Ein historischer Roman.


Han der Isländer.


I.

»Dahin führt die Liebe, Nachbar Niels; diese arme Guth Stersen würde nicht auf diesem großen schwarzen Stein da ausgestreckt liegen, wie ein Seefisch, den die Ebbe zurückgelassen hat, wenn sie nie an etwas Anderes gedacht hätte, als die Bretter am Nachen ihres Vaters festzunageln oder seine Netze zu flicken. Möge St. Usuph der Fischer unsern alten Kameraden in seinem Leide trösten!«

»Und ihr Bräutigam,« fiel eine heisere zitternde Stimme ein, »Gill Stadt, dieser schöne, junge Mensch, der neben ihr liegt, würde nicht da sein, wenn er, statt diese Guth zu lieben und in den verfluchten Bergwerken von Roeraas sein Glück zu suchen, an der Wiege seines jungen Bruders, die an den rauchigen Balken seiner Hütte hängt, sitzen geblieben wäre.«

Der Nachbar Niels unterbrach sie: »Euer Gedächtnis, altert mit Euch, Mutter Olly. Gill hat niemals einen Bruder gehabt, und deßhalb muß der Schmerz der armen Wittwe Stadt um so bitterer sein, denn ihre Hütte ist jetzt ganz einsam und verlassen. Wenn sie zum Himmel aufblicken will, um dort Trost zu suchen, so findet sie zwischen ihren Augen und den Wolken ihr altes Dach, an dem noch die leere Wiege ihres Kindes hängt, das ein großer Jüngling geworden und dann gestorben ist.«

»Arme Mutter!« sagte die alte Olly. »Was den jungen Menschen betrifft, so ist er selbst Schuld, warum ist er Bergknappe in den Minen von Roeraas geworden?«

»Ich glaube in der That,« sagte Niels, »daß diese höllischen Minen für jeden Centner Kupfer, den sie uns geben, uns einen Menschen nehmen. Was meint Ihr, Gevatter Braal?«

»Die Bergleute sind Narren,« erwiederte der Fischer. »Wenn der Fisch leben will, darf er nicht aus dem Wasser, und wenn der Mensch leben will, so soll er nicht unter den Boden.«

»Aber,« fragte ein junger Mensch unter dem Hausen, »wenn es für Gill Stadt nöthig war, in den Minen zu arbeiten, um seine Braut zu bekommen?.. .«

»Man muß,« unterbrach ihn Olly, »man muß niemals sein Leben aussetzen für Neigungen, die es nicht werth sind. Ein schönes Brautbett, das Gill für seine Guth gewonnen hat!«

»Dieses junge Mädchen,« fragte ein Neugieriger, »hat sich also aus Verzweiflung über den Tod des jungen Menschen ertränkt?«

»Wer sagt das?« rief mit starker Stimme ein Soldat aus, der durch den Haufen gedrungen war. »Dieses junge Mädchen, das ich wohl kenne, war allerdings die Braut eines jungen Bergmanns, den kürzlich ein Felsstück in den unterirdischen Gängen der Storwaadsgrube bei Roeraas zerschmettert hat; aber sie war zugleich die Geliebte eines meiner Kameraden, und als sie vorgestern sich zu Munckholm einschleichen wollte, um dort mit ihrem Liebhaber den Tod ihres Bräutigams zu feiern, strandete ihr Nachen an einer Klippe, und sie ist er» trunken.«

Ein Geräusch verwirrter Stimmen erhob sich. »Unmöglich, Herr Soldat!« schrieen die alten Weiber; die jungen schwiegen, und der Nachbar Niels wiederholte boshafterweise dem Fischer Braal seinen bedeutsamen Spruch: »Dahin führt die Liebe!«

Der Soldat begann im Ernst auf seine weiblichen Gegner böse zu werden, und nannte sie bereits alte Hexen aus der Grotte von Quiragoth, welche grobe Beschimpfung sie nicht geduldig hinzunehmen geneigt waren, als plötzlich eine kreischende Stimme in gebietendem Tone rief: » Stille! Stille» ihr Plaudertaschen!« Alles schwieg. Der Auftritt, dessen Erzählung wir hier begonnen haben ging in einem jener traurigen Gebäude vor, welche das öffentliche Mitleid und die staatsgesellschaftliche Umsicht für die unbekannten Leichname erbaut haben, diesem letzten Zufluchtsorte von Todten, die meistens unglücklich gelebt haben, und wo sich der gleichgültige Neugierige, der grämliche oder wohlwollende Beobachter, und oft trauernde Verwandte und Freunde drängen, denen eine lange und unerträgliche Unruhe nur noch eine einzige klägliche Hoffnung übrig gelassen hat. In der von uns bereits weit entfernten Epoche und in dem wenig civilisirten Lande, wo diese Geschichte spielt, war man noch nicht, wie in unsern Städten von Koth und Gold, auf den Gedanken gekommen, aus diesen Orten künstlich furchtbare und elegant traurige Monumente zu machen. Der Tag fiel nicht durch die hohe Wölbung auf eine Art von Ruhebetten, wo man den Todten einige der Bequemlichkeiten des Lebens lassen zu wollen schien, und wo ein Kopfkissen, wie für Schlafende, vorhanden ist. Wenn die Thüre des Wächters sich öffnete, konnte sich nicht, wie heutzutage, das von dem Anblick nackter und scheußlicher Leichname ermüdete Äuge durch den Anblick kostbarer Geräthschaften und freundlicher Kinder erholen. Dort war der Tod in seiner ganzen Häßlichkeit, in seinem ganzen Schrecken, und man hatte noch nicht versucht, sein fleischloses Skelett mit Putz und Bändern zu verzieren.

Der Saal, in welchem sich die handelnden Personen befanden, war geräumig und dunkel, wodurch er noch geräumiger erschien: er erhielt sein Licht bloß durch eine niedere, viereckige Thüre, die sich aus den Hafen von Drontheim öffnete, und durch eine plumpe Oeffnung in der Decke, durch welche mit dem Regen, dem Hagel und Schnee, je nach der Jahreszeit, ein bleiches Licht auf die Leichname herabfiel, hie sich unmittelbar darunter befanden. Dieser Saal war in seiner Breite durch ein eisernes Gitter von halber Manneshöhe in zwei Hälften getheilt. Das Publikum trat durch die viereckige Thüre in die erste Hälfte ein: in der zweiten Hälfte sah man sechs lange steinerne Lager, in paralleler Richtung, für die Leichname. Eine kleine Seitenthüre diente dem Wächter und seinem Gehülfen, deren Wohnung den hintern Theil des hart an das Meer stoßenden Gebäudes einnahm, zum Eingang. Aus zweien dieser steinernen Betten lagen der Bergmann und seine Braut. Der Leichnam des Mädchens ging bereits in Verwesung über; die Züge des Mannes schienen hart und düster, und sein Körper war furchtbar verstümmelt.

Vor diesen entstellten menschlichen Leichnamen hatte die Unterhaltung begonnen, welche wir so eben erzählt haben.

Ein langer, ausgetrockneter alter Mann, der indem dunkelsten Winkel des Saals mit gesenktem Haupt auf einem halb zerfallenen Schemel saß, hatte bis zu dem Augenblicke, wo er sich plötzlich mit dem Ruf: » Stille! Stille! ihr Plauder» laschen!« erhob, dem Gespräch gar keine Aufmerksamkeit zu schenken geschienen.

Alle schwiegen, der Soldat wandte sich um, und als er das eingefallene Gesicht, die wenigen schmutzigen Haare, die hagere, ganz in Rennthierfelle gekleidete Gestalt des Alten erblickte, brach er in lautes Lachen aus. In den Reihen der im ersten Augenblicke bestürzten Weiber erhob sich jetzt ein Gemurmel: »Das ist der Wächter des Spladgest! – Dieser höllische Thürsteher der Todten! – Dieser teuflische Spiagudry! Dieser verfluchte Hexenmeister!«

»Stille! Stille, ihr Plaudertaschen! Wenn es heute Hexen-Sabbath ist, so holt eure Besen, sonst stiegen sie allein fort. Lasset diesen geehrten Abkömmling des Gottes Thor in Ruhe!«

Mit diesen Worten wandte sich Spiagudry dem Soldaten zu und sprach mit einer freundlichen Grimasse: »Ihr sagtet so eben, mein Tapferer, daß dieses elende Weibsbild ….«

»Der alte Schacher!« murmelte Olly. »Ja, freilich, wir sind in seinen Augen elende Weibsbilder, weil unsere Leichname, wenn sie in seine Klaue fallen, ihm nach der Taxe bloß dreißig Pfennige eintragen, wahrend er für das Gerippe eines Mannes vierzig bekommt.«

»Stille, ihr alten Hexen!« wiederholte Spiagudry. »Diese verdammten Weiber sind wie ihre Kessel; wenn sie heiß werden, fangen sie an zu pfeifen. Sagt mir doch, mein tapferer Degenknopf, Euer Kamerad, dessen Geliebte diese Guth war, wird wohl aus Verzweiflung über ihren Verlust einen Selbstmord begehen? …«

Hier erfolgte der lange zurückgehaltene Ausruf: »Hört ihr den Schacher, den alten Heidenkopf?» schrieen zwanzig kreischende, mißtönende Stimmen. »Erwünscht einen Lebenden weniger wegen der vierzig Pfennige, die ihm ein Todter einträgt!«

»Und wenn es so wäre?« fuhr der Wächter des Spladgest fort. »Unser gnädigster König und Herr, Christiern der Fünfte, erklärt sich auch zum geborenen Beschützer aller Bergleute, damit sie bei ihrem Tode seinen königlichen Schatz mit ihrem lumpigen Nachlaß bereichern.«

»Ihr erweist dem König viel Ehre,« sagte der Fischer Braal, »daß Ihr seinen königlichen Schatz mit Eurer Bettelbüchse und Euch mit ihm vergleicht, Nachbar Spiagudry.«

»Nachbar!« wiederholte der Wächter des Spladgest, den diese Vertraulichkeit ärgerte. »Euer Nachbar! Sagt lieber, Euer Wirth, denn, mein lieber Schiffmann, es könnte wohl eines Tages geschehen, daß ich Euch auf einem meiner sechs steinernen Betten beherbergte.«

»Im Uebrigen,« fügte er lachend hinzu, »wenn ich von dem Tode dieses Soldaten sprach, so geschah es bloß, um in den großen und tragischen Leidenschaften, welche die Weiber einflößen, den löblichen Gebrauch des Selbstmords verewigt zu sehen.«

»Nun, großer Leichnam, der Du Leichname hütest,« sagte der Soldat, »wohin zielst Du denn mit Deiner liebenswürdigen Grimasse, die dem letzten Lachen eines Gehenkten gleicht?«

»Wohl gesprochen, mein Tapferer!« antwortete Spiagudry. »Ich war immer der Meinung, daß unter dem Helm des Waffenmannes Thurn, der den Teufel mit Schwert und Zunge überwand, mehr Verstand stecke, als unter der Mütze des Bischofs Isleif, der die Geschichte von Island verfaßt, und unter der Schlafhaube des Professors Schönning, der unsere Hauptkirche beschrieben hat.«

»In diesem Falle, mein alter Ledermann, rathe ich Dir, die Einkünfte Deiner Fleischbank im Stiche zu lassen und Dich in das Naturalienkabinet des Vicekönigs zu Bergen zu verkaufen. Ich schwöre Dir bei Sankt Belphegor, daß man dort die seltenen Thiere mit Gold auswägt. Jetzt aber sage mir erst, was Du denn eigentlich von mir willst?«

»Wenn die Leichname, die man uns bringt, im Wasser gefunden worden sind, so müssen wir die Hälfte der Taxe den Fischern abgeben. Ich wollte Euch demnach bitten, erlauchter Nachkomme des Waffenmannes Thurn, Euern unglücklichen Kameraden zu vermögen, daß er sich nicht ersäufe, sondern irgend eine andere Todesart wähle. Das kann ihm ja ganz einerlei sein, und wenn ihn doch einmal seine unglückliche Liebe zu dieser Handlung treibt, so wird er einem unglücklichen Christen, der seinen Leichnam gastfreundlich ausnimmt, im Sterben kein Unrecht zufügen wollen.«

»Hierin, mein gastfreundlicher Wirth, irrt Ihr Euch gewaltig, mein Kamerad bedankt sich für die Ehre, in Eure appetitliche Herberge mit den sechs Betten aufgenommen zu werden. Meint Ihr denn, er habe sich für den Verlust dieses Liebchens da nicht bereits durch ein anderes entschädigt? Ich schwöre Euch bei meinem Bart, daß er Eurer Guth längst übersatt war.«

Bei diesen Worten brach das Ungewitter, das Spiagudry einen Augenblick auf sein Haupt abgelenkt halte, stürmischer als je über den unverschämten Kriegsmann los.

