34. Kapitel


Der Fluchtplan

Der Dachraum von Legrees Wohnhaus war, wie fast alle Dachräume, groß, öde, staubig, mit Spinnweben überzogen und mit altem Gerümpel angefüllt. Die reiche Familie, welche das Haus in den Tagen seines Glanzes bewohnte, hatte sehr viel prächtige Möbel kommen lassen, die sie zum Teil mit fortgenommen hatte, während einzelne Stücke in modrigen unbewohnten Zimmern verlassen zurückblieben oder in diesem Raume aufgespeichert wurden. Eine oder zwei große Kisten, in welchen die Möbel eingepackt gewesen, lehnten an der Wand. In derselben bemerkte man ein kleines Fenster, welches durch seine trüben bestaubten Scheiben ein dürftiges, ungewisses Licht auf die hohen Lehnstühle und staubbedeckten Tische, die dereinst bessere Tage gesehen hatten, fallen ließ. Im ganzen war es ein unheimlicher und spukhafter Ort; aber so spukhaft er war, fehlte es unter den abergläubischen Negern nicht an Geschichten, um seine Schrecken noch zu vermehren. Vor einigen Jahren war eine Negerin, die sich Legrees Unzufriedenheit zugezogen hatte, dort mehrere Wochen eingesperrt gewesen. Was dort geschah, sagen wir nicht, die Neger flüsterten sich unbestimmte, grauenhafte Gerüchte darüber zu; aber soviel wußte man, daß man den Leichnam der Unglücklichen eines Tages herunterholte und begrub; und darauf, hieß es, ertönten Flüche und Verwünschungen und das Klatschen heftiger Hiebe durch die alte Dachkammer und vermischten sich mit dem Stöhnen und Jammern der Verzweiflung. Als Legree zufällig einmal etwas davon anhörte, geriet er in den heftigsten Zorn und schwor, dem nächsten, der Geschichten von diesem Dachraum erzählte, Gelegenheit zu geben, zu erfahren, was darin sei, denn er wolle ihn eine Woche lang dort anschließen lassen. Dieser Wink genügte, um alle im Reden behutsam zu machen, obgleich er nicht im mindesten den Glauben an die Wahrheit der Geschichten erschütterte. Allmählich gewöhnte sich jeder im Hause, weil sich jeder davon zu sprechen scheute, die nach dem Dachraum führende Treppe zu vermeiden, und die Sage wurde allmählich vergessen. Jetzt war Cassy auf einmal eingefallen, Legrees so große abergläubische Reizbarkeit zu ihrer und ihrer Leidensgefährtin Befreiung zu benutzen.

Das Schlafzimmer Cassys lag gerade unter dem Dachraume. Eines Tages begann sie auf einmal, ohne mit Legree zu Rate zu gehen, mit großer Ostentation alles Möblement des Zimmers nach einem andern, ziemlich weit entlegenen auszuräumen. Die Sklaven, welche sie dazu hatte kommen lassen, liefen mit großem Eifer und in großer Verwirrung hin und her, als Legree von einem Ausritt zurückkehrte.

»Hallo! Hallo, Cassy!« sagte Legree. »Was gibt’s denn da?«

»Nichts, ich will nur ein anderes Zimmer haben«, sagte Cassy mürrisch.

»Und weshalb, möchte ich wissen?« sagte Legree.

»Nun, ich will«, sagte Cassy.

»Zum Teufel auch! Und weshalb?«

»Weil ich doch wenigstens dann und wann ein bißchen schlafen möchte.«

»Schlafen? Nun, was hindert dich am Schlafen?«

»Ich könnte es dir wahrscheinlich sagen, wenn du es hören wolltest«, sagte Cassy trocken.

»Heraus mit der Sprache, Dirne!« sagte Legree.

»Ach, es ist nichts. Dich wird es wahrscheinlich nicht stören – es ist nur Gestöhn und ein Lärm, als ob sich Leute balgten und auf dem Fußboden im Dachraum herumwälzten. Die halbe Nacht hindurch, von zwölf Uhr bis morgens früh.«

»Leute oben im Dachraume«, sagte Legree unruhig, aber mit einem gezwungenen Lachen, »wer sollten die sein, Cassy?«

Cassy erhob ihre stechenden schwarzen Augen und blickte Legree mit einem Ausdruck an, der ihn bis auf die Knochen durchzuckte, wie sie sagte:

»Gewiß, Simon, wer sollte das sein? Ich wollte, du könntest es mir sagen. Du weißt es aber wahrscheinlich nicht!«

Mit einem Fluche schlug Legree mit der Reitpeische nach ihr; aber sie trat zur Seite, schlüpfte durch die Tür, blickte zurück und sagte: »Wenn du in dem Zimmer schlafen willst, so wirst du alles erfahren. Es wäre vielleicht das Beste, du versuchtest es«, und dann machte sie sogleich die Tür zu und verschloß sie.

Legree lärmte und fluchte und drohte, die Tür einzuschlagen; aber zugleich schien er anderen Sinns zu werden und trat voller Unruhe in das Wohnzimmer. Cassy bemerkte, daß ihr Pfeil getroffen hatte; und von dieser Stunde an hörte sie nie auf, mit der ausnehmendsten Gewandtheit das glücklich begonnene System von Einschüchterung fortzusetzen.

In einem Astloch in dem Gebälk der Dachkammer hatte sie den Hals einer alten Flasche so angebracht, daß man bei dem schwächsten Winde die kläglichsten und unheimlichsten Jammertöne vernahm, während bei starkem Winde ein schrecklicher Wehschrei daraus wurde, der leichtgläubigen und abergläubischen Ohren wie ein Schrei des Entsetzens und der Verzweiflung vorkam.

Die Dienstboten vernahmen von Zeit zu Zeit diese Klänge, und alsbald frischte sich die Erinnerung an die alte Gespenstergeschichte mit voller Kraft wieder auf. Ein abergläubischer Schreckensschauer schien das ganze Haus zu erfüllen; und obgleich niemand ein Wort davon gegen Legree zu äußern wagte, fand er sich doch davon, wie von einer Atmosphäre umfangen.

Niemand ist so vollständig abergläubisch, wie der Gottlose. Der Christ fühlt sich durch den Glauben an einen weisen allmächtigen Vater beruhigt, dessen Gegenwart die unbekannte Leere mit Licht und Ordnung ausfüllt; aber für den Menschen, der Gott entthront hat, ist das Land der Geister in der Tat nach den Worten des hebräischen Sängers »ein Land der Finsternis und ein Schatten des Todes, ohne alle Ordnung, wo das Licht ist wie die Nacht«. Das Leben und der Tod sind ihm unheimliche Regionen, die mit Koboldsgestalten von unbestimmtem und schattenhaftem Grausen erfüllt sind.

Das schlummernde sittliche Gefühl in Legree war in ihm durch seine Gespräche mit Tom geweckt worden – nur um von der entschlossenen Kraft des Bösen niedergekämpft zu werden; aber doch klang noch in der dunklen, innerlichen Welt eine bebende Erschütterung nach, welche die Entstehung abergläubischer Furcht beförderte. Cassys Herrschaft über ihn war von einer seltsamen und eigentümlichen Art. Er war ihr Besitzer, ihr Tyrann und ihr Peiniger; sie war, wie er wußte, ganz und ohne jede Möglichkeit der Hilfe in seiner Gewalt; und dennoch kommt es vor, daß selbst der roheste Mann nicht in beständiger Gesellschaft eines starken weiblichen Charakters leben kann, ohne von ihm bedeutend beeinflußt zu werden. Als er sie zuerst gekauft hatte, war sie, wie sie erzählt hatte, ein in Luxus und Bildung erzogenes Weib; und dann zertrat er sie ohne Besinnen unter dem Fuße seiner Roheit. Aber wie die Zeit und entwürdigende Einflüsse und Verzweiflung ihren weiblichen Sinn verhärteten und die Flammen wilderer Leidenschaften anschürten, war sie gewissermaßen seine Herrin geworden, und er tyrannisierte und fürchtete sie abwechselnd. Dieser Einfluß war noch peinigender und entschiedener geworden, seit halber Wahnwitz allen ihren Worten und ihrem Tun einen seltsamen unheimlichen Anstrich gab.

Ein oder zwei Abende nach diesem Gespräch saß Legree in dem gewöhnlichen Zimmer neben einem flackernden Holzfeuer, welches die ganze Umgebung mit ungewissem Schimmer beleuchtete. Es war eine stürmische Nacht, wo in halb verfallenen alten Häusern gewöhnlich eine Unzahl von unbeschreiblichen Tönen zu vernehmen ist. Fenster rasselten, Läden klapperten, der Wind kam polternd die Esse herabgefahren und wirbelte allemal rauchend Asche empor, als ob eine Legion Gespenster hinter ihm drein kämen. Legree hatte seit einigen Stunden Rechnungen abgeschlossen und Zeitungen gelesen, während Cassy in einem Winkel saß und mürrisch ins Feuer blickte. Legree legte die Zeitung hin, und da er auf dem Tische ein altes Buch liegen sah, in welchem Cassy während der früheren Abendstunden gelesen hatte, so nahm er es und blätterte darin. Es war eine von jenen Sammlungen von Mord- und Gespenstergeschichten, die in ihrer grobrealistischen Darstellung eine seltsame Anziehungskraft auf den ausübten, der sie einmal zu lesen anfängt.

Legree schüttelte zweifelnd und höhnisch den Kopf, las aber eine Seite nach der andern, bis er nach einer Weile das Buch mit einem Fluche hinwarf.

»Du glaubst doch nicht an Gespenster, Cassy?« sagte er, indem er die Zange ergriff und das Feuer schürte. »Ich dachte, du hättest Verstand genug, dich nicht von leerem Gelärm einschüchtern zu lassen.«

»’s ist einerlei, was ich glaube«, sagte Cassy mürrisch.

»Früher versuchten sie mich immer auf dem Meere mit ihren Geschichten zu fürchten zu machen«, sagte Legree, »’s ist ihnen nie gelungen. Ich bin zu zähe für solch dummes Zeug, sage ich dir.« Cassy sah ihn aus ihrem dunklen Winkel scharf an. In ihrem Auge funkelte das seltsame Licht, welches Legree stets mit Unruhe erfüllte.

»Der Lärm war von weiter nichts, als von Ratten und vom Winde«, sagte Legree. »Ratten können einen Höllenlärm machen. Ich habe sie manchmal unten im Schiffsraume gehört; und der Wind – Teufel! aus dem Winde kann man alles machen.«

Cassy wußte, daß Legree von ihrem Blick unruhig wurde, und deshalb antwortete sie nicht, sondern starrte ihn mit demselben seltsamen unheimlichen Ausdruck wie vorher an.

»Heraus mit der Sprache, Weib – du bist anderer Meinung?« sagte Legree.

»Können Ratten die Treppe herunterkommen und durch den Gang schreiten und eine Türe öffnen, wenn du sie verschlossen und einen Stuhl dagegengestellt hast?« sagte Cassy. »Und können sie trapp, trapp, trapp, gerade auf dein Bett losschreiten und ihre Hand ausstrecken, so?« Cassy hatte ihre glitzernden Augen starr auf Legree geheftet, während sie sprach, und er stierte sie an, wie ein Mann, den ein böser Traum gefangenhält, bis er, wie sie zuletzt ihre ruhig kalte Hand auf die seine legte, mit einem Fluche zurücksprang.

»Weib, was meinst du, hast du das gesehen?«

»O nein – natürlich nicht – hätte ich das gesagt?« sagte Cassy mit kaltem Hohnlächeln.

»Aber hast du es wirklich gesehen? Sage, Cassy, was war’s eigentlich sprich dich aus!«

»Du kannst selbst dort schlafen«, sagte Cassy, »wenn du’s wissen willst.«

»Kam es aus dem Dachraume, Cassy?«

»Es – was?« sagte Cassy.

»Nun, was du erzähltest.«

»Ich habe dir nichts erzählt«, sagte Cassy mit mürrischer Verstocktheit. Legree ging unruhig im Zimmer auf und ab.

»Das muß untersucht werden. Heute abend noch werde ich nachsehen. Ich nehme meine Pistolen –«

»Tu das«, sagte Cassy, »schlafe in dem Zimmer. Ich möchte wirklich, du tätest es. Schieß mit deinen Pistolen danach – tue es!« Legree stampfte mit dem Fuße und fluchte fürchterlich.

»Fluche nicht«, sagte Cassy. »Niemand kann wissen, wer dich hört. Horch! Was war das?«

»Was?« sagte Legree aufschreckend.

Eine schwere alte Wanduhr, die in einer Ecke des Zimmers stand, schlug langsam zwölf.

Aus einem oder dem anderen Grunde konnte Legree weder sprechen noch sich regen, ein dumpfes Entsetzen hielt ihn gefangen, während Cassy ihn mit einem stechenden, höhnischen Glanz im Auge ansah und die Schläge zählte.

»Zwölf Uhr, jetzt wollen wir sehen«, sagte sie, indem sie sich umdrehte und die auf den Gang führende Tür öffnete und stehenblieb, wie um zu lauschen.

»Horch! Was ist das?« sagte sie und erhob den Finger.

»Es ist bloß der Wind«, sagte Legree. »Hörst du nicht, wie verwünscht es draußen stürmt.«

»Simon, komm hierher«, sagte Cassy flüsternd, indem sie seine Hand ergriff und ihn an den Fuß der Treppe führte. »Weißt du, was das ist? Horch!«

Ein wilder Schrei gellte die Treppe herunter. Er kam aus dem Dachraum. Legree wankten die Knie, sein Gesicht wurde weiß vor Furcht.

»Willst du nicht deine Pistolen holen?« sagte Cassy mit einem Hohnlächeln. »Es ist Zeit, daß wir die Sache untersuchen, das ist gewiß. Ich wollte, du gingest jetzt hinauf, sie sind dabei.«

»Ich gehe nicht«, sagte Legree mit einem Fluche.

»Warum nicht? Wir wissen ja, es gibt keine Gespenster! Komm!« Und Cassy sprang lachend die gewundene Treppe hinauf und sah sich nach ihm um. »Komm mit!«

»Ich glaube, du bist wirklich der Teufel«, sagte Legree. »Komm herunter, du Hexe – komm herunter, Cassy! Du sollst nicht hinaufgehen!«

Aber Cassy lachte wild auf und flog vollends hinauf. Er hörte sie die Tür des Dachraums aufmachen. Ein heftiger Windstoß fuhr herunter und löschte das Licht aus, welches er in der Hand hielt, und zugleich erscholl ein entsetzliches, gespenstisches Gekreisch; es war ihm, als ob es ihm unmittelbar ins Ohr gellte.

Wie wahnwitzig stürzte Legree ins Zimmer zurück, wohin ihm in wenigen Augenblicken Cassy folgte, bleich, ruhig, kalt, wie ein Racheengel und mit dem alten grauenerregenden Funkeln in dem Auge.

»Ich hoffe, du bist zufrieden gestellt«, sagte sie.

»Verwünscht seist du, Cassy!« sagte Legree.

»Weshalb?« sagte Cassy. »Ich bin nur hinaufgegangen und habe die Tür zugemacht. Was mag es wohl mit diesem Dachraume für ein Bewenden haben, Simon?« sagte sie.

»Das geht dich nichts an!« sagte Legree.

»Wirklich nicht? Nun, jedenfalls freut es mich, daß ich nicht darunter schlafe!« sagte Cassy.

Als Cassy sah, daß der Abend stürmisch werden würde, war sie oben im Dachraume gewesen und hatte die Fenster geöffnet. Natürlich mußte nun, wie sie die Tür aufmachte, ein heftiger Zug entstehen und das Licht auslöschen.

Das mag als eine Probe des Spiels dienen, welches Cassy Legree vorgaukelte, bis er lieber seinen Kopf in eines Löwen Rachen gesteckt hätte, als in diesen Dachraum. Unterdessen brachte Cassy nachts, wenn alle übrigen schliefen, langsam und vorsichtig einen für längere Zeit ausreichenden Vorrat Lebensmittel zusammen. Sie trug auch Stück für Stück den größten Teil von ihrer und Emmelines Garderobe hinauf. Als alles soweit fertig war, wartete sie nur noch auf eine geeignete Gelegenheit, um ihren Plan auszuführen.

In einer gutgelaunten Stunde hatte Cassy Legree das Versprechen abgeschmeichelt, sie mit nach der nächsten Stadt zu nehmen, die unmittelbar am Red River lag. Er hielt sein Versprechen, und sie merkte sich mit einem zu fast übernatürlicher Klarheit geschärften Gedächtnis jede Wendung des Weges und schätzte bei sich die Zeit ab, die sie auf die Zurücklegung desselben werde verwenden müssen.

Mittlerweile war die Zeit gekommen, wo alles zur Tat reif war, und unseren Lesern wird es vielleicht nicht uninteressant sein, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um den letzten Meisterstreich vorbereiten zu sehen.

Es war gegen Abend.

Legree hatte einen Ritt auf eine benachbarte Farm gemacht. Seit vielen Tagen hatte sich Cassy ungewöhnlich gnädig und nachgiebig in ihren Launen gezeigt, und sie und Legree hatten allem Anschein nach auf dem besten Fuße miteinander gestanden. Jetzt finden wir sie und Emmeline in dem Zimmer der letzteren mit dem Zusammensuchen und Packen zweier Bündel beschäftigt.

»So, das wird genug sein«, sagte Cassy. »Jetzt setz deinen Hut auf und laß uns aufbrechen: Es ist jetzt gerade die rechte Zeit.«

»Aber sie können uns ja noch sehen«, sagte Emmeline.

»Das sollen sie ja«, sagte Cassy ruhig. »Siehst du nicht, daß wir ihnen jedenfalls das Vergnügen lassen müssen, uns zu verfolgen? Wir machen es so: Wir stehlen uns zur Hintertür hinaus und laufen nach den Baracken zu. Sambo oder Quimbo sieht uns gewiß. Sie verfolgen uns, und wir flüchten in den Sumpf; dann können sie uns nicht weiterverfolgen, sondern müssen erst nach dem Hause zurück und Lärm machen und die Hunde losketten usw.; und während sie herumlärmen und übereinanderstolpern, wie sie es immer machen, schleichen wir uns in den Bach, der hinter dem Hause läuft, und waten in ihm fort, bis wir der Hintertür gegenüber kommen. Dadurch werden die Hunde irre, denn sie verlieren die Spur im Wasser. Alles wird aus dem Hause fortlaufen, um uns zu suchen, und dann schlüpfen wir zur Hintertür herein und hinauf in den Dachraum, wo ich in einer der großen Kisten ein hübsches Bett zurechtgemacht habe. In dem Dachraume müssen wir eine ziemliche Zeit bleiben, denn ich sage dir, er wird Himmel und Erde aufbieten, uns zu fangen. Er wird ein paar von den alten Sklavenaufsehern von den anderen Plantagen kommen lassen und eine große Jagd anstellen; und sie werden keinen Zollbreit von diesem Sumpfe undurchsucht lassen. Er prahlt damit, daß ihm noch kein Sklave entflohen ist. So mag er denn suchen, solange es ihm gefällt.«

»Cassy, wie gut du dir alles ausgedacht hast!« sagte Emmeline. »Wer anders als du hätte jemals darauf kommen können?«

Weder Freude noch Frohlocken zeigte sich in Cassys Augen – nur eine verzweiflungsvolle Entschlossenheit.

»Komm«, sagte sie und reichte Emmeline die Hand.

Die beiden Flüchtlinge schlüpften geräuschlos aus dem Hause und eilten durch die dichter werdenden Schatten des Abends die Baracken entlang. Der zunehmende Mond am westlichen Himmel verzögerte ein wenig den Eintritt der Nacht. Wie Cassy erwartete, hörten sie, als sie den Rand der die Plantage umgebenden Sümpfe fast erreicht hatten, eine Stimme hinter sich halt rufen. Es war jedoch nicht Sambo, sondern Legree, der sie mit heftigen Verwünschungen verfolgte. Der Ton machte den schwächeren Charakter Emmelines wanken.

Sie ergriff Cassy beim Arme und sagte:

»O Cassy, ich werde ohnmächtig!«

»Dann mußt du sterben!« sagte Cassy, indem sie ein kleines Stilett hervorzog und es vor den Augen des Mädchens funkeln ließ.

Die Drohung erfüllte ihren Zweck. Emmeline fiel nicht in Ohnmacht, sondern stürzte sich mit Cassy in einen Teil des Sumpflabyrinths, welcher so tief und dunkel war, daß Legree jede Hoffnung aufgeben mußte, ihnen ohne weiteren Beistand zu folgen.

»Na, jedenfalls sind sie jetzt in die Falle gelaufen – die Bälger!« sagte er und lachte brutal in sich hinein. »Jetzt haben wir sie sicher. Sie sollen mir dafür schwitzen!«

»Heda, Sambo! Quimbo! Alles zuhauf!« rief Legree vor den Baracken, wo die Männer und Frauen eben von der Arbeit kamen. »Es sind zwei Flüchtlinge im Sumpf. Jeder Nigger, der sie fängt, kriegt fünf Dollar. Laßt die Hunde los! Laßt Tiger und Fury und die übrigen los!«

Die Aufregung, welche diese Nachricht auf der Stelle hervorbrachte, war groß. Viele kamen diensteifrig gesprungen, um ihre Hilfe anzubieten, teils von der Aussicht auf die Belohnung, teils von der kriechenden Dienstwilligkeit bewogen, welche eine der schädlichsten Folgen der Sklaverei ist. Einige rannten dorthin, andere dahin. Einige wollten Fackeln von Fichtenästen holen. Andere ketteten die Hunde los, deren heiseres wildes Gebell die Lebendigkeit der Szene nicht wenig vermehrte.

»Master, sollen wir sie schießen, wenn wir sie nicht haschen können?« sagte Sambo, dem sein Herr eine Büchse herausbrachte.

»Auf Cassy könnt ihr schießen, wenn ihr Lust habt. Es ist Zeit, daß sie zum Teufel geht, wohin sie gehört; aber auf das Mädchen nicht«, sagte Legree. »Und jetzt, Burschen, seid munter und flink. Fünf Dollar demjenigen, der sie hascht, und außerdem ein Glas Branntwein für jeden von euch!«

Die ganze Schar eilte unter dem Schimmer flammender Fackeln und Geheul und wildem Gebrüll von Menschen und Tieren nach dem Sumpfe, und eine Strecke liefen alle im Hause Beschäftigten dem Haufen nach. Deshalb war das ganze Haus verlassen, als Cassy und Emmeline zur Hintertür hereinschlüpften. Das Geschrei und Gebrüll ihrer Verfolger schallte noch durch die Luft; und aus den Fenstern des Wohnzimmers konnten Cassy und Emmeline sehen, wie sich der Haufe mit den Fackeln eben am Rande des Sumpfes entlang ausbreitete.

»Sieh!« sagte Emmeline zu Cassy. »Die Jagd hat angefangen. Sieh, wie die Lichter herumtanzen! Horch, die Hunde, horch! Hörst du nicht? Wenn wir dort wären, wäre unser Leben keine Picayune wert. O, um Gottes willen, wir wollen uns verstecken. Rasch!«

»Wir haben keine Veranlassung zu eilen«, sagte Cassy kaltblütig. »Sie sind alle der Jagd nachgelaufen – das ist der Spaß des heutigen Abends! Wir werden seinerzeit schon hinaufgehen. Unterdessen will ich für die Reisekosten sorgen«, sagte sie und holte ruhig einen Schlüssel aus der Tasche des Rocks, den Legree in der Eile hingeworfen hatte.

Sie schloß den Schreibtisch auf und nahm einen Packen Banknoten heraus, den sie rasch überzählte.

»Ach, tu das doch nicht«, sagte Emmeline.

»Warum nicht?« sagte Cassy. »Willst du, daß wir in den Sümpfen verhungern sollen oder Geld genug haben, um die freien Staaten erreichen zu können? Mit Geld kann man alles ausrichten, Mädchen.« Und mit diesen Worten steckte sie das Geld in ihren Busen.

»Das ist aber gestohlen«, flüsterte Emmeline fast weinend.

»Gestohlen?« sagte Cassy mit höhnischem Lachen. »Die, welche Leib und Seele stehlen, sollen uns nicht damit kommen. Jede dieser Banknoten ist gestohlen – gestohlen von armen, verhungernden, geplagten Geschöpfen, die zuletzt zu seinem Nutzen zum Teufel gehen müssen. Er soll mir vom Stehlen sprechen! Aber wir können ebensogut hinaufgehen; ich habe einen Vorrat Lichter und einige Bücher, um uns die Zeit zu vertreiben. Ich bin ziemlich sicher, daß sie uns dort nicht suchen werden. Wenn sie’s tun, so will ich ihnen schon ein Gespenst zeigen.«

Als Emmeline in den Dachraum trat, fand sie eine große Kiste, in der früher verschiedene schwere Möbel eingepackt gewesen, die aber jetzt auf die eine Seite gestellt war, so daß die offene Seite nach der Mauer oder vielmehr der Dachrinne zugekehrt stand.

Cassy zündete eine kleine Lampe an, und nun krochen sie unter der Dachrinne herum und nahmen in der Kiste Platz. Ein paar kleine Matratzen und einige Kissen lagen darin; ein Kasten in der Nähe enthielt reichlichen Vorrat von Lichtern, Lebensmitteln und den zu ihrer Reise nötigen Kleidungsstücken, die Cassy in Bündel von merkwürdig kleinem Umfang zusammengeschnürt hatte.

»Da«, sagte Cassy, wie sie die Lampe an einen kleinen Haken hing, den sie zu diesem Zweck in die Seitenwand der Kiste geschlagen hatte, »das ist für jetzt unsere Wohnung. Wie gefällt sie dir?«

»Bist du sicher, daß sie uns nicht im Dachraume suchen?«

»Ich möchte Simon Legree hier sehen«, sagte Cassy. »Nein, sie kommen gewiß nicht. Er wird zu froh sein, wegbleiben zu können. Was die Dienstboten betrifft, so würde sich jeder von ihnen lieber erschießen lassen, als daß er hier hereinguckte.«

Einigermaßen beruhigt, setzte sich Emmeline wieder auf ihr Kissen.

»Was meintest du, Cassy, als du sagtest, du wolltest mich töten?« sagte sie voll Einfalt.

»Ich wollte dich abhalten, in Ohnmacht zu fallen«, sagte Cassy, »und es gelang auch. Und jetzt sage ich dir, Emmeline, du mußt dich entschließen, nicht ohnmächtig zu werden, was auch kommen mag. Das ist ganz und gar nicht nötig. Wenn ich dich nicht abgehalten hätte, wärst du jetzt in der Gewalt dieses Elenden.«

Emmeline überlief ein Schauer.

