seine Roheit.«

»Sie haben jedenfalls eine hohe Meinung von meiner Gutmütigkeit«, sagte der Pflanzer lächelnd, »aber ich rate Ihnen, nicht so laut zu sprechen, da sich Leute an Bord des Bootes befinden, die nicht ganz so duldsam gegen Meinungen sein möchten wie ich. Es ist besser, Sie warten, bis ich auf meiner Plantage bin, und dann können Sie uns alle ausschimpfen, soviel Sie Lust haben.«

Der junge Mann wurde rot und lächelte, und beide vertieften sich bald in eine Partie Trictrac.

Das Boot ruderte weiter – beladen mit seiner Kummerlast – der roten, schlammigen, wirbelnden Strömung entgegen, durch die eckiggewundenen Krümmungen des Red River; und traurige Augen blickten müde auf die steilen Ufer von rotem Ton, wie sie in der Einförmigkeit vorüberglitten.

Endlich hielt das Boot bei einer kleinen Stadt an, und Legree stieg mit seinem Sklaventransport ans Land.

27. Kapitel


Düstere Bilder

Müde hinter einem roh gezimmerten Wagen her und auf einem schlimmen Wege schleppten sich Tom und seine Leidensgefährten weiter.

Im Wagen saß Simon Legree, und die beiden Frauen, immer noch zusammengeschlossen, waren mit einigem Gepäck in dem hinteren Teile desselben untergebracht. Die ganze Gesellschaft reiste nach Legrees Plantage, die noch eine gute Strecke entfernt lag.

Es war ein wilder einsamer Weg, der sich jetzt durch öde Nadelholzhaiden wand, wo der Wind trauervoll stöhnte und dann über lange Knüppeldämme durch ausgedehnte Zypressensümpfe, wo die melancholischen Bäume aus dem schlammigen moorigen Boden emporstiegen, mit langen Trauerkränzen von schwarzem Moos behangen, während man hier und da die ekelerregende Mokkasinschlange zwischen abgebrochenen Baumstümpfen und sturmgeknickten Ästen, die hier und da im Wasser faulten, hindurchgleiten sah.

Der Wagen fuhr schließlich auf einem grasbewachsenen Kiesweg durch eine schöne Allee von Chinabäumen, deren anmutige Gestalt und immergrünes Laub das einzige zu sein schien, dem Vernachlässigung nicht schaden konnte – gleich edlen Geistern, die so tief in der Tugend wurzeln, daß sie unter einer entmutigenden und verfallenen Umgebung nur um so kräftiger gedeihen.

Das Haus war geräumig und schön gewesen. Die Bauart war, wie man sie im Süden sehr häufig findet; um das ganze Haus lief eine breite Veranda von zwei Stockwerken, auf welche sich alle äußeren Türen öffneten, und das unterste Stockwerk hatte gemauerte Pfeiler.

Aber alles sah wüst und ungemütlich aus; einige Fenster waren mit Brettern vernagelt oder hatten zerbrochene Scheiben oder Läden, die nur noch an einem Haspen hingen – alles verriet gröbliche Vernachlässigung und Unbehaglichkeit.

Bretterstücke, Stroh, alte verrottete Fäser und Kisten standen und lagen überall herum, und drei oder vier grimmig aussehende Hunde kamen, von dem Rollen der Wagenräder aufmerksam gemacht, herausgestürzt und ließen sich nur mit Mühe von den zerlumpten Dienstboten, die ihnen folgten, abhalten, Tom und seine Gefährten anzupacken.

»Ihr seht, was ihr zu erwarten habt!« sagte Legree, indem er die Hunde mit grimmiger Genugtuung liebkoste und sich zu Tom und seinen Gefährten wendete. »Ihr seht, was ihr zu erwarten habt, wenn ihr versucht fortzulaufen. Diese Hunde hier sind abgerichtet, Nigger aufzuspüren; und sie würden ebenso gern einen von euch zerreißen als ihr Abendbrot fressen. Also nehmt euch in acht! Heda, Sambo!« sagte er zu einem zerlumpten Kerl mit einem Hut ohne Rand, der ihn mit kriechendem Eifer begrüßte. »Wie ist’s gegangen?«

»Vortrefflich, Master.«

»Quimbo«, sagte Legree zu einem anderen, der sich angelegentlich bemühte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, »du hast doch getan, wie ich dir gesagt habe?«

»Ei und ob, Master.«

Diese beiden Farbigen waren die beiden ersten Sklaven der Plantage. Legree hatte sie ebenso systematisch zur Wildheit und Roheit erzogen wie seine Bulldoggen, und durch lange Übung in Härte und Grausamkeit ihren ganzen Charakter auf dieselbe Tiefe der Befähigung herabgebracht. Man findet gewöhnlich, und man hat davon eine schwere Anklage gegen den Charakter der Rasse hergenommen, daß der schwarze Sklavenaufseher stets tyrannischer und grausamer ist als der weiße. Man sagt damit weiter nichts, als daß der Geist des Negers mehr herabgedrückt und erniedrigt worden ist als der des Weißen. Es ist bei dieser Rasse nicht mehr der Fall als bei jeder anderen unterdrückten Rasse auf der ganzen Welt. Der Sklave ist stets ein Tyrann, wenn ihm die Möglichkeit dazu gegeben wird.

Legree regierte, wie manche Herrscher, von denen wir in der Geschichte lesen, seine Plantage durch eine Art Gleichgewicht der Kräfte. Sambo und Quimbo haßten einander aufs herzlichste; die Plantagenarbeiter ohne Ausnahme haßten die beiden ebenso aufrichtig; und indem er stets die eine Partei gegen die andere benutzte, war er ziemlich sicher, stets von einer derselben alles zu erfahren, was auf seiner Besitzung vorging.

Niemand kann ganz ohne geselligen Verkehr leben, und Legree munterte seine zwei schwarzen Satelliten zu einer Art gemeinen Vertraulichkeit auf, die jedoch jeden Augenblick den einen oder den andern in Ungelegenheit bringen konnte, denn bei der leisesten Reizung war einer von beiden stets bereit, auf einen Wink der Rache seines Herrn gegen den andern als Werkzeug zu dienen.

Wie sie jetzt neben Legree standen, erschienen sie als ein passender Beweis der Behauptung, daß vertierte Menschen noch tiefer stehen als die Tiere selbst. Ihre gemeinen, finsteren, mürrischen Züge; ihre großen Augen, die einander neidisch anglotzten; der rauhe, halb tierische Kehlton ihrer Sprache und die zerrissenen, im Winde flatternden Kleider standen in vortrefflicher Harmonie mit dem gemeinen und abstoßenden Charakter der ganzen Umgebung.

»Hier, Sambo«, sagte Legree, »bring diese Burschen hier in die Baracken; und hier habe ich auch ein Mädchen für dich mitgebracht«, sagte er, indem er eine Mulattin namens Emmeline losschloß und sie jenem hinschob, »ich hatte dir ja versprochen, eine mitzubringen.«

17. Kapitel


Topsy

Eines Morgens, als Ophelia einer ihrer häuslichen Pflichten oblag, rief sie St. Clare unten von der Treppe herauf.

»Komm einmal herunter, Cousine, ich muß dir etwas zeigen.«

»Was gibt’s?« sagte Miß Ophelia, als sie mit der Näherei herunterkam.

»Ich habe dir etwas gekauft – sieh her«, sagte St. Clare, mit diesen Worten schob er ein kleines Negermädchen von acht oder neun Jahren vor. Die Kleine gehörte zu den Schwärzesten ihres Geschlechts; und ihre runden, hellen Augen, glänzend wie Glaskorallen, schweiften mit raschen und ruhigen Blicken über alle Einzelheiten der Umgebung. Den Mund halb geöffnet vor Erstaunen über die Wunder der Stube des neuen Herrn, zeigte sie zwei Reihen weißer glänzender Zähne. Das wollige Haar war in kleine Zöpfchen geflochten, die in jeder Richtung emporstanden. Der Ausdruck des Gesichts war ein seltsames Gemisch von Schlauheit und List, welches als eine Art von Schleier einen Ausdruck kläglichster Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit drollig überdeckte. Die Kleine hatte nur ein einziges, schmutziges, zerrissenes Kleidungsstück von Sackleinwand an und stand da mit ehrbar gefalteten Händen. Im ganzen war etwas Seltsames und Koboldartiges in der ganzen Erscheinung – etwas, wie sich Miß Ophelia später ausdrückte, »so Heidnisches«, daß der guten Dame ganz bange dabei wurde; und zu St. Clare gewendet sagte sie:

»Aber Augustin, wozu in aller Welt hast du mir dieses Geschöpf gebracht?«

»Damit du es erziehst und ihm den Weg zeigst, den es gehen soll, natürlich. Die Kleine kam mir wie ein ziemlich drolliges Exemplar von dem Vogelscheuchengeschlecht vor. Na Topsy«, fügte er hinzu und pfiff wie jemand, der die Aufmerksamkeit eines Hundes erregen will, »singe uns ein Lied und zeige uns, wie du tanzen kannst.«

In den schwarzen hellen Augen glitzerte eine Art boshafter Humor, und die Kleine stimmte mit einer klaren, schrillen Stimme eine seltsame Negermelodie an, zu der sie mit Händen und Füßen Takt schlug, sich herumdrehte und in einem wilden phantastischen Takte mit den Händen klatschte und die Knie zusammenschlug und alle ihre Bewegungen mit den seltsamen Kehltönen begleitete, welche die dieser Rasse eigentümliche Musik auszeichnen; und zuletzt kam sie mit ein oder zwei Luftsprüngen und einer langen Schlußkadenz, die so wunderlich und unheimlich klang wie der Pfiff eines Dampfwagens, plötzlich auf den Teppich herab und stand da mit gefalteten Händen und einem höchst scheinheiligen Ausdruck von Demut und Feierlichkeit auf dem Gesicht, zu dem nur die schlauen schielenden Seitenblicke aus den Augenwinkeln nicht recht passen wollten.

Ganz stumm vor Staunen stand Ophelia da.

St. Clare schien mit boshaftem Behagen sich über ihr Erstaunen zu freuen und sagte zu dem Kinde gewendet:

»Topsy, das ist deine neue Herrin. Ich werde dich ihr übergeben; trag Sorge, daß du dich gut aufführst.«

»Ja, Master«, sagte Topsy mit scheinheiligem Ernste, während ihre boshaften Augen funkelten.

»Du mußt dich gut aufführen, Topsy, verstehst du«, sagte St. Clare.

»O ja, Master«, sagte Topsy mit einem anderen funkelnden Blick, während ihre Hände immer noch fromm gefaltet blieben.