»Wie, elender Taugenichts!« schrieen die alten Weiber. »So leicht vergeht Ihr uns! Jetzt gebt euch mehr mit diesen Schlingeln ab!«

Die jungen Weiber und Mädchen schwiegen fortwährend. Mehrere von ihnen sahen diesen Taugenichts an und fanden ihn nicht so übel.

»Oh! Oh!« sagte der Soldat, »sind wir denn auf dem Hexentanz? Das ist eine harte Zugabe für Freund Beelzebub, daß er allwöchentlich einen solchen Chorus hören muß!«

Man weiß nicht, auf welche Weise sich dieser Sturm zuletzt noch entladen haben würde, wenn nicht die allgemeine Aufmerksamkeit durch ein von Außen kommendes Geräusch in Anspruch genommen worden wäre. Das Geräusch nahm allmählig zu, und bald stürmte ein Schwarm halbnackter Buben, um eine von zwei Männern getragene und bedeckte Tragbahre herum laufend und schreiend, in den Spladgest herein.

»Woher kommt das?« fragte der Wächter die Träger.

»Vom Strande von Urchthal.«

»Oglypiglap!« rief Spiagudry.

Aus einer Seitenthüre trat ein kleiner, in Leder gekleideter Lappländer herein, und gab den Trägern ein Zeichen, ihm zu folgen. Spiagudry begleitete sie, und die Thüre schloß sich wieder, ehe noch die neugierige Menge an der Länge des auf der Tragbahre liegenden Leichnams errathen konnte, ob es ein Mann oder ein Weib sei.

Um diesen Gegenstand drehte sich das allgemeine Gespräch, als Spiagudry und sein Gehülfe wieder erschienen und den Leichnam eines Mannes auf einem der steinernen Betten niederlegten.

»Es ist schon lange her, daß ich keine so schöne Kleider mehr berührt habe,« sagte Oglypiglap, schüttelte den Kopf, stellte sich auf die Spitze der Zehen und hängte eine prächtige Hauptmannsuniform über dem Todten auf. Der Kopf des Leichnams war entstellt und die übrigen Glieder mit Blut bedeckt. Der Wächter begoß ihn mehrmals aus einer alten halb zerbrochenen Wasserrinne.

»Bei St. Beelzebub!« rief der Soldat, »das ist ein Offizier von meinem Regiment. Laßt sehen! Ist es vielleicht der Hauptmann Bollar, aus Schmerz, seinen Oheim verloren zu haben? Bah! Er erbt ja. Der Baron Randmer? Er hat gestern sein Gut im Spiele verloren, aber er wird es morgen nebst dem Schlosse seines Gegners wieder gewinnen. Oder der Hauptmann Lory, dessen Hund ersoffen ist? Oder der Zahlmeister Stunk, dessen Weib untreu ist? In der That, Alles das ist kein Grund, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen.«

Die Menge nahm mit jedem Augenblicke zu. Ein junger Mann ritt am Hafen vorüber, sah das Zuströmen des Volks, stieg vom Pferde, warf den Zügel seinem Bedienten zu und trat in den Spladgest herein. Er trug ein einfaches Reisekleid, war mit einem Säbel bewaffnet und in einen weiten grünen Mantel gewickelt. Eine schwarze Feder, die mit einer diamantenen Schnalle an seinem Hut befestigt war, fiel auf sein edles Gesicht herab und wogte auf seiner hohen, von langen braunen Haaren beschatteten Stirne. Seine mit Koth bespritzten Stiefel und Sporen bewiesen, daß er einen weiten Weg gemacht hatte.

Als er eintrat, sagte eben ein kleiner untersetzter Mann, der, gleich ihm, in einen Mantel gewickelt war und seine Hände, in großen Handschuhen stecken hatte, zu dem Soldaten: »Und wer sagt Euch denn, daß er sich selbst umgebracht hat? Dieser Mann da, dafür stehe ich Euch, hat sich eben so wenig selbst umgebracht, als das Dach Eurer Hauptkirche sich von selbst entzündet hat.«

»Unsere Hauptkirche!« sagte Niels, »man deckt sie jetzt mit Kupfer. Dieser elende Han der Isländer hat, wie es heißt, das Feuer eingelegt, um den Bergleuten Arbeit zu schaffen, unter denen sich sein Schützling Gill Stadt befand, der jetzt hier liegt.«

»Zum Teufel!« rief seinerseits der Soldat, »mir, dem zweiten Arquebusier der Garnison von Munckholm, ins Angesicht zu behaupten, daß dieser Mann da sich nicht vor den Kopf geschossen habe!«

»Dieser Mensch ist ermordet worden,« erwiederte der kleine Mann ruhig.

»Höre einmal, Du Orakel! Deine kleinen grauen Augen sehen nicht heller, als Deine Hände unter den großen Handschuhen da, womit Du sie mitten im Sommer bedeckst.«

Ein Blitz schoß aus den Augen des kleinen Mannes: »Soldat! Bitte Deinen Schutzpatron, daß nicht eines Tages diese Hände da ihre Spuren auf Deinem Gesichte zurücklassen mögen!«

»Heraus denn!« rief der zornige Soldat. »Doch nein,« fügte er plötzlich hinzu, »vor Todten soll man nicht von einem Zweikampfe sprechen.«

Der kleine Mann murmelte einige Worte in einer fremden Sprache und verschwand.

Eine Stimme rief: »Am Strande von Urchthal hat man ihn gefunden.«

»Am Strande von Urchthal?« sagte der Soldat, »dort sollte diesen Morgen der Hauptmann Dispolsen, der von Kopenhagen kommt, sich ausschiffen.«

»Der Hauptmann Dispolsen ist noch nicht zu Munckholm angekommen,« rief eine andere Stimme. »Es heißt,« fuhr ein Dritter fort, »daß sich Han der Isländer jetzt dort herumtreibt.«

»In diesem Falle,« sagte der Soldat, »ist es möglich, daß dieser Mann der Hauptmann Dispolsen ist, wenn ihn Han umgebracht hat, denn Jedermann weiß, daß dieser Isländer auf eine so teuflische Art mordet, daß seine Schlachtopfer oft wie Selbstmörder aussehen.«

»Was ist denn das für ein Mensch, dieser Han?« fragte Jemand.

»Ein Riese,« sagte der Eine.

»Ein Zwerg,« sprach der Andere.

»Hat ihn denn noch Niemand gesehen?« fragte eine Stimme.

»Wer ihn zum ersten Mal sieht, hat ihn auch zum letzten Mal gesehen.«

»Stille!« sagte die alte Olly; »es gibt nur drei Personen, die jemals menschliche Worte mit ihm gewechselt haben: dieser Heide Spiagudry da, die Wittwe Stadt und … aber sein Leben und Tod war unglücklich … dieser arme Gill, den ihr da liegen seht. Stille!«

»Stille!« wiederholte man von allen Seiten.

»Jetzt,« rief plötzlich der Soldat, »jetzt weiß ich gewiß, daß es wirklich der Hauptmann Dispolsen ist, ich erkenne die Stahlkette, welche ihm unser Gefangener, der alte Schuhmacher, bei seiner Abreise geschenkt hat.«

Der junge Mann mit der schwarzen Feder fiel ihm heftig ins Wort: »Ihr wißt gewiß, daß dies der Hauptmann Dispolsen ist?«

»Gewiß, so wahr es einen Beelzebub gibt!« versicherte der Soldat.

Der junge Mann ging rasch hinaus.

»Eine Barke nach Munckholm!« sagte er zu seinem Diener.

»Aber, gnädiger Herr, und der General? …«

»Du bringst ihm die Pferde. Ich komme morgen zu ihm. Bin ich mein Herr oder nicht? Vorwärts, der Tag neigt sich, und ich habe Eile, eine Barke also!«

Der Diener gehorchte und folgte eine Zeit lang mit den Augen dem Nachen, in welchem sein junger Herr saß, und der sich mit schnellem Ruderschlag vom Ufer entfernte.

II.

Der Leser weiß, daß wir uns zu Drontheim, einer der vier größten Städte Norwegens, obwohl nicht der Residenz des Vicekönigs, befinden. Zur Zeit, in welcher diese Geschichte vorging – im Jahre 1699 – gehörte das Königreich Norwegen noch zu Dänemark, und wurde von Vicekönigen regiert, deren Sitz zu Bergen, einer größeren, schöneren und südlicher gelegenen Stadt, als Drontheim, war.

Drontheim bietet einen angenehmen Anblick dar, wenn man es von dem Golf aus betrachtet, dem diese Stadt ihren Namen gegeben hat. Der Hafen ist ziemlich breit und die Stadt liegt in einer wohlbebauten Ebene. Mitten im Hafen, einen Kanonenschuß vom Ufer, erhebt sich, auf einer von Wogen umspülten Felsenmasse, die einsame Feste Munckholm, ein düsteres Gefängniß, in welchem damals der durch sein langes Glück sowohl, als durch seine schnelle Ungnade so berühmte Staatsgefangene saß.

Schuhmacher, ein Mann von niederer Geburt, war von seinem König erst mit Gunstbezeugungen überhäuft, dann plötzlich von seinem Sitze eines Großkanzlers von Dänemark und Norwegen auf die Bank der Staatsverräther gebracht, sofort aufs Schaffot geschleift und zuletzt aus Gnade in einen einsamen Kerker an der äußersten Grenze der beiden Königreiche gebracht worden. Seine eigenen Kreaturen hatten ihn gestürzt, und er hatte nicht einmal das Recht, über Undank zu klagen. Durfte er klagen, wenn er Sprossen der Leiter, die er bloß so hoch gestellt hatte, um auf ihnen hinaufzusteigen, unter seinen Füßen brechen sah?