Einige Zeitlang saßen die beiden schweigend nebeneinander. Cassy las in einem französischen Buche; Emmeline sank von der Erschöpfung überwältigt, in einen Halbschlummer und schlief einige Zeit. Lautes Rufen und Schreien, Pferdegetrappel und Hundegebell weckte sie.

Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie auf.

»Die Jäger sind wieder zurück – weiter ist’s nichts«, sagte Cassy ruhig. »Fürchte dich nicht. Sieh zu diesem Astloch hinaus. Siehst du sie alle unten? Simon muß es für diese Nacht sein lassen. Schau nur, wie schmutzig sein Pferd ist vom Herumwaten im Sumpfe; die Hunde sehen auch etwas demütig aus. Ja, mein lieber Mann, Ihr werdet die Jagd noch manchmal versuchen müssen – das Wild ist nicht da.«

»Ach, sprich doch nicht!« sagte Emmeline. »Wenn sie dich hören.«

»Wenn sie etwas hören, so werden sie sich ganz besonders in acht nehmen, nicht hierherzukommen«, sagte Cassy. »Dabei ist keine Gefahr, wir können so viel Lärm machen, wie wir wollen – wir vergrößern nur den Effekt damit.«

Endlich herrschte mitternächtliche Stille über dem ganzen Hause. Sein Unglück verwünschend und grimmige Rache für den nächsten Tag schwörend, ging Legree zu Bett.

35. Kapitel


Der Märtyrer

Die Flucht Cassys und Emmelines reizten das schon vorher erbitterte Gemüt Legrees bis auf den höchsten Grad auf, und seine Wut traf, wie zu erwarten war, das schutzlose Haupt Toms. Als er in seiner Eile seinen Leuten die Nachricht ankündigte, war in Toms Auge ein plötzliches Aufleuchten und ein rasches Emporheben der Hände gen Himmel zu bemerken gewesen, das ihm nicht entgangen war. Er sah, daß er sich nicht unter die Verfolger mischte. Anfangs wollte er ihn dazu zwingen, aber da er aus alter Erfahrung seine Unbeugsamkeit kannte, wenn man ihm befahl, an einer unmenschlichen Tat teilzunehmen, so wollte er sich in seiner Eile nicht durch einen Streit mit ihm aufhalten.

Daher blieb Tom mit ein paar andern, die von ihm beten gelernt hatten, zurück und schickte Gebete für das glückliche Entkommen der Flüchtlinge zum Himmel empor.

Als Legree mißvergnügt über die vergebliche Jagd zurückkehrte, fing der lang gesammelte Haß seiner Seele gegen seinen Sklaven sich zu einem vernichtenden Sturme zu sammeln an. Hatte ihm nicht dieser Mann getrotzt – standhaft, kraftvoll und unwiderstehlich, seitdem er ihn gekauft hatte? War nicht ein Geist in ihm, der, so stumm er war, in ihm wie die Gluten der Verdammnis brannte?

»Ich hasse ihn!« sagte Legree, wie er sich in dieser Nacht im Bette in die Höhe setzte. »Ich hasse ihn. Und ist er nicht mein Eigentum? Kann ich nicht mit ihm machen, was mir gefällt? Wer soll mich daran hindern, möchte ich wissen!« Und Legree ballte die Faust und schüttelte sie, als hätte er etwas in den Händen, was er in Stücke zerreißen könnte.

Aber dann war Tom ein getreuer, wertvoller Diener; und obgleich ihn Legree deshalb um so mehr haßte, so legte ihm doch diese Rücksicht wenigstens einigermaßen einen Zaum an.

Den nächsten Morgen beschloß er, noch nichts zu sagen; eine Jagdgesellschaft aus einigen benachbarten Plantagen mit Hunden und Flinten zu versammeln; den Sumpf zu umstellen, und die Jagd systematisch zu betreiben. Wenn sie Erfolg hatte, dann war die Sache gut, wenn nicht, so wollte er Tom vor sich laden, und – er knirschte die Zähne zusammen, und sein Blut kochte in ihm – dann wollte er den Trotz dieses Burschen brechen, oder – er flüsterte sich innerlich ein grausenhaftes Wort zu, dem seine Seele beistimmte.

Man liest oft, daß das Interesse des Herrn ein genügender Schutz für den Sklaven sei. Der Mensch verkauft in der Wut seines wahnsinnigen Willens wissentlich und mit offenem Auge, um sein Ziel zu erreichen, seine eigene Seele dem Teufel; und wird er mit seines Nachbars Leib sorglicher umgehen?

»Ha«, sagte Cassy am nächsten Tag in der Dachkammer, wie sie durch das Astloch rekognoszierte. »Die Jagd soll heute von neuem beginnen!«

Drei oder vier Reiter galoppierten vor dem Hause herum; und ein oder zwei Koppel fremder Hunde zerrten sich mit den Negern, welche sie hielten, herum und bellten und knurrten einander an.

Zwei von den Männern sind Aufseher von benachbarten Plantagen; andere gehörten zu Legrees Zechgesellen aus der Schenke einer benachbarten Stadt und waren bloß zur Befriedigung ihrer Jagdlust hergekommen. Eine Sammlung von konfiszierteren Gesichtern konnte man sich vielleicht nicht denken. Legree schenkte ihnen fleißig Branntwein ein, wie auch den Negern, die von den verschiedenen Plantagen zur Jagd hergeschickt worden waren, denn es war Maxime, jeden Dienst dieser Art für die Neger soviel als möglich zu einem Feiertage zu machen.

Cassy legte das Ohr an das Astloch; und da der Morgenwind gerade auf das Haus zuwehte, konnte sie ziemlich viel von der Unterhaltung belauschen. Ein düsteres Lächeln des Hohns überzog den finsteren, strengen Ernst ihres Gesichts, wie sie horchte und vernahm, wie sie die Striche verteilten, die Vorzüge der Hunde besprachen und Befehle wegen des Schießens und der Behandlung der Flüchtlinge, wenn sie eingefangen würden, gaben.

Cassy zog sich zurück und sagte, indem sie die Hände zusammenschlug und gen Himmel blickte: »O großer, allmächtiger Gott! Wir sind alle Sünder; aber was haben wir getan, mehr als alle übrigen auf der Welt, daß man uns so behandelt?«

Ein schrecklicher Ernst lag auf ihrem Gesichte und in ihrer Stimme, wie sie sprach.

»Wenn es nicht deinetwegen wäre, Kind«, sagte sie mit einem Blick auf Emmeline, »so ginge ich hinaus zu ihnen, und ich würde dem von ihnen danken, der mich niederschösse, denn was nützt mir die Freiheit? Kann sie mir meine Kinder zurückgeben oder mich wieder zu dem machen, was ich früher war?«

In ihrer kindischen Einfalt fürchtete sich Emmeline etwas vor den melancholischen Anfällen Cassys. Sie sah betroffen aus, aber gab keine Antwort. Sie ergriff nur ihre Hand mit einer sanften liebkosenden Bewegung.

»Nein, tu das nicht!« sagte Cassy und versuchte ihr die Hand zu entziehen. »Du gewöhnst mich daran, dich zu lieben, und ich will nie wieder etwas auf Erden lieben!«

»Arme Cassy!« sagte Emmeline. »Sprich nicht so! Wenn der Herr uns die Freiheit schenkt, wird er dir vielleicht auch deine Tochter zurückgeben; jedenfalls werde ich dir eine Tochter sein – ich weiß, ich werde meine arme alte Mutter nie wieder sehen! Ich werde dich lieben, Cassy, magst du mich lieben oder nicht.«

Das sanfte, kindliche Gemüt siegte. Cassy setzte sich neben sie, umschlang sie mit ihrem Arme, streichelte ihr weiches, braunes Haar; und Emmeline sah dann verwundert die Schönheit ihrer herrlichen Augen, die jetzt von dem sanfteren Glänze der Tränen leuchteten.

»O Emmeline!« sagte Cassy. »Ich habe für meine Kinder gehungert und gedurstet, und meine Augen verdunkeln sich vor Sehnsucht nach ihnen! Hier! Hier!« und sie schlug sich auf die Brust. »Hier ist alles wüst und leer! Wenn Gott mir meine Kinder zurückgäbe, dann könnte ich beten.«

»Du mußt auf ihn vertrauen, Cassy«, sagte Emmeline, »er ist unser Vater!«

»Sein Zorn lastet auf uns«, sagte Cassy, »er hat sich im Grimm von uns weggewendet.«

»Nein, Cassy! Er wird es gut mit uns machen! Wir wollen auf ihn hoffen«, sagte Emmeline. »Ich habe immer Hoffnung gehabt!«

Die Jagd war lang, lebhaft und gründlich, aber erfolglos; und mit ernstem, ironischem Frohlocken blickte Cassy auf Legree herab, als er müde und übel gelaunt vom Pferde stieg.

»Quimbo«, sagte Legree, wie er sich im Wohnzimmer hinstreckte, »jetzt gehst du auf der Stelle hin und holst den Tom her! Der alte Höllenbraten ist in die ganze Sache eingeweiht; und ich will’s aus seinem alten, schwarzen Fell heraushaben, oder er soll mir büßen.«

Sambo und Quimbo waren beide, obgleich sie einander haßten, darin eines Sinnes, daß sie Tom nicht minder aufrichtig haßten. Legree hatte ihnen erzählt, daß er ihn anfangs zu einem Oberaufseher während seiner Abwesenheit bestimmt habe; und das hatte in sie einen Keim des Hasses gelegt, der in ihrer niedrigen und schlechten Seele gewachsen war, wie sie bemerkten, daß der Herr immer schlimmer gegen ihn gesinnt wurde. Quimbo eilte daher bereitwillig fort, um den Befehl auszuführen.

Tom hörte die Botschaft mit ahnendem Herzen. Aber er kannte den ganzen Plan der Flüchtlinge, und wo sie jetzt versteckt waren. Er kannte den schonungslosen Charakter des Mannes, mit dem er zu tun hatte, und seine despotische Macht. Aber er fühlte sich stark in Gott, dem Tode zu begegnen, ehe er die Hilflosen verriet.

Er setzte seinen Korb neben die Reihe hin, und sagte mit einem Blick gen Himmel: »In Deine Hände befehl ich meinen Geist! Du hast mich erlöset, Herr, Du treuer Gott!« Und dann fügte er sich ruhig der rauhen, brutalen Faust, mit der Quimbo ihn packte.

»Ja, ja!« sagte der Riese, wie er ihn fortschleppte. »Diesmal wirst du’s schon kriegen! Master ist gar giftig, diesmal! Diesmal hilft kein Herauslügen! Heute kriegst du’s, darauf kannst du dich verlassen! Wirst schon sehen, was es heißt, Masters Niggern fortlaufen zu helfen! Wirst schon sehen, was du kriegst!« Von den drohenden Worten erreichte keines sein Ohr – eine höhere Stimme sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht vor denen, so den Leib töten, und die Seele nicht mögen töten.« Von diesen Worten erzitterten Nerven und Gebeine des unglücklichen Mannes, als berührte sie der Finger Gottes; und er fühlte die Kraft von tausend Seelen in sich. Wie er vorüberging, schienen die Bäume und die Gebüsche, die Hütten seiner Knechtschaft, das ganze Schauspiel seiner Erniedrigung vor ihm vorbeizufliegen wie die Landschaft vor dem dahinrollenden Wagen. Seine Seele erbebte. Seine Heimat stand ihm vor Augen – und die Stunde der Erlösung schien zu nahen. »Nun, Tom«, sagte Legree, indem er auf ihn zutrat und ihn grimmig beim Kragen packte, wobei er in einem Paroxismus entschlossener Wut durch die Zähne sprach, »weißt du, daß ich mich entschlossen habe, dich totzuschlagen?«

»Das ist sehr wahrscheinlich, Master«, sagte Tom ruhig.

»Ich – habe – mich – dazu – entschlossen«, sagte Legree mit finsterer, schrecklicher Ruhe, »wenn du mir nicht sagst, was du von diesen Dirnen weißt.«

Tom schwieg.

»Hörst du!« sagte Legree mit dem Fuße stampfend und brüllte wie ein wütender Löwe. »Sprich!«

»Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Master«, sagte Tom mit langsamem, festem, überlegtem Tone.

»Wagst du mir zu sagen, du wüßtest nichts, du alter, schwarzer Christ?« sagte Legree.

Tom schwieg.

»Sprich!« donnerte Legree und versetzte ihm einen wütenden Schlag.

»Weißt du etwas?«

»Ich weiß etwas, Master, aber ich kann nichts sagen. Ich kann sterben!«

Legree holte tief Atem, und seine Wut unterdrückend, packte er Tom beim Arm, näherte sein Gesicht dem des Negers, daß er es fast berührte, und sagte mit schrecklicher Stimme: »Höre, Tom – du glaubst, weil ich dich schon einmal habe so laufenlassen, meinte ich nicht, was ich sage, aber diesmal habe ich meinen Entschluß gefaßt und den Schaden berechnet. Du hast dich immer gegen mich aufgelehnt. Jetzt will ich deinen Trotz brechen oder dich totschlagen! Eins oder das andere. Ich will jeden Tropfen Blut, den du im Leibe hast, zählen, und dir jeden einzeln abzapfen, bis du nachgibst.«

Tom blickte seinen Herrn an und antwortete: »Master, wenn Sie krank wären oder in Not oder mit dem Tode kämpften, und ich könnte Sie retten, so gäbe ich mein Herzblut hin; und wenn das Abzapfen jedes Bluttropfens aus diesem armen alten Leichnam Ihre unsterbliche Seele retten könnte, so gäbe ich es gern hin, wie der Herr sein Blut für mich vergossen hat. O Master, bringen Sie diese große Sünde nicht auf Ihre Seele, es wird Ihnen mehr Schaden tun als mir! Tun Sie das Schlimmste, was Sie können, meine Qual ist bald vorbei; aber wenn Sie nicht bereuen, wird Ihre Qual nie zu Ende gehen!«

Wie eine wunderbare Strophe himmlischer Musik, die in der Pause eines Sturmes vernommen wird, brachte dieser Gefühlsausbruch ein kurzes Schweigen hervor. Legree stand betroffen da und sah Tom an; und so tief war das Schweigen, daß man das Ticken der alten Uhr hören konnte, welche mit stummem Zeiger die letzten Augenblicke der Barmherzigkeit und der Prüfungszeit für dieses verhärtete Herz maß.

Es war nur ein Augenblick. Eine einzige zögernde Pause, ein unentschlossenes, bereuendes Schwanken, und der Geist des Bösen kehrte zurück mit fieberhafter Gewalt, und Legree schlug wutschäumend sein Opfer zu Boden.

»Es ist fast vorbei mit ihm, Master«, sagte Sambo, wider seinen Willen gerührt von der Geduld seines Opfers.

»Schlagt zu, bis er nachgibt! Gebt es ihm! Gebt es ihm!« brüllte Legree. »Jeder Blutstropfen muß aus seinem Leibe heraus, wenn er nicht bekennt.«

Tom schlug die Augen auf und blickte seinen Herrn an. »Ihr armen, sündhaften Kreaturen!« sagte er. »Ihr könnt mir weiter nichts tun! Ich vergebe euch von ganzer Seele!« Und das Bewußtsein verließ ihn.

»Ich glaube wahrhaftig, es ist endlich aus mit ihm«, sagte Legree und trat näher, um ihn zu besehen. »Ja, es ist aus mit ihm! Na, so wäre ihm endlich das Maul gestopft – das ist ein Trost!«

Ja, Legree, aber wer soll die Stimme in deiner Seele zum Schweigen bringen – in dieser Seele, die weder Reue noch Gebet, noch Hoffnung mehr retten kann und in welcher das Feuer, das nie gelöscht werden soll, bereits brannte?

Aber Tom war noch nicht ganz tot. Seine wunderbaren Worte und frommen Gebete hatten die Herzen der vertierten Schwarzen gerührt, welche sich als Werkzeuge der Grausamkeit gegen ihn hatten brauchen lassen; und kaum hatte Legree sich entfernt, so banden sie ihn los und versuchten ihn in ihrer Unwissenheit wieder ins Leben zurückzurufen – als ob das ihm eine Wohltat gewesen wäre.

»Ach, wir haben etwas schrecklich Böses getan!« sagte Sambo. »Hoffe, Master wird’s zu verantworten haben und nicht wir.«

Sie wuschen seine Wunden – sie bereiteten ihm ein notdürftiges Lager aus Ausschußbaumwolle, damit er daruf ruhen könne; und einer schlich sich nach dem Hause und bettelte sich ein Glas Branntwein von Legree, unter dem Vorwande, daß er erschöpft sei und es für sich haben wolle. Er brachte es in die Hütte und goß es Tom in den Mund.

»Ach, Tom!« sagte Quimbo. »Wir haben entsetzlich schlecht an dir gehandelt.«

»Ich vergebe euch von ganzem Herzen!« sagte Tom mit schwacher Stimme.

»O Tom, sage uns doch, wer Jesus ist«, sagte Sambo. – »Jesus, der dir die ganze Nacht hindurch beigestanden hat! – Wer ist das?«

Die Frage weckte den schwindenden Geist. Er ergoß sich in ein paar energischen Worten über den Wunderbaren, über sein Leben, über seinen Tod, seine immerwährende Gegenwart und seine Macht zu erlösen.

Und die beiden verwilderten Gemüter fingen an zu weinen.

»Warum habe ich nie früher davon gehört?« sagte Sambo. »Aber ich glaube daran! – Ich kann nicht anders! Herr Jesus, habe Erbarmen mit uns!«

»Ihr armen Geschöpfe!« sagte Tom. »Gern will ich alles tragen, was mir auferlegt wird, wenn ich euch Christus zuführen kann! O Herr, ich bitte Dich, gib mir auch noch diese beiden Seelen!«

Und das Gebet wurde erhört.

36. Kapitel


Der junge Herr

Zwei Tage darauf fuhr ein junger Mann in einem leichten Wagen durch die Allee von Chinabäumen, warf die Zügel hastig dem Pferde auf den Rücken, sprang heraus und fragte nach dem Besitzer der Plantage.

Es war George Shelby; und um zu zeigen, wie er hierher kam, müssen wir in unserer Geschichte ein wenig zurückgehen.

Der Brief Miß Ophelias an Mrs. Shelby war durch einen unglücklichen Zufall einen oder zwei Monate auf einem abgelegenen Postamt liegen geblieben, ehe er seine Bestimmung erreichte; und als er dort anlangte, war Tom natürlich schon in den fernen Sümpfen des Red River dem Auge verloren.

Mrs. Shelby las die Nachricht mit der tiefsten Teilnahme; aber sofort in dieser Angelegenheit die nötigen Maßregeln zu ergreifen war unmöglich. Sie saß damals am Krankenbett ihres Gatten, der in der Krisis eines hitzigen Fiebers lag. Master George Shelby, der unterdessen ein schlanker junger Mann geworden war, war ihr fortwährender und getreuer Beistand und ihre einzige Stütze in der Verwaltung des väterlichen Geschäfts. Miß Ophelia war so vorsichtig gewesen, den Namen des Advokaten, der die Angelegenheiten der Familie St. Clare ordnete, zu übersenden; und das einzige, was man für jetzt tun konnte, war, sich bei ihm brieflich zu erkundigen. Der plötzliche Tod Mr. Shelbys wenige Tage darauf nahm alsdann für eine Zeitlang alle ihre Teilnahme ausschließlich in Anspruch.

Mr. Shelby legte sein Vertrauen auf die Klugheit seiner Gattin dadurch an den Tag, daß er sie zur einzigen Testamentsvollstreckerin ernannte, und so mußte sie sofort einer großen und verwickelten Masse von Geschäften sich unterziehen.

Mit charakteristischer Energie machte sich Mrs. Shelby auf der Stelle ans Werk, den verwickelten Geschäftsknäuel aufzuwirren, und ihre und Georges Zeit war für mehrere Wochen ganz mit dem Sammeln und Prüfen von Rechnungen, mit dem Verkaufen von Eigentum und dem Bezahlen von Schulden in Anspruch genommen, denn Mrs. Shelby war fest entschlossen, alles klar und rein zu machen, mochten die Folgen für sie sein, wie sie wollten. Unterdessen erhielten sie einen Brief von dem Advokaten, an den Miß Ophelia sie gewiesen, der ihnen aber schrieb, daß er nichts von der Sache wisse; daß der Mann in einer öffentlichen Versteigerung verkauft worden sei und daß er, außer daß er das Geld empfangen habe, von der ganzen Angelegenheit nichts erfahren habe.

Weder George noch Mrs. Shelby konnten sich bei dieser Antwort beruhigen; und deshalb entschloß sich ersterer nach etwa sechs Monaten, da er gerade für seine Mutter Geschäfte am Mississippi zu verrichten hatte, selbst nach New Orleans zu gehen und Nachforschungen anzustellen, in der Hoffnung, Toms Aufenthaltsort zu entdecken und ihn wiederzukaufen.

Nach einigen Monaten fruchtlosen Suchens begegnete George durch den reinsten Zufall in New Orleans einem Manne, der die gewünschte Auskunft geben konnte; und mit dem Gelde in der Tasche nahm unser Held einen Platz auf dem Red-River-Dampfboote, entschlossen, seinen alten Freund aufzusuchen und wieder zurückzukaufen.

Man führte ihn bald in das Haus, wo er Legree in dem Wohnzimmer fand.

Legree empfing den Fremden mit einer Art mürrischer Gastlichkeit.

»Ich höre«, sagte der junge Mann, »daß Sie in New Orleans einen Sklaven namens Tom gekauft haben. Er war auf dem Gute meines Vaters, und ich möchte sehen, ob ich ihn wieder zurückkaufen könnte.«

Legrees Stirn verfinsterte sich, und er rief leidenschaftlich aus: »Ja, ich habe einen Kerl dieses Namens gekauft, und ein Höllengeschäft habe ich mit ihm gemacht! Der widerspenstigste freche Hund! Reizt meine Nigger zum Fortlaufen und hilft wirklich zwei Dirnen, die ihre 800 oder 1000 Dollar jede wert sind, entfliehen. Er gestand das ein, und als ich ihn aufforderte, mir zu sagen, wo sie wären, stellte er sich hin und sagte, er wüßte es, aber er wollte es nicht sagen; und dabei blieb er, obgleich er die tüchtigste Tracht Schläge kriegte, die jemals ein Nigger bekommen hat. Ich glaube, er gibt sich jetzt Mühe, zu sterben, aber ich weiß nicht, ob es ihm gelingen wird.«

»Wo ist er?« rief George mit Ungestüm. »Ich will ihn sehen.« Die Wangen des jungen Mannes waren purpurrot und seine Augen flammten; aber klugerweise sagte er jetzt noch nichts.

»Er liegt in dem Schuppen dort«, sagte ein kleiner Bube, der Georges Pferd hielt.

Legree gab mit einem Fluche dem Knaben einen Tritt; aber George drehte sich ohne ein Wort zu sagen um und ging nach der angegebenen Stelle.

Tom hatte seit der verhängnisvollen Nacht zwei Tage gelegen; nicht leidend, denn jeder Leidensnerv in ihm war abgestumpft und vernichtet. Er lag die meiste Zeit über in einer ruhigen Erstarrung da, denn der kräftige und gutgebaute Körper wollte nicht gleich den eingekerkerten Geist freigeben. Verstohlen und in stiller Nacht hatten ihn arme und verlassene Geschöpfe besucht, welche ihre spärlichen Stunden Schlaf abkürzten, um ihm einige von den Liebesbeweisen, mit denen er stets so freigebig gewesen, wiederzuvergelten. Allerdings hatten diese armen Jünger wenig zu geben – nur ein Glas kaltes Wasser – aber es wurde aus vollem Herzen gegeben.

Tränen waren auf das ehrliche gefühllose Antlitz gefallen, Tränen der Zerknirschung, vergossen von den armen unwissenden Heiden, welche seine Liebe und Geduld im Sterben zur Reue erweckt hatte; und es tönten über ihm heiße Gebete zu einem kaum gefundenen Heiland, von dem sie kaum mehr wußten als den Namen, den aber das ringende unwissende Menschenherz nie umsonst anfleht.

Cassy, die aus ihrem Versteck herausgeschlüpft war und durch Lauschen erfahren hatte, welches Opfer Tom ihr und Emmeline gebracht hatte, war trotz der Gefahr der Entdeckung die Nacht vorher auch bei ihm gewesen; und ergriffen von den wenigen letzten Worten, welche die liebeerfüllte Seele noch Kraft gehabt hatte zu flüstern, war der lange Winter der Verzweiflung, das Eis von Jahren aufgetaut, und das finstere, verzweifelnde Weib hatte geweint und gebetet.

Als George in den Schuppen trat, wurde er fast ohnmächtig.

»Ist’s möglich? – Ist’s möglich?« sagte er und kniete neben ihm nieder. »Onkel Tom, mein armer, armer, alter Freund!«

Etwas von dem Ton der Stimme drang zu dem Ohre des Sterbenden. Er bewegte schwach den Kopf, lächelte und sprach:

»Mein Jesus macht ein Sterbebett
So weich wie Federkissen.«

Tränen, welche seinem Mannesherzen Ehre machten, strömten aus den Augen des jungen Mannes, wie er sich über seinen armen Freund beugte. »O lieber Onkel Tom! Erwache – sprich noch einmal! Blicke auf! Hier ist Master George – dein lieber kleiner Master George. Kennst du mich nicht?«

»Master George!« sagte Tom mit schwacher Stimme und öffnete die Augen. »Master George!« Er blickte verwirrt um sich. Langsam schien der Gedanke seine Seele zu erfüllen, und der leere Blick wurde hell und fest, das ganze Gesicht fing an zu strahlen, die harten Hände falteten sich, und Tränen liefen über die Wangen.

»Gesegnet sei der Herr! Das ist – das ist – alles, was ich wünschte! Sie haben mich nicht vergessen. Das erwärmt mir die Seele, es tut meinem alten Herzen gut! Jetzt werde ich zufrieden sterben! Preise den Herrn, o meine Seele.«

»Du sollst nicht sterben! Du darfst nicht sterben und darfst nicht daran denken! Ich bin gekommen, um dich zurückzukaufen und mit nach Hause zu nehmen«, sagte George mit leidenschaftlichem Ungestüm.