»Aber Augustin, was in aller Welt soll das bedeuten?« sagte Ophelia. »Dein Haus ist bereits so voll von diesen kleinen Plagegeistern, daß kein Mensch seinen Fuß wohin setzen kann, ohne auf sie zu treten. Ich stehe früh auf und finde einen hinter der Tür schlafen, und sehe einen schwarzen Kopf unter dem Tisch hervorgucken und einen andern auf dem Strohteller vor der Tür liegen, und sie lungern auf allen Geländern herum und balgen sich auf dem Küchenflur! Wozu in aller Welt bringst du das eine noch her?«

»Du sollst es erziehen – habe ich es dir nicht gesagt? Du predigst immer vom Erziehen. Ich dachte, ich wollte dir ein frisch gefangenes Exemplar schenken, damit du dich an ihm üben und es im Guten und Rechten unterweisen könntest.«

»Ich mag die Kleine nicht, das weiß ich; ich habe ohnedies schon mehr mit ihnen zu tun, als ich wünsche.«

»So seid ihr Christen alle! Ihr stiftet eine Gesellschaft und mietet einen armen Missionar, daß er sein ganzes Leben unter solchen Heiden zubringen soll. Aber den möchte ich sehen von euch, der einen derselben in sein Haus aufnehmen und sich der Arbeit seiner Bekehrung selbst unterziehen möchte! Nein, wenn es dazu kommt, sind sie schmutzig und garstig, und es ist zuviel Plage usw.«

»Augustin, du weißt, daß ich die Sache nicht in diesem Licht ansehe«, sagte Miß Ophelia schon sanfter gestimmt. »Es könnte am Ende doch ein echtes Missionswerk sein«, sagte sie und sah das Kind bereits mit etwas günstigerem Auge an.

St. Clare hatte die rechte Seite berührt. Miß Ophelias Gewissenhaftigkeit stand immer auf der Hut. »Aber«, setzte sie hinzu, »ich sehe wahrhaftig nicht ein, wozu du das Kind noch gekauft hast – wir haben schon so viel im Hause, daß sie alle meine Zeit und Kraft in Anspruch nehmen.«

»Nun, komm nur, Cousine«, sagte St. Clare, indem er sie beiseite zog, »ich sollte dich wegen meiner nichtsnutzigen Reden eigentlich um Verzeihung bitten. Im Grunde bist du so gut, daß sie keinen Sinn haben. Die Wahrheit ist, das Kind gehörte einem ewig betrunkenen paar Leuten, die eine gemeine Schenke, an welcher ich jeden Tag vorbeigehe, besitzen; und ich war müde, das Kind schreien und seine Herrschaft es schlagen und ausschimpfen zu hören. Die Kleine sah außerdem munter und drollig aus, als ob sich etwas aus ihr machen ließe; deshalb kaufte ich sie, um sie dir zu schenken. Versuche es nun einmal und gib ihr eine gute orthodoxe, neuengländische Erziehung, und sieh zu, was du aus ihr machen kannst, du weißt, ich habe dazu keine Anlage, aber ich möchte gern, daß du es versuchtest.«

»Nun, ich will tun, was ich kann«, sagte Miß Ophelia, und sie näherte sich ihrem neuen Zögling ziemlich so, wie sich jemand einer schwarzen Spinne nähern würde, vorausgesetzt, daß er wohlwollende Absichten auf sie hätte.

»Sie ist schrecklich schmutzig und halbnackt«, sagte sie.

»Nun, so nimm sie mit hinunter und laß sie von den Leuten reinigen und kleiden.«

Miß Ophelia brachte sie in die Küche hinunter.

»Ich sehe nicht ein, wozu Master Clare noch Nigger braucht«, sagte Dinah, welche den neuen Ankömmling mit keineswegs freundlichen Blicken betrachtete. »Sie mag mir nicht unter die Hände kommen, das weiß ich!«

»Pfui!« sagten Rosa und Jane mit großartiger Verachtung. »Sie mag uns aus dem Wege gehn! Wozu in aller Welt Master noch mehr von diesen gemeinen Niggern braucht!«

»Seid still da! Nicht mehr Nigger als Ihr selber, Miß Rosa«, sagte Dinah, welche sich von dieser letzten Bemerkung beleidigt fühlte. »Ihr scheint Euch gar für Weiße zu halten. Ihr seid keins von beiden – weder weiß noch schwarz. Ich möchte entweder nur das eine oder das andere sein.«

Miß Ophelia mußte bald bemerken, daß sich unter der Dienerschaft niemand fand, der das Reinigen und Ankleiden des neuen Ankömmlings übernehmen wollte. So mußte sie es denn selber tun, wobei ihr Jane widerwilligen Beistand leistete.

Miß Ophelia hatte einen guten Teil praktischer Entschlossenheit, und sie unterzog sich allen den ekelhaften Einzelheiten mit heldenmütiger Gründlichkeit, obgleich, wir müssen es gestehen, mit keiner sehr freundlichen Miene – denn zu mehr als zum bloßen Dulden konnten sie ihre Prinzipien nicht bringen. Als sie auf dem Rücken und den Schultern der Kleinen große Striemen und Narben entdeckte, die unauslöschlichen Zeugen des Systems, unter dem sie bis jetzt aufgewachsen war, da begann ihr Herz Erbarmen mit der Kleinen zu fühlen.

»Sehen Sie nur!« sagte Jane und wies auf die Narben. »Zeigt das nicht, daß sie ein Höllenbraten ist? Sie wird uns schön zu schaffen machen, rechne ich. Ich kann diese Niggerkinder auf den Tod nicht leiden! Sie sind so ekelhaft! Ich möchte nur wissen, wozu es Master gekauft hätte.«

Das Niggerkind hörte alle diese Bemerkungen mit der demütigen und kläglichen Miene an, die ihr Gewohnheit zu sein schien, und betrachtete nur mit einem scharfen und verstohlenen Blick seiner glitzernden Augen den Schmuck, den Jane in den Ohren trug. Als die Kleine endlich dastand, in einen anständigen und nicht zerrissenen Anzug gekleidet und das Haar kurz geschoren, sagte Miß Ophelia mit einiger Befriedigung, daß sie nunmehr wie ein Christenkind aussehe, und fing schon innerlich einige Pläne zu ihrer Erziehung zu überlegen an.

Sie setzte sich vor sie hin und fing an, sie zu examinieren.

»Wie alt bist du, Topsy?«

»Weiß nicht, Missis«, sagte der Kobold mit einem Grinsen, das alle Zähne zeigte.

»Du weißt nicht, wie alt du bist? Hat dir es niemand gesagt? Wer war deine Mutter?«

»Hab‘ nie keine gehabt!« sagte das Kind abermals grinsend.

»Du hast keine Mutter gehabt? Was meinst du damit? Wo bist du geboren?«

»Bin nie nicht geboren!« beteuerte Topsy mit einem so koboldartigen Grinsen, daß Miß Ophelia, wenn sie nervenschwach gewesen wäre, hätte glauben können, sie hätte einen schwarzen Gnomen aus der Unterwelt erwischt; aber Miß Ophelia war nicht nervenschwach, sondern einfach und praktisch und sagte daher mit einiger Strenge:

»Du darfst mir nicht so antworten, Kind, ich spiele nicht mit dir. Sage mir, wo du geboren bist und wer dein Vater und deine Mutter waren.«

»Bin nie nicht geboren«, wiederholte der Kobold noch emphatischer, »hatte nie Vater oder Mutter oder sonst was. Ein Sklavenhändler hat mich aufgezogen mit vielen andern. Alte Tante Sue wartete uns ab.«

Das Kind sprach offenbar die Wahrheit, und Jane sagte mit einem gezierten Lachen:

»Ach Gott, Missis, solche gibt’s in Unmassen. Spekulanten kaufen sie billig, wenn sie ganz klein sind, und ziehen sie zum Verkauf auf.«

»Wie lange bist du bei deiner Herrschaft?«

»Weiß nicht, Missis.«

»Ein Jahr oder mehr oder weniger?«

»Weiß nicht, Missis.«

»Ach Missis, diese gemeinen Nigger können so was nicht sagen; sie wissen nichts von der Zeit«, sagte Jane. »Sie wissen nicht, was ein Jahr ist; sie wissen nicht, wie alt sie sind.«

»Hast du etwas von Gott gehört, Topsy?«

Das Kind machte bei dieser Frage ein ganz verblüfftes Gesicht, grinste aber wie gewöhnlich.

»Weißt du, wer dich erschaffen hat?«

»Niemand, soviel ich weiß«, sagte das Kind mit einem kurzen Lachen.

Der Gedanke schien ihm ganz vorzüglichen Spaß zu machen, denn seine Augen funkelten und es setzte hinzu:

»Ich glaube, ich bin gewachsen. Glaub‘ nicht, daß mich jemand geschaffen hat.«

»Kannst du nähen?« sagte Miß Ophelia, welche ihren Fragen eine mehr praktische Richtung zu geben gedachte.

»Nein, Missis.«

»Was kannst du? – Was hast du bei deiner Herrschaft gemacht?«

»Wasser geholt und Geschirr gewaschen und Messer geputzt und den Leuten aufgewartet.«

»Haben sie dich gut behandelt?«

»Vermute«, sagte das Kind, indem es Miß Ophelia schlau ansah.

Miß Ophelia erhob sich von dieser ermutigenden Prüfung; St. Clare stand hinter ihr auf die Stuhllehne gestützt.

»Du findest hier jungfräulichen Boden, Cousine; pflanze deine eigenen Begriffe hinein – du wirst nicht viel erst aufzuräumen haben.«

Miß Ophelias Begriffe von Erziehung waren, wie alle ihre anderen Begriffe, sehr abgeschlossen und bestimmt und von der Art, wie sie vor einem Jahrhundert in Neuengland vorherrschten und selbst noch in sehr abgelegenen und unverdorbenen Gegenden bestehen, wo keine Eisenbahnen hinkommen. Sie ließen sich so ziemlich in sehr wenige Worte zusammenfassen. Dem Kinde wurde gelehrt, zu gehorchen, wenn man ihm etwas hieß; es wurde ihm der Katechismus, Nähen und Lesen gelehrt; und es bekam Schläge, wenn es log, und obgleich diese Ansichten natürlich durch die über die Erziehungsfrage ausgegossene Flut von Licht weit überholt sind, so ist es doch unbestreitbar, daß unsere Großmütter einige recht verständige Männer und Frauen auf die Weise erzogen haben, wie viele von uns sich erinnern und bezeugen können. Jedenfalls wußte es Miß Ophelia nicht anders und widmete sich daher ihrem heidnischen Zöglinge mit dem möglichsten Fleiße.

Das Kind galt im ganzen Hause als Miß Ophelias Mädchen, und da es vor den Herrschaften in der Küche durchaus keine Gnade fand, so beschloß Miß Ophelia, seinen Wirkungskreis und seinen Unterricht hauptsächlich auf ihr Zimmer zu beschränken. Mit einer Opferbereitwilligkeit, welche einige unserer Leser werden würdigen können, faßte sie den Entschluß, anstatt sich selbst ihr Bett zu machen und selbst ihr Zimmer zu kehren und zu ordnen – was sie bisher getan hatte, alle Hilfsanerbietungen des Hausmädchens entschieden zurückweisend –, sich dem Märtyrertum zu unterwerfen, Topsy in diesen Verrichtungen Unterricht zu erteilen. Aber wehe über diesen Tag! Wenn jemals unser Leser so etwas versucht hat, so wird er die Größe ihres Opfers würdigen können.

Miß Ophelia fing damit an, am ersten Morgen Topsy mit auf ihr Zimmer zu nehmen und einen feierlichen Kursus in der Kunst und den Geheimnissen des Bettmachens zu beginnen.