Der Mann, welcher den Adel in Dänemark gegründet hatte, mußte aus seinem Verbannungsorte sehen, wie die Großen, die er geschaffen, seine eigenen Würden unter sich vertheilten. Der Graf Ahlfeldt, sein Todfeind, war sein Nachfolger als Großkanzler; der General Arensdorf verfügte als Feldmarschall über die Armee, sowie der Bischof Spollyson über Geistlichkeit und Schulen. Der einzige seiner Feinde, der ihm seine Erhebung nicht verdankte, war der Graf Ulrich Friedrich Guldenlew, natürlicher Sohn des Königs Friedrich des Dritten, Vicekönig von Norwegen, und dieser war der edelmüthigste von Allen.

Gegen diesen traurigen Felsen von Munckholm steuerte die Barke, die den jungen Mann mit der schwarzen Feder trug. Die Sonne ging eben unter.

III.

»Andrew, in einer halben Stunde soll man die Thorglocke läuten. Sorsyll soll Duckneß am großen Fallgatter ablösen und Maldivius auf die Plattform des großen Thurmes steigen. Beim Kerker des Löwen von Schleswig soll streng aufgepaßt werden. Nicht zu vergessen, um sieben Uhr eine Kanone zu lösen, damit die Kette im Hafen aufgezogen werde; doch nein, man erwartet noch den Hauptmann Dispolsen; man muß im Gegentheil die Leuchte auf dem Thurm anzünden und nachsehen, ob der Leuchtthurm von Walderhog brennt, wie heut der Befehl dazu ertheilt worden ist; vor Allem sind Erfrischungen für den Hauptmann bereit zu halten. Und daß ich es nicht vergesse, man notire für Toric-Belfast, zweiten Arquebusier des Regiments, zwei Tage Arrest; er war den ganzen Tag abwesend.«

So sprach der Sergent der Wache unter dem schwarzen und rauchigen Gewölbe der Thorwache von Munckholm, die unter dem Thurm gelegen ist, welcher das erste Thor des Schlosses beherrscht.

Die Soldaten, an welche seine Befehle gerichtet waren, legten die Karten weg oder erhoben sich vom Lager, um sie zu vollziehen.

In diesem Augenblicke hörte man von Außen das gleichförmige Geräusch der Ruder.

»Ohne Zweifel kommt endlich der Hauptmann Dispolsen!« sagte der Sergent und öffnete das kleine vergitterte Fenster, das auf den Hafen geht.

Eine Barke legte unten an der eisernen Pforte an.

»Wer da?« rief der Sergent mit rauher Stimme.

»Oeffnet!« war die Antwort. »Friede und Sicherheit!«

»Eingang verboten! Habt Ihr Eingangsrecht?«

»Ja!«

»Das will ich erst untersuchen. Lügt Ihr, so will ich Euch das Wasser des Golfs zu kosten geben.«

Er schloß das Fenster, wandte sich zur Wache und sagte: »Immer noch nicht der Hauptmann!«

Ein Licht glänzte hinter der eisernen Pforte, die verrosteten Riegel kreischten, die Eisenstangen hoben sich, das Thor ging auf, und der Sergent untersuchte ein Pergament, das ihm der Ankömmling darbot.

»Einpassirt!« sagte er. »Halt!« fügte er rasch hinzu, »laßt Eure Hutschnalle außen. Man darf nicht mit Kleinodien in ein Staatsgefängniß. Hievon sind nach dem Reglement bloß ausgenommen: »Der König und die Mitglieder der königlichen Familie, der Vicekönig und die Mitglieder seiner Familie, der Bischof und die Befehlshaber der Besatzung.« Ihr habt ohne Zweifel keine von all diesen Eigenschaften?«

Statt aller Antwort nahm der junge Mann die Hutschnalle ab und warf sie dem Schiffer, der ihn geführt hatte, an Zahlungsstatt zu. Dieser, welcher fürchtete, der Andere möchte seine Freigebigkeit bereuen, stieß schnell vom Ufer, um das Wasser der Bucht zwischen den Wohlthäter und die Wohlthat zu legen.

Während der Sergent, über die Unklugheit der Kanzlei murrend, welche auf solche Art die Eingangspässe verschwende, die schweren Riegel wieder vorschob, schritt der junge Mann, den Mantel über die Schulter zurückgeworfen, eilends durch den dunkeln Bogen und kam über den Waffenplatz an das große Fallgatter, das nach Prüfung seines Passes gehoben wurde. Dann schritt er, von einem Soldaten begleitet, wie Jemand, der des Wegs wohl kundig ist, dem Kerker zu, das Schloß des Löwen von Schleswig genannt, weil Rolf der Zwerg weiland seinen Bruder Jotham den Löwen, Herzog von Schleswig, darin gefangen halten ließ.

An einem der innern Thürme schlug der junge Mann mit einem kupfernen Hammer, den ihm der Wächter am Fallgatter gegeben hatte, heftig an die Thüre. »Oeffnet!« rief von Innen eine laute Stimme, »das wird wohl dieser verfluchte Hauptmann sein!«

Als die Thüre sich öffnete, erblickte der Ankömmling im Innern eines schwach beleuchteten gothischen Saals einen jungen Offizier, der nachlässig auf einem Haufen Mäntel und Rennthierhäute lag. Neben ihm stand ein dreiarmiger Leuchter, den er von der Zimmerdecke abgenommen und neben sich gestellt hatte. Seine reiche und ausgesucht elegante Kleidung stand in schroffem Gegensatz zu dem nackten Saal und den plumpen Geräthschaften. Er hielt ein Buch in der Hand und wandte sich mit halbem Leibe dem Ankömmlinge zu:

»Das ist der Hauptmann!« sagte er. »Guten Abend, Herr Hauptmann! Schon lange warte ich auf Ihre Ankunft, obwohl ich nicht das Vergnügen habe, Sie zu kennen. Doch was das betrifft, so werden wir uns bald kennen lernen, nicht wahr, lieber Hauptmann? Vor allen Dingen statte ich Ihnen meine Beileidsbezeugung zu Ihrer Rückkehr in dieses alte verfluchte Nest ab. Wenn ich noch einige Zeit hier verweile, werde ich so abschreckend werden, wie eine Nachteule, die man als Vogelscheuche an eine Thüre nagelt, und wenn ich zur Vermählung meiner Schwester nach Kopenhagen zurückkomme, so will ich verdammt sein, wenn mich unter hundert Damen nur vier wieder erkennen. Sagen Sie mir doch, ob die rosenrothen Bänder noch immer in der Mode sind? Ist kein neuer Roman von Demoiselle Scudery aus dem Französischen übersetzt worden? Hier habe ich gerade Clelia in der Hand. Man wird das zu Kopenhagen auch noch lesen. Das ist mein Codex der Galanterie, jetzt, wo ich seufze, ferne von so vielen schönen Augen; denn so schön auch die Augen unserer jungen Gefangenen sind, Sie wissen, wen ich meine, so bleiben sie doch immer stumm für mich. Ha! Wenn meines Vaters Befehl nicht wäre! … Ich muß Ihnen im Vertrauen sagen, Herr Hauptmann, aber behalten Sie es bei sich, daß mich mein Vater beauftragt hat, Schuhmachers Tochter zu … Sie verstehen mich schon, aber ich verliere Zeit und Mühe, das ist kein Mädchen von Fleisch und Bein, sondern eine steinerne Bildsäule, sie weint immer und sieht mich niemals an.«

Der junge Mann, der bei der Geläufigkeit der Zunge des Offiziers bisher nicht hatte zum Wort kommen können, stieß jetzt einen Schrei der Verwunderung aus. »Wie! Was sagen Sie? Beauftragt die Tochter dieses unglücklichen Schuhmacher zu verführen! …«

»Verführen? Meinetwegen, wenn man das gegenwärtig zu Kopenhagen so nennt; aber das würde selbst dem Teufel nicht gelingen. Als ich vorgestern die Wache hatte, zog ich, ausdrücklich für sie, eine prächtige französische Halskrause an, die man mir unmittelbar von Paris geschickt hatte. Können Sie es glauben, daß sie nicht einmal einen Blick auf mich warf, obwohl ich drei bis viermal durch ihr Zimmer ging und meine neuen Sporen, deren Räder so breit sind, als eine lombardische Dukate, nicht schlecht klingen ließ? Diese Sporen werden wohl noch immer in der Mode sein?«

»Mein Gott! Mein Gott!« sagte der junge Mann und schlug sich vor die Stirne, »das verwirrt mich so …«

»Nicht wahr?« fuhr der Offizier fort, der sich über den wahren Sinn dieses Ausrufs täuschte. »Nicht einen einzigen Blick auf mich zu werfen! So unglaublich das auch ist, so ist es doch wahr.«

Der junge Mann ging in heftiger Aufregung im Zimmer auf und ab.

»Wollen Sie etwas genießen, Hauptmann Dispolsen?« rief ihm der Offizier zu.

»Ich bin nicht der Hauptmann Dispolsen.«

»Wie?« sagte der Offizier in ernstem Tone und richtete sich sitzend in die Höhe, »und wer sind Sie denn, daß Sie es wagen, um diese Stunde hier zu erscheinen?«

Der junge Mann hielt ihm seine Einlaßkarte hin: »Ich will den Grafen Greiffenfeld … ich will sagen, Ihren Gefangenen sehen.«

»Grafen! Grafen!« murmelte der Offizier mißvergnügt. »Aber wirklich, die Karte ist in Ordnung, da steht die Unterschrift des Vicekanzlers Grummond von Knud: Vorweiser dies kann immer und zu jeder Zeit alle königlichen Gefängnisse besuchen. Grummond von Knud ist der Bruder des alten Generals Levin von Knud, der zu Drontheim befehligt, und Sie werden wissen, daß dieser alte Herr meinen künftigen Schwager erzogen hat …«

»Ich danke Ihnen für die Mittheilung Ihrer Familienangelegenheiten, Herr Lieutenant. Meinen Sie nicht, daß Sie mir bereits genug davon mitgetheilt haben?«

»Das ist ein unverschämter Kerl, aber er hat, weiß Gott, Recht,« murmelte der Lieutenant für sich und biß sich in die Lippen.

»Holla! Thürschließer, Kerkermeister, Holla!« rief er, »führt diesen Fremden da zu Schuhmacher und zankt nicht, daß ich Euern dreiarmigen Leuchter, in dem nur ein einziges Licht steckt, von der Decke genommen habe! Ich wollte dieses alte Stück näher betrachten, das sich ohne Zweifel noch aus den Zeiten Sciolds des Heiden, oder Havars des Kopfspalters herschreibt, und überhaupt man hängt heutzutage nur noch Kronleuchter von Krystall an der Decke auf.«

Der junge Mann entfernte sich mit dem Kerkermeister, und der Offizier nahm sein Buch wieder zur Hand, um die verliebten Abenteuer der Amazone Clelia und Horatius des Einäugigen zu lesen.

IV.