»O Master George, Sie kommen zu spät! Der Herr hat mich gekauft und will mich aufnehmen in sein Haus – und ich sehne mich zu ihm. Der Himmel ist besser als Kentucky.«

»O stirb nicht! Es ist mein Tod! – Das Herz bricht mir, wenn ich denke, was du gelitten hast – und hier in diesem alten Schuppen zu liegen! Armer, armer Mann!«

»Nennen Sie mich nicht armer Mann!« sagte Tom feierlich. »Ich war ein armer Mann, aber das ist alles vorbei. Ich stehe in der Pforte und gehe ein in die Herrlichkeit! O Master George! Der Himmel ist da! Ich habe den Sieg errungen – der Herr Jesus hat ihn mir gegeben! Ehre sei seinem Namen!«

Voll Ehrfurcht vernahm George die Kraft, die Heftigkeit, die Gewalt, mit der der Sterbende diese gebrochenen Sätze sprach. Er blickte ihn schweigend an.

Tom ergriff seine Hand und fuhr fort: »Sie dürfen’s nicht der armen Chloe erzählen, wie Sie mich gefunden haben: Es wäre gar zu schrecklich für sie. Sagen Sie ihr nur, daß Sie mich gefunden haben, wie ich zur himmlischen Herrlichkeit einging und daß ich auf niemand warten konnte; und sagen Sie ihr, daß der Herr mir überall und immer beigestanden und mir alles leichtgemacht habe. Und ach, die armen Kinder und das Kleine – mein altes Herz hat sich oft, gar oft fast zu Tode nach ihnen gesehnt. Sagen Sie ihnen allen, sie sollen mir folgen – mir folgen! Sagen Sie Master und der lieben guten Missis und allen übrigen, wie ich sie geliebt habe! Sie wissen das nicht! Es ist mir, als liebte ich sie alle! Ich liebe jedes Geschöpf überall – es ist nichts, als Liebe! Ach, Master George! Wie herrlich ist’s, ein Christ zu sein!«

In diesem Augenblick trat Legree an die Tür des Schuppens, blickte mit einer verstockten Miene affektierter Gleichgültigkeit hinein und entfernte sich wieder.

»Der alte Satan!« sagte George in seinem Zorne. »Es ist ein Trost für mich, daß der Teufel ihm das seinerzeit vergelten wird!«

»Ach nein! – Ach sprechen Sie nicht so!« sagte Tom und drückte ihm die Hand. »Er ist eine arme sündhafte Kreatur. Es ist grauenhaft, daran zu denken! Ach, wenn er nur bereuen wollte, so würde der Herr ihm jetzt vergeben, aber ich fürchte, er wird nie bereuen.«

»Ich hoffe es nicht!« sagte George. »Ich mag ihn nie im Himmel sehen.«

»Still, Master George! Das tut mir weh. Reden Sie nicht so. Er hat mir keinen wirklichen Schaden zugefügt – hat nur die Pforte des Himmelreichs mir geöffnet! Weiter gar nichts!«

In diesem Augenblick verschwand der plötzliche Anflug von Kraft, welchen die Freude, seinen jungen Herrn wiederzusehen, in dem Sterbenden geweckt hatte.

Er wurde auf einmal viel matter; er schloß die Augen; und die geheimnisvolle und erhabene Wandlung zeigte sich in seinem Antlitz, welche die Nähe einer anderen Welt verrät.

Er fing an in langen tiefen Zügen zu atmen, und seine breite Brust hob und streckte sich schwer. Der Ausdruck seines Gesichts war der eines Siegers.

»Wer – wer – wer will uns von der Liebe Christi trennen?« sagte er mit einer Stimme, die mit der Schwäche des Todes rang, und mit einem Lächeln schlummerte er ein.

Feierliches Grauen hielt George gefangen. Es war ihm, als wäre dieser Fleck heilig, und wie er die starren Augen zudrückte und von der Leiche aufstand, erfüllte ihn nur ein Gedanke, – derjenige, den sein einfacher alter Freund ausgesprochen hatte: »Wie herrlich ist es, ein Christ zu sein!«

Er wendete sich um. Legree stand mürrisch hinter ihm.

Ein Etwas in dieser Sterbeszene hatte das natürliche Ungestüm jugendlicher Leidenschaft im Zaum gehalten. Die Gegenwart des Mannes war George einfach widrig, und er fühlte bloß den Trieb mit so wenig Worten als möglich von ihm loszukommen. Seine funkelnden schwarzen Augen auf Legree heftend, sagte er bloß, indem er auf die Leiche deutete:

»Ihr habt alles von ihm erlangt, was er Euch geben konnte. Was soll ich Euch für die Leiche bezahlen? Ich will sie mitnehmen und anständig begraben.«

»Ich handle nicht mit toten Niggern«, sagte Legree mürrisch. »Ihr könnt ihn begraben, wann und wo Ihr Lust habt.«

»Burschen«, befahl George zwei oder drei Negern, welche die Leiche betrachteten, »helft mir ihn aufheben und nach meinem Wagen tragen; und bringt mir einen Spaten.«

Einer derselben lief fort, um einen Spaten zu holen, die beiden anderen halfen George die Leiche in den Wagen legen.

George würdigte Legree, der über diesen Befehl nichts sagte, sondern mit einer Miene gezwungener Teilnahmslosigkeit und pfeifend dastand, keines Blicks oder Wortes. Er folgte ihnen mürrisch bis an die Stelle, wo der Wagen vor der Tür stand.

George breitete seinen Mantel im Wagen aus und ließ die Leiche sorgfältig darauflegen, nachdem er den Sitz anders eingehängt hatte, um Platz zu nehmen. Dann drehte er sich um, sah Legree fest an und sagte mit erzwungener Fassung:

»Ich habe Euch noch nicht gesagt, was ich von dieser höchst gräßlichen Tat denke. Es ist hier weder die Zeit noch der Ort dazu. Aber, Sir, dieses unschuldige Blut soll gerächt werden. Ich werde diesen Mord in die Welt ausrufen. Ich gehe zum ersten Friedensrichter und zeige Euch an.«

»Tut das!« sagte Legree und schnippte höhnisch mit den Fingern. »Ich bin wirklich neugierig darauf, wie Ihr das anfangt. Wo wollt Ihr denn Zeugen herbekommen? Wie wollt Ihr’s denn beweisen? Sagt mir das einmal!«

George sah auf den ersten Blick ein, wie recht jener hatte. Es war kein einziger Weißer auf der ganzen Plantage, und in allen Gerichtshöfen des Südens gilt das Zeugnis farbigen Blutes nichts. Es war ihm in diesem Augenblick zumute, als könnte er mit dem entrüsteten Schrei seines Herzens nach Gerechtigkeit den Himmel zerreißen; aber es half nichts.

»Und was ist das auch am Ende für ein Lärm wegen eines toten Niggers?« sagte Legree.

Das Wort fiel wie ein Funken in ein Pulvermagazin. Überlegtheit ist nie eine Haupttugend der Jugend von Kentucky gewesen. George drehte sich um und gab Legree einen so heftigen Faustschlag, daß er der Länge lang aufs Gesicht niederstürzte, und wie er vor Zorn und herausforderndem Trotz glühend über ihm stand, hätte er kein schlechtes Bild seines großen Namenvetters, wie er den Drachen besiegt, dargestellt.

Es gibt jedoch Leute, denen ein tüchtiger Schlag von entschiedenem Nutzen ist. Wenn einer sie geradezu zu Boden schlägt, so scheinen sie sofort eine gewisse Achtung vor ihm zu empfinden, und Legree war einer von dieser Art. Wie er daher aufstand und sich den Staub von den Kleidern wischte, sah er dem langsam davonfahrenden Wagen mit offenbarem Respekt nach; auch tat er nicht eher den Mund auf, als bis er ihm aus den Augen war.

Jenseits der Grenze der Plantage hatte George einen trockenen sandigen Hügel von einigen Bäumen beschattet bemerkt; dort machten sie das Grab.

»Sollen wir den Mantel abnehmen, Master?« sagten die Neger, als das Grab fertig war.

»Nein, nein, begrabt ihn damit. Es ist alles, was ich dir jetzt geben kann, armer Tom, und du sollst es haben.«

Sie legten ihn hinein; und die Männer schaufelten schweigend das Grab zu. Sie machten einen Hügel darüber und deckten ihn mit grünem Rasen zu.

»Ihr könnt jetzt gehen«, sagte George und drückte jedem einen Viertel Dollar in die Hand. Aber sie blieben zaudernd stehen.

»Ach, wenn Master uns kaufen wollte –« sagte der eine.

»Wir würden ihm so treu dienen!« sagte der andere.

»’s sind schlimme Zeiten hier, Master«, sagte der erste. »Bitte, Master, kaufen Sie uns.«

»Ich kann nicht! – Ich kann nicht«, sagte George betrübt und winkte ihnen zu gehen. »Es ist unmöglich!«

Die armen Burschen machten ein niedergeschlagenes Gesicht und entfernten sich schweigend.

»Ich rufe Dich zum Zeugen, ewiger Gott«, rief George auf dem Grabe seines armen Freundes kniend aus, »ich rufe Dich zum Zeugen, daß ich von dieser Stunde an tun will, was einem Menschen möglich ist, dem Fluche der Sklaverei in diesem Lande ein Ende zu machen!«

37. Kapitel


Eine wahre Gespenstergeschichte

Aus irgendeinem merkwürdigen Grunde waren um diese Zeit unter den Sklaven auf Legrees Plantage Gespenstergeschichten sehr gang und gäbe.

Man flüsterte sich zu, daß man in totenstiller Nacht die Treppe zum Bodenraum habe Schritte herabkommen und durch das Haus gehen hören. Vergeblich waren die Türen des oberen Saales verschlossen worden; entweder hatte das Gespenst einen doppelten Schlüssel in der Tasche, oder es machte von dem uralten Vorrecht der Gespenster Gebrauch, durch das Schlüsselloch zu schlüpfen und promenierte mit einer wahrhaft beunruhigenden Ungeniertheit im Hause herum.

Über die äußere Gestalt des Gespenstes war man nicht ganz einig, und zwar infolge einer bei den Negern sehr häufigen Gewohnheit – und soviel wir wissen, ist sie auch bei den Weißen nicht selten –, bei solchen Gelegenheiten stets die Augen zuzumachen oder den Kopf unter Bettdecken, Unterröcke und was sich sonst zum Schutz darbot, zu stecken. Natürlich sind, wie jedermann weiß, die Augen des Geistes, wo die des Körpers unbeschäftigt sind, ganz ungewöhnlich lebhaft und scharfsichtig; und deshalb hatte man eine große Anzahl von leibesgroßen Porträts des Gespenstes, die überreichlich beschworen und von Zeugen bestätigt waren und die, wie das bei Porträts oft der Fall ist, in keinem Zuge miteinander übereinstimmten, außer in dem gemeinsamen Familienzuge des Gespenstergeschlechts – im Tragen eines weißen Leichentuchs. Die armen Seelen waren in der alten Geschichte nicht bewandert und wußten nicht, daß Shakespeare bereits Zeugnis für diese Tracht abgelegt hat, indem er berichtet:

»Die Toten stierten
Im weißen Lailach durch die Straßen Roms.«

Und deshalb ist ihre übereinstimmende Aussage eine auffällige Tatsache in der Geisterwissenschaft, welche wir der Aufmerksamkeit aller, die sich um die geheimnisvollen Welten kümmern, empfehlen.

Sei dem, wie ihm wolle, wir haben unseren Grund zu wissen, daß eine hohe Gestalt in einem weißen Leichentuch in den echtesten Geisterstunden in und um Legrees Haus sichtbar war – daß sie durch die Türen ging, auf den Gängen wandelte – zuweilen verschwand und dann wieder erschien, um die schweigsame Treppe hinauf in jenem unheimlichen Dachraum zu verschwinden; und daß man des Morgens früh die Saaltüren des oberen Stocks so fest verschlossen fand wie je.

Legree konnten diese Flüstereien unter seinen Leuten nicht verborgen bleiben; und die Sache regte ihn nur noch mehr auf, wegen der Mühe, die man sich gab, sie ihm zu verbergen. Er trank mehr Branntwein als gewöhnlich; trug den Kopf hoch und schwer und fluchte lauter als gewöhnlich während des Tages; aber er hatte böse Träume, und seine Phantasien, wenn er nachts im Bette lag, waren nichts weniger als angenehm. Am Abend des Tages, wo Toms Leiche fortgeschafft worden war, ritt er nach der nächsten Stadt, um einmal tüchtig zu zechen, und hatte ein wüstes Gelag. Er kam spät und ganz müde nach Hause.

Legree verschloß seine Tür und schob einen Stuhl davor; er setzte eine Nachtlampe zu Häupten seines Bettes und legte eine Pistole neben sich. Er untersuchte die Haspen und Wirbel der Fenster, schwor dann, daß er sich nicht vor dem Teufel und allen seinen Engeln fürchte, und ging zu Bett.

Er schlief, denn er war müde, und er schlief fest. Aber zuletzt kam über seinen Schlaf ein Schatten, ein Grauen, ein banges Gefühl, daß etwas Entsetzliches über ihm hänge. Es war seiner Mutter Leichentuch, dachte er; aber Cassy hielt es in die Höhe und zeigte es ihm. Er hörte einen verwirrten Lärm von Gekreisch und Stöhnen; und bei alledem wußte er, daß er schlief, und strengte sich an, um aufzuwachen. Er war halb wach. Er wußte gewiß, daß etwas ins Zimmer kam. Er wußte, daß die Tür aufging, aber er konnte weder Hand noch Fuß rühren. Endlich fuhr er auf und drehte sich um; die Tür stand offen und er sah eine Hand sein Licht auslöschen.

Es war eine bewölkte neblige Mondnacht, und dort sah er es! – Etwas Weißes, das eben hereingeschwebt war! Er hörte das leise Rauschen des gespenstischen Gewandes. Es blieb vor seinem Bett stehen; eine kalte Hand berührte die seine; eine Stimme sagte dreimal mit leisem, grausenerregenden Flüstern: »Komm! Komm! Komm!« und während er vor Schreck schwitzend dalag, war es fort, er wußte nicht, wie und wann. Er sprang aus dem Bett und zerrte an der Tür. Sie war fest verschlossen, und Legree stürzte bewußtlos auf den Fußboden hin.

Nach diesem Vorfall zechte Legree stärker als je. Er trank nicht mehr mit Vorsicht und Schonung seiner selbst, sondern unvorsichtig und ohne im mindesten nach den Folgen zu fragen.

Bald daraufhörte man in der Nachbarschaft erzählen, daß er krank und dem Tode nahe sei. Seine Ausschweifungen hatten jene schreckliche Krankheit nach sich gezogen, welche die grellen Schatten einer zukünftigen Wiedervergeltung schon auf das gegenwärtige Leben zu werfen scheint. Niemand konnte die Schrecken dieses Krankenzimmers aushalten, wenn er schrie und raste und von Geschichten sprach, welche das Blut der Zuhörer fast erstarren machten; und an seinem Sterbebett stand eine finstere weiße unerbittliche Gestalt, welche sagte: »Komm! Komm! Komm!«

Durch ein merkwürdiges Zusammentreffen fand man nach derselben Nacht, wo Legree dieses Gesicht erschienen war, die Haustür offenstehen, und einige von den Negern hatten zwei weiße Gestalten die Allee hinab nach der Landstraße schweben sehen.

Es war fast Sonnenaufgang, als Cassy und Emmeline einen Augenblick lang in einem kleinen Gebüsch nicht weit von der Stadt haltmachten.

Cassy war wie eine spanische Kreolin gekleidet – ganz schwarz. Ein kleiner schwarzer Hut mit einem reich gestickten Schleier verbarg ihr Gesicht. Der Verabredung nach spielte sie auf der Flucht die Rolle einer kreolischen Dame, und Emmeline war ihre Zofe.

Von frühester Jugend auf in der feinsten Gesellschaft aufgewachsen, paßten die Sprache, das Benehmen und die Miene Cassys ganz vortrefflich zu diesem Plane; und sie besaß noch genug Reste ihrer einst glänzenden Garderobe und Schmucksachen, um ihre Rolle ganz ausgezeichnet spielen zu können.

In den ersten Häusern der Stadt blieb sie vor einem Laden stehen, wo Koffer zu verkaufen waren, und kaufte einen der schönsten. Diesen ließ sie sich von einem Mann nachschaffen. So trat sie, begleitet von einem Burschen, der ihren Koffer fuhr, und Emmeline mit dem Reisesack und verschiedenen anderen Paketen, wie eine vornehme Dame in das kleine Gasthaus.

Die erste Person, die ihr nach ihrer Ankunft auffiel, war George Shelby, der ebenfalls dort eingekehrt war, um das nächste Boot abzuwarten.

Cassy hatte den jungen Mann durch ihr Astloch aus dem Dachraume beobachtet, hatte ihn die Leiche Toms forttragen sehen und hatte mit geheimem Frohlocken seinen Zank mit Legree beobachtet. Später hatte sie aus den Gesprächen der Neger, die sie belauscht hatte, während sie abends in gespenstischer Verhüllung durch das Haus streifte, erfahren, wer er war und in welchem Verhältnis er zu Tom stand. Sie empfand daher sofort ein vermehrtes Gefühl der Sicherheit, als sie entdeckte, daß er gleich ihr auf das nächste Boot wartete.

Cassys Aussehen und Benehmen und der Überfluß an Geld, über den sie offenbar gebot, erstickten jeden leisen Verdacht im Gasthause im Entstehen. Die Leute bekümmerten sich nicht zu genau um die Angelegenheiten derer, bei welchen die Hauptsache, das Bezahlen, in Ordnung ist – und das hatte Cassy vorausgesehen, als sie sich mit Geld versorgte.

Kurz vor Anbruch des Abends hörte man ein Boot anlegen, und George Shelby führte Cassy mit der jedem Kentuckyer natürlichen Höflichkeit an Bord und verschaffte ihr durch seine Bemühungen eine gute Privatkajüte.

Cassy hütete unter dem Vorwand von Unpäßlichkeit während der ganzen Fahrt auf dem Red River ihr Zimmer und ihr Bett; und ihre Zofe pflegte sie mit aufopfernder Hingebung.

Als sie den Mississippi erreichten, erbot sich George, der mittlerweile erfahren hatte, daß die unbekannte Dame ebenfalls weiter stromaufwärts reisen wollte, ihr eine Privatkajüte in demselbe Boot, in welchem er fuhr, zu besorgen; denn seine Gutmütigkeit flößte ihm Mitleid mit ihrer schwachen Gesundheit und den Wunsch ein, sein möglichstes für sie zu tun.

Wir sehen daher die ganze Gesellschaft sicher auf dem guten Dampfer Cincinnati untergebracht und mit voller Dampfkraft stromaufwärts fahren.

Cassys Gesundheit hatte sich sehr gebessert. Sie saß auf dem Verdeck, setzte sich mit an die gemeinsame Tafel und galt auf dem ganzen Boote als eine Dame, die früher sehr schön gewesen sein müsse.

Von dem Augenblick an, wo George ihr Gesicht zum ersten Male gesehen hatte, peinigte ihn beständig eine jener verschwimmenden und unbestimmten Ähnlichkeiten, deren sich fast jeder erinnern kann, und die ihn zuweilen geplagt haben.

Er konnte sich nicht enthalten, sie anzusehen und sie beständig zu beobachten. Mochte sie bei Tisch oder vor der Tür ihrer Kajüte sitzen, immer begegnete sie den Augen des jungen Mannes, die sich auf sie hefteten und höflich wegsahen, sobald ihr Gesicht verriet, daß sie fühle, sie werde beobachtet.

Cassy wurde unruhig. Sie begann zu fürchten, daß er etwas argwöhne, und beschloß endlich, sich ganz auf seinen Edelmut zu verlassen und ihm ihre Geschichte vollständig mitzuteilen.

George war vollkommen geneigt, jedem Teilnahme zu schenken, der von Legrees Plantage entflohen war – ein Ort, an den er nicht mit Ruhe denken konnte; und er versicherte ihr mit der beherzten Nichtachtung aller Folgen, welches seinem Alter und seiner Heimat eigen ist, daß er sein möglichstes tun wolle, um sie zu beschützen und in Sicherheit zu bringen.

Das an Cassys Privatkajüte stoßende Zimmer bewohnte eine französische Dame, namens de Thour, die eine hübsche kleine Tochter von ungefähr zwölf Jahren begleitete.

Diese Dame, welche aus Georges Gesprächen gehört hatte, daß er aus Kentucky war, war sichtbar geneigt, seine Bekanntschaft zu kultivieren; in welcher Absicht sie die Reize ihrer kleinen Tochter unterstützten, die ein so hübsches Spielzeug war, als nur je die Langeweile einer vierzehntägigen Dampfbootreise verkürzt hat.

Georges Stuhl stand oft neben ihrer Kajütentür, und Cassy konnte ihre Unterhaltung mitanhören, wie sie an dem Geländer darüber saß.

Madame de Thour erkundigte sich sehr ausführlich über Kentucky, wo sie in einer früheren Zeit ihres Lebens gewohnt hatte, wie sie sagte. George entdeckte zu seiner Verwunderung, daß ihr früherer Wohnsitz in seiner Nachbarschaft gewesen sein müsse; und ihre Fragen zeigten eine Kenntnis von Land und Leuten seiner Gegend, die ihn wahrhaft in Erstaunen setzte.

»Kennen Sie wohl in Ihrer Nachbarschaft einen Mann namens Harris?« sagte Madame de Thour eines Tages zu ihm.

»Ein alter Bursche dieses Namens wohnte nicht weit von meines Vaters Besitzung«, sagte George. »Wir haben jedoch nie viel Verkehr mit ihm gehabt.«

»Er besitzt viel Sklaven, glaube ich«, sagte Madame de Thour mit einer Bewegung, welche mehr Interesse zu verraten schien, als sie eigentlich an den Tag zu legen willens war.

»Allerdings«, sagte George und sah sie etwas verwundert an.

»Haben Sie jemals erfahren – vielleicht haben Sie gehört, ob unter seinen Leuten ein Mulattenknabe namens George war?«

»O gewiß – George Harris – ich kenne ihn recht gut; er hat eine Dienerin meiner Mutter geheiratet, ist aber jetzt nach Kanada entflohen.«

»Wirklich?« sagte Madame de Thour rasch. »Gott sei gepriesen!«

George sah sie fragend und verwundert an, sagte aber nichts.

Madame de Thour stützte den Kopf auf die Hand und brach in Tränen aus. »Er ist mein Bruder!« sagte sie.

»Madame«, sagte George in einem Tone lebhaftester Überraschung.

»Ja«, sagte Madame de Thour, indem sie stolz das Haupt erhob und sich die Tränen aus den Augen wischte. »Mr. Shelby, George Harris ist mein Bruder!«

»Ich bin außer mir vor Staunen«, sagte George und schob den Stuhl einen Schritt zurück, um Madame de Thour anzusehen.

»Ich wurde nach dem Süden verkauft, als er noch ein Knabe war. Ein guter und edler Mann kaufte mich. Er nahm mich mit nach Westindien, schenkte mir die Freiheit und heiratete mich. Erst vor kurzem ist er gestorben, und ich bin jetzt auf der Reise nach Kentucky begriffen, um zu sehen, ob ich meinen Bruder auffinden und freikaufen kann.«

»Ich habe ihn von einer Schwester Emilie, die nach dem Süden verkauft wurde, reden hören«, sagte George.

»Wirklich! Diese Schwester bin ich«, sagte Madame de Thour. »Sagen Sie mir, was ist er für ein Mensch?«

»Ein sehr tüchtiger junger Mann«, sagte George, »trotz des Fluchs der Sklaverei, der auf ihm liegt. Er stand sowohl wegen seiner Talente wie wegen seiner Grundsätze hoch in Ehren. Ich weiß das alles, weil er in unsere Familie heiratete«, setzte er hinzu.

»Was ist es für ein Mädchen?« fragte Madame de Thour angelegentlich.

»Ein wahrer Schatz!« sagte George. »Ein schönes, begabtes, liebenswürdiges Mädchen. Sehr fromm. Meine Mutter hatte sie auferzogen und fast so sorgfältig wie eine Tochter. Sie konnte lesen und schreiben, sehr schön sticken und nähen; und sie sang sehr schön.«

»War sie in Ihrem Hause geboren?« sagte Madame de Thour.

»Nein, der Vater kaufte sie auf einer seiner Reisen nach New Orleans und brachte sie als Geschenk für die Mutter mit. Sie war damals ungefähr 8 oder 9 Jahre alt. Der Vater wollte der Mutter nie sagen, was er für sie gegeben hatte. Aber wie wir neulich seine alten Papiere durchsahen, fanden wir auch den Verkaufskontrakt. Er bezahlte eine ausschweifend große Summe für sie – wahrscheinlich wegen ihrer ungewöhnlichen Schönheit.«

George hatte Cassy den Rücken zugekehrt und sah nicht den aufs höchste gespannten Ausdruck ihres Gesichts, wie er dies erzählte.

Als er soweit gekommen war, berührte sie seinen Arm und sagte mit einem vor Spannung ganz weißen Gesicht: »Wissen Sie, wie die Leute hießen, von denen er sie kaufte?«

»Wenn ich nicht irre, hieß der Verkäufer Simmons – wenigstens, glaube ich, stand dieser Name unter dem Verkaufskontrakt.«

»O mein Gott!« sagte Cassy und sank bewußtlos auf dem Fußboden der Kajüte zusammen.

George sprang auf und ebenso Madame de Thour; obgleich keines von den beiden die Ursache von Cassys Ohnmacht erraten konnte, so richtete sie doch alle in solchen Fällen übliche Verwirrung an. George warf in der Hitze seiner Menschenfreundlichkeit einen Wasserkrug um und zerbrach zwei Gläser; und verschiedene Damen in der Kajüte drängten sich auf die Nachricht, daß jemand in Ohnmacht gefallen sei, in die Tür der Privatkajüte und hinderten soviel als möglich den Zutritt von frischer Luft, so daß im ganzen alles geschah, was man nur erwarten konnte.

Die arme Cassy! Als sie sich wieder erholte, wendete sie das Gesicht der Wand zu und weinte und schluchzte wie ein Kind. Vielleicht, Mutter, weißt Du, woran sie dachte! Vielleicht auch nicht; aber sie fühlte sich in dieser Stunde so überzeugt, daß Gott Erbarmen mit ihr gehabt habe und daß sie ihre Tochter wiedersehen würde.