Topsy, gewaschen und der kleinen geflochtenen Schwänzchen beraubt, die ihres Herzens Freude waren, in einer reinen Kutte und einer gut gestärkten Schürze, steht ehrerbietig vor Miß Ophelia und macht ein so feierliches Gesicht, daß es sich zu einem Leichenbegräbnisse geschickt haben würde.

»Nun, Topsy, werde ich dir zeigen, wie du mein Bett machen mußt. Ich bin sehr eigen mit meinem Bett. Du mußt ganz genau lernen, wie es gemacht werden muß.«

»Ja, Ma’am«, sagte Topsy mit einem tiefen Seufzer und einem Gesicht voll kläglichen Ernstes.

»Also sieh, Topsy, das ist der Saum des Bettuches – das ist die rechte Seite des Bettuchs, und das die linke: Wirst du das behalten?«

»Ja, Ma’am«, sagte Topsy wieder mit einem Seufzer.

»Nun, das Unterbettuch mußt du über das Polsterkissen legen – und es recht hübsch und glatt unter die Matratze stopfen – siehst du?«

»Ja, Ma’am«, sagte Topsy mit tiefer Aufmerksamkeit.

»Aber das obere Bettuch«, sagte Miß Ophelia, »muß so gelegt und fest und glatt unten zu Füßen untergestopft werden – so –, der schmale Saum zu Füßen.«

»Ja, Ma’am«, sagte Topsy wie vorhin; aber wir müssen hinzusetzen, was Miß Ophelia nicht sah, daß während der Zeit, wo ihr die gute Dame in ihrem Lehreifer den Rücken zugekehrt hatte, die junge Schülerin Gelegenheit fand, ein paar Handschuhe und ein Band zu stehlen, welches sie geschickt in ihre Ärmel gleiten ließ, worauf sie wieder mit gehorsam gefalteten Händen dastand wie vorher.

»Nun versuch du es einmal, Topsy«, sagte Miß Ophelia, indem sie die Bettücher wieder entfernte und sich setzte.

Topsy verrichtete das Befohlene mit großer Geschicklichkeit zu Miß Ophelias vollkommener Befriedigung; sie strich die Bettücher glatt, klopfte jede Falte heraus und zeigte bei der ganzen Arbeit einen Ernst und eine Würde, von der sich ihre Lehrerin höchlichst erbaut fühlte. Durch ein unglückliches Versehen guckte jedoch gerade, als sie fertig war, ein Endchen des Bandes aus dem Ärmel heraus, und Miß Ophelia sah es. Auf der Stelle ergriff sie es. »Was ist das? Du böses, schlechtes Kind – das hast du gestohlen!«

Obgleich Ophelia das Band aus Topsys eigenem Ärmel zog, so geriet das Kind doch nicht im mindesten außer Fassung; es sah den Fund nur mit einer Miene der überraschtesten und arglosesten Unschuld an.

»Ob das nicht Miß Feelys Band ist! Wie mag’s nur in meinen Ärmel gekommen sein!«

»Topsy, du böses Mädchen, lüge nicht! Du hast das Band gestohlen!«

»Misses, wahrhaftig, ich hab’s nicht gestohlen; sehe es diese Minute zum allerersten Mal.«

»Topsy«, sagte Miß Ophelia, »weißt du nicht, daß es schlecht ist zu lügen?«

»Ich lüge nie, Miß Feely«, sagte Topsy mit tugendhaftem Ernste. »Es ist die reine Wahrheit, was ich Ihnen gesagt habe, und weiter nichts.«

»Topsy, ich werde dir die Peitsche geben lassen, wenn du so lügst.«

»Ach, Missis, und wenn Sie mich den ganzen Tag peitschen lassen, kann ich nichts anderes sagen«, sagte Topsy und fing an zu flennen. »Ich habe das Band noch mit keinem Auge gesehen, und es muß sich in meinen Ärmel verkrochen haben. Miß Feely hat’s gewiß auf dem Bett liegenlassen, und es ist unter die Bettücher gekommen und so in meinen Ärmel geraten.«

Miß Ophelia war so empört über die freche Lüge, daß sie das Kind faßte und schüttelte. »Sage mir das nicht noch einmal.«

Durch dieses Schütteln fielen die Handschuhe aus dem anderen Ärmel in die Stube.

»Da siehst du?« sagte Miß Ophelia. »Wirst du jetzt noch leugnen, daß du das Band gestohlen hast?«

Topsy bekannte jetzt den Diebstahl der Handschuhe, aber leugnete immer noch hinsichtlich des Bandes.

»Topsy, wenn du alles gestehen willst, sollst du diesmal nicht die Peitsche bekommen«, sagte Miß Ophelia. Auf dieses Versprechen bekannte sich Topsy zum Diebstahle des Bandes und der Handschuhe mit den kläglichsten Bußbeteuerungen.

»Jetzt gestehe es mir nur. Ich weiß, du mußt auch andere Dinge gestohlen haben, seit du hier bist, denn ich habe dich gestern den ganzen Tag frei herumlaufen lassen. Gestehe jetzt, was du genommen hast, und ich will dich nicht schlagen.«

»Ach, Missis! Ich habe Miß Evas rotes Ding genommen, das sie um den Hals trägt.«

»Was? Du böses Kind! Nun, was sonst noch?«

»Rosas Ohrringe – die roten.«

»Geh und bring mir alle beide Sachen gleich die Minute her.«

»Ach Missis, das kann ich nicht – sie sind verbrannt.«

»Verbrannt – was für eine Lüge! Hole sie oder du bekommst die Peitsche.«

Mit lauten Beteuerungen und Tränen und Seufzern erklärte Topsy, daß es ihr unmöglich sei.

»Sie sind verbrannt – rein verbrannt!«

»Warum hast du sie verbrannt?« sagte Miß Ophelia.

»Weil ich ein böses Kind bin. Ich bin schrecklich böse, sagen die Leute. Ich kann nichts dafür.«

In diesem Augenblick kam Eva zufällig ins Zimmer, geschmückt mit dem Korallenhalsband, von dem die Rede war.

»Was, Eva, wo hast du dein Halsband herbekommen?« sagte Miß Ophelia.

»Herbekommen? Ich habe es ja den ganzen Tag umgehabt«, sagte Eva.

»Hattest du es auch gestern immer?«

»Jawohl, und was das Drolligste ist, Tantchen, ich hatte es die ganze Nacht um. Ich vergaß es abzunehmen, als ich zu Bett ging.«

Miß Ophelia wußte nicht, was sie denken sollte, um so mehr, als jetzt auch Rosa ins Zimmer trat, mit einem Körbchen frischgeplätteten Leinenzeugs auf dem Kopfe und den Korallengehängen in den Ohren.

»Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich mit einem solchen Kinde machen soll! Wozu, in aller Welt, sagtest du mir, du hättest diese Sachen gestohlen, Topsy?«

»Ach, Missis sagte ja, ich sollte bekennen; und ich wußte nichts anderes«, sagte Topsy und wischte sich die Augen.

»Aber natürlich verlange ich nicht, du solltest mir Dinge bekennen, die du nicht getan hast«, sagte Miß Ophelia, »das ist so gut eine Lüge wie das andere.«

»Ach wirklich?« sagte Topsy mit einer Miene unschuldiger Verwunderung.

»Ja, ’s ist auch kein Funken Wahrheit in diesem Satanskind«, sagte Rosa und sah Topsy mit bösem Gesicht an. »Wenn ich Master St. Clare wäre, wollte ich sie peitschen, daß ihr das Blut vom Rücken liefe; sie sollte es schon kriegen!«

»Nein, nein, Rosa«, sagte Eva mit einer befehlenden Miene, welche das Kind manchmal anzunehmen verstand, »so darfst du nicht sprechen, Rosa. Ich kann das nicht mit anhören.«

»Herrjemine! Miß Eva, Sie sind so gut und verstehen es nicht, wie man mit Niggern umspringen muß. Es gibt kein anderes Mittel, als sie blutig zu schlagen. Darauf verlassen Sie sich.«

»Rosa«, sagte Eva, »still! Kein Wort wieder von dieser Art.« Und das Auge des Kindes flammte auf, und seine Wange rötete sich tiefer. Rosa war in einem Augenblick eingeschüchtert.

»Miß Eva hat das St.-Clare-Blut in ihren Adern, das ist klar. Sie kann wahrhaftig gerade so sprechen wie ihr Papa«, sagte sie, indem sie das Zimmer verließ.

Eva stand da und betrachtete Topsy.

Als Miß Ophelia über Topsys Schlechtigkeit schalt, machte das Kind ein verwundertes und betrübtes Gesicht, sagte aber sanft:

»Arme Topsy, warum stiehlst du? Du sollst es ja jetzt gut hier haben. Gewiß will ich dir lieber etwas von meinen Sachen geben, als daß du stiehlst.«

Es war das erste freundliche Wort, welches das Kind in seinem Leben gehört hatte; und der sanfte Ton und die sanfte Weise berührte seltsam das wilde rohe Herz, und es funkelte etwas wie eine Träne in dem lebhaften runden glitzernden Auge, aber es wurde bald von einem kurzen Lachen und dem gewöhnlichen Grinsen verdrängt. Nein! Das Ohr, das nie etwas anderes als Scheltworte gehört hat, ist merkwürdig ungläubig, wenn es etwas so Himmlisches wie Freundlichkeit vernimmt, und Topsy kam die Anrede nur wie etwas Spaßiges und Unerklärliches vor – sie glaubte nicht daran.

Aber was war mit Topsy anzufangen? Miß Ophelia wußte weder aus noch ein; ihre Erziehungsregeln schienen hier keine Anwendung zu finden. Sie wollte sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken; und um Zeit zu gewinnen und im Vertrauen auf eine unbestimmte moralische Heilkraft, die in dunklen Kammern wohnen soll, sperrte Miß Ophelia ihren Zögling ein, bis sie ihre Gedanken über diesen Gegenstand besser geordnet hatte.

»Ich sehe noch nicht ein, wie ich mit dem Kinde auskommen kann ohne Schläge«, sagte Miß Ophelia zu St. Clare.

»Nun, so schlage sie, soviel es dir gefällt, ich gebe dir die unbeschränkteste Vollmacht.«

»Kinder müssen immer Schläge bekommen«, sagte Miß Ophelia. »Ich habe nie gehört, daß sie ohne Schläge erzogen würden.«

»Tu, was du für das Beste hältst«, sagte St. Clare. »Aber nur eins will ich bemerken: Ich habe gesehen, wie man dieses Kind mit dem Schüreisen, mit der Feuerzange oder mit der Kohlenschaufel, und was gerade bei der Hand war, geschlagen hat, daß es zu Boden stürzte; da es also an diese Behandlungsweise gewöhnt ist, so glaube ich, du wirst mit ziemlicher Energie prügeln müssen, um einigen Eindruck hervorzubringen.«

»Was soll ich denn mit dem Kinde beginnen?« sagte Ophelia.

»Du stellst da eine ernsthafte Frage auf«, sagte St. Clare. »Ich wollte, du könntest sie beantworten. Was man mit einem menschlichen Wesen, das nur mit der Peitsche regiert werden kann, anfangen soll, wenn diese nicht mehr anschlägt, das ist etwas, was wir hier unten uns sehr häufig fragen.«

»Ich weiß es nicht, mir ist noch nie ein Kind von dieser Art vorgekommen.«

»Solche Kinder sind bei uns sehr gewöhnlich und auch solche Männer und Weiber. Wie soll man sie in Zucht erhalten?« sagte St. Clare.