Während dieser Zeit war ein Diener mit einem Handpferd in den Palasthof des Gouverneurs von Drontheim eingeritten. Er war mit Kopfschütteln und mißvergnügter Miene abgestiegen und machte sich eben fertig, die Pferde in den Stall zu führen, als plötzlich Jemand ihn barsch am Arm ergriff.

»Wie!« rief ihm eine Stimme zu, »Du kommst allein, Paul! Wo ist denn Dein Herr?«

So fragte der alte General Levin von Knud, der von seinem Fenster aus den Bedienten ohne seinen Herrn hatte ankommen sehen und in den Hof herbeigeeilt war.

»Excellenz,« erwiederte der Diener mit einer tiefen Verbeugung, »mein Herr ist nicht mehr in Drontheim.«

»Wie? Er war also da? Er ist wieder fort, ohne seinen alten Freund zu sehen? Und seit wann denn?«

»Er ist diesen Abend angekommen und diesen Abend wieder fort.«

»Diesen Abend? Diesen Abend! Wo ist er denn abgestiegen? Wohin ist er denn?«

»Er ist im Spladgest abgestiegen und hat sich nach Munckholm eingeschifft.«

»Hm! Ich glaubte ihn bei den Gegenfüßlern. Was Teufels hat er denn in dem alten Schlosse zu thun? Was machte er denn im Spladgest? Das ist ja ein wahrer fahrender Ritter! Ich bin freilich selbst Schuld daran, warum habe ich ihn so erzogen? Ich wollte ihn frei wissen, trotz der Fesseln seines Ranges …«

»Ei!« fiel Paul ein, »er kümmert sich auch verdammt wenig um die Etikette.«

»Wenn er nur etwas mehr Herr seiner Launen wäre! Nun, er wird schon kommen. Laß Dir inzwischen nichts abgehen, Paul! Nun, seid ihr weit miteinander in der Welt herumgezogen?«

»Mein Herr General, wir kommen gerade von Bergen. Mein Herr war traurig.«

»Traurig! Was hat es denn zwischen ihm und seinem Vater gegeben? Will ihm diese Heirath nicht einleuchten?«

»Ich weiß es nicht, aber Seine Erlaucht will es nun einmal so haben.«

»Will es so haben! Der Vicekönig will es so haben! Will denn Ordener nicht?«

»Ich weiß nicht, Excellenz! Er scheint traurig.«

»Traurig! Wie hat ihn sein Vater empfangen?«

»Das erste Mal, das war im Lager bei Bergen. Seine Erlaucht sagte: Ich sehe Dich nicht oft, mein Sohn! – Desto besser für mich, mein gnädiger Vater, erwiederte mein Herr, das ist ein Zeichen, daß Sie mich vermissen. – Hierauf erzählte er von unsern Reisen in dem Norden, worauf Seine Erlaucht sagte: Das ist gut! – Am andern Morgen, als mein Herr von seinem Vater kam, sagte er: Man will mich verheirathen, ich muß aber erst meinen zweiten Vater, den General Levin sprechen. – Dann habe ich die Pferde gesattelt, und jetzt sind wir hier.«

»Wirklich,« sagte der alte General gerührt, »wirklich, er hat mich seinen zweiten Vater genannt?«

»Ja, Euer Excellenz.«

»Wehe mir, wenn ihm diese Heirath zuwider ist, denn ich will lieber bei dem König in Ungnade fallen, als dazu helfen. Inzwischen, die Tochter des Großkanzlers beider Königreiche … Höre, Paul, weiß Dein Herr, daß seine künftige Schwiegermutter, die Gräfin Ahlfeldt, seit gestern incognito hier ist, und daß der Graf erwartet wird?«

»Ich weiß nicht, mein General!«

»Ja wohl!« dachte der alte General, »er muß es wissen, sonst hätte er nicht gleich bei seiner Ankunft zum Rückzug geblasen.«

Der General nickte gegen Paul und die Schildwache, die das Gewehr vor ihm präsentiert hatte, wohlwollend mit dem Kopf und ging in den Palast zurück.

V.

Als der junge Mann ins Zimmer des Gefangenen trat, klang es abermals in seine Ohren: »Ist es endlich der Hauptmann Dispolsen?«

Diese Frage machte ein alter Mann, der, den Rücken der Thüre zugewendet, an einem Tische saß, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf in beiden Händen. Er trug eine Art Schlafrock von schwarzer Wolle, und über einem Bette, das in einem Winkel des Zimmers stand, erblickte man ein zerbrochenes Wappen, um welches die ebenfalls zerbrochenen Elephanten- und Danebrogsorden hingen; unterhalb des Wappens war eine umgekehrte Grafenkrone, und die beiden Bruchstücke einer Hand der Gerechtigkeit machten das Ganze dieser seltsamen Zierathen vollständig. Dieser Greis war der Staatsgefangene Schuhmacher.

»Nein, gnädiger Herr,« antwortete der Kerkermeister. Hierauf sagte er zu dem Fremden: »Hier ist der Gefangene!«

Mit diesen Worten schloß er die Thüre, ehe er noch die Antwort des Gefangenen hören konnte, der in verdrießlichem Tone sagte: »Wenn es nicht der Hauptmann ist, so will ich Niemand sehen.«

Der Fremde blieb an der Thüre stehen, und der Gefangene, der sich allein glaubte, denn er hatte nicht einmal aufgeblickt, fiel wieder in seine vorige Träumerei zurück.

Plötzlich rief er aus: »Gewiß hat mich dieser Hauptmann auch verrathen und verlassen! Die Menschen … Ha! die Menschen sind wie das Stück Eis, das jener Araber für einen Edelstein hielt: er packte es sorgfältig in seinen Ranzen, und als er es suchte, fand er nicht einmal mehr einen Tropfen Wasser.«

»Ich gehöre nicht zu diesen Menschen,« sagte der Fremde.

Schuhmacher erhob sich rasch: »Wer ist hier? Wer hört mir zu? Irgend ein elender Scherge dieses Guldenlew?«

»Reden Sie nicht übel von dem Vicekönig, Herr Graf!«

»Herr Graf! Wollen Sie mir schmeicheln, daß Sie mich so nennen? Sie geben sich verlorene Mühe, ich bin nicht mehr mächtig.«

»Der, welcher mit Ihnen spricht, hat Sie nie in Ihrer Macht gekannt und ist doch Ihr Freund.«

»So hofft er noch irgend Etwas von mir. Die Erinnerung an Unglückliche knüpft sich stets an Hoffnungen, die noch übrig sind.«

»Ich sollte mich über Sie beklagen, Herr Graf, denn ich habe mich Ihrer erinnert, und Sie haben mich vergessen. Ich bin Ordener.«

Ein Strahl der Freude überzog die düstern Züge des Gefangenen.

»Willkommen, Ordener!« sagte er. »Willkommen, der aus der Ferne kommt und sich des Gefangenen noch erinnert!«

»Und Sie hatten mich vergessen?« fragte Ordener.

»Ich hatte Sie vergessen,« erwiederte Schuhmacher, der wieder in seinen düstern Ton zurückfiel, »wie man den vorüberstreichenden Wind vergißt, der uns die Wangen kühlt. Glücklich noch, wenn es kein Sturmwind wird, der uns unter Trümmern begräbt!«

»Graf Greiffenfeld,« fuhr der Fremde fort, »Sie glaubten also nicht an meine Rückkehr?«

»Der alte Schuhmacher glaubte nicht daran; es ist aber hier ein junges Mädchen, die mich heute erst daran erinnerte, daß Sie am letztverflossenen achten Mai vor einem Jahr abgereist sind.

Ordener bebte vor Freude: »Wie, mein Gott! Ist dieses junge Mädchen, das sich meiner erinnerte, Ihre Ethel?«

»Und wer sonst?«

»Ihre Tochter hat die Monate seit meiner Abreise gezählt! Wie viele traurige Tage habe ich inzwischen nicht verlebt! Ich habe ganz Norwegen bereist, von Christiania bis Wardhus; aber immer zog es mich wieder nach Drontheim hin.«

»Benützen Sie Ihre Freiheit, junger Mann, so lange Sie sich ihrer erfreuen. Aber sagen Sie mir endlich einmal, wer Sie sind. Ich möchte Sie unter einem andern Namen kennen. Der Sohn eines meiner Todfeinde heißt auch Ordener.«

»Vielleicht, Herr Graf, fühlt dieser Todfeind mehr Wohlwollen für Sie, als Sie für ihn.«

»Sie weichen meiner Frage aus. Doch behalten Sie Ihr Geheimniß; ich würde vielleicht erfahren, daß die von Außen lockende Pflanze tödtliches Gift enthält.«

»Herr Graf!« sagte Ordener mit Entrüstung. »Herr Graf!« wiederholte er im Tone mitleidigen Vorwurfs.

»Kann ich Ihnen denn trauen, da Sie immer mir gegenüber die Parthie des unversöhnlichen Guldenlew nehmen?«

»Der Vicekönig,« unterbrach ihn der junge Mann feierlich, »hat eben erst Befehl ertheilt, daß Sie im Innern des ganzen Schlosses des Löwen von Schleswig künftig frei und ohne Wache sein sollen. Ich habe dies zu Bergen erfahren und man wird es Ihnen ohne Zweifel bald bekannt machen.«

»Das ist eine Gunst, die ich nicht zu erlangen hoffte, und so viel ich mich erinnere, habe ich von meinem Wunsche nur mit Ihnen gesprochen. Uebrigens vermindert man das Gewicht meiner Eisen, so wie das meiner Jahre sich vermehrt, und wenn die Gebrechlichkeiten des Alters mich hinfällig gemacht haben werden, so wird es ohne Zweifel heißen: Jetzt bist Du frei!«

Bei diesen Worten lächelte der Greis bitter und fuhr fort: »Und Sie, junger Mann, haben Sie noch immer Ihre thörichten Gedanken von Unabhängigkeit?«

»Hätte ich sie nicht, so wäre ich nicht hier.«

»Wie sind Sie nach Drontheim gekommen?«

»Wie? Zu Pferd!«

»Wie nach Munckholm?«

»In einem Nachen.«

»Armer Thor! Sie glauben frei zu sein, und Sie bedürfen eines Rosses und einer Barke! Das sind nicht die Glieder deines Leibes, die deinen Willen thun, sondern ein Thier und ein lebloser Stoff, und das nennst du Willen!«

»Ich zwinge Wesen, mir zu gehorchen.«

»Ueber gewisse Wesen das Recht auf Gehorsam üben, heißt Andern das Recht auf Befehl geben. Unabhängigkeit ist nur in Vereinzelung.«

»Sie lieben die Menschen nicht?«

Der Greis lächelte traurig: »Ich weine, daß ich Mensch bin, und ich lache über den, der mich tröstet. Sie werden es erfahren, wenn Sie es noch nicht wissen, das Unglück macht mißtrauisch, wie das Glück undankbar. Sagen Sie mir, da Sie von Bergen kommen, ob der Hauptmann Dispolsen guten Wind gehabt hat? Es muß ihm etwas Glückliches begegnet sein, weil er mich vergißt.«

Ordener wurde verlegen und traurig.