28. Kapitel


Cassy

Kurze Zeit genügte, um Tom mit allem, was er in seiner neuen Lebensweise zu hoffen oder zu fürchten hatte, vertraut zu machen. Er war ein geschickter und brauchbarer Arbeiter in allem, was er angriff; und war sowohl aus Gewohnheit wie aus Grundsatz pünktlich und treu. Von stiller und friedlicher Gemütsart, hoffte er durch unausgesetzten Fleiß wenigstens einem Teile der Leiden seiner Lage zu entgehen. Er hatte soviel Tyrannei und Jammer vor Augen, daß er wohl hätte am Leben verzweifeln können; aber er war entschlossen, sich mit frommer Geduld zu mühen und Ihm zu vertrauen, der gerecht urteilt, nicht ohne einige Hoffnung, daß sich noch ein Weg der Rettung für ihn finden könnte.

Legree war ein stummer Beobachter von Toms Brauchbarkeit. Er schätzte ihn als einen seiner allerbesten Arbeiter, und doch fühlte er eine geheime Abneigung gegen ihn – den angeborenen Widerwillen des Schlechten gegen das Gute. Er sah klärlich, daß, sooft seine Gewalttätigkeit und Roheit Hilflose traf, wie es häufig geschah, Tom es wohl beachtete, denn so fein ist die Atmosphäre der Meinung, daß sie sich selbst ohne Worte fühlbar macht, und sogar die Meinung eines Sklaven kann einem Herrn unangenehm sein. Tom legte auf verschiedene Weise eine Weichheit des Gefühls und eine zärtliche Teilnahme für seine Leidensgenossen an den Tag, die ihnen seltsam und neu war und welche Legree mit argwöhnischem Auge beobachtete. Er hatte Tom in der Absicht gekauft, mit der Zeit eine Art Aufseher aus ihm zu machen, dem er manchmal während kurzer Abwesenheiten seine Angelegenheiten anvertrauen konnte; und seiner Ansicht nach war das erste, zweite und dritte Erfordernis für eine solche Stelle unnachsichtige Härte. Legree war darin mit sich einig, daß Tom, da er noch nicht hart genug sei, hart gemacht werden müsse; und einige Wochen nach Toms Ankunft beschloß er seine Kur zu beginnen.

Eines Morgens, als sämtliche Sklaven antraten, um aufs Feld zu gehen, gewahrte Tom zu seiner Überraschung ein neues Gesicht unter ihnen, dessen Erscheinung seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine schlanke und zart gebaute Frau mit merkwürdig feinen Händen und Füßen und in sauberen und anständigen Kleidern. Nach ihrem Gesicht zu urteilen mochte sie zwischen 35 und 40 Jahre alt sein; und es war ein Gesicht, das man, einmal gesehen, nie wieder vergessen konnte, eins von den Gesichtern, welche auf den ersten Blick uns an eine phantastische, leidensvolle und romantische Lebensgeschichte denken lassen. Die Stirn war hoch und die Bogen der Augenbrauen wunderschön gezogen, die gerade, gut geformte Nase, der schön geschnittene Mund und die anmutigen Umrisse ihres Kopfs und ihrer Büste verrieten, daß sie früher schön gewesen sein mußte; aber ihr Gesicht war von tiefen Furchen des Schmerzes und stolzen und bitteren Duldens durchzogen. Ihre Gesichtsfarbe war fahl und ungesund, ihre Wangen hohl, ihre Züge spitz und die ganze Gestalt ausgemergelt. Aber ihr Auge war im höchsten Grade merkwürdig – so groß, so düster schwarz, von langen, ebenso dunklen Wimpern beschattet und von so trauervollem und wild verzweifeltem Ausdruck. In jedem Zuge ihres Gesichts, in jeder Biegung ihrer zuckenden Lippe, sprach sich ungezähmter Stolz und Trotz aus; aber in ihrem Auge lag eine unergründlich tiefe, nicht zu erhellende Nacht des Schmerzes – ein so hoffnungsloser und unveränderlicher Ausdruck, daß er grauenerregend gegen den Stolz und Trotz ihres ganzen übrigen Wesens abstach.

Woher sie kam, oder wer sie war, wußte Tom nicht. Er sah sie zuerst, wie sie aufrecht und stolz im ungewissen Zwielicht des Morgens neben ihm herschritt. Die übrigen Sklaven kannten sie jedoch, denn mancher Blick und mancher Kopf wendete sich ihr zu, und unter den elenden, zerlumpften, halbverhungerten Geschöpfen, die sie umringten, gab sich ein unterdrücktes, aber sichtbares Frohlocken kund.

»Endlich muß sie auch dran glauben – freut mich!« sagte einer.

»Hi! hi! hi!« sagte eine andere. »Nun wirst du auch schon sehen, wie es tut, Missis! Na, wird die arbeiten!«

»Bin neugierig, ob sie auch abends ihre Hiebe kriegt, wie wir andern!«

»Sollte mich freuen, wenn sie einmal die Peitsche zu kosten bekäme, das schwöre ich!« sagte wieder eine andere.

Die Frau beachtete diese Reden nicht, sondern ging mit demselben Ausdruck zürnenden Trotzes ihres Wegs, als ob sie nichts hörte.

Tom hatte beständig unter gebildeten Leuten gelebt, und fühlte daher sogleich aus ihrem ganzen Wesen heraus, daß sie zu dieser Klasse gehörte; aber wie und warum sie so tief gesunken, konnte er nicht erraten. Die Frau sah ihn nicht an und sprach nicht mit ihm, obgleich sie auf dem ganzen Wege nach dem Felde an seiner Seite blieb.

Tom war bald eifrig mit seiner Arbeit beschäftigt, aber er warf oft einen Blick auf sie, um zu sehen, wie sie arbeitete. Er sah sogleich, daß angeborenes Geschick und Gewandtheit ihr die Arbeit viel leichter machten als den meisten andern. Sie las sehr rasch und sehr rein und mit einer Miene von spöttischem Trotz, als ob sie ebensosehr die Arbeit wie die Schande und Erniedrigung der Lage, in der sie sich befand, verabscheute.

Im Laufe des Tages arbeitete Tom neben der Mulattin, welche in demselben Transport mit ihm hierher gekommen war. Offenbar war sie außerordentlich leidend und Tom hörte sie oft beten, wie sie wankte und zitterte und auf dem Punkte zu stehen schien, hinzusinken. Ohne ein Wort zu sprechen, legte Tom, wie er in ihre Nähe kam, mehrere Handvoll Baumwolle aus seinem Sack in den ihrigen.

»Ach, nein, nein!« sagte die Frau mit überraschtem Blick. »Ihr werdet in Ungelegenheiten kommen.«

Gerade jetzt kam Sambo heran. Er schien einen besonderen Haß auf diese Frau geworfen zu haben und sagte, die Peitsche schwingend im brutalen Kehltone: »Was ist das, Luce – macht wohl Streiche hier?« und dabei gab er der Frau mit seinem schweren, rindsledernen Schuh einen Tritt und schlug Tom mit der Peitsche übers Gesicht.

Tom ging wieder schweigend an seine Arbeit; aber die Frau, die schon den letzten Grad der Erschöpfung erreicht hatte, fiel in Ohnmacht.

»Ich will sie schon wieder zu sich bringen!« sagte der Aufseher mit rohem Grinsen. »Ich will ihr was eingeben, was besser als Kampfer ist!« Und er zog eine Nadel aus dem Rockaufschlag und bohrte sie ihr bis an den Kopf ins Fleisch. Die Frau stöhnte und erhob sich bald. »Steh auf, du Bestie, und arbeite, oder ich will dir noch ein Kunststück zeigen!«

Die Frau schien für ein paar Augenblicke zu einer unnatürlichen Kraft angestachelt zu sein und arbeitete mit verzweifeltem Eifer.

»Sieh zu, daß du dabei bleibst«, sagte der Aufseher, »oder du wirst heute abend wünschen, du wärest tot, sage ich dir!«

»Das wünsche ich jetzt schon!« hörte Tom sie sagen; und wieder hörte er sie sagen: »O Gott, wie lange? O Herr, warum hilfst du uns nicht!«

Auf die Gefahr, sich den größten Mißhandlungen auszusetzen, trat Tom wieder zu ihr und tat alle Baumwolle aus seinem Sack in den ihrigen.

»Ach nein, das dürft Ihr nicht tun! Ihr wißt gar nicht, wie sie Euch bestrafen werden!«

»Ich kann es besser ertragen, als Ihr«, sagte Tom, und er stand wieder auf seiner Stelle. In einem Augenblick war alles vorbei.

Plötzlich erhob die unbekannte Frau, die wir beschrieben haben und die während ihrer Arbeit nahe genug gekommen war, um Toms letzte Worte zu hören, ihre schweren, schwarzen Augen und heftete sie einen Augenblick auf ihn, dann nahm sie eine Quantität Baumwolle aus ihrem Korbe und legte sie in seinen Sack.

»Ihr kennt nichts von diesem Ort«, sagte sie, »oder Ihr würdet so etwas nicht tun. Wenn Ihr erst einen Monat hier seid, werdet Ihr nicht mehr daran denken, jemand zu helfen; Ihr werdet es schwer genug finden, für Eure eigne Haut Sorge zu tragen.«

»Der Herr verhüte das, Missis!« sagte Tom, indem er unbewußt seine Mitarbeiterin auf dem Felde mit der ehrerbietigen Benennung anredete, welche unter den gebildeteren Klassen, unter denen er gelebt hatte, gang und gäbe ist.

»Der Herr kommt nie hierher«, sagte die Frau bitter, wie sie mit raschen Fingern ihre Arbeit fortsetzte; und abermals zuckte das höhnische Lächeln um ihre Lippen.

Aber der Aufseher auf der anderen Seite des Feldes hatte wohl gesehen, was die Frau getan hatte, und die Peitsche schwingend kam er jetzt heran.

»Was! Was!« sagte er zu der Frau mit triumphierender Miene. »Ihr macht gar Streiche? Wart nur! Ihr steht jetzt unter mir – nehmt Euch in acht, oder Ihr sollt’s kriegen!«

Da schoß es wie ein Blitzstrahl plötzlich aus diesen schwarzen Augen heraus; sie drehte sich mit zitternden Lippen und mit offenen Nasenlöchern um, richtete sich empor und heftete einen vor Wut und Hohn flammenden Blick auf den Aufseher.

»Hund!« sagte sie. »Rühre mich an, wenn du’s wagst! Ich besitze noch Macht genug, um dich von Hunden zerreißen, lebendig verbrennen oder in Stückchen zerschneiden zu lassen! Ich habe nur ein Wort zu sprechen.«

»Wozu, zum Teufel, seid Ihr denn hier?« sagte der Mann, offenbar eingeschüchtert, und trat mürrisch ein paar Schritte zurück. »Meinte es nicht bös, Misse Cassy.«

»Nun, so komm mir nicht zu nahe!« sagte die Frau. Und wirklich schien der Aufseher ganz besonders geneigt zu sein, sich etwas an dem anderen Ende des Feldes zu tun zu machen, und ging schnellen Schrittes dorthin.

Die Frau machte sich jetzt rasch wieder an ihre Arbeit, und machte damit Fortschritte, welche Tom in das höchste Erstaunen setzten. Sie schien wie durch Zauberei zu arbeiten. Ehe der Abend da war, war ihr Korb voll, die Baumwolle zusammengepreßt und noch daraufgehäuft, und doch hatte sie mehrere Male große Quantitäten Tom gegeben. Lange nach Dämmerung marschierte der ganze müde Zug mit den Körben auf dem Kopfe nach dem zum Aufspeichern und Wiegen der Baumwolle bestimmten Gebäude. Legree war da und sprach eifrig mit den beiden Aufsehern.

»Dieser Tom da macht einem schrecklich zu schaffen, tat immer Baumwolle in Lucys Korb. Das ist einer von denen, die allen Niggers glauben machen, ’s ginge ihnen schlecht, wenn Master nicht ein Auge auf ihm hat!« sagte Sambo.

»Was da! Der schwarze Schlingel!« sagte Legree. »Er wird wohl erst eine Lektion kriegen müssen, Bursche?«

Beide Neger grinsten scheußlich bei dieser Andeutung.

»Ja, ja! Überlaßt nur Master Legree das Lektionen geben; der Teufel selber könnte das nicht besser machen, als Master!« sagte Quimbo.

»Ich denke, Bursche, das beste ist, von ihm das Peitschen besorgen zu lassen, bis er seine Grillen los wird. Wir wollen es ihn schon lehren.«

»Ach, Master, ’s wird viel Mühe kosten, ihm das aus dem Kopf zu bringen!«

»Aber es muß ihm aus dem Kopfe«, sagte Legree und schob den Tabak auf die andere Seite seines Mundes.

»Dann ist da die Lucy – die widerspenstigste und häßlichste Dirne auf der ganzen Plantage!« fuhr Sambo fort.

»Nimm dich in acht, Sam; ich werde nächstens einmal fragen, warum du einen solchen Haß auf Lucy geworfen hast.«

»Nun, Master weiß ja, sie war widerspenstig gegen Master selbst und wollte mich nicht nehmen, wie es ihr geheißen wurde.«

»Ich wollte sie schon durch die Peitsche gehorsam machen«, sagte Legree und spuckte aus, »wenn wir nur nicht so schrecklich viel zu tun hätten, daß wir sie nicht zuschande hauen dürfen. Sie ist schwächlich, aber die schwächlichsten Dirnen lassen sich halb totschlagen, um ihren Willen zu behalten.«

»Ja, Lucy war ganz widerspenstig und faul, wollte nichts tun – und Tom hat ihr mit lesen helfen.«

»So? Nun, dann soll Tom das Vergnügen haben, sie zu peitschen. Es wird für ihn eine gute Übung sein, und er wird sie nicht so schrecklich hauen, wie ihr Teufel.«

»Hoho! ha! ha! ha!« lachten die beiden Schwarzen, und die teuflischen Laute schienen in Wahrheit kein unpassender Ausdruck des dämonischen Charakters zu sein, den Legree ihnen beigelegt hatte.

»Ja, Master, Tom und Misse Cassy haben Lucys Korb gemeinschaftlich gefüllt. Ich möchte fast meinen, ’s sind Steine drin, Master.«

»Ich werde das Wiegen besorgen!« sagte Legree mit Nachdruck.

Beide Aufseher ließen wieder ihr teuflisches Lachen erschallen. »Also Miß Cassy hat ihr Tagewerk verrichtet«, setzte er hinzu.

»Sie liest wie der Teufel und alle seine Engel!«

»Sie hat sie alle im Leibe, glaube ich!« sagte Legree und ging, einen brutalen Fluch brummend, nach dem Waagezimmer.

Langsam kamen die müden und niedergedrückten Geschöpfe in das Zimmer und brachten mit unterwürfigem Zaudern ihre Körbe an die Waage.

Legree schrieb das Gewicht auf seine Schiefertafel, an deren einer Seite ein Namensverzeichnis angeklebt war.

Toms Korb wurde gewogen und richtig befunden; und er wartete mit besorgtem Blick, wie es der Frau, der er geholfen hatte, gehen würde.

Vor Schwäche wankend, trat sie vor und gab ihren Korb hin. Er hatte das gehörige Gewicht, wie Legree recht wohl bemerkte, aber sich zornig stellend sagte er: »Was, du faule Bestie! Schon wieder zu wenig! Tritt dorthin, du sollst’s schon kriegen, und bald!«

Die Frau stöhnte voll tiefster Verzweiflung und setzte sich auf ein Brett hin.

Die Person, die man Miß Cassy genannt hatte, trat jetzt vor und übergab mit stolzer nachlässiger Miene ihren Korb. Wie sie ihn hinreichte, sah ihr Legree mit einem höhnischen, aber forschenden Blick in die Augen.

Sie sah ihn mit ihren schwarzen Augen fest an, ihre Lippen bewegten sich ein wenig, und sie sagte etwas auf französisch zu ihm. Was es war, wußte niemand, aber Legrees Gesicht nahm einen vollkommen teuflischen Ausdruck an, wie sie sprach; er hob die Hand, als wollte er schlagen – eine Gebärde, welche sie mit grimmiger Verachtung ansah, als sie sich umdrehte und fortging.

»Und nun komm einmal her, Tom«, sagte Legree. »Du weißt, ich sagte dir, daß ich dich nicht für die ganze gemeine Arbeit gekauft habe. Ich gedenke, dich zu befördern und dich zum Aufseher zu machen; und heute abend kannst du nur gleich anfangen, um deine Hand zu üben. Jetzt nimm diese Dirne da und peitsche sie aus; du hast es oft genug gesehen, um es machen zu können.«

»Ich muß Master um Verzeihung bitten«, sagte Tom, »hoffe, Master wird mich nicht dazu brauchen. Ich bin nicht daran gewöhnt – hab’s noch nie getan – und kann es nicht tun, ist mir nicht möglich.«

»Du wirst noch ziemlich viel lernen müssen, was du nicht kannst, ehe ich mit dir fertig bin!« sagte Legree, nahm einen Ochsenziemer und versetzte damit Tom einen schweren Schlag über die Wange und ließ darauf noch einen ganzen Regen von Hieben folgen.

»Da!« sagte er, wie er innehielt, um Atem zu holen. »Wirst du nun auch jetzt noch sagen, du könntest es nicht tun?«

»Ja, Master«, sagte Tom und wischte sich mit der Hand das Blut weg, das ihm am Gesicht hinablief. »Ich will gern arbeiten, Tag und Nacht, und arbeiten, solange noch Leben und Atem in mir ist; aber das zu tun, kommt mir nicht recht vor; und Master, ich werde es niemals tun, niemals!«

Tom hatte eine merkwürdige weiche, sanfte Stimme und ein ehrerbietiges Wesen, welche Legree zu dem Glauben veranlaßt hatten, er wäre feig und werde sich leicht fügen. Als er diese letzten Worte sprach, lief ein Schauer des Staunens durch jeden Anwesenden; die arme Frau schlug die Hände zusammen und sagte:

»O Herr!« und jeder sah den andern unwillkürlich an und hielt den Atem an, wie um sich auf das Unwetter vorzubereiten, das gleich losbrechen mußte.

Legree sah ganz verblüfft aus, aber endlich brach er los:

»Was! Du verdammte, schwarze Bestie! Du willst mir sagen, du hältst es nicht für recht, das zu tun, was ich dir befehle! Wie kann sich einer von euch verdammtem Viehzeug Gedanken machen, was recht ist? Dem will ich ein Ende machen! Was denkst du denn eigentlich, was du bist? Du denkst wohl gar, du bist ein Gentleman, Master Tom, daß du deinem Herrn sagst, was recht ist und was nicht recht ist! Also behauptest du, es wäre unrecht, die Dirne zu peitschen?«

»Das ist meine Meinung, Master«, sagte Tom. »Das arme Geschöpf ist krank und schwach; ’s wäre geradezu grausam, und ich werde es nie und nimmermehr tun. Master, wenn Sie mich töten wollen, so töten Sie mich; aber nie werde ich meine Hand gegen einen dieser armen Leute hier erheben, nie – eher will ich sterben!«

Tom sprach das in sanftem Tone, aber mit einer Entschiedenheit, welche nicht mißverstanden werden konnte. Legree zitterte vor Zorn; seine grünlichen Augen funkelten wild, und selbst sein Backenbart schien sich vor Leidenschaft zu kräuseln; aber wie manche wilden Tiere, die mit ihrem Opfer spielen, bevor sie es zerreißen, hielt er seinen starken Trieb, sofort Gewalt zu brauchen, noch im Zaume und brach in bitteren Hohn aus.

»Ha, da haben wir endlich einmal einen Frommen mitten unter uns Sünder bekommen! – Einen Heiligen, einen feinen Herrn, der uns Sündern von unseren Sünden vorpredigen soll! Ein gewaltig heiliger Kerl muß es sein! Höre, du Schuft, du willst dich so fromm stellen – hast du nie in deiner Bibel gelesen: Diener, gehorchet Eurem Herrn? Bin ich nicht dein Herr? Habe ich nicht 1200 bare Dollar für alles, was in deinem verwünschten, schwarzen Leichnam ist, bezahlt? Bist du nicht mein mit Leib und mit Seele?« sagte er und gab Tom mit seinem schwere Stiefel einen heftigen Tritt: »Sprich!«

In der Tiefe seines physischen Leidens und von brutaler Bedrückung niedergebeugt fiel diese Frage wie ein Strahl voll Freude und Triumph in Toms Seele. Er richtete sich plötzlich auf, blickte ernst gen Himmel, während Tränen sich unter das an seinem Gesicht herabfließende Blut mischten, und rief aus:

»Nein, nein, nein! Meine Seele gehört Ihnen nicht, Master! Die haben Sie nicht gekauft – die können Sie nicht kaufen! Die ist gekauft und bezahlt von einem, der imstande ist, sie zu bewahren; es ist einerlei, Sie können mir nicht schaden!«

»Ich kann nicht«, sagte Legree mit höhnischem Grinsen; »das wollen wir sehen! Hier Sambo, Quimbo! Gebt diesem Hund eine Tracht Schläge, die er vor einem Monat nicht vergißt!«

Die beiden riesenhaften Neger, die jetzt Tom, mit teuflischem Frohlocken im Gesicht, packten, wären keine unpassende Personifikation der Mächte der Finsternis gewesen. Die arme Frau schrie laut auf vor Angst, und alle standen, von einer gemeinsamen Bewegung erfüllt, auf, während jene ihn widerstandslos hinausschleppten.

29. Kapitel


Tom will sterben

Es war spät in der Nacht, und Tom lag stöhnend und blutend in einem alten verlassenen Raume des Baumwollhauses unter einzelnen zerbrochenen Maschinenteilen, Haufen beschädigter Baumwolle und anderem Gerumpel, das sich dort gesammelt hatte.

Die Nacht war feucht und schwül, und in der dicken Luft schwärmten Myriaden Moskitos, welche die ruhelose Marter seiner Wunden noch vermehrten, während ein brennender Durst – eine alle anderen übertreffende Folter – das Maß des physischen Schmerzes bis aufs äußerste füllte.

»Ach, guter Herrgott! Schau herab auf mich – gib mir den Sieg! – Gib mir den Sieg über alles!« betete der arme Tom in seiner Angst.

Schritte ließen sich in dem Zimmer hinter ihm hören, und der Schimmer einer Laterne fiel auf sein Auge.

»Wer ist da? O um Gottes Erbarmen willen, gebt mir Wasser!«

Cassy – denn diese war es – setzte ihre Laterne hin, goß Wasser aus einer Flasche, hob seinen Kopf in die Höhe und gab ihm zu trinken – darauf leerte er noch zwei andere Becher mit fieberischer Hast.

»Trinkt, soviel Ihr wollt«, sagte sie, »ich wußte, wie es kommen würde. Es ist nicht das erstemal, daß ich mich in der Nacht hierher schleiche, um Leuten in Eurer Lage Wasser zu bringen.«

»Ich danke Euch, Missis«, sagte Tom, als er mit Trinken fertig war.

»Nennt mich nicht Missis! Ich bin ein elender Sklave, wie Ihr seid – noch schlechter und niedriger, als Ihr jemals werden könnt!« sagte sie bitter. »Aber jetzt«, sagte sie, indem sie nach der Tür ging, und einen kleinen Strohsack hereinzog, über welchen sie mit kaltem Wasser angefeuchtete Laken gebreitet hatte, »versucht, armer Mann, Euch hier auf den Strohsack zu wälzen.«

Steif von Wunden und Schwielen, gelang es Tom erst nach längerer Zeit diese Bewegung zu bewerkstelligen; aber als es ihm gelungen war, fühlte er eine erhebliche Erleichterung von der kühlenden Wirkung der feuchten Leintücher.

Die Frau, welche durch lange Übung unter den Opfern roher Grausamkeit einiges Geschick in den heilenden Künsten erlangt hatte, machte noch verschiedene Umschläge um Toms Wunden, durch deren Hilfe er sich bald etwas erleichtert fühlte.

»So«, sagte die Frau, als sie unter seinen Kopf eine Rolle beschädigter Baumwolle gelegt hatte, die als Kissen diente, »das ist das Beste, was ich für Euch tun kann.«

Tom dankte ihr; und die Frau setzte sich auf den Fußboden hin, zog ihre Knie an sich, schlang die Arme darum und sah starr und mit einem bitteren und leidenden Ausdruck auf dem Gesichte vor sich hin. Ihre Kopfbedeckung fiel zurück, und lange, weiche Locken von schwarzem Haar wallten um ihr eigentümliches, melancholisches Gesicht.

»Es nützt Euch nichts, armer Mann!« begann sie endlich. »Es nützt Euch nichts, daß Ihr hier so etwas versucht. Ihr wart ein braver Kerl – Ihr hattet das Recht auf Eurer Seite; aber es ist alles vergebens, und für Euch außer aller Frage dagegen anzukämpfen. Ihr seid in den Händen des Teufels; er ist der Stärkste; und Ihr müßt nachgeben.«

Nachgeben! Und hatten nicht menschliche Schwäche und physische Qual ihm schon dasselbe zugeflüstert? Tom durchzuckte es bei diesem Gedanken, denn die finstere Frau mit ihren wilden Augen und ihrer melancholischen Stimme schien ihm eine Verkörperung der Versuchung zu sein, mit der er gekämpft hatte. »O Herr!« stöhnte er. »Wie kann ich nachgeben?«

»Es nützt nichts, den Herrn anzurufen – er erhört Euch nie«, sagte die Frau mit kalter Ruhe. »Es gibt keinen Gott, glaube ich; oder wenn es einen gibt, hat er Partei für unsere Gegner genommen. Alles geht gegen uns, im Himmel und auf Erden, alles treibt und stößt uns in die Hölle. Warum sollen wir nicht hingehen?«

Tom schloß die Augen und schauderte über die bösen gottlosen Worte.

»Ihr seht«, sagte die Frau, »Ihr wißt nichts davon – ich aber kenne es. Ich bin fünf Jahre auf dieser Plantage gewesen und habe mit Leib und Seele diesem Manne gehört, und ich hasse ihn, wie ich den Teufel hasse. Ihr seid hier auf einer einsamen Plantage, zehn Meilen von jeder anderen entfernt, mitten in den Sümpfen; kein Weißer ist hier, welcher bezeugen könnte, wenn Ihr lebendig verbrannt, in heißem Wasser gesotten, in zollkleine Stückchen zerschnitten, von den Hunden zerrissen oder zu Tode gepeitscht würdet. Es gibt hier kein Gesetz von Gott oder dem Menschen, das Euch oder einem von uns das mindeste nützen könnte; und dieser Mann! Es gibt nichts Schlechtes auf Erden, was er nicht schlecht genug wäre zu tun. Ich könnte Euch das Haar zu Berge stehen und die Zähne klappern machen, wenn ich nur erzählen wollte, was ich hier gesehen und erfahren habe – und Widerstand hilft nichts! Wollte ich mit ihm leben? War ich nicht ein anständig und fein erzogenes Weib? Und er – Gott im Himmel, was war er und was ist er? Und doch habe ich mit ihm diese fünf Jahre gelebt und jeden Augenblick meines Lebens verwünscht – Tag und Nacht! Und jetzt hat er eine neue mitgebracht – ein junges Ding von nur 15 Jahren; und sie ist fromm erzogen, wie sie sagt. Ihre gute Herrin hat sie gelehrt, die Bibel zu lesen, und sie hat ihre Bibel mit hergebracht – in die Hölle mit ihr!« Und das Weib stieß ein wildes und klägliches Lachen aus, das mit seltsamem, unheimlichem Klange durch den alten verfallenen Schuppen hallte.