»Die Frage ist jedenfalls für mich zu schwer, um sie zu lösen«, sagte Miß Ophelia.

»Und auch für mich«, sagte St. Clare. »Die schrecklichen Grausamkeiten und Schandtaten, die dann und wann ihren Weg in die Zeitungen finden – solche Vorfälle, wie z. B. der mit Prue – woher rühren sie? In vielen Fällen ist es ein allmählicher Verhärtungsprozeß auf beiden Seiten – der Sklavenbesitzer wird allmählich grausamer und grausamer, und der Sklave wird immer verstockter. Schläge und Scheltworte sind wie Laudanum; man muß die Dosis in dem Maße verdoppeln, wie die Gefühle sich abstumpfen. Ich sah dies sehr frühzeitig ein, als ich Sklavenbesitzer geworden war, und ich nahm mir vor, nie anzufangen, weil ich nicht wußte, wo ich aufhören würde, und beschloß, wenigstens meinen eigenen sittlichen Charakter rein zu halten. Infolge davon sind meine Dienstboten wie verzogene Kinder; aber ich halte das für besser, als wenn wir beide zusammen ganz vertiert wären. Du hast viel von unserer großen Verantwortlichkeit für die Erziehung unserer Mitmenschen gesprochen. Ich möchte wirklich wünschen, du versuchtest es mit einem Kinde, welches eine Probe von Tausenden unter uns ist.«

»Euer System ist an solchen Kindern schuld«, sagte Miß Ophelia.

»Ich weiß es, aber sie sind einmal vorhanden – und die Frage ist, was soll mit ihnen geschehen?«

»Nun, ich kann eben nicht sagen, daß ich dir für das Experiment sehr dankbar bin. Aber da es sich als eine Art Pflicht herausstellt, so will ich nicht ermatten und den Versuch fortsetzen und mein Bestes tun«, sagte Miß Ophelia; und von nun an widmete sich Miß Ophelia mit lobenswertem Eifer und Energie ihrem Zögling. Sie richtete regelmäßige Stunden und Beschäftigungen für die Kleine ein und lehrte sie selbst lesen und nähen.

In ersterer Kunst machte das Kind ziemlich rasche Fortschritte. Sie lernte die Buchstaben wie durch Zauberei und war bald imstande, gewöhnliche Schrift zu lesen; aber mit dem Nähen ging es nicht so leicht vonstatten. Die Kleine war so geschmeidig wie eine Katze und so rührig wie ein Äffchen, und die sitzende Beschäftigung des Nähens war ihr ein Greuel; so zerbrach sie die Nadeln, warf sie verstohlen zum Fenster hinaus oder in Mauerritzen; sie verwirrte, zerriß oder beschmutzte ihren Zwirn oder warf wohl auch mit einer listigen Bewegung ein Knäuel ganz weg. Ihre Bewegungen waren fast so schnell wie die eines geübten Taschenspielers, und sie beherrschte ihr Gesicht ebenso vollkommen; und obgleich Miß Ophelia recht gut einsah, daß so viele widrigen Zufälle sich nicht hintereinander ereignen konnten, so konnte sie doch nicht ohne eine Wachsamkeit, welche ihr zu nichts anderem Zeit übrig gelassen hätte, die Arglistige ertappen.

Topsy hatte sich in St. Clares Haus bald einen Ruf erworben. Ihr Talent für jede Art drolliges Gebärdenspiel, Gesichterschneiden und Schauspielern – für Tanzen, Luftspringen, Klettern, Singen, Pfeifen und Nachahmen jeden Tones, der ihr auffiel – schien unerschöpflich zu sein. In ihren Spielstunden lief ihr unfehlbar jedes Kind des Haushalts nach, den Mund weit aufsperrend vor Bewunderung und Staunen – nicht einmal Miß Eva ausgenommen, welche von ihren Koboldstücken ganz entzückt zu sein schien, wie manchmal eine Taube von einer glänzenden Schlange bezaubert wird. Miß Ophelia befürchtete, Eva möchte an Topsys Gesellschaft zuviel Gefallen finden, und bat St. Clare, es ihr zu verbieten.

»Bah! Laß das Kind seinen eigenen Weg gehen«, sagte St. Clare. »Topsy kann ihr nur nützen.«

»Aber ein so verderbtes Kind – befürchtest du nicht, daß es sie etwas Schlechtes lehren könnte?«

»Sie kann ihr nichts Schlechtes lehren; sie könnte es anderen Kindern lehren, aber das Schlechte gleitet von Evas Seele ab wie der Tau von einem Kohlblatt; kein Tropfen dringt ins Innere.«

»Sei nicht zu sicher«, sagte Miß Ophelia. »So viel weiß ich, daß ich nie eins meiner Kinder mit Topsy spielen lassen würde.«

»Nun, deine Kinder brauchen es nicht zu tun«, sagte St. Clare, »aber meine können es; wenn Eva verderbt werden könnte, so wäre sie schon vor Jahren verdorben.«

Anfangs sah sich Topsy von den oberen Dienstboten verabscheut und verachtet; aber sie fanden sehr bald Ursache, ihre Meinung zu ändern. Man entdeckte sehr bald, daß, wer Topsy eine Schmach zufügte, ganz sicher binnen sehr kurzer Zeit von irgendeinem unangenehmen Zufall betroffen wurde; entweder fehlten ein Paar Ohrringe oder sonst ein Lieblingsschmuck, oder man fand ein Kleidungsstück plötzlich ganz und gar verdorben, oder der Schuldige stolperte zufällig in einen Eimer heißes Wasser, oder ein schmutziger Regen von Spülwasser goß ganz unerklärlich auf ihn herab, wenn er in vollem Staate war; und bei allen diesen Gelegenheiten konnte man bei näherer Untersuchung nie den Urheber dieser empfindlichen Neckereien entdecken. Man zitierte Topsy, und sie erschien zu wiederholten Malen vor der Herrschaft zu Gericht; aber immer bestand sie das Verhör mit der erbaulichsten Unschuld und der ernsthaftesten Miene. Kein Mensch in der ganzen Welt zweifelte, wer der Urheber sei; aber es ließ sich auch nicht ein Buchstabe direkten Beweises zur Bekräftigung des Verdachtes auffinden, und Miß Ophelia war zu gerecht, um ohne Beweise sich strengere Maßregeln zu erlauben.

Die Neckereien waren außerdem stets der Zeit so gut angepaßt, daß der Urheber nur noch sicherer der Strafe entging. So wählte derselbe die Zeiten der Rache an Rosa und Jane, den beiden Kammerzofen, regelmäßig, wo, wie es nicht selten geschah, sie bei ihrer Herrin in Ungnade gefallen waren und wo natürlich eine von ihnen erhobene Klage keinen Anklang fand. Kurz, Topsy prägte der Dienerschaft bald ein, es sei klug, sie in Ruhe zu lassen; und man ließ sie nun auch in Ruhe.

In allen Handarbeiten war Topsy gewandt und energisch und lernte alles, was man ihr lehrte, mit wunderbarer Schnelligkeit. Nach wenigen Stunden Unterricht verstand sie Miss Ophelias Zimmer in einer Weise in Ordnung zu bringen, welche selbst diese vielverlangende Dame befriedigte. Menschenhände konnten die Laken nicht glatter ausbreiten, die Kissen nicht sorgfältiger an ihre Stelle legen, das Zimmer nicht vollkommener kehren, abstäuben und ordnen als Topsy, wenn sie Lust hatte – aber sie hatte nicht sehr oft Lust. Wenn Miss Ophelia, nachdem sie drei oder vier Tage sorgfältig und geduldig die Oberaufsicht geführt hatte, sanguinisch genug war, zu glauben, dass Topsy endlich ausgelernt habe und alles ohne Aufsicht verrichten könne, und nun fortging, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen, so stellte Topsy ein oder zwei Stunden lang ein wahres Karneval von Verwirrung an. Anstatt das Bett zu machen, zog sie die Kissenüberzüge herunter, fuhr mit ihrem wolligen Kopf unter die Kissen, bis er manchmal auf das Groteskeste mit nach allen Richtungen emporstarrenden Federn verziert war; kletterte die Säulen hinauf und baumelte sich mit den Füßen anhaltend von oben herunter; warf die Bettücher im ganzen Zimmer herum; zog dem Fußkissen Miß Ophelias Nachtkleider an und führte verschiedene theatralische Darstellungen mit dieser Puppe auf; sang und pfiff und schnitt sich Gesichter im Spiegel; mit einem Worte, sie führte eine wahre Teufelskomödie auf.

Einmal fand Miss Ophelia Topsy mit ihrem besten scharlachroten, chinesischen Kreppschal als Turban um den Kopf gebunden vor dem Spiegel stehen, wo sie im großen Staat ihre Rolle einstudierte; denn Miss Ophelia hatte mit einer bei ihr unerhörten Sorglosigkeit den Schlüssel zum Schranke stecken lassen.

»Topsy!« pflegte sie zu sagen, wenn ihre Geduld zu Ende ging. »Weshalb machst du das nur?«

»Weiß nicht, Missis – ich glaube, weil ich so schlecht bin.«

»Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll, Topsy.«

»Ach, Missis, Sie müssen mich schlagen; meine alte Missis schlug mich stets. Ich bin nicht gewohnt zu arbeiten, wenn ich keine Schläge kriege.«

»Aber ich will dich nicht schlagen, Topsy. Du kannst dich gut aufführen, wenn du Lust dazu hast. Warum tust du’s nicht?«

»Ach, Missis, ich bin an Schläge gewöhnt; ich glaube, es muß wohl gut für mich sein.«

Miss Ophelia versuchte das Rezept, und Topsy machte stets einen schrecklichen Lärm und schrie und stöhnte und flehte, obgleich sie eine halbe Stunde später auf einer Ecke des Balkons sitzend gegen eine um sie versammelte Schar von der jungen Brut sich höchst verächtlich über die ganze Sache aussprach.

»Ach Miss Feely und peitschen! – Die kann keine Fliege totschlagen. Sollte sehen, wie alter Master das Fleisch in Fetzen davonfliegen machte; alter Master wusste, wie!«

Topsy war stets sehr stolz auf ihre Sünden und Missetaten, die sie offenbar als etwas ganz besonders Auszeichnendes betrachtete.

»Nun, ihr Nigger«, sagte sie zu ihren Zuhörern, »wisst ihr nicht, dass ihr alle Sünder seid? Ja, ihr seid Sünder, ohne alle Ausnahme. Die Weißen sind auch Sünder – Miss Feely sagt’s; aber ich glaube, Nigger sind die größten aber ach, mit mir könnt ihr’s nicht aufnehmen. Ich bin so schrecklich schlecht, daß niemand mit mir was anfangen kann. Alte Missis mußte immer den halben Tag über mich fluchen. Ich glaube, ich bin das schlechteste Geschöpf der Welt«, und Topsy schlug ein Rad und hockte munter und glänzend auf einen noch höheren Sitz und war offenbar stolz auf die Auszeichnung.