»Dispolsen, Herr Graf! Um mit Ihnen über ihn zu sprechen, kam ich heute. Ich weiß, daß er Ihr ganzes Vertrauen besaß …«

»Sie wissen es?« unterbrach ihn der Gefangene mit Unruhe. »Sie irren sich. Kein menschliches Wesen besitzt mein Vertrauen. Dispolsen hat allerdings sehr wichtige Papiere von mir in Händen. In meinen Angelegenheiten ging er nach Kopenhagen zum König. Ich gestehe sogar, daß ich ihm mehr traute, als jedem Andern, denn so lange ich mächtig war, habe ich ihm nie eine Gunst erwiesen.«

»Herr Graf, ich habe ihn heute gesehen …«

»Ihre Verwirrung sagt mir das Uebrige, er ist ein Verräther.«

»Er ist todt.«

»Todt!«

Der Gefangene ließ das Haupt sinken und kreuzte die Arme über die Brust, dann hob er das Auge und starrte den jungen Mann an: »Als ich Ihnen sagte, daß ihm etwas Glückliches begegnet sei …«

Jetzt wandte sich sein Blick der Mauer zu, an welcher die Trümmer seiner vergangenen Größe hingen, und er winkte mit der Hand, als ob er den Zeugen eines Schmerzes, den er zu überwinden suchte, entfernen wollte.

»Nicht ihn beklage ich,« sagte er, »es ist nur ein Mensch weniger auf der Welt. Nicht mich beklage ich, was habe ich zu verlieren? Aber meine Tochter, mein unglückliches Kind! Ich werde das Opfer dieser schändlichen Umtriebe werden, und was wird aus meinem Kinde werden, wenn man ihm den Vater nimmt?«

Der Greis kehrte sich lebhaft Ordener zu: »Wie ist er gestorben? Wo haben Sie ihn gesehen?«

»Ich sah ihn im Spladgest; man weiß nicht, ob er durch Selbstmord oder durch Meuchelmord umgekommen ist.«

»Daran liegt Alles. Ist er ermordet worden, so weiß ich, woher der Schlag kommt. Dann ist Alles verloren. Er überbrachte mir die Beweise des Complotes, das sie gegen mich spinnen. Diese Beweise hätten mich retten und sie verderben können … Sie wußten sie zu vernichten! Unglückliche Ethel!«

»Herr Graf, ich werde Ihnen morgen sagen, ob er ermordet worden ist.«

Ohne zu antworten, folgte Schuhmacher dem hinausgehenden Ordener mit einem Blicke, worin sich die Ruhe der Verzweiflung malte, die schrecklicher ist, als die Ruhe des Todes.

Ordener trat in das einsame Vorzimmer des Gefangenen, ohne zu wissen, nach welcher Seite er sich wenden sollte. Es war Nacht, der Saal dunkel. Er öffnete eine Thüre und befand sich in einem großen Vorplatz, der bloß durch das helle Licht des Mondes beleuchtet war. Er ging einem röthlichen Scheine zu, der vom äußersten Ende des Corridor ihm entgegen leuchtete.

Durch eine halb offene Thüre erblickte er ein junges schwarzgekleidetes Mädchen auf den Knieen vor einem einfachen Altar. Sie hatte schwarze Augen und lange schwarze Haare. Beides eine Seltenheit im hohen Norden. Ordener bebte, er erkannte die Betende.

Das Mädchen betete für ihren Vater, für den gestürzten Gewaltigen, für den verlassenen Gefangenen. Sie betete noch für einen Andern, dessen Namen sie nicht nannte. Ordener entfernte sich, das einsame Gebet der Jungfrau ehrend.

Das Gebet war zu Ende. Die Jungfrau kam mit dem Licht in der Hand durch den Corridor. Ordener drückte sich an die Mauer.

»Mein Gott!« rief sie, als sie ihn erblickte.

Die Lampe entfiel ihrer Hand. Ordener stürzte herbei, die Ohnmächtige zu halten.

»Ich bin es!« sagte er mit sanfter Stimme.

»Ordener ist es!« flüsterte sie. Sie hatte den Ton dieser Stimme im Lauf eines Jahres nicht vergessen.

Sie wand sich, schüchtern und verwirrt, aus seinen Armen los und sagte: »Herr Ordener ist es!«

»Er selbst, Gräfin Ethel!«

»Warum nennen Sie mich Gräfin?«

»Warum nennen Sie mich Herr?«

Die Jungfrau schwieg lächelnd. Der Jüngling schwieg und seufzte.

Sie unterbrach zuerst das Stillschweigen: »Wie sind Sie denn hieher gekommen?«

»Verzeihen Sie, wenn meine Gegenwart Sie belästigt. Ich kam, um mit dem Grafen, Ihrem Vater, zu sprechen.«

»Also,« sagte die Jungfrau mit bewegter Stimme, »also sind Sie nur meines Vaters wegen gekommen?«

Der junge Mann senkte das Haupt, denn diese Worte dünkten ihn sehr ungerecht.

»Sie sind ohne Zweifel,« fuhr die Jungfrau im Tone des Vorwurfs fort, »Sie sind ohne Zweifel schon lange zu Drontheim? Ihre Abwesenheit aus dieser Festung wird Ihnen nicht lange vorgekommen sein.«

Ordener, tief gekränkt, antwortete nicht.

»Ich verdenke es Ihnen nicht,« fuhr das Mädchen mit einer Stimme fort, die vor Schmerz und Zorn zitterte; »aber ich hoffe, Herr Ordener,« fügte sie in stolzem Tone hinzu, »daß Sie mir nicht zugehört haben, als ich mein Gebet verrichtete.«

»Doch, Gräfin, ich habe Ihnen zugehört.«

»Ah! Herr Ordener! Es ist nicht schicklich zu horchen.«

»Ich habe nicht gehorcht, sondern gehört.«

»Ich betete für meinen Vater,« sagte die Jungfrau, ihn starr anblickend, als ob sie auf so einfache Worte eine Antwort erwarte.

Ordener schwieg.

»Ich habe auch,« fuhr sie unruhig fort, »für Jemand gebetet, der Ihren Namen führt, für den Sohn des Vicekönigs, des Grasen Guldenlew; denn man muß für Jedermann beten, selbst für seine Widersacher …«

Die Jungfrau erröthete, weil sie die Unwahrheit sagte, aber sie war erbittert über den Jüngling und glaubte in ihrem Gebet seinen Namen genannt zu haben.

»Ordener Guldenlew,« sagte der Jüngling, »ist sehr zu bedauern, wenn Sie ihn unter Ihre Widersacher zählen; inzwischen fühlt er sich glücklich, eine Stelle in Ihrem Gebet zu finden.«

»Nicht doch,« sagte die Jungfrau, bestürzt über den kalten Ton des Jünglings, »ich habe nicht für ihn gebetet … Ich weiß nicht was ich that, nicht was ich sage. Den Sohn des Vicekönigs, den verabscheue ich … ich kenne ihn nicht … Sehen Sie mich nicht so finster an! Habe ich Sie denn beleidigt? Können Sie denn einer armen Gefangenen nichts verzeihen, Sie, der seine Tage bei irgend einer schönen Edeldame verlebt, die frei und glücklich ist, wie Sie!«

»Ich, Gräfin!« rief Ordener aus.

Der Jungfrau stürzten die Thränen aus den Augen. Der Jüngling sank ihr zu Füßen.

»Hatten Sie mir nicht selbst gesagt,« fuhr sie durch Thränen lächelnd fort, »daß Ihnen Ihre Abwesenheit kurz vorgekommen ist?«

»Wer, ich? Gräfin!«

»Nennen Sie mich nicht so, ich bin für Niemand mehr Gräfin, am wenigsten für Sie.«

Der Jüngling sprang vom Boden auf und drückte sie an seine Brust.

»Angebetetes Wesen!« rief er im Taumel der Leidenschaft, »nenne mich Deinen Ordener! Sprich, liebst Du mich?«

Er verschlang ihre Antwort in dem seligen Kuß der ersten Liebe. Beide schwiegen, sie konnten keine Worte mehr finden. Ethel richtete sich zuerst aus den Armen ihres Geliebten auf. Beide betrachteten sich mit trunkenen Blicken.

»Warum haben Sie mich denn erst gemieden, als Sie in diesem Gange waren?« fragte das Mädchen.

»Ich habe Sie nicht gemieden; ich war ein unglücklicher Blinder, der nach langen Jahren wieder Licht sieht, und der sich einen Augenblick von ihm abwendet, weil seine Augen zu schwach geworden sind, es zu ertragen.«

»Auf mich paßt Ihr Gleichniß besser, denn während Ihrer Entfernung kannte ich kein anderes Glück, als den Umgang mit meinem unglücklichen Vater. Ich verbrachte meine langen Tage damit, ihn zu trösten und auf Ihre Rückkehr zu hoffen. Ich las meinem Vater die Fabeln der Edda vor, und wenn er an den Menschen verzweifelte, las ich ihm das Evangelium, damit er doch den Glauben an den Himmel behalte. Ich sprach von Ihnen; er schwieg, und das beweist, daß er Sie liebt. Wenn ich über den Meerbusen hin auf die ferne Straße und aus die landenden Schiffe blickte, schüttelte er bitter lächelnd den Kopf. Ich weinte. Das Gefängniß, in dem ich mein ganzes Leben zugebracht habe, wurde mir jetzt zum einsamen Kerker. Mein Vater füllte es nicht mehr aus, meine Gedanken schweiften in die Ferne; ich sehnte mich nach der Freiheit, die ich nie gekannt habe.«

»Und ich, ich will jetzt diese Freiheit nicht mehr, die Du nicht mit mir theilen kannst!«

»Wie, Ordener, Sie wollen also immer hier bleiben?«

Diese Worte riefen dem Jüngling Alles ins Gedächtnis zurück, was er vergessen hatte.

»Geliebtes Wesen,« sagte er, »ich muß Dich diesen Abend noch verlassen. Morgen sehe ich Dich wieder, und muß wieder gehen, bis ich zurückkehre, um immer zu bleiben.«

»Ach!« unterbrach ihn schmerzlich die Jungfrau, »noch einmal fort!«

»Ich komme bald wieder, um Dich aus diesem Kerker zu reißen, oder mich mit Dir darin zu begraben.«

»Gefangen mit ihm!« sagte sie sanft. »O, täusche mich nicht, darf ich ein solches Glück hoffen?«

»Welchen Schwur verlangst Du? Was begehrst Du von mir? Sage es, Geliebte!« rief der Jüngling aus und schloß sie stürmisch in seine Arme.

»Ich bin Dein!« flüsterte die Jungfrau.

Eine männliche Stimme lachte nahe bei ihnen laut auf. Ein Mann schlug seinen Mantel zurück, zog eine Blendlaterne hervor und leuchtete den Beiden ins Gesicht.

»Muth gefaßt, mein schönes Paar!« sagte er lachend. »Nur Muth gefaßt!«

Es war der Lieutenant, der seine nächtliche Runde machte. Er hatte das liebende Paar von ferne erblickt und seine Laterne unter dem Mantel versteckt.

Ethel machte eine Bewegung, sich von Ordener loszureißen, aber, bestürzt wie sie war, trieb sie der Instinkt, Schutz bei ihm zu suchen, und sie verbarg ihr glühendes Gesicht an seiner Brust.