Tom faltete die Hände; alles war Finsternis und Entsetzen. »O Jesus! Herr Jesus! Hast Du uns arme Sünder ganz vergessen?« rief er endlich aus. »Hilf, Herr, ich verderbe!«

Die Frau fuhr mit finsterer Entschiedenheit fort:

»Und was sind diese jämmerlichen niederen Geschöpfe, mit denen Ihr arbeitet, daß Ihr ihretwegen leiden wollt? Jeder einzelne von ihnen würde sich gegen Euch wenden, sowie er eine Gelegenheit dazu fände. Sie sind alle so schlecht und grausam gegeneinander, als sie nur sein können; Eure Leiden, sie vor Schaden zu bewahren, nützen zu nichts.«

»Die armen Geschöpfe!« sagte Tom. »Was hat sie grausam gemacht? Und wenn ich nachgebe, gewöhne ich mich daran und werde allmählich ebenso wie sie! Nein, nein, Missis! Ich habe alles verloren – Weib und Kinder und einen guten Herrn – und er hätte mich freigelassen, wenn er nur eine Woche länger gelebt hätte. Ich habe alles auf dieser Welt verloren, und es ist fort, für immer – und ich kann nicht auch noch den Himmel verlieren; nein, ich kann nicht auch noch schlecht werden!«

»Aber es ist unmöglich, daß uns der Herr die Sünde anrechnet«, sagte die Frau, »er kann sie uns nicht zur Last legen, wenn wir dazu gezwungen werden; er legt sie nur denen zur Last, die uns dazu getrieben haben.«

»Ja«, sagte Tom, »aber das hält uns nicht ab, gottlos zu werden. Wenn ich so hartherzig werde, wie Sambo, und so gottlos, so macht es keinen sehr großen Unterschied für mich, wie ich so geworden bin; es ist das Gottlossein – das ist’s, wovor ich mich fürchte.«

Das Weib sah mit einem verstörten und aufgeregten Blick Tom an, als ob ein neuer Gedanke in ihr aufleuchtete, und dann sprach sie mit schwerem Seufzen:

»O Gott der Gnaden! Ihr sprecht die Wahrheit! O – o – o!« und laut stöhnend sank sie auf den Boden hin, wie eine von dem äußersten Grade der Seelenangst Gefolterte sich krümmend.

Eine Pause des Schweigens trat ein, in welcher man das Atmen der beiden hören konnte, bis Tom mit schwacher Stimme sagte: »Ach bitte, Missis!«

Die Frau erhob sich plötzlich, und ihr Gesicht hatte wieder seinen gewöhnlichen, finsteren, melancholischen Ausdruck angenommen.

»Bitte, Missis, sie haben meinen Rock dort in die Ecke geworfen, und in meiner Rocktasche steckt meine Bibel – wenn Missis mir sie herreichen wollte.«

Cassy stand auf und holte sie. Tom schlug eine mit starken Strichen bezeichnete und stark abgelesene Seite auf, welche von den letzten Lebensszenen desjenigen handelt, durch dessen Leiden wir geheilt werden.

»Wenn Missis nur so gut sein wollte, das zu lesen – es ist besser als Wasser.«

Cassy nahm das Buch mit einer trockenen und stolzen Miene und überblickte die Stelle. Dann las sie laut mit einer weichen Stimme und einer eigentümlichen Schönheit der Betonung die rührende Geschichte von Christi Leiden. Oft, wie sie las, zitterte ihre Stimme oder stockte manchmal ganz, wo sie dann mit einer Miene ruhiger Fassung innehielt, bis sie ihre Bewegung bezwungen hatte. Als sie zu den rührenden Worten kam: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!« warf sie das Buch hin, verhüllte das Gesicht mit den schweren Locken ihres Haares und schluchzte laut mit krampfhafter Heftigkeit.

Tom weinte auch und ließ dann und wann einen halb unterdrückten Ausruf hören.

»Wenn wir uns nur so halten könnten!« sagte Tom. »Ihm schien es so natürlich zu kommen, und wir haben so angestrengt darum zu ringen! O Herr hilf uns! O himmlischer Herr Jesus, hilf uns!

»Missis«, sagte Tom nach einer Pause, »ich erkenne wohl, daß Ihr in allem viel weiter sein müßt als ich; aber eine Sache könnte Missis sogar von dem armen Tom lernen. Ihr sagt, der Herr nehme Partei gegen uns, weil er uns mißhandeln und peinigen läßt; aber Ihr seht, wie es mit seinem eigenen Sohn geschah, dem himmlischen Herrn der Herrlichkeit. War er nicht immer arm? Und ist es einem von uns schon so schlimm ergangen wie ihm? Der Herr hat uns nicht vergessen – des bin ich gewiß. Wenn wir mit ihm leiden, werden wir auch mit ihm herrschen, sagt die Schrift; aber wenn wir ihn verleugnen, wird er uns auch verleugnen. Haben sie nicht alle gelitten – der Herr und alle die Seinen? Wir lesen, wie sie gesteinigt und zersägt wurden und in Schaffellen und Ziegenfellen herumirrten und entblößt, bekümmert und gequält waren. Daß wir leiden, ist kein Grund, uns glauben zu machen, der Herr hätte sich gegen uns gewendet, sondern gerade das Gegenteil, wenn wir nur an ihm festhalten und uns nur der Sünde nicht ergeben.«

»Aber warum bringt er uns in Lagen, wo wir nicht anders können als sündigen?« sagte die Frau.

»Ich glaube, wir können anders«, sagte Tom.

»Ihr werdet es sehen«, sagte Cassy. »Was wollt Ihr machen? Morgen werden sie Euch wieder vornehmen. Ich kenne sie und habe all ihr Tun gesehen; ich mag gar nicht daran denken, was sie Euch alles noch tun werden – und sie werden Euch doch noch zum Nachgeben bringen!«

»Herr Jesus!« sagte Tom. »Du wirst meine Seele in Deine Obhut nehmen! O Herr, ich bitte Dich! – Laß mich nicht nachgeben.«

»Ach, ich habe auch von andern schon dieses Rufen und Beten gehört«, sagte Cassy, »und doch hat man sie mürbe gemacht, bis sie sich fügten. Da ist Emmeline, die versucht auch, es auszuhalten, und Ihr versucht es – aber was nützt es? Ihr müßt nachgeben oder Euch zollweise töten lassen.«

»Nun, dann will ich den Tod leiden!« sagte Tom. »Mögen sie es auch noch so lange hinausziehen, sie können es nicht verhindern, daß ich endlich einmal sterbe! – Und danach können sie nichts mehr tun. Ich bin ruhig! Ich bin entschlossen! Ich weiß, der Herr wird mir helfen und mich durchbringen.«

Die Frau antwortete nicht, sie saß da und heftete die schwarzen Augen starr auf den Fußboden.

»Vielleicht ist das der Weg«, murmelte sie vor sich hin, »aber für die, welche nachgegeben haben, ist keine Hoffnung mehr – keine! Wir leben in Schmutz und werden ekelhaft, bis wir uns vor uns selbst ekeln! Und wir sehnen uns zu sterben und wagen doch nicht, uns den Tod zu geben. Keine Hoffnung! Keine Hoffnung! Keine Hoffnung! – Dies Mädchen da – gerade so alt, wie ich war. Ihr seht mich jetzt«, sagte sie in hastiger Rede zu Tom, »seht, was ich bin! Ich bin in Wohlleben und Üppigkeit aufgewachsen. Meine erste Erinnerung ist, daß ich als Kind in glänzenden Zimmern spielte, daß man mich wie eine Puppe anputzte und Gesellschaft und Gäste meine Schönheit anpriesen. Vor den Salonfenstern war ein Garten; und dort spielte ich mit meinen Brüdern und Schwestern unter den Orangenbäumen Verstecken. Ich ging in ein Kloster, und dort lernte ich Musik, Französisch, Sticken und was sonst nicht; und als ich 14 Jahre alt war, verließ ich es, um meines Vaters Leichenbegräbnis beizuwohnen. Er starb sehr rasch, und als sie seine Geschäfte abschlossen, fand ich, daß kaum genug da war, um die Schulden zu decken; und als die Gläubiger ein Inventar des Mobiliareigentums aufnahmen, kam ich auch mit auf das Verzeichnis. Meine Mutter war eine Sklavin, und mein Vater hatte immer beabsichtigt, mich frei zu lassen; aber er hatte es nicht getan, und so kam ich mit zum Verkauf. Ich hatte stets gewußt, was ich war, aber hatte mir nie besondere Gedanken darüber gemacht. Niemand denkt sich, daß ein gesunder, starker Mann bald sterben könnte. Mein Vater war vier Stunden vor dem Tode noch gesund – er war eins der ersten Choleraopfer in New Orleans. Am Tage nach dem Begräbnisse nahm die Frau meines Vaters ihre Kinder und begab sich auf ihres Vaters Plantage. Ich dachte, sie behandelte mich sonderbar, aber wußte sonst nichts. Ein junger Advokat hatte die Ordnung des Geschäfts übernommen; und er kam jeden Tag, besuchte das Haus und redete mit mir sehr höflich. Eines Tages brachte er einen jungen Mann mit sich, den ich für den schönsten halten mußte, den ich jemals gesehen. Ich werde diesen Abend nie vergessen; ich ging mit ihm im Garten spazieren. Ich fühlte mich einsam und bekümmert, und er war so gut und freundlich gegen mich; und er sagte mir, er hätte mich gesehen, ehe ich ins Kloster ging und mich schon seit langer Zeit geliebt, und wollte mein Freund und Beschützer sein. Kurz, obgleich er mir nicht sagte, daß er 2000 Dollar für mich bezahlt hatte und ich sein Eigentum war, gab ich mich ihm doch gern hin, denn ich liebte ihn!« unterbrach sich die Frau. »O wie ich diesen Mann liebte! Wie ich ihn jetzt noch liebe, und immer lieben werde, solange ich atme. Er war so schön, so stolz, so edel! Er gab mir ein schönes Haus mit Dienerschaft, Pferden, Wagen, Möbeln und schönen Kleidern. Alles, was sich mit Geld kaufen ließ, schenkte er mir; aber ich legte auf das alles keinen Wert, ich kümmerte mich nur um ihn. Ich liebte ihn mehr, als meinen Gott und meine Seele; und wenn ich’s auch versuchte, konnte ich doch nicht anders tun, als nach seinen Wünschen.

Nur eines wünschte ich noch, daß er mich heiraten möchte. Ich dachte, wenn er mich wirklich so liebte, wie er sagte, und wenn ich das war, wofür er mich zu halten schien, so könnte er nichts dawider haben, mich zu heiraten und mich freizulassen. Aber er überzeugte mich, daß es unmöglich sei, und sagte mir, wenn wir nur einander treu wären, so war das eine Ehe vor Gott. Wenn das wahr ist, war ich dann nicht dieses Mannes Gattin? War ich ihm nicht treu? Sieben Jahre lang studierte ich jeden seiner Blicke und jede seiner Bewegungen, und lebte und atmete nur ihm zu Gefallen. Er bekam das gelbe Fieber und zwanzig Tage und Nächte wachte ich bei ihm – ich allein; und reichte ihm alle seine Medizin und tat alles für ihn; und dann nannte er mich seinen guten Engel und sagte, ich hätte ihm das Leben gerettet. Wir hatten zwei schöne Kinder. Das erste war ein Knabe und wir nannten ihn Henry; er war das Ebenbild seines Vaters – er hatte so schöne Augen, so eine Stirn, und das Haar umwallte ihn in reichen Locken – und er besaß das ganze Feuer des Vaters und auch seine Talente. Die kleine Elise, sagte er, sähe mir ähnlich. Er sagte mir immer, ich sei die schönste Frau in Louisiana, so stolz war er auf mich und die Kinder. Er sah es gern, wenn ich sie anputzte und mit ihnen in einem offenen Wagen ausfuhr und Bemerkungen hörte, welche die Leute über uns machten; und er redete mir beständig von den schönen Sachen vor, die sie meinen Kindern und mir zum Lobe gesprochen hatten. Ach das waren glückliche Tage! Ich hielt mich für so glücklich, als nur ein Mensch sein konnte; aber nun kamen böse Zeiten. Ein Vetter von ihm, der sein vertrauter Freund war, kam nach New Orleans. Er hielt große Stücke auf ihn; aber von dem ersten Augenblicke an, ich weiß nicht, warum, flößte er mir Furcht ein, denn ich fühlte mich überzeugt, daß er uns ins Unglück bringen würde. Er gewöhnte Henry, mit ihm auszugehen, und oft kam er nicht vor zwei oder drei Uhr nachts nach Hause. Ich wagte kein Wort zu sagen, denn Henry war so stolz und heftig, daß ich mich vor ihm fürchtete. Er nahm ihn mit in die Spielhäuser, und er war einer von denen, die sich nicht mehr halten lassen, wenn sie einmal dort sind. Und dann führte er ihn bei einer anderen Dame ein, und ich erkannte bald, daß sein Herz nicht mehr mir gehörte. Er sagte es mir nie, aber ich sah es – ich wußte es Tag für Tag. Ich fühlte, wie mir das Herz brach, aber konnte kein Wort sagen. Darauf erbot sich der Elende, mich und die Kinder ihm heimlich abzukaufen, um seine Spielschulden zu tilgen, die seiner Verheiratung, die er im Sinne hatte, im Wege standen – und verkaufte uns. Eines Tages sagte er mir, er habe Geschäfte außerhalb der Stadt und werde auf zwei oder drei Wochen verreisen. Er war zärtlicher als gewöhnlich und sagte, er werde wiederkommen; aber er täuschte mich nicht, ich wußte, daß die Zeit gekommen war, mir war es, als wäre ich Stein geworden; ich konnte weder sprechen noch eine Träne vergießen. Er küßte mich und küßte die Kinder viele Male und verließ uns. Ich sah ihn aufs Pferd steigen und blickte ihm nach, bis er ganz außer Gesichtsbereich war, dann sank ich bewußtlos zu Boden. Dann kam er, der Elende! Er kam, mich in Besitz zu nehmen. Er sagte mir, daß er mich und meine Kinder gekauft hätte, und zeigte mir die Papiere. Ich verfluchte ihn vor Gott und sagte ihm, ich wollte lieber sterben, als mit ihm leben.

›Ganz wie es Euch beliebt‹, sagte er. ›Aber wenn Ihr Euch nicht verständig benehmt, so verkaufe ich Eure beiden Kinder an einen Ort, wo Ihr sie nie wiedersehen sollt.‹ Er sagte mir, er habe sich von dem ersten Male an, wo er mich gesehen, vorgenommen, mich zu besitzen; und er habe Henry verführt und ihn zum Schuldenmachen verlockt, damit er willens werde, mich zu verkaufen. Durch seine Veranstaltung habe er sich in eine andere Frau verliebt; und ich möchte daraus sehen, daß er nach solchen Bemühungen seinen Vorsatz nicht wegen ein paar Tränen oder Ohnmachten aufgeben werde.

Ich fügte mich, denn die Hände waren mir gebunden. Er hatte meine Kinder; wenn ich mich seinem Willen in irgend etwas widersetzte, so drohte er, sie zu verkaufen, und machte mich so unterwürfig, wie er nur wünschte. Oh, was das für ein Leben war! Mit brechendem Herzen jeden Tag zu leben – immer fort und fort zu leben, wo nur Jammer war; und mit Leib und Seele an einen Mann gefesselt zu sein, den ich haßte. Henry hatte ich früher gern vorgelesen oder ihm vorgespielt oder mit ihm gewalzt und gesungen; aber alles, was ich für diesen tat, war mir eine wahre Last – und doch wagte ich nicht, ihm etwas zu verweigern. Er war sehr herrisch und barsch gegen die Kinder. Elisa war ein schüchternes kleines Wesen; aber Henry war keck und feurig, wie sein Vater und hatte sich noch vor keinem Menschen gebeugt. Diesen zankte und schimpfte er immer aus; und ich verlebte jeden Tag in Furcht und Besorgnis. Ich versuchte, dem Kinde Ehrerbietigkeit zu lehren – ich versuchte, sie fern voneinander zu halten, denn ich hing an diesen Kindern, wie an meinem Leben; aber es nützte mir nichts. Er verkaufte beide Kinder. Er fuhr eines Tages mit mir aus, und als ich nach Hause kam, waren sie nirgends aufzufinden! Er sagte mir, er hätte sie verkauft; er zeigte mir das Geld, den Preis ihres Blutes. Da war es, als ob alles Gute mich verließe. Ich wütete und fluchte – verfluchte Gott und die Menschen; und eine Zeitlang, glaube ich, fürchtete er sich wirklich vor mir. Aber er gab nicht nach. Er sagte mir, meine Kinder wären verkauft, aber ob ich sie jemals wiedersehen würde, hinge ganz von ihm ab; und wenn ich mich nicht ruhig verhielte, würden sie es empfinden. Nun, man kann ja alles mit einer Frau machen, wenn man ihre Kinder in der Gewalt hat. Mich machte sein Drohen unterwürfig; ich ließ mir alles gefallen; er schmeichelte mir mit der Hoffnung, daß er sie vielleicht zurückkaufen werde, und so vergingen eine oder zwei Wochen. Eines Tages ging ich spazieren und kam an der Calabuse vorbei. Ich sah ein Gedränge um die Tür stehen und hörte die Stimme eines Kindes – und plötzlich riß sich mein Henry von zwei oder drei Männern los, die ihn hielten, stürzte schreiend auf mich los und klammerte sich an mein Kleid an. Sie kamen fürchterlich fluchend hinter mir her; und ein Mann, dessen Gesicht ich nie vergessen werde, sagte ihm, daß er nicht so entkommen solle; daß er mit in die Calabuse müsse und dort eine Lektion zu bekommen, die er nicht so leicht vergessen werde. Ich versuchte, für ihn vorzubitten – sie lachten mich nur aus; der arme Knabe schrie und sah mir flehend ins Gesicht, und klammerte sich an mich an, bis sie ihn mit Gewalt fortschleppten und mir dabei fast das ganze Kleid herunterrissen; und wie sie ihn hineintrugen, schrie er immer noch: ›Mutter! Mutter! Mutter!‹ Ein Mann stand dabei, der mit mir Mitleid zu haben schien. Ich bot ihm all mein Geld für seine Fürsprache an. Er schüttelte den Kopf und sagte, der Mann behaupte, der Knabe sei unverschämt und widerspenstig gewesen, seit er ihn besitze; und er wolle ein für allemal seinen Trotz brechen. Ich wandte mich um und eilte fort; und auf jedem Schritte glaubte ich ihn schreien zu hören. Ich erreichte unsere Wohnung und stürzte außer Atem in das Wohnzimmer, wo ich Butler fand. Ich erzählte ihm alles und bat ihn, hinzugehen und sich für den Knaben zu verwenden. Er lachte nur und sagte, dem Knaben geschehe ganz recht. Sein Trotz müsse gebrochen werden – je eher desto besser; was könnte ich anderes erwarten? fragte er mich.

In diesem Augenblicke war es mir, als zerspränge etwas in meinem Kopfe. Mir schwindelte und Raserei ergriff mich. Ich erinnere mich noch, ein großes, scharfes Bowiemesser auf dem Tisch liegen gesehen zu haben; ich erinnere mich noch dunkel, daß ich es ergriff und auf ihn losstürzte; und dann wurde alles finster und ich wußte nichts mehr – viele, viele Tage lang nicht.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem sauberen Zimmer – aber nicht in meinem. Eine alte Negerin war meine Krankenwärterin; und ein Arzt besuchte mich, und man gab sich sehr viel Mühe mit mir. Nach einer Weile erfuhr ich, daß er fort war und mich in diesem Hause zurückgelassen hatte, um verkauft zu werden; und deshalb trugen sie soviel Sorge für mich.

Ich wollte nicht gesund werden und hoffte es auch nicht; aber mir zum Trotz verging das Fieber, und ich genas und stand endlich vom Krankenlager auf. Dann mußte ich mich jeden Tag anputzen; und Herren besuchten uns und rauchten ihre Zigarre und sahen mich an und stellten Fragen und handelten um mich. Ich war so düster und schweigsam, daß niemand mich haben wollte. Sie drohten, mich auszupeitschen, wenn ich nicht heiterer würde und mir Mühe gäbe, mich angenehm zu machen. Endlich kam eines Tages ein Herr, namens Stuart. Er schien einige Teilnahme für mich zu empfinden; er sah, daß mir etwas Schreckliches auf dem Herzen lag, und besuchte mich oft, wenn ich allein war, und überredete mich endlich, ihm mein Herz auszuschütten. Er kaufte mich zuletzt und versprach alles mögliche zu tun, um meine Kinder aufzufinden und zurückzukaufen. Er ging in das Hotel, wo mein Henry gewesen war; sie sagten ihm, er wäre an einen Pflanzer oben am Pearl River verkauft; das ist das letzte, was ich von ihm gehört habe. Dann entdeckte er auch, wo meine Tochter war; eine alte Frau hatte sie in ihrem Hause. Er bot eine bedeutende Summe für sie, aber sie wollten sie nicht verkaufen. Butler erfuhr, daß er sie für mich kaufen wollte; und er ließ mir sagen, daß ich sie nie bekommen würde. Capitain Stuart war sehr gut gegen mich; er besaß eine prächtige Plantage und nahm mich mit dorthin. Im Laufe eines Jahres wurde mir ein Sohn geboren. O dieses Kind! – Wie ich es liebte! Wie ähnlich das kleine Wesen meinem armen Henry sah! Aber ich hatte meinen Entschluß gefaßt – ja, ich hatte mir vorgenommen, kein Kind emporwachsen zu lassen! Ich nahm den Kleinen in meine Arme, als er zwei Wochen alt war, und küßte ihn, und weinte über ihm; und dann gab ich ihm Laudanum ein und hielt ihn fest an meine Brust gedrückt, während er in den Tod hinüberschlief. Wie ich über der Leiche trauerte und weinte! Und wem ist es je im Traume eingefallen, daß ich ihm anders als aus Irrtum das Laudanum gegeben habe? Aber es ist eine von den wenigen Taten, über die ich mich jetzt noch freue. Ich bereue es bis heute noch nicht; wenigstens ist er von aller Plage frei. Was konnte ich dem armen Kinde Besseres geben als den Tod? Nach einer Weile kam die Cholera, und Capitain Stuart starb; alles starb, was leben wollte: Nur ich – ich, obgleich ich mich bis an die Pforten des Todes drängte – ich lebte! Dann wurde ich verkauft und ging von Hand zu Hand, bis ich welk und runzelig wurde und das Fieber bekam; und dann kaufte mich dieser Elende und brachte mich hierher – und hier bin ich!«

Die Frau schwieg. Sie hatte ihre Geschichte mit einem wilden leidenschaftlichen Haß erzählt und schien sich dabei manchmal an Tom zu wenden, manchmal mit sich selbst zu sprechen. So heftig und überwältigend war die Kraft, mit der sie erzählte, daß Tom sogar eine Zeitlang die Schmerzen seiner Wunden vergaß, und sich auf einen Ellenbogen gestützt erhob und ihr zusah, wie sie ruhelos auf und ab ging, während ihr langes schwarzes Haar sie in schweren Locken umwallte.

»Ihr sagt mir«, sagte sie nach einer Pause, »daß es einen Gott gäbe – einen Gott, der herunterblickt und alle diese Dinge sieht. Vielleicht ist’s wahr. Die Klosterschwestern erzählten mir manchmal von einem Tage des Gerichts, wo alles ans Licht kommen soll; wird das nicht ein Tag der Rache werden!

Sie glauben, unsere Leiden seien ein Nichts – es sei ein Nichts, was unsere Kinder zu leiden hätten! Es ist alles nur unbedeutend; und doch bin ich auf den Straßen herumgestrichen, während es mir vorkam, als hätte ich Elend genug auf meinem eigenen Herzen, um die ganze Stadt darunter zu begraben. Ich habe gewünscht, die Häuser möchten auf mich fallen oder die Erde unter mir einsinken. Ja, am Tage des Gerichts will ich vor Gott treten und meine Kinder an Leib und Seele zugrunde gerichtet haben!

Als ich noch ein Mädchen war, glaubte ich, fromm zu sein; ich liebte Gott und betete gern. Jetzt bin ich eine verlorene Seele, verfolgt von Teufeln, die mich Tag und Nacht quälen; sie treiben mich beständig an – und ich werde es gewiß auch nächstens tun!« sagte sie und ballte die Faust, während ein Blitz des Wahnsinns aus ihren schweren Augen schoß. »Ich will ihn hinschicken, wo er hingehört – er hat nicht weit zu gehen – nächstens, und wenn sie mich dafür lebendig verbrennen!« Ein langes wildes Gelächter schallte durch den verlassenen Raum und verlief sich in ein hysterisches Schluchzen; krampfhaft stöhnend und zuckend warf sie sich auf den Erdboden.

In wenigen Augenblicken schien der Anfall vorüber zu sein; sie stand langsam auf und schien sich zu sammeln.

»Kann ich noch etwas für Euch tun, armer Mann?« sagte sie und trat an Toms Lager. »Soll ich Euch noch etwas Wasser reichen?«

Es lag eine anmutsvolle und mitleidige Lieblichkeit in ihrer Stimme und ihrem Wesen, wie sie das sagte, die einen seltsamen Gegensatz zu ihrer früheren Wildheit bildete.

Tom trank das Wasser und sah sie voll Ernst und Mitleid an.

»O Missis, ich wollte, Ihr ginget zu Ihm, der Euch das Wasser des Lebens reichen kann!«

»Zu Ihm gehen! Wo ist er? Wo ist er?« sagte Cassy.