Sonntags war Miss Ophelia sehr eifrig bemüht, Topsy den Katechismus zu lehren. Topsy hatte ein ungewöhnlich gutes Wortgedächtnis und lernte mit einer Schnelligkeit, welche ihre Lehrerin sehr ermutigte.

»Was soll das ihr nützen?« sagte St. Clare.

»Mein Gott, es hat Kindern immer genützt. Alle Kinder müssen das lernen, das weißt du ja selbst«, sagte Miss Ophelia.

»Mögen sie es verstehen oder nicht?« sagte St. Clare.

»Oh, Kinder verstehen es nie, wenn sie es lernen; aber später, wenn sie groß werden, sehen sie es schon ein.«

»Bei mir ist das Verständnis noch nicht gekommen, obgleich ich bezeugen kann, daß du mir es gründlich gelehrt hast.«

»Ach, du zeigtest immer einen guten Kopf, Augustin. Ich setzte damals große Hoffnungen auf dich«, sagte Miß Ophelia.

»Nun, und jetzt nicht mehr?« sagte St. Clare.

»Ich wollte, du wärst so gut, wie du als Knabe warst, Augustin.«

»Das wünsche ich auch, Kusine«, sagte St. Clare. »Nun fang nur an und katechisiere Topsy, vielleicht machst du noch etwas aus ihr.«

Topsy, die während dieses Gesprächs wie eine schwarze Statue mit frommgefalteten Händen dagestanden hatte, begann jetzt auf ein Zeichen Miß Ophelias: »Unsere ersten Eltern, da ihnen ihr freier Wille gelassen war, verloren das Paradies, für das sie geschaffen waren.« Topsys Augen funkelten und sahen ihre Lehrerin fragend an.

»Was gibt’s, Topsy?« sagte Miss Ophelia.

»Ach, Missis, war das Paradies Kentucky?«

»Was für ein Paradies, Topsy?«

»Das Paradies, das ihnen verlorenging. Ich hörte immer Master erzählen, wir wären von Kentucky gekommen.«

St. Clare lachte.

»Du wirst ihr eine Erklärung geben müssen, oder sie macht sich eine«, sagte er. »Sie scheint mir da eine Theorie der Auswanderungen aufzustellen.«

»Ach Augustin, sei still«, sagte Miss Ophelia. »Wie kann ich etwas machen, wenn du beständig lachst?«

»Na, ich will dich nicht weiter stören, auf Ehre«, und St. Clare nahm die Zeitung und setzte sich hin, bis Topsy mit ihrem Hersagen fertig war. Sie bestand recht gut, nur daß sie manchmal einige wichtige Worte ganz wunderlich versetzte und sich auch nicht eines besseren belehren ließ; und St. Clare hatte trotz aller seiner Versprechungen eine boshafte Freude über diese Irrtümer, rief Topsy stets zu sich, wenn er sich einen Spaß machen wollte, und ließ sich von ihr trotz Ophelias Abmahnungen die verdrehte Stelle wiederholen.

»Denkst du denn, ich kann etwas mit dem Kinde ausrichten, wenn du dich auf diese Weise benimmst, Augustin?« pflegte sie zu sagen.

»Du hast recht, es ist zu schlecht, und ich will es nicht wieder tun; aber es macht mir Spaß, die drollige Kleine über diese schweren langen Worte stolpern zu hören.«

»Aber du bestärkst sie nur auf dem falschen Wege!«

»Was schadet das? Ein Wort gilt ihr soviel wie das andere.«

»Du hast mir aufgetragen, ihr den rechten Weg zu zeigen; und du solltest nicht vergessen, daß sie ein vernünftiges Geschöpf ist, und Sorge tragen, daß du keinen schlimmen Einfluß auf sie ausübst.«

»Ja freilich sollte ich das, aber wie Topsy selbst sagt: Ich bin schlecht.«

Auf ziemlich gleiche Weise ging Topsys Erziehung ein oder zwei Jahre lang ihren Gang, und Miß Ophelia quälte sich mit ihr Tag für Tag ab, wie mit einer Art chronischer Krankheit, an deren Schmerzen sie sich mit der Zeit so gewöhnte wie manche Leute an nervösen Glieder- oder Kopfschmerz.

St. Clare machte die Kleine denselben Spaß, wie anderen die Spielereien eines Papageis oder eines Hündchens machen. Wenn Topsy durch ihre Sünden anderwärts in Ungnade fiel, flüchtete sie sich hinter seinen Stuhl, und St. Clare glich für sie stets in einer oder der anderen Weise die Sache aus. Von ihm bekam sie manchen Picayune, für den sie Nüsse oder Kandiszucker kaufte, welche sie mit sorgloser Freigebigkeit unter alle Kinder des Hauses verteilte, denn man mußte Topsy lassen, sie war gutmütig und freigebig und nur boshaft aus Notwehr.

18. Kapitel


Henrique

Um diese Zeit besuchte St. Clares Bruder, Alfred, mit seinem ältesten Sohne, einem Knaben von 12 Jahren, auf ein paar Tage die Familie, die sich während der Sommermonate in der Villa am See Pontchartrain aufhielt.

Es konnte keinen eigentümlicheren und schöneren Anblick geben als diese beiden Zwillingsbrüder. Anstatt Ähnlichkeiten zwischen ihnen zu erschaffen, hatte die Natur sie in jeder Hinsicht zu Gegensätzen gemacht; und doch schien ein geheimnisvolles Band sie zu einer ungewöhnlich innigen Freundschaft zu vereinigen. Sie pflegten Arm in Arm in den Alleen und Gängen des Gartens spazierenzugehen: Augustin mit den blauen Augen und dem goldenen Haar, der ätherisch geschmeidigen Gestalt und lebendigen Zügen und Alfred mit den schwarzen Augen, mit stolzem römischen Profil, den kräftigen Gliedern und dem entschiedenen Wesen. Jeder schimpfte stets über des andern Meinungen und Treiben und konnte sich doch nicht von seiner Gesellschaft losmachen; gerade die Gegensätze in ihrem Charakter schienen sie zu vereinigen.

Henrique, der älteste Sohn Alfreds, war ein herrlicher Knabe mit schwarzen Augen voll Feuer und Leben und schien von dem ersten Augenblick an von der durchgeistigten Anmut seiner Cousine Evangeline ganz bezaubert zu sein.

Eva besaß ein kleines Lieblingspony von schneeweißer Farbe. Es ging so leicht wie eine Wiege und war so sanft wie seine kleine Herrin; und dieses Pony führte jetzt Tom an der Veranda der Rückseite vor, während ein kleiner Mulattenknabe von ungefähr 13 Jahren einen kleinen, schwarzen Araber brachte, den Alfred eben erst mit großen Kosten für Henrique hatte aus Europa kommen lassen.

Henrique hing mit dem Stolz eines Knaben an seinem neuen Eigentum; und wie er an das Pferd trat und dem kleinen Reitknecht die Zügel aus der Hand nahm, musterte er es sorgfältig, und seine Stirn verfinsterte sich.

»Was ist das, Dodo, du fauler Schelm! Du hast heute früh mein Pferd nicht rein gemacht.«

»Ja, Master«, sagte Dodo unterwürfig, »den Staub hat es von selber bekommen.«

»Schlingel, halt’s Maul«, sagte Henrique und erhob heftig die Reitpeitsche. »Wie kannst du zu sprechen wagen?«

Der Knabe war ein hübscher Mulatte mit hellen Augen, gerade so groß wie Henrique, und sein Lockenhaar beschattete eine hohe, kühne Stirn. Er hatte weißes Blut in den Adern, wie man an dem raschen Erröten seiner Wange und dem Funkeln seines Auges, wie er dringend zu sprechen verlangte, sehen konnte.

»Master Henrique! –« fing er an.

Henrique schlug ihn mit der Reitpeitsche über das Gesicht, packte ihn bei dem einen Arme, drückte ihn auf die Knie nieder und prügelte ihn, bis er außer Atem war.

»So, du unverschämter Schlingel! Wirst du nun lernen, mir nicht zu widersprechen, wenn ich mit dir rede? Führe das Pferd zurück in den Stall und mache es ordentlich rein. Ich will dir zeigen, wohin du gehörst!«

»Junger Herr«, sagte Tom, »ich glaube, er wollte sagen, daß das Pferd sich gewälzt hat, wie er es aus dem Stalle brachte; es ist so feurig – und so ist es schmutzig geworden; ich habe selber das Reinemachen besorgt.«

»Schweig, bis man dich fragt!« sagte Henrique, kehrte ihm den Rücken und ging die Stufen hinauf, um mit Eva zu sprechen, die in ihrem Reitkleide auf ihn wartete.

»Liebe Cousine, es tut mir leid, daß du durch dieses dummen Kerls Schuld hast warten müssen«, sagte er. »Wir wollen uns hier auf die Bank setzen, bis sie wiederkommen. Was hast du denn, Cousine? – Du machst ein so ernstes Gesicht.«

»Wie konntest du gegen den armen Dodo so grausam und schlecht sein?« sagte Eva.

»Grausam – schlecht?« sagte der Knabe mit unverstelltem Erstaunen. »Was meinst du damit, liebe Eva?«

»Ich leide nicht, daß du mich liebe Eva nennst, wenn du es so machst«, sagte Eva.

»Liebe Cousine, du kennst Dodo nicht; man kann bloß auf diese Weise mit ihm auskommen, er ist so voller Lügen und Entschuldigungen. Das einzige Mittel ist, ihn gleich niederzuschmettern – ihn nicht den Mund auftun zu lassen, so macht es Papa.«

»Aber Onkel Tom sagt, es sei ein Zufall, und er sagt nie, was nicht wahr ist.«

»Dann ist er ein rarer, alter Nigger!« sagte Henrique. »Dodo lügt mit jedem Worte, das aus seinem Munde kommt.«

»Du schüchterst ihn so ein, daß er lügt, wenn du ihn so behandelst.«

»Was, Eva, du nimmst ja an Dodo ein solches Interesse, daß ich fast eifersüchtig werden könnte.«

»Aber du hast ihn geschlagen, und er verdiente es nicht.«

»Na, dann hält es vor, bis er es verdient und keine Schläge bekommt. Ein paar Hiebe sind bei Dodo nie umsonst – er ist ein wahrer Teufel, sage ich dir; aber ich will ihn nicht wieder in deiner Anwesenheit schlagen, wenn du es nicht gern siehst.«

Eva war noch nicht befriedigt, aber versuchte es vergeblich, ihrem schönen Cousin ihre Empfindungen begreiflich zu machen.

Dodo kehrte bald mit dem Pferde zurück.

»Nun, diesmal hast du es ziemlich gut gemacht, Dodo«, sagte sein Herr mit einer gnädigen Miene. »Komm und halte Miß Evas Pferd, während ich sie in den Sattel hebe.«

Dodo kam und hielt Evas Pony. Sein Gesicht sah bewegt aus; an den Augen bemerkte man, daß er geweint hatte.

Henrique, der sich auf seine Gewandtheit in allen Sachen der Galanterie viel einbildete, hatte bald seine schöne Cousine in den Sattel gehoben und gab ihr nun die Zügel in die Hand.

Aber Eva neigte sich auf die andere Seite des Pferdes, wo Dodo stand, und sagte zu ihm, als er die Zügel losließ: – »Gut gemacht, Dodo! – Ich danke dir!«

Dodo blickte ganz erstaunt zu dem lieblichen jungen Gesicht empor; das Blut schoß ihm in die Wangen und die Tränen in die Augen.