Der Jüngling blickte stolz auf und sagte: »Wehe dem, der Dich zu beleidigen wagt!«

»In der That, ja,« erwiederte der Lieutenant, »wehe mir, wenn ich so tölpisch war, die zarte Madonna zu erschrecken!«

»Herr Lieutenant,« rief Ordener hochfahrend, »schweigen Sie!«

»Herr Unverschämter,« versetzte der Offizier, »belieben Sie zu schweigen!«

»Haben Sie es gehört?« donnerte Ordener. »Erkaufen Sie Ihre Begnadigung durch Schweigen.«

» Tibi tua,« antwortete der Lieutenant, »behalten Sie Ihren guten Rath für sich, erkaufen Sie Ihren Pardon durch Schweigen!«

»Schweigen Sie!« rief Ordener donnernd, setzte die Jungfrau auf einen alten Stuhl nieder und faßte den Offizier kräftig am Arme.

»Ho, Bauer!« sagte dieser halb erzürnt, halb lachend, »Ihr seht nicht, daß dieser Ausschlag, den Ihr so plump anfaßt, vom feinsten Sammt ist.«

Ordener sah ihn starr an: »Lieutenant, mein Degen ist länger, als meine Geduld.«

»Ei, seht doch!« erwiederte der Offizier, »Ihr macht Ansprüche auf eine solche Ehre. Wißt Ihr auch, wer ich bin? Nein, nein! Prinz gegen Prinz! Bauer gegen Bauer! wie der schöne Leander gesagt hat.«

»Männer gegen Männer!« sagte Ordener gelassen.

»Ich würde böse werden, mein sehr wackerer Bauersmann, wenn Ihr eine Uniform trüget.«

»Einen Säbel trage ich, lieber Freund!«

Mit diesen Worten warf Ordener den Mantel zurück und faßte den Griff seines Säbels. Die Jungfrau, aus ihrer Betäubung erwachend, fiel ihm mit einem Schrei in den Arm.

»Ihr thut wohl daran, schöne Dame,« sagte der Lieutenant, der sich ruhig in Positur gesetzt hatte, »zu hindern, daß dieser Jüngling für seine Kühnheit gestraft werde, denn Cyrus war im Begriff, es mit Cambyses aufzunehmen, obwohl diesem Lehensmann da noch zu viel Ehre geschieht, wenn man ihn mit Cambyses vergleicht.«

»Im Namen des Himmels, Herr Ordener,« sagte Ethel, »lassen Sie mich nicht Ursache und Zeugin eines solchen Unglücks sein!«

Ordener stieß langsam die halb gezogene Klinge in die Scheide zurück.

»Meiner Treu, Ritter, ich weiß nicht, ob Sie einer sind, aber ich gebe Ihnen diesen Titel, weil Sie ihn zu verdienen scheinen; ich und Sie handeln nach den Gesetzen der Ehre und Tapferkeit, aber nicht nach denen der Galanterie. Die Dame hat Recht, Austritte solcher Art dürfen nicht unter den Augen von Damen vor sich gehen, obwohl häufig Damen die Ursache davon sind. Wir können also hier schicklicherweise bloß von einem duellum remotum reden; und Sie als der Beleidigte haben die Waffen zu bestimmen.«

»Wohl denn, Ritter,« erwiderte Ordener; »ich werde Ihnen durch einen Freund Zeit und Ort bekannt machen lassen.«

»So sei es,« antwortete der Lieutenant, »und es ist mir um so lieber, weil ich jetzt Zeit habe, der Vermählung meiner Schwester anzuwohnen, denn Sie müssen wissen, daß Sie die Ehre haben werden, sich mit dem künftigen Schwager eines hohen Herrn, des Sohnes des Vicekönigs von Norwegen, Baron Ordener Guldenlew, zu schlagen, der bei Gelegenheit dieses erlauchten Beilagers zum Grafen von Danneskiold erhoben und zum Oberst und Ritter des Elephantenordens ernannt werden wird, während man mich, den Sohn des Großkanzlers beider Königreiche, zum Hauptmann ernennen wird …«

»Ganz gut, ganz wohl, Lieutenant Ahlfeldt!« fiel ihm Ordener ungeduldig ins Wort, »Sie sind noch nicht Hauptmann und der Sohn des Vicekönigs ist noch nicht Oberst … und Säbel sind immer Säbel.«

»Und Lümmel bleiben Lümmel« was man auch thue, sie zu sich zu erheben,« murmelte der Offizier zwischen den Zähnen.

»Ritter,« fuhr Ordener fort, »Sie kennen die Vorschriften des Ritterthums, Sie werden nie mehr in diesen Thurm kommen und über diese Sache Stillschweigen beobachten.«

»Was das Stillschweigen betrifft, so verlassen Sie sich auf mich, ich werde so stumm sein, als Mucius Scävola, als er die Faust über die Kohlpfanne hielt. In diesen Thurm werde ich nicht mehr kommen, weder ich, noch irgend ein Argus der Besatzung, denn ich habe eben den Befehl erhalten, in Zukunft Schuhmacher ohne Wache dann zu lassen, welchen Befehl ich ihm diesen Abend mitgetheilt hätte, wenn ich nicht ein Paar neue polnische Stiefel hätte anprobiren müssen, was meine ganze Zeit ln Anspruch nahm. Dieser Befehl ist, unter uns gesagt, sehr unklug. Soll ich Ihnen meine polnischen Stiefel zeigen?«

Während dieses Gesprächs war Ethel, welche jetzt die Beiden friedlich sah und nicht wußte, was duellum remotum heißt, verschwunden, nachdem sie zuvor Ordener ins Ohr geflüstert hatte: »Morgen also!«

»Lieutenant Ahlfeldt, ich wünsche, daß Sie mir dazu behülflich wären, aus der Festung zu kommen.«

»Recht gerne, obwohl es schon spät oder vielmehr früh ist. Aber wie wollen Sie einen Nachen finden?« »Das ist meine Sache.«

Der Lieutenant begleitete nun Ordener bis an das äußerste Thor, das er ihm öffnen ließ.

»Auf Wiedersehen, Lieutenant Ahlfeldt!« »Auf Wiedersehen! Und hiebei erkläre ich, daß Sie ein wackerer Kämpe sind, obwohl ich Ihren Namen nicht weiß.«

Die Eisenpforte schloß sich und der Lieutenant kehrte zurück, eine Melodie von Lulli summend, seine polnischen Stiefel betrachtend und aus einem französischen Roman deklamirend.

Ordener zog seine Kleider aus, wickelte sich in seinen Mantel und befestigte sie mit seiner Degenkuppel auf dem Kopfe: dann warf er sich in die See und schwamm dem Spladgest zu.

Als er sich diesem Gebäude näherte, hörte er innen ein Geräusch von Stimmen; ein schwaches Licht schimmerte aus der oberen Oeffnung. Hierüber verwundert, schlug er heftig an die Pforte; das Geräusch hörte auf, das Licht verschwand. Er klopfte abermals, und als das Licht wieder erschien, sah er etwas Schwarzes durch die obere Oeffnung auf das Dach gleiten. Er klopfte zum dritten Mal mit dem Griff seines Säbels und rief: »Oeffnet, im Namen Sr. Majestät des Königs! Oeffnet, im Namen Sr. Erlaucht des Vicekönigs!«

Die Thüre öffnete sich endlich langsam, und unter ihr erschien Spiagudry’s lange, hagere Gestalt, die Kleider in Unordnung, mit stierem Blick, verwirrten Haaren, blutigen Händen, einer Lampe in der Hand.

VI.

Etwa eine Stunde darauf, nachdem Ordener den Spladgest verlassen hatte, schloß Oglypiglap, da es ganz Nacht geworden war und die Menge sich verlaufen hatte, das äußere Thor des Gebäudes, während Spiagudry die Leichname zum letzten Male mit Wasser begoß. Beide zogen sich dann in ihre bescheidene Wohnung zurück; der Lappe legte sich auf sein ärmliches Lager. Spiagudry setzte sich hinter einen Tisch voll alter Bücher, getrockneter Pflanzen, abgeschälter Beine, und lag seinen Studien ob.

Er war schon mehrere Stunden in tiefes Nachdenken versunken und wollte eben seine Bücher mit dem Bett vertauschen, als er auf folgende Stelle des Thormodus Torföus stieß: »Wenn ein Mensch seine Lampe anzündet, kehrt der Tod bei ihm ein, ehe sie erlischt.«

»Der gelehrte Doktor mag mir verzeihen,« sagte er für sich, »so wird es bei mir diesen Abend nicht sein.«

Er nahm die Lampe in die Hand, um sie auszublasen.

Da rief plötzlich eine Stimme, die aus dem Zimmer der Leichname kam: »Spiagudry!«

Spiagudry zitterte an allen Gliedern, nicht als ob er an eine Auferstehung seiner Todten geglaubt hätte, denn dazu war er zu einsichtsvoll, nicht weil ihm die Stimme unbekannt, sondern weil sie ihm nur allzu bekannt war.

»Spiagudry!« wiederholte die Stimme zornig, »willst Du hören, oder soll ich Dir die Ohren ausreißen?« »Möge St. Hospiz sich meiner erbarmen, nicht meiner Seele, sondern meines Leibs!« sagte der erschrockene Alte, ging mit einem Schritte, den die Furcht beschleunigte und zugleich verzögerte, der Thüre zu und öffnete sie.

Am Fuße des steinernen Bettes, auf welchem Gill Stadts Leichnam lag, stand ein kleiner untersetzter Mann, in verschiedenartige Thierhäute gekleidet, auf welchen zum Theil das abgetrocknete Blut noch bemerkbar war. Die Züge des kleinen Mannes hatten etwas außerordentlich Wildes. Er hatte einen rothen dichten Bart, sein Kopf, auf dem er eine Mütze von Elennsfell trug, war mit gleichen Haaren bedeckt; sein Mund war groß, seine Lippen dick, seine Zähne weiß und scharf, seine Nase gebogen, wie ein Adlerschnabel, und sein graues, unstätes Auge warf auf Spiagudry einen schielenden Blick, worin die Wildheit des Tigers nur durch die Bösartigkeit des Affen ermäßigt war. Dieses seltsame Wesen war mit einem breiten Schwert, einem Dolch ohne Scheide bewaffnet und stützte sich auf den Stiel einer steinernen Axt, die es in der Hand trug; seine Hände waren mit großen Handschuhen von blauem Fuchsfell bedeckt.

»Dieses alte Gespenst,« brummte der Mann vor sich hin, »hat mich lange warten lassen.«

Bei diesen Worten stieß er ein Geheul aus, wie ein wildes Thier. Spiagudry bebte erschrocken zurück.

»Weißt Du,« fuhr er fort, »daß ich von dem Strande von Urchthal komme? Warum hast Du gesäumt, mir zu öffnen? Hast Du etwa Lust, Dein Strohlager mit einem dieser steinernen Betten zu vertauschen?«

Der alte Mann zitterte an allen Gliedern, und was ihm von Zähnen im Munde noch übrig war, klapperte im Fieberfrost zusammen.