»Er, von dem Ihr mir vorgelesen habt – der Herr.«

»Ich habe oft ein Bild von ihm über dem Altare gesehen, als ich noch ein Kind war«, sagte Cassy, und ihre Augen starrten, wie in einem melancholischen Traum versunken vor sich hin. »Aber hier ist er nicht! Hier ist nichts als Sünde und lange endlose Verzweiflung! O!« und sie legte die Hand auf ihre Brust und holte tief Atem, als wollte sie eine schwere Bürde heben.

Tom machte eine Gebärde, als wollte er wieder zu sprechen anfangen, aber sie unterbrach ihn mit einem sehr entschiedenen Winke.

»Sprecht nicht, armer Mann. Versucht lieber zu schlafen, wenn’s Euch möglich ist.« Und nachdem sie den Wasserkrug an sein Bett gestellt hatte, daß er ihn erreichen konnte, und es ihm auch in anderer Weise möglichst bequem gemacht hatte, verließ Cassy den Schuppen.

3. Kapitel


Ein Abend in Onkel Toms Hütte

Onkel Toms Hütte war ein kleines Blockhaus, dicht neben dem »Hause«, wie der Neger die Herrenwohnung par excellence nennt. Davor war ein hübscher Gartenfleck, wo jeden Sommer Erdbeeren, Himbeeren und viele andere Früchte und Gemüse unter sorgfältiger Pflege gediehen. Die ganze Vorderseite war von einer großen roten Begonie und einer einheimischen Multiflorarose bedeckt, die sich ineinander verschlangen und kaum ein Fleckchen der rohen Balken erblicken ließen. Hier fanden auch im Sommer verschiedene lebhaft gefärbte Blumen wie Ringelblumen, Petunien und andere eine Stelle, wo sie ihren Glanz zeigen konnten, und waren die Freude und der Stolz von Tante Chloes Herzen.

Wir wollen einmal in das Haus eintreten. Das Abendessen im Herrenhause ist vorbei, und Tante Chloe, die seiner Bereitung als erste Köchin vorstand, hat anderen in der Küche das Geschäft überlassen, das Geschirr wegzuräumen und zu waschen, und ist nun unter ihrem eigenen gemütlichen Dache, um für ihren Alten das Abendessen zu bereiten. Deshalb könnt Ihr Euch sicher darauf verlassen, daß sie vor dem Feuer steht und mit gespanntem Interesse gewisse brodelnde Sachen in einem Kasserol überwacht und dann und wann mit ernster Überlegung den Deckel eines Schmorkessels abhebt, aus welchem ein Dampf emporsteigt, der unzweifelhaft etwas Gutes erraten läßt. Sie hat ein rundes, schwarzes, glänzendes Gesicht, so glänzend, daß man fast glauben könnte, sie wäre mit Eiweiß lackiert, wie eins ihrer eigenen Teebrote. Ihr ganzes dickes Gesicht strahlt unter ihrem gut gestärkten karierten Turban von Selbstgenügsamkeit und Zufriedenheit, nicht unvermischt, müssen wir gestehen, mit dem Selbstbewußtsein, welches der ersten Kochkünstlerin der ganzen Umgegend zukommt, wofür Tante Chloe allgemein gehalten wird.

Eine Köchin war sie gewiß bis zum innersten Kern ihrer Seele. Jede Henne, Truthenne oder Ente auf dem Hofe wurde ernsthaft, wenn sie Tante Chloe nahen sah, und schien bange an ihren letzten Augenblick zu denken; denn gewiß war ihr Kopf immer so sehr mit Schlachten, Füllen und Braten beschäftigt, daß jedes einsichtsvolle Huhn, das noch lebte, darüber erschrecken konnte. Ihr Maiskuchen in allen seinen zahllosen Varietäten war ein erhabenes Geheimnis für alle weniger geübten Bäcker, und ihr fetter Bauch wackelte ihr von ehrlichem Stolz und Freude, wenn sie die fruchtlosen Anstrengungen einer oder der andern Nebenbuhlerin erzählte, die danach gestrebt hatte, ihren hohen Standpunkt zu erreichen.

Die Ankunft von Gesellschaft im Herrenhause, das Anordnen von Staatsdiners und Soupers, riefen die ganze Energie ihrer Seele wach, und kein Anblick war ihr angenehmer, als ein ganzer Haufen von Reisekoffern in der Veranda; dann sah sie neue Anstrengungen und neue Siege vor sich.

Jetzt gerade blickt jedoch Tante Chloe in die Schmorpfanne, bei welcher angenehmen Beschäftigung wir sie lassen wollen, bis wir mit unserer Schilderung der Hütte fertig sind.

In einer Ecke derselben stand ein Bett, sauber mit einer schneeweißen Decke zugedeckt, und vor demselben lag ein Stück Teppich von nicht unbeträchtlicher Größe. Auf dieses Stück Teppich bildete sich Tante Chloe etwas ein, weil es ganz entschieden vornehm war, und dasselbe und das Bett, vor dem es lag, und die ganze Ecke wurde mit ausgezeichneter Rücksicht behandelt und soweit möglich vor den plündernden Einfällen und Entheiligungen des Kleinen bewahrt. Eigentlich war diese Ecke der Salon des Hauses. In der andern Ecke stand ein Bett von viel bescheideneren Ansprüchen und offenbar zum Gebrauch bestimmt. Über dem Kamin hingen ein paar sehr bunte Bilder aus der Heiligen Schrift und ein Porträt des Generals Washington von einer Zeichnung und einem Kolorit, welche gewiß diesen großen Mann in Erstaunen gesetzt hätten, wenn sie ihm zu Gesicht gekommen wären.

Auf einer Bretterbank in der Ecke waren ein paar Knaben mit Wollköpfen und funkelnden schwarzen Augen beschäftigt, die ersten Gehübungen eines kleinen Kindes zu beaufsichtigen, die, wie es gewöhnlich der Fall ist, darin bestanden, daß es auf die Füße zu stehen kam, einen Augenblick das Gleichgewicht suchte und dann wieder niederfiel. Natürlich wurde jeder fehlgeschlagene Versuch mit lebhaftem Beifall begrüßt, als wäre er ganz entschieden gelungen.

Ein in seinen Beinen etwas gichtischer Tisch war vor das Fenster gerückt und mit einem Tischtuch bedeckt; verschiedenes Geschirr von sehr lebhaftem Muster stand darauf wie Anzeichen einer bevorstehenden Mahlzeit. An diesem Tisch saß Onkel Tom, Mr. Shelbys bester Mann.

Er war ein großer, breitschultriger, kräftig gebauter Mann von tiefem glänzendem Schwarz und einem Gesicht, dessen echt afrikanische Züge ein Ausdruck von ernster und tüchtiger Verständigkeit, mit Freundlichkeit und Wohlwollen verbunden, auszeichnete. In seiner ganzen Physiognomie lag etwas von Selbstachtung und Würde, die jedoch mit einer vertrauenden und bescheidenen Einfachheit verbunden waren.

Er hatte gerade sehr viel mit einer vor ihm liegenden Schiefertafel zu tun, auf welcher er vorsichtig und langsam bemüht war, einige Buchstaben nachzumalen, wobei ihn der junge Master George, ein lebhafter, hübscher Knabe von 13 Jahren, beaufsichtigte, der die Würde seiner Stellung als Lehrer ganz zu fühlen schien.

»Nicht auf die Seite, Onkel Tom – nicht auf die Seite«, sagte er munter, als Onkel Tom mit großer Mühe den Schwanz eines g auf der falschen Seite in die Höhe zog. »Das wird ein q, sieh her.«

»So, so, wirklich«, sagte Onkel Tom und sah mit einem ehrerbietigen, bewundernden Gesicht zu, während sein junger Lehrer zu seiner Erbauung unzählbare q und g auf die Tafel machte; darauf nahm er den Schieferstift zwischen seine groben schweren Finger und fing geduldig von vorn an.

»Wie leicht den weißen Leuten alles wird!« sagte Tante Chloe, indem sie einen Augenblick von der Kuchenform aufsah, die sie mit einem auf die Gabel aufgespießten Stück Speck bestrich, und den jungen Master George stolz anblickte. »Wie er jetzt schreiben kann! Und lesen! Und abends hierher zu kommen und seine Lektionen uns vorzulesen – das ist gewaltig interessant!«

»Aber, Tante Chloe, ich werde gewaltig hungrig«, sagte George.

»Ist denn der Kuchen in der Pfanne dort bald fertig?«

»Beinahe gut, Master George«, sagte Tante Chloe, indem sie den Deckel ein wenig in die Höhe hob und hineinguckte; »wird schön braun – wunderschön braun. Ach das überlaßt mir! Missis ließ neulich Sally versuchen, Kuchen zu backen, nur damit sie’s lerne, sagte sie. ›Ach gehen Sie, Missis!‹ sagte ich. ›Es tut einem ordentlich das Herz weh, gute Speisen so verderben zu sehen! Der Kuchen hebt sich nur auf einer Seite, kriegt keine Form, so wenig wie mein Schuh – geht mir!‹« Und mit dieser letzten Abfertigung der Uneingeweihtheit Sallys nahm Tante Chloe den Deckel von der Backpfanne und zeigte den Augen einen schön gebackenen Pfundkuchen, dessen sich kein Konditor in der Stadt hätte zu schämen brauchen. Da dies offenbar der Mittel- und Hauptpunkt des Festes war, so fing jetzt Tante Chloe an, sich ernstlich mit dem Anrichten des Abendessens zu beschäftigen.

»Ihr da, Mose und Pete, geht aus dem Wege, ihr Nigger! Fort hier, Polly, mein Schätzchen, Mutter wird dir hernach schon was geben. Und Sie, Master George, nehmen Sie jetzt die Bücher weg und setzen Sie sich hin mit meinem Alten, und ich will die Würste anrichten und Ihnen die erste Form voll Waffeln vorsetzen, ehe Sie sich umsehen können.«

»Sie wollten, ich solle zum Abendbrot nach Hause kommen«, sagte George; »aber ich wußte zu gut, was besser ist, Tante Chloe.«

»Gewiß, gewiß, Goldkind«, sagte Tante Chloe und häufte ihm den Teller voll dampfender Waffeln. »Sie wußten, daß Ihr altes Tantchen das Beste für Sie aufhebt. O das überlaßt Ihr, geht mir!« Und dabei gab Tante Chloe George einen freundlichen Stoß in die Seite, der über die Maßen spaßhaft sein sollte, und wendete sich wieder mit großem Eifer zu ihrer Kuchenform.

»Nun den Kuchen her«, sagte Master George, als er in der Beschäftigung mit den Waffeln ein wenig nachgelassen hatte, und damit schwenkte der junge Bursche ein großes Messer über den fraglichen Gegenstand.

»Ums Himmels willen, Master George!« sagte Tante Chloe mit großem Ernste und ergriff ihn beim Arme. »Sie werden ihn doch nicht mit dem großen Messer schneiden? Sie verderben ihn ganz und gar – zerbrechen die schöne, gewölbte Decke? Hier ist ein dünnes, altes Messer, das ich bloß dazu geschärft habe. So, so – geht so leicht auseinander wie eine Feder! Nun essen Sie – was Besseres, als das, kriegen Sie nicht.«

»Tom Lincoln sagt«, entgegnete George mit vollem Munde, »daß ihre Jinny besser kochen kann als du!«

»Die Lincolns haben nicht viel zu bedeuten, gar nicht!« sagte Tante Chloe geringschätzig. »Ich meine im Vergleich mit unsern Leuten. Es sind ganz achtbare Leute in bescheidener einfacher Weise; aber etwas Vornehmes zuwege zu bringen, davon haben sie auch gar keinen Begriff. Stellen Sie einmal Master Lincoln neben Master Shelby! O Gott! Und Mistreß Lincoln, kann sie so in das Zimmer hereinrauschen, wie meine Missis – so recht vornehm, wißt Ihr! O geht mir! Sprecht mir nicht von den Lincolns!« Und Tante Chloe warf den Kopf zurück wie eine Person, die da vermeint, sie kenne die Welt etwas.

»Nun, ich habe dich aber doch sagen hören«, sagte George, »daß Jinny eine leidliche Köchin sei.«

»Das habe ich gesagt«, sagte Tante Chloe, »das kann ich sagen. Eine gute, einfache, gewöhnliche Küche, die kann Jinny besorgen; kann ein gutes Laib Brot backen – ihre Kartoffeln ziemlich kochen – ihre Maiskuchen sind nicht besonders, nicht besonders sind sie, aber doch sind sie leidlich – aber Gott, wenn man zu den höhern Zweigen kommt, was kann sie da? Nun ja, sie macht Pasteten – jawohl; aber mit was für einer Rinde? Kann sie den echten, geschmeidigen Teig backen, der im Munde zerschmilzt und in die Höhe steigt, wie ein Eiderbett? Nun, ich war drüben bei Miß Marys Hochzeit, und Jinny zeigte mir die Hochzeitkuchen. Jinny und ich sind gute Freundinnen, wissen Sie. Ich sagte kein Wort; aber gehen Sie mir, Master George! Wahrhaftig, ich könnte eine ganze Woche lang kein Auge zutun, wenn ich solche Kuchen gemacht hätte. Gott, sie taugten auch gar nichts!«

»Und wahrscheinlich bildet sich Jinny was Besonderes darauf ein«, sagte George.

»Gewiß, gewiß! Ich sehe sie noch, wie sie mir sie zeigte, so unschuldig ja sehen Sie, das ist es eben, Jinny weiß es nicht besser. Gott, die Familie ist nichts! Man kann es nicht verlangen, daß sie es weiß! Das ist nicht ihr Fehler. Ach, Master George, Sie kennen nicht die Hälfte Ihrer Privilegien in Ihrer Familie und Erziehung.« Hier seufzte Tante Chloe und verdrehte vor Bewegung die Augen.

»O gewiß, Tante Chloe, ich kenne alle meine Pasteten- und Pudding-Privilegien«, sagte George. »Frag Tom Lincoln, ob ich nicht jedesmal über ihn krähe, wenn ich ihn sehe.«

Tante Chloe lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und brach über diesen Witz ihres jungen Herrn in ein so herzliches Lachen aus, daß ihr die Tränen über die glänzenden schwarzen Backen herabrollten, wobei sie scherzend Master George schlug und puffte und ihm sagte, er sollte gehen, und er sei so ein Mensch – und er sei imstande, sie tot zu machen; und zwischen jeder dieser Todesprophezeiungen brach sie wieder in ein Gelächter aus, das stets länger und lauter als das vorige war, bis George wirklich zu glauben anfing, er sei ein ganz gefährlich witziger Kerl, und er müsse sich wohl in acht nehmen, nicht gar zu drollig zu sein.

»Und das sagten Sie Tom wirklich! O Gott! Was die jungen Leute nicht alles tun! Sie kräheten über Tom, o Gott! Master George, Sie können ja einen Holzbock zu lachen machen.«

»Ja«, sagte George, »ich sagte zu ihm: ›Tom, du solltest einen Kuchen von Tante Chloe sehen; das sind die wahren‹«, sagte ich.

»’s ist wirklich schade, daß es Tom nicht gekonnt hat«, sagte Tante Chloe, auf deren wohlwollendes Herz der Gedanke an Toms umnachteten Seelenzustand einen starken Eindruck zu machen schien. »Sie sollten ihn eigentlich nächster Tage einmal hierher zum Essen einladen, Master George«, setzte sie hinzu; »das würde sich ganz hübsch von Ihnen ausnehmen. Sehen Sie, Master George, Sie dürfen auf niemand herabsehen wegen Ihrer Privilegien, weil unsere Privilegien uns von Gott gegeben sind, – wir sollten das niemals vergessen«, sagte Tante Chloe und machte ein ganz andächtiges Gesicht.

»Gut, ich werde nächste Woche Tom einmal hierher einladen«, sagte George; »und du tust dein Bestes, Tante Chloe, und er soll Augen machen! Er soll essen, daß er es vierzehn Tage lang nicht verwinden kann; nicht wahr?«

»Ja, ja, gewiß«, sagte Tante Chloe voll Freude, »das sollen Sie sehen. Gott, wenn man an manche unserer Diners denkt! Erinnern Sie sich noch an die große Hühnerpastete, die ich machte, als wir General Knox das Diner gaben? Ich und Missis hätten uns fast wegen der Pastetenrinde gezankt. Ich möchte wissen, was Ladies manchmal in den Kopf kommt, aber manchmal, wenn jemand die schwerste Verantwortlichkeit auf sich hat und sozusagen das Herz ganz voll hat von seinem Geschäft, da wählen sie gerade die Zeit, nur um um einen herumzustehen und hineinzureden! Missis nun wollte, ich sollte dieses so machen und jenes anders machen; und zuletzt wurde ich ordentlich giftig und sagte: ›Aber Missis, sehen Sie doch einmal Ihre schönen weißen Hände an mit den langen Fingern, die alle von Ringen funkeln wie meine weißen Lilien, wenn der Tau dran hängt; und sehen Sie dann meine großen, schwarzen, plumpen Hände an. Meinen Sie nun nicht, daß der Herr mich geschaffen hat, um den Pastetenteig zu backen, und Sie, um im Gesellschaftszimmer zu bleiben?‹ Ja, ich war wirklich giftig, Master George.«

»Und was sagte die Mutter?« sagte George.

»Was sie sagte? – Nun, man sah es, ihre Augen lachten – ihre großen schönen Augen; und sie sagte: ›Tante Chloe, ich glaube wirklich, du hast darin ziemlich recht‹ sagte sie; und sie ging hinein ins Gesellschaftszimmer. Sie hätte mir eigentlich eins über den Kopf geben sollen, weil ich so giftig war; aber ’s ist einmal so – mit Damen in der Küche kann ich nichts machen!«

»Ja, du hast dich mit diesem Diner hervorgetan – ich erinnere mich noch, daß jeder das sagte«, sagte George.

»Nicht wahr? Und stand ich nicht an demselben Tage hinter der Tür des Speisezimmers, und sah ich nicht, wie der General sich noch dreimal von meiner Pastete geben ließ, und hörte ich nicht, wie er sagte: ›Sie müssen eine ganz besonders gute Köchin haben, Mrs. Shelby.‹ Gott! Ich wäre fast geplatzt!«

»Und der General weiß, was gut kochen heißt«, sagte Tante Chloe und richtete sich selbstbewußt in die Höhe. »Sehr hübscher Mann, der General! Stammt aus einer unserer allerbesten Familien von Altvirginien! Er weiß, wo Barthel Most holt, der General – so gut wie ich. Sie müssen wissen, Master George, jede Art Pastete hat ihre Feinheiten; aber nicht jedermann weiß, was sie sind oder worin sie bestehen sollten. Aber der General weiß es; das spürte ich gleich in seinen Bemerkungen. Ja, er weiß, wo die Feinheiten sind!«

Mittlerweile hatte Master George den Zustand erreicht, den selbst ein Knabe erreichen kann (unter ungewöhnlichen Verhältnissen), wo er auch nicht einen Bissen mehr essen konnte, und daher hatte er jetzt Muße, den Haufen von wolligen Köpfen und glänzenden Augen zu bemerken, welche ihnen aus der anderen Ecke hungrig zusahen.

»Hier Mose, Pete«, sagte er, indem er große Bissen abbrach und sie ihnen zuwarf; »ihr wollt auch was haben, nicht? Tante Chloe, backe ihnen ein paar Waffeln.«

Und George und Tom rückten auf einen gemütlichen Platz in die Kaminecke, während Tante Chloe, nachdem sie einen ansehnlichen Haufen Waffeln gebacken, das Kleinste auf den Schoß nahm und anfing, abwechselnd den Mund der Kinder und ihren eigenen zu füllen und Mose und Pete ebenfalls zu bedenken, welche vorzuziehen schienen, ihre Portionen zu verzehren, während sie unter dem Tische auf dem Erdboden herumkollerten, sich gegenseitig kitzelten und gelegentlich das Kleinste an den Zehen zupften.

»Wart, still da!« sagte die Mutter und stieß dann und wann ziemlich aufs Geratewohl mit dem Fuße unter den Tisch, wenn der Lärm gar zu arg wurde. »Könnt ihr euch nicht anständig benehmen, wenn euch weiße Herrschaften besuchen? Wollt ihr gleich ruhig sein! Nehmt euch in acht, sonst nehme ich euch ein Knopfloch tiefer vor, wenn Master George fort ist!«

Was diese schreckliche Drohung besagen sollte, ist schwer zu deuten; aber gewiß ist, daß ihre grauenhafte Unbestimmtheit auf die jungen Sünder, denen sie galt, sehr wenig Eindruck machte.

»Ach, sie sind noch so voller Lachen, daß sie sich nicht benehmen können«, sagte Onkel Tom.

Hier kamen die Jungen unter dem Tisch hervor und fingen mit tüchtig mit Sirup bekleisterten Händen und Gesicht das Kleine lebhaft zu küssen an.

»Marsch, fort mit euch!« sagte die Mutter und stieß ihre wolligen Köpfe beiseite. »Ihr klebt alle zusammen und kommt nicht wieder los voneinander, wenn ihr es so macht. Geht an den Brunnen und wascht euch!« sagte sie und unterstützte ihre Ermahnungen mit einem Klaps, der sehr derb klang, aber nur noch mehr Gelächter aus den Jungen hervorzulocken schien, wie sie übereinander weg zur Türe hinauspurzelten, wo sie vor lauter Lust hell aufkreischten.

»Hat man schon so ungezogene Rangen gesehen?« sagte Tante Chloe etwas selbstgefällig, wie sie ein für solche Gelegenheiten aufgespanntes, altes Handtuch hervorbrachte, etwas Wasser aus der gesprungenen Teekanne darauf goß und nun den Sirup von dem Gesicht und den Händen des Kleinsten abwusch; wie es dann poliert war, bis es glänzte, setzte sie es Tom auf den Schoß, während sie sich mit dem Abräumen des Tisches beschäftigte. Das Kleinste benutzte die Zwischenzeit, um Tom an der Nase zu zupfen, ihn im Gesichte zu kratzen und mit seinen dicken runden Händen in dem wolligen Haar herumzuwühlen, welches ihm ganz besonderes Vergnügen zu machen schien.

»Ist es nicht ein munteres Kerlchen?« sagte Tom und hielt das Kind auf Armlänge vor sich hin, um es ordentlich zu besehen; dann stand er auf, setzte es auf seine breite Schulter und fing an, mit ihm herumzuspringen und zu tanzen, während Master George mit dem Taschentuch nach ihm schlug, und Mose und Pete, die wieder hereingekommen waren, hinterherbrüllten wie Bären, bis Tante Chloe erklärte, daß es zum Kopfabreißen sei. Da nach ihrer eigenen Aussage diese chirurgische Operation in der Hütte täglich vorkam, so wurde dadurch die Lust nicht im mindesten vermindert, bis sich jedermann wieder in einen Zustand der Fassung gebrüllt, gesprungen und getanzt hatte.

»Nun, ich hoffe, ihr seid nun fertig«, sagte Tante Chloe, die aus einem roh gearbeiteten Kasten geschäftig ein Rollbett hervorgeholt hatte.

»Und jetzt kriecht da hinein, du Mose und du Pete, denn jetzt geht das Meeting an.«

»Ach, Mutter, wir wollen noch nicht schlafen. Wir wollen aufbleiben zum Meeting – Meeting ist so hübsch. Es gefällt uns.«

»Ach, Tante Chloe, schieb‘ es wieder drunter und lasse sie aufbleiben«, sagte Master George in entschiedenem Tone und gab dem Bette einen Stoß.

Tante Chloe schien, nachdem sie auf diese Weise den Schein gerettet, recht gern das Bett wieder hinunterzuschieben und sagte dabei: »Nun, vielleicht profitieren sie was davon.«

Das Haus trat nun zu einer Komiteesitzung zusammen, um die zu treffenden Anordnungen zum Meeting in Erwägung zu ziehen.

»Wie wir mit den Stühlen auskommen sollen, weiß ich wahrhaftig nicht!« sagte Tante Chloe. Da man das Meeting schon seit unvordenklicher Zeit beim Onkel Tom gehalten hatte, ohne mehr Stühle zu besitzen, so schien einige Berechtigung zu der Hoffnung vorhanden zu sein, daß sich wohl auch diesmal ein Weg finden werde.

»Der alte Onkel Peter hat vorige Woche beide Beine aus dem ältesten Stuhle dort herausgesungen«, meinte Mose.

»Wart du! Ich will wetten, du hast sie selbst herausgezogen; ’s ist einer von deinen Streichen«, sagte Tante Chloe.

»Nun, er steht schon, wenn wir ihn nur recht fest an die Wand rücken«, sagte Mose.

»Dann darf Onkel Peter nicht drauf sitzen, weil er immer rutscht, wenn er zu singen anfängt. Neulich abends ist er fast durch das ganze Zimmer gerutscht«, sagte Pete.

»O Gott! Dann laßt ihn drauf sitzen«, sagte Mose, »und dann fängt er an: ›Ihr Heiligen und ihr Sünder alle‹ und plauz! liegt er unten.« – Und Mose ahmte die Nasentöne des Alten ganz genau nach und platzte auf den Erdboden nieder, um die eingebildete Katastrophe vor Augen zu bringen.

»Wollt ihr nicht ungezogen sein!« sagte Tante Chloe. »Schämt ihr euch nicht?«

Master George lachte jedoch mit dem Sünder und erklärte mit Entschiedenheit, daß Mose ein Blitzkerl sei. Daher schien die mütterliche Ermahnung nicht allzuviel Erfolg zu haben.

»Nun, Alter«, sagte Tante Chloe, »dann mußt du wohl die Fässer hereinrollen.«

»Mutters Fässer sind wie die der Witwe, von der Master George in dem guten Buch vorlas – sie sind immer sicher«, sagte Mose beiseite zu Pete.

»Eins gab doch nach vorige Woche«, sagte Pete, »daß alle mitten im Singen zusammenpurzelten; das war doch nicht so sicher, nicht?«

Während dieses leisen Zwiegespräches zwischen Mose und Pete hatte Onkel Tom zwei leere Fässer in die Hütte gerollt und sie mit ein paar Steinen an jeder Seite an ihre Stelle befestigt. Nun legte man Bretter darüber; kehrte dann noch verschiedene Butten und Eimer um, stellte die wackeligen Stühle an ihren Platz und war nun mit der Vorbereitung zum Meeting fertig.

»Master George liest so schön, daß er gewiß gern dableibt und für uns liest«, sagte Tante Chloe; »gewiß ist das viel hübscher.«

George gab bereitwillig seine Beistimmung, denn ein Knabe ist zu allem bereit, was ihm eine Wichtigkeit gibt.