»Hier, Dodo!« sagte sein Herr gebieterisch.

Dodo sprang hinzu und hielt das Pferd, während sein Herr aufstieg.

»Hier hast du eine Picayune, Dodo, kauf dir Kandis dafür«, sagte Henrique.

Und Henrique galoppierte den Gang hinab, hinter Eva her. Dodo blieb stehen und sah den beiden Kindern nach. Das eine hatte ihm Geld gegeben; und das andere etwas, wonach er viel mehr verlangte – ein freundliches Wort in freundlichem Tone gesprochen. Dodo war erst seit wenigen Monaten von seiner Mutter getrennt. Sein Herr hatte ihn in einer Sklavenauktion wegen seines schönen Gesichts als Zugabe zu dem schönen Pony gekauft; und er erhielt jetzt seine Erziehung von den Händen seines jungen Herrn.

Die beiden Brüder St. Clare hatten von einem anderen Teile des Gartens aus das Prügeln mit angesehen.

Augustins Wange rötete sich, aber er bemerkte nur mit seinem gewöhnlich ruhig sarkastischen Tone: »Das könnten wir wohl republikanische Erziehung nennen, Alfred.«

»Henrique ist ein Teufelskerl, wenn sein Blut warm wird«, sagte Alfred leichthin.

»Ich vermute, du betrachtest das als eine ihn belehrende Übung«, sagte Augustin trocken.

»Ich könnte nichts dagegen tun, wenn ich’s nicht täte. Henrique hat ein stürmisches Temperament, das sich gar nicht beherrschen läßt – seine Mutter und ich haben das längst aufgegeben. Aber dieser Dodo ist auch ein wahrer Kobold – und wenn man ihn noch soviel prügelt, es tut ihm nichts.«

»Und damit lernt Henrique den ersten Vers des Republikanerkatechismus: ›Alle Menschen sind frei und gleich geboren!‹«

»Bah!« sagte Alfred. »Das ist so ein Stück von Tom Jeffersons französischer Sentimentalität und Phrasenhaftigkeit. Es ist geradezu lächerlich, das jeden Tag von Mund zu Mund gehen zu hören.«

»Das glaube ich auch«, sagte St. Clare bedeutungsvoll.

»Weil wir deutlich sehen können«, sagte Alfred, »daß nicht alle Menschen frei und gleich geboren sind; sie sind eher alles andere geboren. Ich für meinen Teil halte die Hälfte von dieser republikanischen Rederei für reinen Schwindel. Bloß die Erzogenen, die Intelligenten, die Reichen, die Gebildeten sollten gleiche Rechte haben, nicht die Kanaille.«

»Wenn du die Kanaille bei dieser Meinung erhalten kannst«, sagte Augustin. »In Frankreich kam einmal die Reihe an sie.«

»Natürlich muß man sie unten halten, konsequent und fest, wie ich’s tun würde«, sagte Alfred und setzte den Fuß fest auf den Boden, als ob er auf etwas stände.

»Es gibt einen schrecklichen Sturz, wenn sie sich erheben«, sagte Augustin, »– zum Beispiel in St. Domingo.«

»Bah!« sagte Alfred. »Das wollen wir schon hierzulande verhüten. Wir müssen uns nur gegen dieses Geschwätz von Erziehen und Erheben wahren, das man jetzt im Lande herumträgt; die untere Klasse darf nicht erzogen werden.«

»Das läßt sich nicht mehr hindern«, sagte Augustin. »Erziehung wollen sie haben, und es fragt sich nur noch wie. Unser System erzieht sie in Barbarei und Roheit. Wir zerreißen alle humanisierenden Bande und machen sie zu rohen Bestien; und wenn sie die Oberhand bekommen, werden sie sich als solche zeigen.«

Alfred sagte:

»Sie sollen nie die Oberhand bekommen.«

»Das ist recht«, sagte St. Clare. »Nimm doppelte Dampfkraft, nagele das Sicherheitsventil zu und setze dich drauf und sieh zu, wo du landen wirst.«

»Nun, wir werden ja sehen«, sagte Alfred. »Ich fürchte mich nicht, mich auf das Sicherheitsventil zu setzen, solange der Dampfkessel stark und die Maschinerie in Ordnung ist.«

»Der Adel unter Ludwig XVI. dachte geradeso; und Österreich und Pius IX. denken heute noch so; und an einem schönen Morgen könnt ihr alle in die Höhe fliegen, um euch in der Luft zu begegnen, wenn die Kessel springen.«

»Dies declarabit«, sagte Alfred lachend.

»Ich sage dir«, sagte Augustin, »wenn sich etwas mit der Macht eines göttlichen Gesetzes in unserer Zeit offenbart, so ist es die Prophezeiung, daß sich die Massen erheben und die unteren Klassen die oberen werden sollen.«

»Das ist eine von deinen republikanischen Redereien, Augustin! Warum bist du nie als Agitator aufgetreten? Du müßtest einen vortrefflichen Volksversammlungsredner abgeben! Nun, ich hoffe, ich bin tot, ehe das tausendjährige Reich deiner schmierigen Massen anfängt.«

»Schmierig oder nicht schmierig, sie werden euch beherrschen, wenn ihre Zeit kommt«, sagte Augustin; »und sie werden gerade solche Herrscher sein, wie ihr aus ihnen macht. Der französische Adel wollte das Volk sansculottes haben, und sie hatten ihre Sanscülottherrscher nach Herzensgründen. Die Haytier –«

»Ach laß, Augustin, als ob wir von diesem abscheulichen, verächtlichen Hayti nicht schon gehört hätten! Die Haytier waren keine Angelsachsen; wenn sie das gewesen wären, würde die Geschichte wohl anders lauten. Die angelsächsische Rasse ist der herrschende Stamm der Welt und ist bestimmt, es zu bleiben.«

»Nun, bei unseren Sklaven findet sich eine ziemlich starke Beimischung des angelsächsischen Blutes«, sagte Augustin. »Viele von ihnen haben nur noch so viel vom Afrikaner, daß unsere berechnete Festigkeit und Voraussicht eine Art tropischer Wärme und Leidenschaft bekommt. Wenn je die San-Domingo-Stunde schlägt, so wird angelsächsisches Blut in erster Reihe stehen. Söhne weißer Väter, in deren Adern unser ganzer Stolz brennt, werden sich nicht immer kaufen und verkaufen lassen. Sie werden aufstehen und den Stamm ihrer Mutter mit sich zum Aufstand bewegen.«

»Dummes Zeug! – Unsinn!«

»Nun, wir haben ein altes Wort, welches sagt: Wie es in den Tagen Noah war, so soll es wieder sein; sie aßen, sie tranken, sie pflanzten, sie bauten und ahnten nichts, bis die Flut kam und sie hinwegriß.«

»Im ganzen, Augustin, glaube ich, du hast das rechte Talent für einen Wanderprediger. Mach dir keine Sorge um uns! Der Besitz ist unser Recht. Wir haben die Macht. Diese Sklavenrasse«, sagte er und trat fest auf den Boden, »ist unten und soll unten bleiben! Wir haben Energie genug, selbst unser Pulver zu hüten.«

»Söhne, die wie dein Henrique erzogen sind, werden prächtige Wächter über eure Pulvermagazine abgeben«, sagte Augustin, »so voll Ruhe und Selbstbeherrschung! Das Sprichwort sagt: Wer sich nicht selbst beherrschen kann, kann auch nicht über andere herrschen.«

»Es ist da ein wunder Fleck«, sagte Alfred gedankenvoll, »leugnen läßt sich nicht, daß bei unserem System die Kinder sehr schwer zu erziehen sind. Es gibt den Leidenschaften, die in unserem Klima ohnedies schon heftig genug sind, viel zu viel Spielraum. Was macht mir der Henrique für Sorge! Der Knabe hat ein edles und warmes Herz, aber er ist ein wahrer Sprühteufel, wenn er in Aufregung kommt. Ich glaube, ich werde ihn nach dem Norden auf die Schule schicken, wo der Gehorsam mehr Mode ist und wo er sich mehr mit seinesgleichen und weniger mit Dienstboten abgibt.«

»Da das Kindererziehen die Hauptarbeit des Menschengeschlechts ist«, sagte Augustin, »so sollte ich meinen, es wäre von Wichtigkeit, wenn unser System einen nachteiligen Einfluß darauf hat.«

»Nun, auf der einen Seite«, sagte Alfred, »auf der anderen Vorteil. Die Knaben werden dadurch mannhaft und mutvoll; und selbst die Laster einer niederen Rasse tragen dazu bei, die entgegengesetzten Tugenden in ihnen zu kräftigen. Ich glaube zum Beispiel, daß Henrique ein feineres Gefühl für die Schönheit der Wahrheit hat, weil er im Lügen und Betrügen das allgemeine Merkmal der Sklaverei sieht.«

»Allerdings eine sehr christliche Ansicht von der Sache!« sagte Augustin.

»Sie ist wahr, mag sie christlich sein oder nicht; und sie ist ziemlich christlich, wie die meisten andern Sachen in der Welt«, sagte Alfred.

»Das mag sein«, sagte St. Clare.

»Na, was hilft das Reden, Augustin. Ich glaube, wir haben dieselbe Sache schon fünfhundertmal besprochen. Was meinst du zu einer Partie Trictrac?«

Die beiden Brüder gingen die Verandastufen hinauf und saßen bald an einem leichten Bambustisch vor einem Brettspiel. Wie sie ihre Steine aufsetzten, sagte Alfred:

»Das muß ich gestehen, Augustin, wenn ich so wie du dächte, würde ich etwas tun.«

»Das glaube ich wohl – du bist einer von den Leuten, die was tun! Aber was?«

»Nun, deinen Dienstboten eine höhere Stellung geben, als Beispiel«, sagte Alfred mit einem halbspöttischen Lächeln.

»Du könntest ebensogut den Berg Ätna über sie setzen und ihnen heißen, darunter aufzustehen, als mir zu heißen, ich soll meinen Dienstboten unter der ganzen auf ihnen lastenden Masse der Gesellschaft eine höhere Stellung geben. Ein einzelner kann nichts gegen die Gesamttätigkeit der Allgemeinheit ausrichten. Wenn Erziehung etwas bewirken soll, so muß sie eine Staatseinrichtung sein, oder es müssen genug darüber einig sein, um die andern mit fortzureißen.«

»Du wirfst an«, sagte Alfred, und die Brüder waren bald ganz vom Spiele in Anspruch genommen und hörten nichts mehr, bis man die Pferde unter der Veranda trampeln hörte.

»Da kommen die Kinder«, sagte Augustin und stand auf. »Sieh einmal her, Alfred! Hast du jemals etwas so Schönes gesehen?« Und es war in der Tat ein schöner Anblick. Henrique mit seiner kühnen Stirn und den dunklen glänzenden Locken und glühenden Wangen lachte fröhlich, wie er sich zu seiner schönen Cousine hinüberbeugte, während sie angeritten kamen. Sie trug ein blaues Reitkleid mit einer Mütze von derselben Farbe. Die Bewegung hatte ihre Wangen lebhafter gefärbt und hob die Wirkungen ihrer merkwürdig durchsichtigen Haut und ihres goldenen Haares noch mehr hervor.