»Verzeiht, Herr,« sagte er und bückte sich tief, »ich lag in tiefem Schlaf. …«

»Soll ich Dich einen noch tieferen Schlaf kennen lehren?«

Spiagudry machte eine Geberde des Schreckens.

»Nun, was ist Dir denn? Was hast Du? Ist Dir etwa meine Gegenwart nicht angenehm?«

»O, mein gnädigster Herr! Was könnte mir denn angenehmer sein, als das Glück, Euer Excellenz zu sehen?«

»Alter Fuchs ohne Schwanz, meine Excellenz befiehlt Dir, mir die Kleider von Gill Stadt einzuhändigen.«

Als der kleine Mann diesen Namen aussprach, wurde sein Gesicht, bisher wild und höhnisch, plötzlich düster und traurig.

»Verzeiht, Herr!« sagte Spiagudry, »ich habe sie nicht mehr, Euer Gnaden weiss, daß wir den Nachlaß der Bergleute, welche der König als ihr geborener Beschützer beerbt, an den königlichen Schatz abliefern müssen.«

Der kleine Mann wandte sich gegen den Leichnam, kreuzte die Arme übereinander, und sagte mit dumpfer Stimme: »Er hat Recht. Die elenden Bergleute sind wie die Eidergans! man macht ihr das Nest, dann rupft man ihr die Federn aus.«

Mit diesen Worten umfaßte er den Leichnam, drückte ihn fest in seine Arme und stieß ein Schmerzgeheul aus, das so wild klang, wie das Brüllen eines wilden Thiers. Darunter mischte er von Zeit zu Zeit einige Worte einer fremden Sprache, die Spiagudry nicht verstand.

Er ließ den Leichnam auf den Stein zurückfallen und wandte sich zu dem Wächter: »Weißt Du, verfluchter Hexenmeister, den Namen des unter einem bösen Sterne geborenen Soldaten, der das Unglück gehabt hat, Gill von diesem Mädchen vorgezogen zu werden?«

Hier gab er dem Leichnam der Guth Stersen einen Fußtritt. Spiagudry machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen.

»Nun denn, bei der Axt Ingulphs, meines Stammvaters, so will ich Alle vertilgen, welche diese Uniform tragen!« Er deutete auf die Kleider des Hauptmanns, die an der Wand hingen.

»Der,« fuhr er fort, »an dem ich mich rächen will, wird darunter sein. Ich will den ganzen Wald anzünden, damit der vergiftete Stamm darin verbrenne. Das habe ich an dem Tage geschworen, wo Gill gestorben ist, und ich habe ihm bereits einen Gefährten beigesellt, damit sich sein Leichnam freue.«

»O, Gill!« klagte er in wilden Tönen, »da liegst Du jetzt, ohne Kraft und Leben, der Du die Robbe im Schwimmen und die Gemse im Laufen überholtest, der Du den Bären des Berges Kole in Deinen Armen erdrücktest! Starr und unbeweglich liegst Du, der Du Drontheimhus, von Orkel bis zum Smiassen, in einem Tage durchliefst, der Du den Gipfel des Dofre-Field erstiegst, wie ein Eichhörnchen den Gipfel der Eiche! Da liegst Du stumm, der Du, aufrecht auf der stürmischen Spitze des Kongsberg, Deine Stimme lauter erhobst, als das Brüllen des Donners! O, Gill! So habe ich denn vergebens für Dich die Minen von Faroer verschüttet, so habe ich vergebens für Dich die Kirche von Drontheim verbrannt! Alle meine Mühe ist verloren, und mit Dir stirbt das Geschlecht der Kinder des Eislandes, der Abkömmlinge Ingulphs des Vertilgers! Du wirst nicht der Erbe meiner steinernen Axt sein, sondern ich werde aus Deinem Schädel das Wasser des Meeres und das Blut der Menschen trinken!«

Mit diesen Worten ergriff er den Kopf des Leichnams.

»Spiagudry, hilf mir!« sagte er, riß seine Handschuhe ab und zeigte seine breiten Hände, an denen lange, harte und gebogene Nägel waren, wie die Krallen eines wilden Thieres.

Spiagudry, der ihn im Begriffe sah, mit seinem breiten Säbel den Schädel des Leichnams abzuhauen, schrie mit einem Tone des Abscheus, den er nicht zurückzuhalten vermochte: »Gerechter Gott, Herr! … ein Leichnam! …« »Nun,« erwiederte ruhig der kleine Mann, »ist es Dir lieber, wenn diese Klinge sich hier an einem Lebenden versucht?«

»Erlaubt mir, Eure Ritterlichkeit anzustehen! … Wie mag Eure Excellenz eine solche Entweihung … Euer Gnaden … Gnädiger Herr … Euer Erlaucht wird nicht …«

»Bist Du bald zu Ende? Brauche ich alle diese Titel, lebendes Skelett, um an Deinen tiefen Respekt vor meinem Säbel zu glauben?«

»Ich beschwöre Euch beim heiligen Waldemar, beim heiligen Usuph, schont eines Todten!«

»Hilf mir, und sprich nicht mit dem Teufel von den Heiligen!«

»Gnädiger Herr, bei Eurem erlauchten Ahnherrn St. Ingulph! …«

»Ingulph der Vertilger war ein Ausgestoßener, wie ich.«

»Im Namen des Himmels,« fuhr der alte Mann fort und warf sich vor ihm nieder.

Die Geduld des kleinen Mannes war erschöpft, seine grauen Augen glühten wie zwei Kohlen.

»Hilf mir!« wiederholte er und schwang seinen Säbel.

Diese beiden Worte klangen wie das Brüllen eines wilden Thieres. Spiagudry, in Todesfurcht zitternd, setzte sich auf den Stein und hielt mit seinen Händen Gills kaltes und feuchtes Haupt, während der kleine Mann, mit Hülfe seines Dolchs und Säbels, den Hirnschädel mit seltener Geschicklichkeit abnahm.

Er betrachtete einige Zeit lang den blutigen Schädel, während er abgebrochene Worte in einer fremden Sprache ausstieß. Dann gab er ihn Spiagudry, damit er ihn säubere und wasche.

»Und ich,« sprach er mit untermischtem Heulen, »ich werde im Tode nicht den tröstenden Gedanken haben, daß ein Erbe der Seele Ingulphs aus meinem Schädel das Blut der Menschen und das Wasser der Meere trinken wird!«

Nach einem düstern Nachsinnen fuhr er fort: »Der Orkan folgt dem Orkan, die Lawine der Lawine,, und ich werde der letzte meines Geschlechtes sein. Warum hat Gill nicht, gleich mir, gehaßt, was ein menschliches Antlitz an sich trägt? Welcher Dämon, der Ingulphs Dämon feindlich ist, hat ihn in diese unsel’gen Minen gestoßen, ein wenig Gold zu gewinnen?«

Spiagudry, der ihm den Schädel brachte, unterbrach ihn: »Die Excellenz hat Recht. Selbst das Gold, sagt Snorro Sturleson, wird oft zu theuer erkauft.«

»Du erinnerst mich eben recht,« sagte der kleine Mann, »daß ich Dir einen Auftrag zu ertheilen habe. Hier ist eine eiserne Büchse, die ich bei diesem Offizier gefunden habe. Sie ist so fest verschlossen, daß sie ohne Zweifel mit Gold gefüllt sein muß, als dem Einzigen, was die Menschen werthschätzen. Diese Büchse händige der Wittwe Stadt, im Weiler Thoctree, ein, um ihr ihren Sohn zu bezahlen.«

Mit diesen Worten zog er aus seinem Tornister eine kleine eiserne Büchse und übergab sie Spiagudry, der sie mit einer tiefen Verbeugung empfing.

»Erfülle getreulich meinen Befehl,« sagte der kleine Mann und warf ihm einen durchbohrenden Blick zu. »Bedenk, daß zwei Dämonen nichts hindert, sich wieder zu sehen. Ich halte Dich für noch mehr feig als geizig, Du bist mir für diese Büchse verantwortlich.«

»O, Herr, bei meiner armen Seele! …«

»Nicht doch! Bei Deinem Fleisch und Bein.«

In diesem Augenblick wurde heftig an die äußere Thüre des Spladgest gepocht.

Der kleine Mann staunte, Spiagudry bebte zurück und bedeckte die Lampe mit seiner Hand.

»Was ist das?« grinste der Kleine. »Du zitterst, alter Tropf! Nie wirst Du erst zittern, wenn Du die Posaune des jüngsten Gerichts hörst!« Ein zweiter heftigerer Schlag ließ sich vernehmen. »Man wird einen Todten bringen,« sagte der kleine Mann. »Nein, Herr, nach Mitternacht bringt man keine Leichname mehr.«

»Lebendig oder todt, ich muß fort. Du, Spiagudry, sei treu und stumm. Ich schwöre Dir bei Ingulphs Geist und Gills Schädel, daß Du das ganze Regiment von Mundholm in Deine Herberge bekommen wirst.«

Er befestigte Gills Schädel an seinen Gürtel, zog seine Handschuhe an und schwang sich mit der Lebendigkeit einer Gemse durch die obere Oeffnung auf das Dach.

Ein dritter Schlag erschütterte das Gebäude, und eine Stimme von Außen gebot im Namen des Königs und des Vicekönigs, die Thüre zu öffnen.

VII.

Nachdem der Gouverneur von Drontheim aus dem Schloßhof in sein Kabinet zurückgekommen war, warf er sich in einen breiten Sessel und ließ sich von einem seiner Sekretäre die eingelangten Bittschriften vortragen.

Der Geheimschreiber begann folgendermaßen:

»1. Der hochwürdige Doktor Anglyvius bittet, daß der hochwürdige Doktor Foxtipp, bischöflicher Bibliothekar, Unfähigkeits halber in seinem Amte ersetzt werde. Supplikant weiß nicht, wer den gedachten unfähigen Doktor ersetzen könnte; er will bloß so viel sagen, daß er, Doktor Anglyvius, lange Zeit das Amt eines Bibliothekars …«

»Der Schlingel soll sich an den Bischof wenden,« unterbrach ihn der Gouverneur.