Das Zimmer füllte sich bald mit einer sehr gemischten Gesellschaft von den alten grauköpfigen Patriarchen von achtzig bis zu den jungen Mädchen und Burschen von 15 Jahren. Man begann mit einem harmlosen Klatschen über verschiedene Gegenstände, wie z. B. wo die alte Tante Sally ihr neues rotes Kopftuch her habe, und wie Missis der Lissy das geblümte Mousselinkleid schenken wolle, sowie ihre neuen Sachen fertig wären, und wie Master Shelby eine neue Rotfuchsstute kaufen wolle, die eine große Vermehrung der Herrlichkeiten des Gutes sein werde. Einige der Andächtigen gehörten benachbarten Familien, die ihnen erlaubt hatten, dem Meeting beizuwohnen. Sie hatten mancherlei Pikantes von dem, was im Hause und auf dem Gute geschah, zu erzählen, und diese kleine Münze der Unterhaltung ging ebenso rasch von Hand zu Hand, wie dieselbe Münzsorte in vornehmen Kreisen.

Nach einer Weile fing zur offenbaren Freude aller Anwesenden das Singen an. Nicht einmal der Nachteil der näselnden Intonierung konnte die Wirkung der von Natur schönen Stimmen in diesen wilden und lebhaften Melodien beeinträchtigen. Der Text bestand zuweilen aus den wohlbekannten und gewöhnlichen Kirchenhymnen, trug aber auch manchmal einen wilden und unbestimmten Charakter, der von Camp-Meetings herstammte.

Verschiedene Ermahnungen oder Erzählungen aus dem eigenen Leben folgten und unterbrachen zuweilen das Singen.

Onkel Tom galt der Nachbarschaft in Religionssachen für eine Art Patriarchen. Von Natur mit einem Charakter begabt, in welchem das Sittliche stark vorherrschte, und dabei im Besitz eines umfassenden und gebildeteren Geistes als seine anderen Schicksalsgenossen, stand er in hoher Achtung und galt für eine Art Geistlichen; und der einfache, herzliche, aufrichtige Ton seiner Ermahnungen hätte selbst besser erzogene Personen erbauen können. Aber ganz besonders zeichnete er sich im Gebet aus. Nichts konnte die rührende Einfalt, die kindliche Innigkeit seines Gebetes übertreffen, das er mit Stellen aus der Heiligen Schrift ausschmückte, welche so ganz mit ihm verwachsen zu sein schienen, daß sie wie ein Teil von ihm selbst geworden waren und unbewußt von seinen Lippen flossen. Und so sehr wirkte sein Gebet stets auf die frommen Empfindungen seiner Zuhörerschaft, daß sie sich oft in den Bemerkungen, welche ringsum laut wurden, zu verlieren drohte.

Während dieses Auftritts in der Hütte des Sklaven geht ein ganz anderer in den Gemächern des Herrn vor sich.

Der Handelsmann und Mr. Shelby saßen miteinander in dem früher erwähnten Speisezimmer an einem mit Papieren und Schreibmaterialien bedeckten Tisch.

Mr. Shelby zählte aufmerksam einige Pack Banknoten, die er, wie er sie durchgezählt hatte, dem Handelsmann hinschob, der sie ebenfalls zählte.

»Alles in Ordnung«, sagte der Handelsmann; »und nun die Unterschrift zu den Papieren hier.«

Mr. Shelby griff hastig nach den Verkaufskontrakten und unterzeichnete sie, wie ein Mann, der ein unangenehmes Geschäft in möglichster Eile abmacht, und schob sie dann mit dem Geld wieder hin.

Haley zog nun aus seinem abgenutzten Mantelsack ein Pergament hervor und übergab es, nachdem er es einen Augenblick besehen, Mr. Shelby, welcher es mit einer Gebärde schlechtverhehlter Hast nahm.

»Nun ist die Sache abgemacht«, sagte der Handelsmann und stand auf.

»Abgemacht«, sagte Mr. Shelby in nachdenklichem Tone; und mit einem langen Atemzug wiederholte er: »Abgemacht.«

»Sie scheinen sich nicht besonders darüber zu freuen, wie mir vorkommt«, sagte der Handelsmann.

»Haley«, sagte Mr. Shelby, »ich hoffe, Sie werden nicht vergessen, daß Sie mir bei Ihrer Ehre versprechen, Tom nicht zu verkaufen, ohne zu wissen, was er für einen Herrn bekommt.«

»Nun, Sie haben es ja eben getan, Sir«, sagte der Handelsmann.

»Verhältnisse, wie Sie wissen, zwangen mich dazu«, sagte Shelby mit stolzer Kälte.

»Nun, Sie wissen, Verhältnisse können auch mich dazu zwingen«, sagte der Handelsmann. »Jedoch ich will mein Bestes tun, um Tom einen guten Herrn zu verschaffen; grausame Behandlung hat er von mir nicht zu befürchten. Wenn es etwas gibt, wofür ich dem Herrn danke, so ist es, daß ich in keiner Weise grausam bin.«

Nach den Erläuterungen, welche der Handelsmann früher über seine menschenfreundlichen Grundsätze gegeben hatte, fühlte sich Mr. Shelby durch diese Erklärung nicht besonders beruhigt; aber da sie der beste Trost waren, den der Gegenstand erlaubte, so ließ er den Handelsmann mit Schweigen sich entfernen und suchte Zuflucht in einer einsamen Zigarre.

30. Kapitel


Nimm dich in acht, Simon Legree!

Das große Wohnzimmer in Legrees Haus war ein großes langes Gemach mit einem geräumigen Kamin. Früher waren die Wände mit einer brillanten und teuren Tapete bedeckt gewesen, die jetzt zerrissen und mißfarbig vermodernd von den feuchten Wänden herabhing. Überall war der eigentümliche Geruch, aus Moder, Schmutz und Verfall zusammengesetzt, vorherrschend, wie man ihn oft in dumpfigen, alten Häusern bemerkt. Die Tapete war stellenweise von Bier- und Weinflecken verunziert oder mit mit Kreide geschriebenen Notizen und langen zusammenaddierten Zahlenreihen bedeckt, als ob sich jemand hier im Rechnen geübt hätte. Im Kamin stand eine Pfanne mit glühenden Holzkohlen, denn obgleich das Wetter nicht kalt war, war es des Abends in diesem großen Zimmer doch immer feucht und schaurig; und außerdem brauchte Legree Feuer, seine Zigarre anzubrennen und das Wasser zu seinem Punsch heiß zu machen. Die rötliche Glut der Holzkohle beleuchtete das unordentliche und ungemütliche Aussehen des Zimmers – Sättel, Zäume, verschiedenes Geschirr, Reitpeitschen, Überröcke und verschiedene andere Kleidungsstücke lagen überall im Zimmer in verwirrter Mannigfaltigkeit herum, und die schon früher erwähnten Hunde hatten sich nach eigenem Geschmack und Belieben mitten darunter gelagert.

Legree braute sich eben ein Glas Punsch, wozu er das heiße Wasser aus einem zersprungenen Kruge mit abgebrochenem Ausguß goß, und brummte dabei:

»Die Pest über diesen Sambo, daß er einen solchen Skandal zwischen mir und den neuen Leuten anfängt! Der Kerl kann vor einer Woche nicht arbeiten – gerade in der drängendsten Zeit des Jahres!«

»Ja, das sieht Euch ganz ähnlich!« sagte eine Stimme hinter seinem Stuhle. Es war Cassy, die während seines Selbstgesprächs unbemerkt eingetreten war.

»Ha! Teufelsweib! Du bist also wieder da, nicht wahr?«

»Ja, ich bin wieder da«, sagte sie kalt; »und noch dazu, um meinen eigenen Willen zu haben!«

»Du lügst, Metze! Ich werde mein Wort halten. Entweder benimm dich vernünftig oder bleibe unten in den Baracken und iß und arbeite mit den übrigen.«

»Lieber wollte ich 10000mal in dem schmutzigsten Loche der Baracken wohnen, als in deiner Gewalt sein!« sagte die Frau.

»Aber du bist doch bei alledem in meiner Gewalt«, sagte er und sah sie mit wildem Grinsen an. »Das ist wenigstens mein Trost. So setze dich hier auf meinen Schoß, liebes Kind; höre auf vernünftiges Zureden«, sagte er und faßte sie am Arme.

»Simon Legree, nimm dich in acht!« sagte das Weib mit einem raschen Blitz in dem Auge und einem so wilden und wahnwitzigen Blick, daß er fast Entsetzen erregte. »Du fürchtest dich vor mir, Simon«, sprach sie langsam, »und du hast Ursache dazu! Aber nimm dich in acht, denn ich habe den Teufel im Leibe.«

Die letzten Worte flüsterte sie ihm mit zischendem Tone ins Ohr.

»Hinaus! Ich glaube bei meiner Seele, es ist wahr!« sagte Legree, indem er sie von sich stieß und voll Unruhe ansah. »Aber trotz allem, Cassy«, sagte er, »warum kannst du nicht gut mit mir sein, wie früher?«

»Gut sein!« sagte sie bitter. Sie brach kurz ab – eine Welt von erstickenden Empfindungen stieg in ihrem Herzen empor und drängte ihre Worte zurück.

Cassy hatte über Legree immer die Art Einfluß behalten, den ein kräftiges leidenschaftliches Weib stets über den rohsten Mann bewahren kann; aber in letzter Zeit war sie unter dem verabscheuten Joche ihrer Sklaverei immer reizbarer und ruheloser geworden, und ihre Reizbarkeit machte sich manchmal in wahnwitzigem Wüten Luft; und wegen dieser Anfälle fing Legree an sie zu fürchten, denn er war ganz von der abergläubischen Angst vor Wahnsinnigen beherrscht, die man bei rohen und ungebildeten Gemütern häufig findet. Als Legree Emmeline mit nach Hause brachte, flammten alle noch glimmenden Funken weiblichen Gefühls in dem ausgebrannten Herzen Cassys auf, und sie nahm Partei für das Mädchen, und ein wütender Zank fand zwischen ihr und Legree statt. In seiner Wut schwor Legree, er werde sie zur Feldarbeit verwenden, wenn sie sich nicht ruhig verhalte. Mit stolzem Trotz erklärte Cassy, sie werde freiwillig aufs Feld gehen. Und sie arbeitete dort einen Tag, wie wir beschrieben haben, um zu zeigen, wie vollkommen sie die Drohung verachte. Legree war den ganzen Tag über von einer heimlichen Unruhe beherrscht, denn Cassy hatte einen Einfluß auf ihn, von dem er sich nicht befreien konnte. Als sie ihren Korb an die Waage brachte, hatte er ein Zeichen der Nachgiebigkeit erwartet und sie mit halb versöhnlichem, halb spöttischem Tone angeredet; und sie hatte mit der bittersten Verachtung geantwortet.

Die grausame Behandlung des armen Tom hatte sie nur noch mehr gereizt; und sie war Legree bloß in das Haus nachgegangen, um ihn wegen seiner Roheit auszuschelten.

»Ich wollte, du benähmst dich anständig, Cassy«, sagte Legree.

»Du sprichst von Anständigbenehmen! Und was hast du getan? Du, der nicht immer Verstand genug hat, seine teuflische Hitze im Zaume zu halten, um nicht einen seiner besten Arbeiter in der dringendsten Jahreszeit untauglich zu machen!«

»Ich war ein Narr, das ist wahr, daß ich’s dazu kommen ließ«, sagte Legree. »Aber da der Bursche den Kopf aufsetzte, mußte sein Trotz gebrochen werden.«

»Ich glaube nicht, daß du seinen Trotz brechen wirst!«

»Nicht?« sagte Legree und stand leidenschaftlich auf. »Das möchte ich doch sehen! Er wäre der erste Nigger, der’s mit mir aufgenommen hätte! Ich lasse ihm jeden Knochen im Leibe zerschlagen, aber nachgeben muß er!«

Gerade da ging die Tür auf und Sambo trat ein. Er näherte sich seinem Herrn mit einer Verbeugung und hielt ihm ein gefaltetes Papier hin.

»Was ist das, du Hund?« sagte Legree.

»’s ist ’n Hexending, Master!«

»Was?«

»Etwas, was sich Nigger von Hexen geben lassen. Sie fühlen dann nichts, wenn sie gepeitscht werden. Er hatte es mit einer schwarzen Schnur um den Hals gebunden.«

Legree war wie die meisten gottlosen und grausamen Menschen abergläubisch.

Er nahm das Papier und öffnete es nicht ohne Zittern.

Es fiel ein Silberdollar heraus und eine lange glänzende Locke von blondem Haar, die sich, als wäre sie lebendig, um Legrees Finger schlang.

»Hölle und Teufel!« schrie er in plötzlicher Leidenschaft, indem er mit den Füßen stampfte und wütend an der Haarlocke zerrte, als ob sie ihn brenne. »Wo ist die hergekommen? Nehmt sie weg! – Verbrennt sie!« kreischte er, indem er sie abriß und in das Kohlenbecken warf. »Wozu hast du sie mir gebracht?«

Sambo stand mit weit offenem Munde und erstarrt vor Staunen da; und Cassy, die das Zimmer eben verlassen wollte, blieb ebenfalls stehen und sah ihn voller Verwunderung an.

»Daß du mir nicht wieder solches Teufelszeug herbringst«, sagte er und drohte Sambo, der eiligst seinen Rückzug nach der Tür nahm, mit der Faust, dann hob er den Silberdollar auf und warf ihn klirrend durch die Fensterscheibe hinaus in die Nacht.

Sambo war froh, als er mit heiler Haut zur Tür hinaus war. Als er fort war, schien sich Legree über seinen Schreckanfall ein wenig zu schämen. Er setzte sich mürrisch in seinen Stuhl und trank langsam seinen Punsch.

Cassy wollte unbemerkt von ihm hinausgehen und schlüpfte fort, um den armen Tom zu pflegen, wie wir bereits erzählt haben.

Aber was war mit Legree geschehen – und was konnte in einer einfachen blonden Haarlocke diesen rohen Mann, dessen Herz mit jeder Form der Grausamkeit vertraut war, entsetzen? Um eine Antwort darauf zu geben, müssen wir viele Jahre zurückgehen. So verhärtet und verworfen auch der gottlose Mann jetzt zu sein schien, so hatte es doch eine Zeit gegeben, wo ihn eine Mutter an ihrem Busen eingewiegt und ihn mit Gebeten und frommen Liedern eingesungen hatte – wo das Wasser der heiligen Taufe seine jetzt sündenbeladene Stirn benetzt hatte. In frühester Kindheit hatte eine blondhaarige Mutter ihn beim Schalle der Sabbatglocke zur Gottesverehrung und zum Gebete geführt. Im fernen Neuengland hatte diese Mutter ihren einzigen Sohn mit langdauernder unveränderlicher Liebe und geduldigen Gebeten aufgezogen. Von einem hartherzigen Vater gezeugt, an welchen diese sanfte Frau eine Welt von ungewürdigter Liebe verschwendet hatte, war Legree in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Roh, widerspenstig und tyrannisch, verachtete er ihre Ratschläge und Ermahnungen und riß sich schon in früher Jugend von ihr los, um sein Glück zur See zu versuchen. Nur ein einziges Mal kehrte er nach Hause zurück, und da umfing ihn seine Mutter mit der Sehnsucht eines Herzens, das etwas lieben muß und nichts anderes zu lieben hat, und suchte ihn mit heißem Gebete und Flehen einem sündigen Leben zu seinem ewigen Seelenheil zu entreißen.

Das war Legrees Tag der Gnade. An jenem Tage riefen ihn gute Engel; an jenem Tage war er fast gewonnen, und die Barmherzigkeit hielt ihn an der Hand. Sein Herz wurde innerlich weich – er kämpfte in sich – aber die Sünde trug den Sieg davon, und er setzte die ganze Kraft seiner rauhen Natur gegen die Überzeugung seines Gewissens. Er zechte und fluchte und war wilder und brutaler als je. Und eines Abends, wo seine Mutter in der letzten Qual ihrer Verzweiflung sich ihm zu Füßen warf, stieß er sie mit dem Fuße von sich, daß sie bewußtlos zu Boden sank, und floh mit rohen Flüchen auf sein Schiff. Das nächste Mal hörte Legree von seiner Mutter bei einem Gelage mit betrunkenen Zechgenossen, wo man ihm einen Brief übergab. Er brach ihn auf und eine lange Haarlocke fiel heraus und wickelte sich um seine Finger. Der Brief meldete ihm den Tod seiner Mutter und daß sie ihn sterbend gesegnet und ihm verziehen habe. Das Böse besitzt eine schauerliche unheilige Zauberkraft, welches die herrlichsten und heiligsten Dinge zu Phantomen des Schreckens und Entsetzens macht. Die bleiche zärtliche Mutter – ihr Sterbegebet und ihre vergebende Liebe – wirkten in dem dämonischen Sünderherzen wie ein Verdammungsurteil, begleitet von einer bangen Furcht vor dem Gericht und dem göttlichen Zorne. Legree verbrannte die Haarlocke und verbrannte den Brief, und wie er sie in der Flamme zischen und prasseln sah, schauderte er innerlich, wie er an das ewige Feuer dachte. Er versuchte sich die Erinnerung durch Zechen und Schwelgen und Fluchen zu vertreiben, aber oft in tiefer Nacht, deren feierliche Stille die Seele des Lasterhaften zu gezwungener Einkehr in sich selbst treibt, hatte er die bleiche Mutter neben seinem Bette stehen sehen und gefühlt, wie sich das weiche Haar um seine Finger wickelte, bis der kalte Todesschweiß ihm am Gesicht hinablief und er entsetzt aus dem Bette sprang.

»Verwünscht!« sprach Legree vor sich hin, wie er seinen Punsch nippte. »Wie ist er dazu gekommen? Ob es nicht gerade aussah, wie – hu! Ich dachte, ich hätte das vergessen. Verflucht will ich sein, wenn ich glaube, man könnte überhaupt was vergessen – zum Henker damit! Es ist mir so einsam! Ich will Emmeline rufen. Sie kann mich nicht leiden – der Zieraffe! ’s ist mir einerlei – ich will schon machen, daß sie kommt!«

Legree trat in eine große Vorhalle, aus welcher man auf eine Wendeltreppe, die früher einmal prächtig gewesen, in das obere Geschoß ging; aber der Durchgang war schmutzig und liederlich und von Kisten und unansehnlichem Gerumpel versperrt. Die mit keinem Teppich überzogene Treppenflucht schien sich in dem Dunkel hinaufzuwinden, niemand weiß, wohin. Der blasse Mondschein schimmerte durch ein zerbrochenes Fenster über der Tür. Die Luft war dumpf und schaurig, wie in einem Grabgewölbe.

Legree blieb an dem Fuß der Treppe stehen und hörte eine Stimme singen. Es kam ihm in dem öden alten Hause so seltsam und geisterhaft vor, vielleicht, weil seine Nerven schon in einem angegriffenen Zustande waren. »Horch! Was ist das?« Eine wilde pathetische Stimme sang ein unter den Sklaven sehr gebräuchliches Kirchenlied:

»O Jammer, Jammer, Jammer wird erschallen,
Wenn Christus auf dem Richterthrone sitzt!«

»Verdammt sei das Mädchen!« sagte Legree. »Ich will ihr das Maul stopfen. – Emmeline! Emmeline!« rief er laut und drohend; aber nur ein spöttischer Widerhall von den Wänden antwortete ihm. Die liebliche Stimme sang weiter:

»Dort trennen Eltern sich von Kindern!
Dort trennen Eltern sich von Kindern,
Um nimmer wieder sich zu sehn!«

Und klar und laut schallte durch die leeren Hallen der Refrain:

»O Jammer, Jammer, Jammer wird erschallen,
Wenn Christus auf dem Richterthrone sitzt!«

Legree blieb stehen. Er hätte sich geschämt, es zu erzählen, aber große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn und sein Herz schlug laut vor Furcht; es war ihm sogar, als sähe er in dem Raume vor sich etwas Weißes sich erheben und schimmern, und schauderte bei dem Gedanken, daß die Gestalt seiner toten Mutter ihm plötzlich erscheinen könnte.

»Eins weiß ich«, sagte er vor sich hin, wie er zurück in sein Zimmer wankte und sich hinsetzte; »ich will diesen Kerl von nun an ungeschoren lassen; was brauchte ich nur sein verfluchtes Papier anzugreifen? Ich glaube wahrhaftig, ich bin behext! Ich habe seit der Zeit beständig gefröstelt oder geschwitzt! Wo mag er die Haarlocke herhaben? Es kann doch nicht die gewesen sein! Die habe ich verbrannt, das weiß ich! Es wäre doch närrisch, wenn eine Haarlocke wieder auferstehen könnte!«

Ach Legree! Diese goldene Locke war bezaubert; jedes Haar derselben hielt dich mit einem Zauber von Schrecken und Reue umfangen und wurde von einer höheren Macht benutzt, deine grausamen Hände zu binden, damit sie dem Hilflosen nicht das äußerste Leid zufügten!

»Ihr da!« sagte Legree, indem er mit dem Fuße stampfte und den Hunden pfiff. »Steht auf und leistet mir Gesellschaft!« Aber die Hunde öffneten nur schläfrig ein Auge und machten es wieder zu.

»Ich werde Sambo und Quimbo rufen, daß sie mir was vorsingen und einen ihrer Höllentänze tanzen, um mir diese gräßlichen Gedanken zu vertreiben«, sagte Legree, und er setzte seinen Hut auf, trat auf die Veranda hinaus und stieß in ein Horn, mit dem er gewöhnlich seine beiden Sklavenaufseher herbeirief.

Wenn Legree bei gnädiger Laune war, ließ er oft diese beiden Würdigen zu sich aufs Zimmer kommen, machte ihnen erst den Kopf mit Whisky warm und fand dann einen Spaß daran, sie singen, tanzen oder sich balgen zu lassen, wie es ihm seine Laune eingab.

Als Cassy zwischen ein und zwei Uhr nachts von ihren dem armen Tom geleisteten Liebesdiensten zurückkehrte, hörte sie wildes Schreien, Jauchzen und Singen, untermischt mit Hundegebell und andere Symptome allgemeinen Aufruhrs aus Legrees Zimmer erschallen.

Sie ging die Verandastufen hinauf und sah hinein. Legree und die beiden Aufseher, alle drei in einem Zustande viehischer Betrunkenheit, sangen, brüllten, warfen Stühle um und zogen sich allerlei lächerliche und gräßliche Gesichter.

Sie legte ihre kleine zarte Hand auf den Fensterrahmen und sah ihnen zu. Es lag eine Welt von Seelenschmerz, bitterer Verachtung und wildem Groll in den schwarzen Augen, während sie hinblickte. »Wäre es eine Sünde, die Welt von einem solchen Elenden zu befreien?« sprach sie zu sich selbst.

Sie ging um das Haus herum nach einer Hintertür, schlich sich die Treppe hinauf und klopfte an Emmelines Tür.

31. Kapitel


Emmeline und Cassy

Cassy trat ins Zimmer und fand Emmeline bleich vor Furcht in der entferntesten Ecke desselben sitzen. Wie sie eintrat, fuhr das Mädchen angstvoll empor; aber als es Cassy erkannte, sprang es auf, ergriff ihren Arm und sagte: »O Cassy, Ihr seid’s? Ach, wie es mich freut, daß Ihr kommt. Ich fürchtete, es wäre –. Ach, Ihr wißt gar nicht, was für ein schrecklicher Lärm den ganzen Abend unten gewesen ist!«

»Ich sollte es wissen«, sagte Cassy trocken. »Ich habe es oft genug gehört!«

»O, Cassy, sagt mir, können wir nicht fort von hier? Es ist mir gleichgültig, wohin – meinetwegen in den Sumpf unter die Schlangen! Könnten wir nicht irgendwohin weg von hier?«

»Nirgendshin, als in unser Grab«, sagte Cassy.

»Habt Ihr es jemals versucht?«

»Ich habe genug gesehen von Versuchen und was danach folgte«, sagte Cassy.

»Ich wollte gern in den Sümpfen leben und die Rinde von den Bäumen nagen. Ich fürchte mich vor den Schlangen; aber lieber wollte ich eine neben mir haben, als ihn«, sagte Emmeline schaudernd.

»Es sind schon viele hier Eurer Meinung gewesen«, sagte Cassy. »Aber Ihr könntet nicht in den Sümpfen bleiben – die Hunde würden Euch aufspüren, und man würde Euch zurückbringen und dann – dann –.«

»Was würde er tun?« sagte das Mädchen und sah ihr mit atemloser Spannung ins Gesicht.

»Was würde er nicht tun? solltet Ihr lieber fragen«, sagte Cassy. »Er hat sein Handwerk unter den Piraten Westindiens gut gelernt. Ihr würdet nicht viel schlafen, wenn ich Euch Sachen erzählen wollte, die ich gesehen habe – Sachen, die er manchmal als gute Späße erzählt. Ich habe hier Schreie gehört, die ich mehrere Wochen lang nicht habe vergessen können. Dort bei den Baracken ist ein abgelegener Platz, wo Ihr einen schwarzen verbrannten Baum sehen könnt, rund um den die Erde mit Kohle und Asche bedeckt ist. Fragt jemanden, was dort geschehen ist, und seht, ob sie es wagen werden, es Euch zu sagen.«

»Ach was meint Ihr?«

»Ich mag es Euch nicht erzählen. Der Gedanke daran ist mir verhaßt. Und ich sage Euch, Gott allein weiß, was wir vielleicht morgen noch zu sehen bekommen, wenn dieser arme Mann so aushält, wie er angefangen hat.«

»Entsetzlich!« sagte Emmeline, deren Wangen leichenblaß wurden. »O Cassy, sagt mir, was ich tun soll!«

»Was ich getan habe. Lebt so gut, als es Euch erlaubt ist; tut, was Ihr müßt, und macht es gut mit Hassen und Verwünschungen.«

»Er wollte durchaus, ich sollte von seinem abscheulichen Branntwein trinken«, sagte Emmeline, »und er ist mir so verhaßt –«

»Ihr tut besser, wenn Ihr welchen trinkt«, sagte Cassy. »Er war mir auch einmal ein Abscheu, und jetzt kann ich nicht ohne ihn leben. Man muß etwas haben; die Sachen sehen nicht so schrecklich aus, wenn man sich das angewöhnt.«

»Die Mutter sagte mir immer, ich sollte nie einen Tropfen davon anrühren«, sagte Emmeline.