»O Himmel! Welch blendende Schönheit«, sagte Alfred. »Meinst du nicht auch, Augustin, daß sie mit der Zeit viel Herzweh verursachen wird?«

»Gewiß, nur zu wahr – Gott weiß es, ich fürchte es!« sagte St. Clare mit einem Tone plötzlicher Bitterkeit, wie er hinuntereilte, um sie vom Pferde zu heben.

»Liebste Eva! Bist du erschöpft?« fragte er, da sie seit einiger Zeit an Husten und Schwäche litt.

»Nein, Papa«, sagte das Kind, aber ihr kurzes keuchendes Atmen beunruhigte den Vater.

»Wie konntest du so schnell reiten, liebstes Kind? Du weißt, es taugt dir nichts.«

»Ich fühlte mich so wohl, Papa, und es gefiel mir so sehr, daß ich gar nicht daran dachte.«

St. Clare trug sie in seinen Armen in die Stube und legte sie aufs Sofa.

»Henrique, du mußt Eva in acht nehmen«, sagte er. »Du darfst nicht so schnell mit ihr reiten.«

»Ich will sie unter meine Obhut nehmen«, sagte Henrique mit einem fürsorglichen Ton in seiner Stimme, nahm neben dem Sofa Platz und ergriff Evas Hand.

Eva hatte sich bald erholt. Ihr Vater und Onkel begannen wieder ihr Spiel, und die Kinder waren sich allein überlassen.

»Weißt du, Eva, daß es mir sehr leid tut, daß Papa nur zwei Tage hierbleiben will – und dann soll ich dich so lange Zeit gar nicht sehen! Wenn ich bei dir bliebe, würde ich versuchen gut zu sein und freundlich gegen Dodo. Ich habe gar nicht die Absicht, Dodo schlecht zu behandeln; aber du weißt, ich bin so hitzig von Natur. Übrigens behandle ich ihn eigentlich nicht so schlecht. Ich gebe ihm dann und wann eine Picayune, und er ist immer gut gekleidet, wie du siehst. Im ganzen glaube ich doch, daß sich Dodo ziemlich wohl befindet.«

»Was würdest du von deinem Befinden halten, wenn du niemand um dich hättest, der dich liebte?«

»Natürlich würde ich sagen, es ist schlecht.«

»Und du hast Dodo von allen Freunden, die er hatte, getrennt, und er hat nun kein Geschöpf, das ihn liebhat. Niemand kann unter solchen Verhältnissen gut sein.«

»Nun, ich kann nicht dafür, soviel ich’s verstehe. Ich kann ihm seine Mutter nicht schaffen, und ich selber kann ihn nicht lieben und ein anderer auch nicht, soviel ich weiß.«

»Warum kannst du ihn nicht lieben?« sagte Eva.

»Dodo lieben? Das wirst du doch nicht von mir verlangen! Gern haben mag ich ihn wohl, aber man hat doch seine Dienstboten nicht lieb.«

»Ich aber habe sie lieb.«

»Wie seltsam!«

»Sagt nicht die Bibel, daß wir alle Menschen lieben müssen!«

»Ach die Bibel! Gewiß steht vieles von der Art drin, aber niemand denkt daran, es zu tun, das weißt du ja Eva – niemand tut danach.«

Eva sprach nicht, sie schaute eine Weile gedankenvoll vor sich hin.

»Jedenfalls, lieber Cousin«, sagte sie, »habe den armen Dodo lieb. Und sei freundlich mit ihm um meinetwillen.«

»Um deinetwillen, liebe Cousine, könnte ich alles liebhaben, denn ich glaube wirklich, du bist das liebenswürdigste Wesen auf der Welt!« Und Henrique sprach mit einer Innigkeit, welche sein schönes Gesicht erröten machte. Eva nahm das Kompliment mit vollkommener Einfachheit auf, ohne eine Miene zu verziehen, und sagte bloß: »Es freut mich, daß du so denkst, lieber Henrique! Ich hoffe, du wirst es nicht vergessen.«

19. Kapitel


Vorboten

Zwei Tage später schieden Alfred St. Clare und Augustin voneinander; und Eva, welche sich durch die Gesellschaft ihres jungen Vetters zu Anstrengungen hatte fortreißen lassen, die über ihre Kräfte waren, wurde mit jedem Tage merklich kränker. St. Clare entschloß sich endlich, ärztliche Hilfe herbeizurufen, was er bisher immer vermieden hatte, weil es das Eingeständnis einer unwillkommenen Wahrheit war. Aber ein oder zwei Tage lang war Eva so unwohl, daß sie nicht ausgehen durfte, und der Arzt wurde gerufen.

Marie St. Clare hatte auf die allmählich abnehmende Gesundheit und Kraft des Kindes nicht acht gehabt, weil sie gerade ganz in das Studium von zwei oder drei neuen Krankheitsformen, deren Opfer sie zu sein glaubte, vertieft war. Es war Mariens erster Glaubenssatz, daß niemand so sehr als sie selbst leiden könnte; und deshalb wies sie stets mit wahrer Entrüstung jede Andeutung zurück, daß eine Person ihrer Umgebung krank sei. In einem solchen Falle war sie stets überzeugt, daß es nichts als Trägheit oder Mangel an Energie sei und daß die Leute bald den Unterschied sehen würden, wenn sie so viel gelitten hätten wie sie.

Miß Ophelia hatte mehrere Male versucht, ihre mütterlichen Besorgnisse über Eva zu erregen, aber vergebens.

»Ich sehe nicht, daß dem Kinde etwas fehlte«, sagte sie dann wohl, »sie springt herum und spielt.«

»Aber sie hat den Husten.«

»Den Husten! Sie brauchen mir nicht von einem Husten zu sprechen. Ich habe von Jugend auf den Husten gehabt. Als ich so alt wie Eva war. glaubten sie, ich hätte die Auszehrung. Eine Nacht nach der andern mußte Mammy bei mir wachen. Ach, Evas Husten hat nichts zu bedeuten!«

»Aber sie wird schwach und hat einen kurzen Atem.«

»Mein Gott, den habe ich schon seit Jahren, es ist nur ein Nervenleiden.«

»Aber sie schwitzt so des Nachts!«

»Das tue ich schon seit zehn Jahren. Sehr oft sind des Nachts meine Sachen zum Auswringen naß. An meinem Nachtanzug ist kein trockner Faden, und die Bettücher muß Mammy zum Trocknen aufhängen! So arg schwitzt doch Eva gewiß nicht!«

Miß Ophelia schwieg für jetzt. Aber nun, wo Eva wirklich und sichtbar krank war und ein Arzt gerufen wurde, machte Marie plötzlich eine neue Wendung.

Sie wisse es, sagte sie, sie habe es immer gefühlt, daß sie bestimmt sei, die unglücklichste aller Mütter zu sein. Hier liege sie in ihrem Siechtum und müsse ihr einziges, geliebtes Kind vor ihren Augen ins Grab sinken sehen! Und Marie hielt auf dieses neue Unglück gestützt, Mammy jede Nacht wach und lärmte und schalt den ganzen Tag lang mit mehr Energie als je.

»Liebe Marie, sprich doch nicht so!« sagte St. Clare. »Du mußt nicht gleich so ganz und gar verzweifeln.«

»Du kennst ein Mutterherz nicht, St. Clare! Du hast mich nie verstehen können! – Und verstehst mich auch jetzt nicht.«

»Aber sprich nur nicht, als ob gar keine Hoffnung mehr vorhanden wäre!«

»Ich kann dabei nicht so gleichgültig bleiben wie du, St. Clare. Wenn du nichts fühlst, wenn dein einziges Kind in einem so beunruhigenden Zustande ist, so ist es bei mir freilich anders. Der Schlag ist zu schwer für mich, da ich ohnehin schon zu viel zu tragen habe.«

»Es ist wahr«, sagte St. Clare, »daß Eva sehr angegriffen ist, das wußte ich immer, und daß sie über ihre Kräfte gewachsen und daß ihr Zustand kritisch ist. Aber jetzt gerade ist sie nur ermattet von dem warmen Wetter und der Aufregung des Besuchs und den Anstrengungen, die sie während der Zeit gemacht hat. Der Arzt sagt, wir könnten noch hoffen.«

»Wenn du dich freilich an der Lichtseite erfreuen kannst, so will ich dir das gern lassen; es ist eine wahre Gnade des Himmels, wenn Leute auf dieser Welt nicht zu empfindlich sind. Ich wenigstens wünschte, ich wäre es nicht – man wird dadurch so gänzlich unglücklich! Ich wollte, ich könnte so ruhig sein wie ihr übrigen.«

Und »die übrigen« hatten guten Grund, denselben Wunsch zu hegen, denn Marie machte ihr neues Leiden als Ursache und Entschuldigungsgrund aller möglichen Quälereien geltend, die sie ihrer Umgebung zufügte. Jedes einzelne Wort, das gesprochen, und jedes Ding, was getan und unterlassen wurde, war nur ein neuer Beweis, daß nur hartherzige, gefühllose Wesen sie umgaben, welche ihre besonderen Leiden nicht beachteten. Die arme Eva hörte einige von diesen Äußerungen und weinte sich ihre kleinen Äuglein fast aus vor Mitleid mit ihrer Mama und aus Schmerz, daß sie ihr soviel Beschwerde verursachte.

Nach Verlauf von ein oder zwei Wochen zeigte sich eine große Besserung in den Symptomen, und es trat eine von den verräterischen Pausen ein, mit welchen diese unerbittliche Krankheit noch am Rande des Grabes das besorgte Herz täuscht. Eva lief wieder im Garten und auf dem Balkon herum; sie spielte und lachte von neuem, und ihr Vater erklärte in seinem Entzücken, daß sie bald wieder so kräftig sein würde wie früher. Bloß Miß Ophelia und dem Arzt flößte dieser scheinbare Waffenstillstand keine Ermutigung ein. Auch noch ein anderes Herz fühlte dieselbe Gewißheit, und das war das kleine Herz Evas. Was ist das, was manchmal in der Seele so ruhig und klar spricht, daß ihre Frist auf Erden nur noch kurz sein wird? Ist es der geheime Instinkt hinsiechender Natur oder das ahnende Erzittern der Seele, wie die Unsterblichkeit nähertritt? Mag es dieses oder jenes sein, im Herzen Evas blieb das Gefühl als eine ruhige, wohltuende, prophetische Gewißheit, daß der Himmel nahe sei; so ruhig wie das Licht des Sonnenuntergangs, so wohltuend wie die glänzende Stille des Herbstes schlummerte ihr kleines Herz, nur gequält von Schmerz um diejenigen, die sie so zärtlich liebten.

Denn obgleich sie zärtlich gepflegt wurde und obgleich das Leben sich vor ihr mit jedem Reize entfaltete, den Liebe und Reichtum verschaffen können, tat es dem Kinde doch nicht leid zu sterben.

In dem Buch, welches sie und ihr einfacher alter Freund so viel zusammen lasen, hatte sie das Bild dessen, der die Kindlein zu sich kommen ließ, gesehen und in ihr junges Herz geschlossen, und wie sie es anblickte und darüber nachsann, hatte es aufgehört, ein Bild der fernen Vergangenheit zu sein und wurde zu einer lebendigen, alles umgebenden Wirklichkeit. Seine Liebe umfing ihr kindliches Herz mit mehr als sterblicher Zärtlichkeit; und zu ihm, sagte sie, ginge sie in seine neue Heimat.