»Die Mutter hat es Euch gesagt!« sagte Cassy mit herzdurchdringendem, bitterem Nachdruck auf dem Worte Mutter verweilend. »Wozu sagen Mütter überhaupt etwas? Was nützt es? Ihr müßt doch alle verkauft und bezahlt werden, und Eure Seelen gehören dem, welcher Euch erwirbt. So geht es einmal in der Welt zu. Ich sage, trinkt Branntwein, trinkt so viel Ihr könnt, und es wird Euch leichter auf der Welt werden.«

»O Cassy! Habt Mitleid mit mir!«

»Mitleid! Habe ich es nicht? Habe ich nicht eine Tochter – Gott weiß, wo sie jetzt ist und wem sie gehört! Sie wird wohl den Weg gehen, den ihre Mutter vor ihr gegangen ist und den ihre Kinder nach ihr gehen müssen! Dieser Fluch dauert in alle Ewigkeit fort!«

»Ich wollte, ich wäre nie geboren!« sagte Emmeline und rang die Hände.

»Das habe ich schon oft gewünscht«, sagte Cassy. »Ich habe mich an den Wunsch gewöhnt. Ich würde sterben, wenn ich’s wagte«, sagte sie und sah mit der stillen und starren Verzweiflung, welche sich gewöhnlich in ihrem Gesicht ausdrückte, wenn sie schwieg, in die Nacht hinaus.

»Es wäre gottlos, sich selbst das Leben zu nehmen«, sagte Emmeline.

»Ich weiß nicht, warum; es ist nicht gottloser, als so wie wir zu leben und Tag für Tag zu sein. Aber die Schwestern erzählten mir Dinge, als ich im Kloster war, die mir Furcht vor dem Tode einflößten. Wenn es nur das Ende von allem wäre, ja dann –«

Emmeline wendete sich weg und verbarg ihr Gesicht mit den Händen.

Während dieses Gespräch in der Kammer stattfand, war Legree von den Folgen des Gelages unten im Zimmer in Schlaf gesunken. Legree war kein Trunkenbold. Seine grobe, starke Natur verlangte und ertrug eine beständige Anreizung, die eine feinere Natur ganz aus den Angeln gehoben hätte. Aber eine ihm tief eingeprägte Neigung zur Vorsicht hielt ihn ab, oft der Versuchung in solchem Maße nachzugeben, daß er alle Gewalt über sich verlor.

Diese Nacht hatte er jedoch in seinen fieberischen Versuchen, aus seiner Seele die schrecklichen Elemente des Schmerzes und der Reue, die in ihm erwachten, zu verbannen, mehr als gewöhnlich genossen, so daß er, als er seine schwarzen Zechgenossen entlassen hatte, schwer in einen Sessel sank und fest einschlief.

Als Legree am nächsten Morgen erwachte, schenkte er sich ein großes Glas Branntwein ein und trank es halb aus.

»Ich habe eine höllische Nacht gehabt!« sagte er zu Cassy, die gerade zu einer entgegengesetzten Türe hineintrat.

»Du wirst bald noch viele von der Art haben«, sagte sie trocken.

»Was meinst du damit?«

»Das wirst du schon mit der Zeit sehen«, gab Cassy in demselben Tone zurück. »Aber jetzt, Simon, habe ich dir einen guten Rat zu geben.«

»Beim Teufel auch!«

»Mein Rat ist«, sagte Cassy ruhig, wie sie hier und da im Zimmer einige Ordnung herzustellen versuchte, »daß du Tom ungeschoren läßt.«

»Was geht das dich an?«

»Was? Allerdings eigentlich nichts. Wenn du Lust hast, für einen Burschen 1200 Dollar zu bezahlen und ihn in der pressantesten Zeit der Lese zugrunde zu richten, bloß um deiner Bosheit zu genügen, so geht das mich nichts an. Ich habe mein möglichstes getan.«

»So? Was mischest du dich in meine Angelegenheiten?«

»Sie gehen mich eigentlich nichts an, das ist wahr. Ich habe dir schon zu verschiedenen Zeiten einige tausend Dollar erspart, weil ich deine Sklaven gepflegt habe – und das ist mein Dank dafür. Wenn du mit einer geringeren Ernte auf den Markt kommst als die übrigen, so verlierst du wahrscheinlich deine Wette, nicht? Tomkins wird wahrscheinlich nicht auf dich herabsehen, und du wirfst ihm das Geld auf den Tisch, nicht wahr? Ich sehe dich schon!«

Wie viele andere Plantagenbesitzer hatte Legree nur einen Ehrgeiz – die größte Ernte für dieses Jahr zu haben; und gerade für diese Lese war er in der nächsten Stadt mehrere Wetten eingegangen. Mit dem den Frauen eigentümlichen Takt hatte daher Cassy die einzige Saite berührt, die bei ihm anklingen konnte.

»Nun, es soll bei dem bleiben, was er bekommen hat«, sagte Legree, »aber er muß mich um Verzeihung bitten und sich besser aufzuführen versprechen.«

»Das wird er nicht tun«, sagte Cassy.

»Nicht, he?«

»Nein, er wird es nicht tun«, sagte Cassy.

»Ich möchte das Warum wissen, Mistreß«, sagte Legree mit dem äußersten Hohne.

»Weil er gut gehandelt hat und es weiß und nicht sagen wird, er habe unrecht getan.«

»Wer, zum Teufel, schert sich darum, was er weiß? Der Nigger soll sagen, was ich haben will, oder –«

»Oder du verlierst deine Wette wegen der Baumwollernte, weil du ihn gerade, wenn er am notwendigsten ist, von der Feldarbeit fern hältst.«

»Aber er wird nachgeben – natürlich; als ob ich die Nigger nicht kennte! Er wird heute morgen betteln wie ein Hund.«

»Das wird er nicht, Simon; du kennst diese Art nicht. Du kannst ihn zollweise töten, aber du bekommst nicht das erste Wort der Nachgiebigkeit aus ihm heraus.«

»Wir werden sehen. Wo ist er?« sagte Legree und ging hinaus.

»In der Rumpelkammer des Speichers, wo der Baumwollgin steht«, sagte Cassy.

Obgleich Legree sich so tapfer gegen Cassy geäußert hatte, verließ er doch das Haus mit einem Grade von Bangigkeit, die bei ihm nicht gewöhnlich war. Seine Träume während vergangener Nacht und Cassys Abmachungen hatten einen großen Eindruck auf sein Gemüt gemacht. Niemand sollte Zeuge seines Versuchs bei Tom sein, und er beschloß, wenn er ihn nicht durch Einschüchterung zur Unterwerfung bringen könnte, seine Rache bis auf eine gelegene Zeit zu verschieben.

»Nun, Bursche«, sagte Legree mit einem verächtlichen Fußstoße, »wie geht dir’s heute? Sagte ich dir nicht, ich wollte dich eine Kleinigkeit lehren? Wie gefällt dir’s denn eigentlich? Wie ist dir denn die Peitsche bekommen, Tom? Nicht wahr, ganz so munter, wie gestern abend, nicht wahr? Du könntest jetzt wohl nicht einen armen Sünder mit einem Stück Predigt dienen? He?«

Tom gab keine Antwort.

»Steh auf, du Bestie!« sagte Legree und gab ihm wieder einen Fußtritt.

Das war nicht leicht für einen, der so wund und schwach war, und da es Tom sehr viel Mühe machte, lachte Legree roh.

»Was macht dich nur heute morgen so munter, Tom, oder hast du dich vielleicht diese Nacht erkältet?«

Tom war mittlerweile auf die Füße gekommen und stand seinem Herrn mit ruhiger und unbewegter Stirn gegenüber.

»Den Teufel auch, es geht noch!« sagte Legree und betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen. »Ich glaube, du hast noch nicht genug bekommen. Jetzt, Tom, kniest du nieder und bittest mich für deine Streiche von gestern abend um Verzeihung.«

Tom regte sich nicht.

»Knie nieder, du Hund!« sagte Legree und schlug ihn mit der Reitpeitsche.

»Master Legree«, sagte Tom, »ich kann nicht. Ich habe nur getan, was ich für recht hielt. Ich werde es wieder so machen, wenn die Gelegenheit dazu kommt. Ich werde nie eine grausame Handlung begehen. Komme, was da wolle.«

»Ja, aber du weißt nicht, was da kommen mag, Master Tom. Du denkst, was du bekommen hast, sei etwas. Ich sage dir, das ist noch nichts – noch gar nichts. Wie würde dir’s gefallen, wenn man dich an einen Baum bände und ein langsames Feuer rings um dich anzündete? Wäre das nicht hübsch – he, Tom?«

»Master«, sagte Tom, »ich weiß, Sie können schreckliche Dinge tun, aber« – er richtete sich empor und schlug die Hände zusammen – »aber nachdem Sie den Leib getötet haben, können Sie weiter nichts tun. Und ach, dann kommt die ganze Ewigkeit!«

»Ewigkeit« – das Wort durchzuckte des Negers Seele, wie er sprach, mit Licht und Macht – es zuckte auch durch des Sünders Seele wie ein Skorpionenstich. Legree knirschte mit den Zähnen, aber die Wut machte ihn stumm, und Tom sprach wie ein von Fesseln befreiter Mann mit klarer und heiterer Stimme:

»Master Legree, da Sie mich gekauft haben, will ich Ihnen ein wahrer und getreuer Knecht sein. Sie sollen alle Arbeit meiner Hände, alle meine Zeit, alle meine Kräfte haben, aber meine Seele gebe ich in keines sterblichen Menschen Hand. Ich will an dem Herrn festhalten und seine Gebote über alles setzen, mag ich sterben oder leben, darauf können Sie sich verlassen. Master Legree, ich fürchte mich nicht im geringsten vor dem Tode. Ich würde ebensogern gleich sterben als leben bleiben. Sie können mich peitschen, mich hungern lassen, mich verbrennen – es wird mich nur zeitiger dahin bringen, wohin ich verlange.«

»Ich will dich aber schon nachgeben machen, ehe ich mit dir fertig bin!« schrie ihn Legree voll Wut an.

»Ich werde Hilfe haben«, sagte Tom. »Es wird Ihnen nie gelingen.«

»Wer, zum Teufel, soll dir helfen?« sagte Legree höhnisch.

»Gott der Allmächtige!« sagte Tom.

»Verdammt seist du!« sagte Legree und schlug Tom mit seiner schweren Faust zu Boden.

In diesem Augenblick fühlte Legree eine kalte weiche Hand auf der seinen. Er drehte sich um – es war Cassy; aber die kalte weiche Berührung erinnerte ihn an seinen Traum von voriger Nacht, und es drängten sich durch sein Gehirn alle die schrecklichen Bilder der ruhelosen Nächte und ein Teil des Entsetzens, welches dieselben begleitete.

»Willst du immer unverständig sein?« sagte Cassy auf französisch. »Laß ihn gehen! Überlaß es mir, ihn wieder tauglich zu machen. Ist es nicht ganz so, wie ich gesagt habe?«

Man sagt, der Alligator oder das Rhinozeros hätten, obgleich in kugelfeste Panzer eingehüllt, jeder eine Stelle, wo sie leicht verletzlich wären; und bei wilden, frechen und gottlosen Verworfenen besteht dieser wunde Fleck gewöhnlich in einer abergläubischen Furcht. »Hörst du!« sagte er zu Tom. »Ich schone dich jetzt, weil die Arbeit treibt und ich alle meine Leute brauche, aber ich vergesse nie. Ich merke es dir auf dem Kerbholze an, und es wird schon die Zeit kommen, wo du es mir mit deinem alten, schwarzen Fell bezahlen mußt – das merke dir!«

Legree drehte sich um und ging zur Tür hinaus.

32. Kapitel


Freiheit!

Eine Zeitlang müssen wir Tom in den Händen seiner Peiniger lassen und mittlerweile uns wieder einmal um die Schicksale Georges und seiner Gattin bekümmern, die wir in befreundeter Obhut in einer Farm an der Landstraße verließen.

Tom Loker wälzte sich stöhnend in einem höchst fleckenlos reinen Quäkerbett unter der mütterlichen Aufsicht der Tante Dorcas herum, die in ihm einen ziemlich ebenso fügsamen Patienten fand, wie in einem kranken Büffel.

Man denke sich eine hohe, würdevolle, durchgeistigt aussehende Frau, deren weiße Musselinmütze silberweißes Haar umschließt und deren breite klare Stirn sich über gedankenvollen grauen Augen wölbt; ein schneeweißes Halstuch von Crepp de Lisse faltet sich sauber über ihren Busen; ihr glänzendes braunes Seidenkleid rauscht friedlich, wie sie im Zimmer hin und her schwebt.

»Zum Teufel!« sagte Tom Loker und wirft sich unter den Bettüchern herum.

»Ich muß dich bitten, Thomas, dich nicht solcher Worte zu bedienen«, sagte Tante Dorcas, während sie ruhig das Bett wieder zurechtmachte.

»Na, ich will’s nicht tun, Großmutter, wenn’s mir möglich ist«, sagte Tom. »Aber ’s ist so verwünscht heiß, daß man wohl einmal fluchen möchte.«

Dorcas nahm ein Fußkissen vom Bett, strich die Decken wieder glatt und stopfte sie unter, bis Tom fast wie ein großes Wickelkind aussah, wobei sie bemerkte:

»Ich wünschte, Freund, du ließest das Fluchen und Schwören und dächtest über dein Leben nach.«

»Was, zum Teufel«, sagte Tom, »soll ich darüber nachdenken? Das ist das allerletzte, woran ich denken möchte – hol’s der Henker!« Und Tom warf sich im Bett herum und brachte dabei wieder das Bettzeug in die schrecklichste Unordnung.

»Der Bursche und das Mädel sind hier, vermute ich«, sagte er nach einer Pause mürrisch.

»Sie sind hier«, sagte Dorcas.

»Sie täten besser, so rasch als möglich weiterzureisen und über den See zu fahren«, sagte Tom.

»Das werden sie wahrscheinlich tun«, sagte Tante Dorcas und strickte ruhig weiter.

»Und hört«, sagte Tom, »wir haben Korrespondenten in Sandusky, welche für uns auf die Boote achtgeben, ’s ist mir einerlei, ob Ihr’s jetzt erfahrt. Ich hoffe jetzt, sie entkommen, bloß um Marks zu ärgern – der verwünschte Laffe! – verdamme ihn!«

»Thomas!« sagte Dorcas.

»Ich sage Euch, Großmutter, wenn Ihr einen Burschen zu stark zustöpselt, so platzt er«, sagte Tom. »Aber was die Dirne betrifft – sagt ihr, sie solle sich verkleiden, damit man sie nicht erkennt. Ihr Signalement ist nach Sandusky geschickt.«

»Wir werden das Nötige besorgen«, sagte Dorcas mit charakteristischer Ruhe.

Da wir hier von Tom Loker Abschied nehmen, so können wir gleich jetzt erzählen, daß, nachdem er an einem rheumatischen Fieber, welches sich seinen anderen Leiden zugesellte, drei Wochen bei den Quäkern krank gelegen, mit einem demütigeren und besseren Gemüt aufstand, und anstatt sich auf die Sklavenfängerei zu begeben, nach einer der neuen Ansiedlungen zog, wo seine Anlagen eine bessere Verwendung im Fange von Bären, Wölfen und anderen Bewohnern der Wälder fanden. Er erwarb sich damit sogar eine Art Ruhm im Lande. Tom sprach immer mit großer Ehrerbietung von den Quäkern. »Hübsche Leute«, pflegte er zu sagen, »wollten mich bekehren, aber paßte mir doch nicht recht. Aber ich sage Euch, Fremder, einen Kranken können sie vortrefflich auffieren, das ist wahr! Machen wahrhaftig die beste Kraftbrühe und andere Chosen.«

Da man von Tom erfahren hatte, daß man in Sandusky auf die Flüchtlinge ein Auge haben werde, so hielt man es für das Geratenste, sie zu teilen. Jim und seine alte Mutter traten ihre Reise für sich an; und ein oder zwei Abende später wurden George und Elise mit ihrem Kinde heimlich nach Sandusky gefahren und unter einem gastlichen Dache untergebracht, bevor sie ihre letzte Tagesreise zur Freiheit über den See antraten.

Ihre Nacht war jetzt fast vorüber und der Morgenstern der Freiheit erhob sich glänzend vor ihnen. Freiheit! begeisterndes Wort! Was ist sie? Ist sie etwas mehr als ein Name, eine rhetorische Phrase? Warum, Männer und Frauen Amerikas, erzittert Euch das Herz bei diesem Wort, für welches Eure Bären bluteten und für welches Eure besseren Mütter gern ihre edelsten Söhne hingeben?

Kann einer Nation etwas herrlich und teuer sein, was nicht zugleich einem Manne herrlich und teuer ist? Was ist Freiheit einer Nation anders, als Freiheit für jeden einzelnen derselben? Was ist Freiheit für den Jüngling, der dort sitzt, die Arme über die breite Brust geschlagen, die Farbe afrikanischen Bluts auf seiner Wange und dunkles Feuer im Auge – was ist Freiheit für George Harris? Euren Vätern war Freiheit das Recht einer Nation, eine Nation zu sein. Ihm ist es das Recht eines Menschen, ein Mensch und kein Tier zu sein; das Recht, das Weib seines Herzens sein Weib zu nennen und es vor gesetzloser Gewalttat zu schützen; das Recht, sein Kind zu beschützen und zu erziehen; das Recht, eine eigene Religion, einen eigenen Charakter zu haben, ohne dem Willen eines andern unterworfen zu sein. Alle diese Gedanken bewegten mit Ungestüm Georges Herz, wie er nachdenklich den Kopf auf die Hand stützte und seiner Gattin zusah, die ihre zierliche Gestalt in Manneskleider hüllte, die man ihr als die sicherste Verhüllung für ihre Flucht vorgeschlagen hatte.

»Nun die Hauptsache«, sagte sie, wie sie vor dem Spiegel stand und ihr reiches schwarzes Lockenhaar auf die Schultern herabfallen ließ. »Ist’s nicht fast schade, George?« sagte sie, wie sie ein paar Locken spielend emporhob, »’s ist schade, daß alles abgeschnitten werden muß.«

George lächelte trübe und gab keine Antwort.

Elisa sah wieder in den Spiegel, und die Schere funkelte, wie sie eine lange Locke nach der andern von ihrem Haupte trennte.

»So, so wird’s gehen«, sagte sie und nahm eine Haarbürste, »nun noch ein paar kunstreiche Striche.«

»So – bin ich nicht ein hübscher Junge?« sagte sie und wendete sich lachend und errötend zu ihrem Gatten.

»Du wirst immer hübsch sein, magst du tun, was du willst«, sagte George.

»Weshalb bist du so ernst?« sagte Elisa, indem sie auf ein Knie niedersank und ihre Hand auf die seine legte. »Wir sind nur 24 Stunden von Kanada«, sagte sie. »Nur ein Tag und eine Nacht auf dem See und dann – o dann!«

»O Elisa!« sagte George und zog sie an sich. »Das ist’s eben! Jetzt zieht sich mein ganzes Schicksal auf einen einzigen kleinen Punkt zusammen. Dem Ziele so nahe zu sein, es fast zu erblicken – und dann alles verlieren. Ich könnte es nicht überleben, Elisa.«

»Fürchte dich nicht«, sagte seine Frau hoffnungsvoll. »Der gute Gott wird uns nicht so weit geführt haben, wenn er uns nicht vollends retten wollte. Es ist mir, als fühlte ich seine Nähe, George.«

»Du bist wie eine Heilige, Elisa«, sagte George und drückte sie krampfhaft an sich. »Aber – ach, sage mir! Kann uns wirklich diese große Gnade bestimmt sein? Werden diese langen Jahre des Elends zu Ende sein? – Werden wir frei sein?«

»Ich bin dessen gewiß, George«, sagte Elisa mit einem Blicke himmelwärts, während Tränen der Hoffnung und der Begeisterung in ihren langen dunklen Wimpern glänzten. »Ich fühle es innerlich, daß Gott uns heute noch aus der Sklaverei erlösen wird.«

»Ich will dir glauben, Elisa«, sagte George und stand rasch auf. »Ich will glauben. Komm, wir wollen fort. Wahrhaftig«, sagte er, indem er sie auf Armlänge von sich entfernt hielt und sie bewundernd anschaute, »du bist ein hübscher Junge. Dieses klein gelockte Haar steht dir ganz allerliebst. Setz deine Mütze auf. So – ein wenig auf die eine Seite. Du bist mir noch nie so hübsch vorgekommen. Aber es ist fast Zeit für den Wagen; ich möchte wissen, ob Missis Smith Harry angezogen hat?« Die Tür ging auf, und eine anständige Frau von mittleren Jahren trat ein, den kleinen Harry, wie ein Mädchen angezogen, an der Hand führend.

»Was er für ein hübsches Mädchen vorstellt«, sagte Elisa und drehte sich um. »Wir müssen ihn Harriet nennen, meine ich. Klingt nicht der Name allerliebst?«

Das Kind betrachtete mit ernstem Gesicht seine Mutter in ihrem neuen und ungewohnten Anzuge und beobachtete ein tiefes Schweigen, währenddessen es nur manchmal tief seufzte und unter seinen dunklen Locken hervor nach ihr lugte.

»Kennt Harry die Mama nicht?« sagte Elisa und streckte ihm die Hände entgegen.

Das Kind klammerte sich schüchtern an die Frau.

»Laß doch, Elisa, warum versuchst du ihn zu dir zu locken, da du doch weißt, daß er sich fern von dir halten soll.«

»Ich weiß, daß es unverständig ist«, sagte Elisa, »aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß er sich von mir abwendet. Aber komm – wo ist mein Mantel? Hier – wie nehmt ihr Männer den Mantel um, George?«

»Du mußt ihn so tragen«, sagte ihr Mann und warf ihn über seine Achsel.

»So also«, sagte Elisa und machte es ihm nach; »und ich muß fest auftreten und lange Schritte machen und den Leuten keck ins Gesicht sehen.«

»Gib dir keine Mühe«, sagte George. »Man findet gelegentlich einmal einen bescheidenen jungen Mann, und ich glaube, diese Rolle zu spielen würde dir leichter sein.«

»Und diese Handschuhe! Himmlische Güte!« sagte Elisa. »Meine Hände verlieren sich ja darin.«

»Ich rate dir, sie beileibe nicht auszuziehen«, sagte George. »Dein niedliches feines Händchen könnte uns alle verraten. Also, Missis Smith, Sie sollen unter unserer Obhut reisen und unser Tantchen sein – vergessen Sie das nicht.«

»Wie ich höre«, sagte Mrs. Smith, »sind Leute dagewesen, die alle Schiffscapitaine vor der Aufnahme eines Mannes und einer Frau mit einem kleinen Knaben gewarnt haben.«

»Wirklich!« sagte George. »Nun, wenn wir Leute der Art sehen, können wir es ihnen sagen.«

Ein Wagen fuhr jetzt vor der Tür vor, und die befreundete Familie, welche die Flüchtlinge aufgenommen hatte, drängte sich jetzt um sie, um Lebewohl zu sagen.

Die Verkleidungen, welche unsere Freunde angelegt hatten, waren nach den Winken Tom Lokers eingerichtet. Mrs. Smith, eine achtbare Frau aus Kanada, wohin sie flüchteten, und die zum Glück gerade im Begriff stand, dorthin über den See zurückzukehren, hatte sich erboten, die Rolle von Harrys Tante zu spielen; und um ihn an sie zu gewöhnen, war er die beiden letzten Tage ganz ihrer Obhut überlassen worden, und ein Extrazuschuß von Liebkosungen nebst einem unerschöpflichen Reichtum von Kuchen und Kandis hatten eine sehr innige Anhänglichkeit von seiten des jungen Herrn erzeugt.

Die Kutsche fuhr nach dem Kai. Die beiden jungen Männer stiegen aus und gingen über die Planke aufs Boot, wobei Elisa voll Galanterie Missis Smith den Arm bot und George auf das Gepäck achtgab.

George stand vor dem Büro des Capitains und bezahlte für die Gesellschaft, als er zwei Männer neben sich folgendes reden hörte.

»Ich habe auf jeden einzelnen achtgegeben, der an Bord gekommen ist«, sagte der eine, »und ich weiß, sie sind nicht auf diesem Boote.«

Die Stimme war die des Sekretärs des Bootes. Der andere, mit dem er sprach, war unser alter Freund Marks, der mit der ihm eigenen schätzbaren Ausdauer nach Sandusky gekommen war, um zu sehen, wen er verschlingen könnte.

»Man kann die Frau kaum von einem Weißen unterscheiden«, sagte Marks. »Der Mann ist ein sehr heller Mulatte. In der einen Hand ist er gebrandmarkt.«

Die Hand, mit der George die Billets und das kleine Geld nahm, zitterte ein wenig, aber er drehte sich kaltblütig um, warf einen unbefangenen Blick auf den Sprecher und ging langsam nach einem anderen Teil des Bootes, wo Elisa auf ihn wartete.

Mrs. Smith zog sich mit dem kleinen Harry in die Damen-Kajüte zurück, wo die dunkle Schönheit des vermeintlichen kleinen Mädchens manche schmeichelhafte Bemerkung von den Passagieren hervorrief.

George hatte die Genugtuung, Marks über das Brett ans Ufer gehen zu sehen, als die Glocke zum letzten Male läutete; und er seufzte erleichtert auf, als das Boot abstieß und eine unübersteigliche Kluft zwischen sie gesetzt hatte.

Es war ein herrlicher Tag. Die blauen Wellen des Eriesees tanzten funkelnd im Sonnenschein. Ein frischer Wind wehte vom Ufer, und das stolze Boot arbeitete sich tapfer durch die widerstrebenden Wasser.

George und seine Gattin standen Arm in Arm am Rande des Bootes, wie sich dasselbe der kleinen Stadt Amherbstberg in Kanada näherte. Er atmete kurz und schwer, ein Nebelschleier sammelte sich vor seinen Augen, er drückte schweigend die kleine Hand, die zitternd auf seinem Arme lag. Die Glocke läutete, das Boot hielt an. Ohne recht zu wissen, was er tat, suchte er sein Gepäck zusammen und sammelte seine kleine Gesellschaft. Sie landeten. Sie blieben stehen, bis das Boot wieder abstieß; und dann knieten der Gatte und die Gattin mit Tränen und Umarmungen, und ihr verwundertes Kind in den Armen haltend, nieder und erhoben ihre Herzen zu Gott!

Mrs. Smith brachte die kleine Gesellschaft bald in das gastliche Haus eines guten Missionars, den christliches Erbarmen als einen Hirten für die Verstoßenen und Heimatlosen, welche beständig an diesem Ufer ein Asyl finden, hierher gesetzt hat.