Aber ihr Herz schlug mit liebender Treue für alle, welche sie zurücklassen mußte – für ihren Vater am meisten, denn Eva, obgleich sie es nie klar gedacht hatte, fühlte doch heraus, daß er mehr an ihr hing als alle anderen. Sie liebte ihre Mutter, weil sie ein so liebebedürftiges Herz hatte, und all die Sehnsucht, die sie an ihr bemerkte, hatte sie nur betrübt und in Verwunderung gesetzt, denn sie hatte das unbedingte Vertrauen eines Kindes, daß ihre Mutter nicht unrecht tun könne. Sie hatte etwas, was Eva sich nie erklären konnte, und sie glitt immer darüber auf dem Gedanken hinweg, daß sie am Ende doch Mama sei, und liebte sie auf das zärtlichste.

Sie fühlte auch für die armen getreuen Dienstboten, denen sie wie Tageslicht und Sonnenschein war. Kinder abstrahieren in der Regel nicht; aber Eva war ein ungewöhnlich frühreifes Kind, und alles, was sie von den Übeln des Systems, unter dem sie lebte, gesehen hatte, war nach und nach tief in ihr gedankenvolles, grübelndes Herz gesunken. Sie fühlte eine unbestimmte Sehnsucht, etwas für sie zu tun – nicht nur sie zu segnen und zu retten, sondern auch alle, die mit ihnen in gleicher Lage waren – eine Sehnsucht, die in einem trauervollen Gegensatz zu der Schwäche der kindlichen Hülle stand.

»Onkel Tom«, sagte sie eines Tages, als sie mit ihrem Freunde las, »ich verstehe jetzt, warum Jesus für uns sterben wollte.«

»Warum, Miß Eva?«

»Weil ich auch den Wunsch gefühlt habe.«

»Wie ist das, Miß Eva? – Ich verstehe es nicht.«

»Ich kann es dir nicht sagen; aber als ich die armen Geschöpfe auf dem Boote sah, du weißt ja, wie wir hierher fuhren, von denen einige ihre Mütter und andere ihre Gatten verloren hatten und andere um ihre Kinder weinten und als ich die Geschichte von der armen Prue hörte – ach war das nicht schrecklich? – und viele andere zu anderen Zeiten, da fühlte ich, daß ich gern sterben würde, wenn ich durch meinen Tod all diesem Elend ein Ende machen könnte. Ich würde für sie sterben, Tom, wenn ich könnte«, sagte das Kind mit innigem Ernste, indem sie ihre kleine, schmale Hand auf die seine legte.

Tom betrachtete das Kind mit Ehrfurcht, und als sie auf den Ruf ihres Vaters hinausglitt, wischte er sich die Augen viele Male, wie er ihr nachsah.

»Es nutzt nichts, wenn wir uns Mühe geben, Miß Eva hier zu behalten«, sagte er zu Mammy, der er eine Weile darauf begegnete. »Sie hat das Zeichen des Herrn auf der Stirn.«

»Ach ja, ja«, sagte Mammy und erhob die Hände, »ich habe es immer gesagt. Sie war nie wie ein Kind, das leben soll – es war immer was Tiefes in ihren Augen. Ich habe es Missis viele, viele Male gesagt; jetzt wird es wahr – wir sehen es alle – das liebe, kleine gesegnete Lamm!«

Eva kam die Verandastufen herauf zu ihrem Vater gesprungen. Es war spätnachmittags, und die Strahlen der Sonne bildeten eine Art Glorie hinter ihr, wie sie in dem weißen Kleide, mit dem goldenen Haar und den glühenden Wangen und den von der Glut des schleichenden Fiebers unnatürlich glänzenden Augen näher kam.

St. Clare hatte sie gerufen, um ihr eine Statuette zu zeigen, die er für sie gekauft hatte; aber ihre Erscheinung, wie sie ihm entgegenkam, machte auf ihn einen plötzlichen und schmerzlichen Eindruck. Es gibt eine Art Schönheit, die groß, aber zugleich so hinfällig ist, daß wir nicht einmal den Anblick derselben ertragen können. Ihr Vater schloß sie plötzlich in die Arme und vergaß fast, was er ihr hatte sagen wollen.

»Liebe Eva, du befindest dich heute besser, nicht wahr?«

»Papa«, sagte Eva mit plötzlicher Festigkeit, »ich habe seit langer Zeit dir manches zu sagen. Ich will es dir jetzt sagen, ehe ich schwächer werde.«

St. Clare zitterte, als Eva sich ihm auf den Schoß setzte, sie legte den Kopf an seine Brust und sagte:

»Es nützt nichts, Papa, es noch länger für mich behalten zu wollen. Die Zeit ist nahe, wo ich dich verlassen muß. Ich muß dich verlassen und kann nie wiederkommen!« und Eva schluchzte.

»Ach, ich bitte dich, liebes Evchen«, sagte St. Clare mit zitternder, obgleich gezwungen heiterer Stimme. »Deine Nerven sind angegriffen, und du bist in gedrückter Stimmung; du mußt dich nicht solchen düsteren Gedanken hingeben. Sieh her, ich habe dir eine Statuette gekauft!«

»Nein, Papa«, sagte Eva und schob sie sanft weg, »ich täusche dich nicht! Ich befinde mich nicht besser – ich weiß das recht gut, und ich muß euch bald verlassen. Meine Nerven sind nicht angegriffen – meine Stimmung ist nicht gedrückt. Wenn es nicht deinetwegen wäre, Papa, und wegen meiner Freunde, so würde ich mich vollkommen glücklich fühlen. Ich wünsche zu scheiden – ich sehne mich danach!«

»Aber liebes Kind, was hat dein armes Herzchen so traurig gemacht. Hat man dir nicht alles gegeben, was dich glücklich machen konnte?«

»Ich wäre aber doch lieber im Himmel – nur um meiner Freunde willen möchte ich leben. Es geschehen so viele, viele Dinge, die mich traurig machen und die mir schrecklich erscheinen. Ich möchte lieber dort sein! Aber dich möchte ich nicht verlassen, es bricht mir fast das Herz!«

»Was macht dich so traurig und was scheint dir so schrecklich, Eva?«

»Ach, Dinge, welche geschehen und beständig geschehen. Unsere armen Leute tun mir leid, sie lieben mich sehr, und sie sind alle gut und freundlich gegen mich. Ich wollte, Papa, sie wären alle frei!«

»Meinst du denn nicht, Kind, daß sie sich alle ziemlich wohl befinden?«

»Aber ach, Papa, wenn dir etwas zustoßen sollte, was würde dann aus ihnen werden? Nur sehr wenige Leute sind wie du, Papa. Onkel Alfred ist nicht wie du und Mama auch nicht; und dann denke dir nur, der Eigentümer der armen Prue! Was für gräßliche Dinge die Leute tun und tun könnten!« Und Eva schauderte.

»Liebes Kind, du bist zu gefühlvoll. Ich bedauere, daß ich dich jemals habe solche Geschichten anhören lassen.«

»Ach, das macht mir eben Unruhe, Papa. Ich soll immer ganz glücklich leben und nie einen Schmerz haben oder etwas leiden, nicht einmal eine traurige Geschichte hören, während manche arme Geschöpfe ihr ganzes Leben in Schmerz und Kummer verbringen. Das kommt mir selbstsüchtig vor. Ich sollte diese Dinge kennen – ich sollte für sie empfinden. Diese Sachen sinken mir immer tief ins Herz, und ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Papa, läßt es sich gar nicht machen, alle Sklaven freizugeben?«

»Das ist eine verwickelte Frage, liebstes Kind. Es läßt sich gar nicht bezweifeln, daß das gegenwärtige Verhältnis ein sehr schlimmes ist, und viele Leute denken so; ich bin selbst der Meinung. Ich wünsche aufrichtig, daß kein einziger Sklave im ganzen Lande wäre, aber ich weiß nicht, wie sich das bewerkstelligen ließe.«

»Papa, du bist ein so guter Mensch und so edel und liebreich, und du hast immer eine Art, die Sachen vorzustellen, die so gut klingt; könntest du nicht bei den Leuten herumgehen und den Versuch machen, sie zu überreden, hierin zu tun, was recht ist? Wenn ich tot bin, Papa, wirst du an mich denken und es meinetwillen tun. Ich täte es, wenn ich könnte.«

»Wenn du tot bist, Eva!« sagte St. Clare leidenschaftlich. »O Kind, sprich nicht so! Du bist mein alles auf Erden.«

»Der armen, alten Prue Kind war auch ihr alles; und doch mußte sie es weinen hören und konnte ihm nicht helfen! Papa, diese armen Geschöpfe lieben ihre Kinder ebenso, wie du mich liebst. Ach, tue etwas für sie! Die arme Mammy liebt ihre Kinder; ich habe sie weinen sehen, wenn sie von ihnen sprach. Und Tom liebt seine Kinder; und es ist schrecklich, daß solche Dinge beständig geschehen!«

»Mein liebes, liebes Kind«, sagte St. Clare besänftigend, »weine nur nicht und sprich nicht vom Sterben, und ich will alles tun, was du wünschest.«

»Und versprich mir, lieber Vater, daß du Tom freilassen willst, sobald ich –« und sie hielt inne, und setzte dann zögernd hinzu – »nicht mehr bin.«

»Ja, liebes Kind, ich will alles tun – alles, was du nur von mir verlangen kannst.«

»Lieber Papa«, sagte das Kind und legte seine brennende Wange an die seine, »wie sehr ich wünsche, wir könnten zusammen gehen.«

»Wohin, liebes Kind?«

»Zu unserem Erlöser; es ist so selig und friedlich bei ihm – alles voller Liebe!« Das Kind sprach nachdenklich, wie von einem Orte, wo es schon oft gewesen. »Willst du nicht mit, Papa?« sagte Eva.

St. Clare zog sie näher an sich, aber schwieg.

»Du wirst zu mir kommen«, sagte das Kind mit einem Tone ruhiger Gewißheit, den es oft unbewußt anwendete.

»Ich werde dir folgen. Ich werde dich nicht vergessen.«

Der feierliche Abend umhüllte sie tiefer und tiefer, während St. Clare schweigend dasaß und die kleine hinfällige Gestalt an seine Brust drückte. Er sah nicht mehr die tiefen Augen, aber die Stimme tönte ihm, wie eine Geisterstimme; und wie in einer Vision des Jüngsten Gerichts stieg sein ganzes vergangenes Leben in einem Augenblick vor ihm empor – die Gebete und Hymnen seiner Mutter – sein eigenes früheres Sehnen und Streben nach dem Guten; und zwischen diesem und der gegenwärtigen Stunde Jahre von Weltsinn und Zweifelsucht und was die Leute anständiges Leben nennen.

St. Clare sah und fühlte vielerlei, aber sprach nichts aus; und wie es dunkler wurde, trug er Eva in ihr Schlafzimmer; und als sie ausgekleidet war, schickte er die Dienstboten fort und wiegte sie in seinen Armen und sang sie in den Schlaf.