»2. Athanasius Munder, Priester, Seelsorger der Gefängnisse, bittet um die Begnadigung von zwölf reuigen Verurtheilten bei Gelegenheit der glorreichen Vermählung des ritterlichen Ordener Guldenlew, Barons von Thorwick, Ritters des Danebrogordens, Sohnes des Vicekönigs, mit der edlen Dame Ulrike von Uhlfeldt, Tochter Sr. Gnaden des Grafen Großkanzlers beider Königreiche.«

»Vertagt!« sagte der General. »Mich dauern die Verurtheilten.«

»3. Faustus Prudens Destrombides, norwegischer Unterthan, lateinischer Poet, bittet um Erlaubnis, das Hochzeitgedicht für gedachtes Brautpaar verfertigen zu dürfen.«

»Ah! Ah! Der wackere Mann muß schon alt sein, denn er ist der Nämliche, der im Jahre 1674 ein Hochzeitgedicht auf die projektirte Vermählung Schuhmachers, damals Grafen von Greiffenfeld, mit der Prinzessin Luise Charlotte von Holstein-Augustenburg vorbereitet hatte, welche Vermählung nicht Statt fand. Ich fürchte,« fügte der Gouverneur zwischen den Zähnen hinzu, »daß Faustus Prudens der Poet der Vermählungen sei, welche nicht Statt finden. Vertagt die Bitte und fahrt fort. Man soll sich in Beziehung auf diesen Poeten erkundigen, ob im Hospital von Drontheim keine Bettstelle vacant ist.«

»4. Die Bergleute des Guldbransthales, der Inseln Faroer, des Sund-Moer, von Hubfallo, Roeraas und Kongsberg bitten um Befreiung von den Lasten der königlichen Vormundschaft.«

»Diese Bergleute sind ungeduldig. Sie sollen, wie es heißt, bereits darüber murren, daß man sie so lange ohne Antwort läßt. Diese Bittschrift muß einer reiflichen Prüfung unterworfen werden.«

»5. Braal, Fischer, erklärt, in Gemäßheit des Adelsrechts, daß er bei der Absicht beharre, sein Erbgut wieder an sich zu kaufen.«

»6. Die Schöppen von Kös, Löwig, Indal, Skongen, Stod, Sparbo und andern Flecken und Dörfern des nördlichen Drontheimhus bitten, auf den Kopf des Räubers, Mörders und Mordbrenners Han, gebürtig, wie man sagt, von Klippstadur in Island, einen Preis zu setzen. Dieser Bitte widersetzt sich Nychol Orugix, Scharfrichter des Drontheimhus, der Han als sein Eigenthum in Anspruch nimmt. Dagegen unterstützt die Bitte Benignus Spiagudry, Wächter im Spladgest, als welchem der Leichnam zukommen soll.«

»Dieser Bandit ist sehr gefährlich, besonders in einem Augenblick, wo man Unruhen unter den Bergleuten fürchtet. Man soll einen Preis von tausend Thalern auf seinen Kopf setzen.«

»7. Benignus Spiagudry, Mediciner, Antiquar, Sculptor, Mineralog, Naturalist, Botaniker, Legist, Chemiker, Mechanikus, Physiker, Astronom, Theolog, Grammatiker…«

»Ist denn das nicht der nämliche Spiagudry, der Wächter im Spladgest ist?«

»Allerdings, Ew. Excellenz!«

» … im Namen des Königs Inspektor im Gebäude des Spladgest, in der königlichen Stadt Drontheim, stellt vor, daß er, Benignus Spiagudry, es ist, welcher die Entdeckung gemacht hat, daß die Sterne, welche man Fixsterne nennt, ihr Licht nicht von dem Gestirn erhalten, das man Sonne nennt; item, daß Odins wahrer Name Frigge, Sohn des Fridulph ist; item, daß der See-Regenwurm sich von Sand nährt; item, daß der Lärm der Bevölkerung die Fische von Norwegens Küsten scheucht, weßhalb die Unterhaltsmittel in dem nämlichen Verhältniß abnehmen, in welchem die Bevölkerung zunimmt; item, daß der Golf, Otte-Sund benannt, ehedem Limfjord geheißen und den Namen Otte-Sund erst angenommen hat, nachdem Otto der Rothe seine Lanze hineingeworfen; item, daß man auf seinen Rath und unter seiner Leitung aus einer alten Bildsäule der Freya die Göttin der Gerechtigkeit gemacht hat, welche den großen Platz von Drontheim ziert, und daß man den Löwen, der sich unter den Füßen des Götzenbildes befand, in den Teufel umgewandelt hat, der das Verbrechen darstellt; itemitem …« »Verschont uns mit den weiteren Item und sagt kurz, was der Mann begehrt!«

Der Sekretär schlug mehrere Blätter um und fuhr fort:

»… Der unterthänigste Supplikant glaubt für so viele der Kunst und Wissenschaft ersprießliche Arbeiten Se. Excellenz bitten zu dürfen, die Taxe jedes männlichen und weiblichen Leichnams um zehn Pfennige zu erhöhen, was den Todten nur angenehm sein kann, indem es ihnen beweist, wie hoch man ihre Personen anschlägt …«

Hier öffnete sich die Thüre des Kabinets und der Thürsteher kündete mit lauter Stimme die edle Dame Gräfin von Ahlfeldt an.

Eine Dame von hoher Gestalt, die auf ihrem Kopf eine kleine Grafenkrone trug, reich in Scharlach und Gold gekleidet, trat in das Zimmer. Der General bot ihr die Hand und führte sie an einen Sessel.

Die Gräfin mochte fünfzig Jahre alt sein. Das Alter hatte aber den Runzeln, welche die Sorgen des Hochmuths und Ehrgeizes schon längst in ihre Züge gegraben hatten, nichts beizufügen gehabt. Sie warf ihren hochmüthigen Blick, mit ihrem falschen Lächeln, auf den alten General.

»Nun, Herr General, Ihr Zögling läßt auf sich warten. Er sollte vor Untergang der Sonne hier sein.«

»Er wäre hier, Frau Gräfin, aber er ist gleich bei seiner Ankunft nach Munckholm gegangen.« »Nach Munckholm? Er wird doch hoffentlich nicht Schuhmacher dort aufsuchen?«

»Es wäre wohl möglich.«

»Wie! der erste Besuch des Barons von Thorwick für Schuhmacher?«

»Warum nicht, Gräfin? Schuhmacher ist unglücklich.«

»Wie, General! Der Sohn des Vicekönigs steht in Verbindung mit diesem Staatsgefangenen?«

»Frau Gräfin, als Friedrich Guldenlew mir seinen Sohn anvertraute, bat er mich, ihn zu erziehen, wie ich den meinigen erzogen hätte. Ich war der Meinung, daß die Bekanntschaft mit Schuhmacher unserem Ordener, der die Bestimmung hat, eines Tages eben so mächtig zu werden, nützlich sein könnte. Ich habe daher, mit Genehmigung des Vicekönigs, meinen Bruder Grummond von Knud um eine Einlaßkarte in alle Gefängnisse gebeten, die ich sofort Ordener einhändigte. Er macht jetzt Gebrauch davon.«

»Und seit wann hat Ordener diese nützliche Bekanntschaft gemacht?«

»Seit etwas mehr als einem Jahre. Es scheint, daß er sich in Schuhmachers Umgang gefiel, denn er ist ziemlich lange zu Drontheim geblieben. Nur auf meine ausdrückliche Aufforderung hat er es im letzten Jahre ungern verlassen, um eine Reise durch Norwegen zu machen.«

»Und weiß Schuhmacher, daß sein Tröster der Sohn eines seiner größten Feinde ist?«

»Er weiß, daß er sein Freund ist, und das genügt ihm, wie uns.«

»Aber Sie, Herr General,« sagte die Gräfin mit einem durchbohrenden Blick, »wußten Sie, als Sie diese Verbindung nicht nur duldeten, sondern selbst herbeiführten, daß Schuhmacher eine Tochter hat?« »Ich wußte es, Gräfin.«

»Und dieser Umstand schien Ihnen gleichgültig in Beziehung auf Ihren Zögling?«

»Der Zögling Levins von Knud, der Sohn Friedrichs Guldenlew, ist ein rechtlicher Mann. Ordener kennt die Schranke, die ihn von Schuhmachers Tochter trennt; er ist unfähig, ein Mädchen, und dazu noch die Tochter eines unglücklichen Mannes zu verführen.«

Die Gräfin erröthete und erblaßte abwechselnd. Sie wandte das Haupt ab, um den ruhigen unbefangenen Blick des alten Mannes zu vermeiden.

»Erlauben Sie, General,« stotterte sie endlich, »ich muß es Ihnen sagen, diese Bekanntschaft scheint mir sonderbar und unklug. Es heißt, daß die Bergleute und die nördlichen Stämme mit einer Empörung drohen, und daß Schuhmachers Name in diese Sache verwickelt sei.«

»Sie setzen mich in Erstaunen,« rief der Gouverneur aus! »Schuhmacher hat bis jetzt sein Unglück geduldig ertragen. Dieses Gerücht ist gewiß nicht gegründet.«

Der Thürsteher kündigte an, daß ein Abgesandter des Großkanzlers mit der Gräfin zu sprechen wünsche. Die Gräfin verabschiedete sich und begab sich in ihre Gemächer.

Sie saß, von ihren Frauen umgeben, auf einem reichen Sopha, als der Abgesandte eintrat. Als ihn die Gräfin erblickte, machte sie eine Geberde des Widerwillens, welche sie aber alsbald hinter einem wohlwollenden Lächeln versteckte. Der Abgesandte war ein wohlbeleibter, mehr kleiner als großer Mann. Sein Gesicht war offen bis zur Schamlosigkeit, und sein Blick hatte etwas Teuflisches. Er verbeugte sich tief vor der Gräfin und reichte ihr ein versiegeltes Paket dar.

»Gnädige Gräfin,« sagte er, »erlauben Sie mir, eine wichtige Botschaft Seiner Gnaden, Ihres erlauchten Gemahls, meines erhabenen Herrn, zu Ihren Füßen niederzulegen.«

»Kommt er nicht selbst? Und warum schickt er Euch?« fragte die Gräfin.

»Wichtige Geschäfte verzögern Seiner Gnaden Ankunft, wie Sie aus diesem Briefe ersehen werden, gnädige Gräfin. Was meine Sendung betrifft, so soll ich, laut Befehls meines erhabenen Herrn, mich der ausgezeichneten Ehre einer geheimen Audienz bei Ihnen erfreuen.«

Die Gräfin erblaßte und rief mit zitternder Stimme aus: »Ich, eine geheime Unterredung mit Euch, Musdoemon?«

»Wenn dies der gnädigen Gräfin im Geringsten unangenehm wäre, so würde sich Ihr unwürdiger Diener bis in den Tod betrüben.«

»Unangenehm! Durchaus nicht!« sagte die Gräfin mit erzwungenem Lächeln; »aber ist denn diese Unterredung durchaus nothwendig?«

Der Abgesandte verbeugte sich tief: »Durchaus nothwendig! Der Brief Ihres erhabenen Gemahls wird Sie förmlich davon in Kenntniß setzen.«

Es war auffallend, die stolze Gräfin Ahlfeldt vor einem Diener, der ihr so tiefe Ehrfurcht bezeugte, zittern und erbleichen zu sehen. Sie öffnete langsam das Paket, und nachdem sie dessen Inhalt durchlaufen hatte, sagte sie zu ihren Frauen mit schwacher Stimme: »Man lasse uns allein!«

»Geruhen die gnädige Gräfin,« sagte der Abgesandte, indem er ein Knie beugte, »mir die Freiheit, die ich mir nehme, und die Mühe, die ich Ihnen zu verursachen scheine, gnädigst zu verzeihen!«

»Ihr könnt im Gegentheil glauben,« erwiederte die Dame mit erzwungenem Wohlwollen, »daß es mir Vergnügen macht, Euch zu sehen.«

Die Frauen entfernten sich.

»Elphege,« sagte jetzt der Abgesandte in gänzlich umgestimmtem Tone, »Du scheinst der Zeiten vergessen zu haben, wo ein Téte-á-Téte mit mir Dir nicht so zuwider war?«

Die stolze Dame beugte ihr gedemüthigtes Haupt. »Möchte ich es vergessen können!« murmelte sie.

»Einfältiges Weib! Wie magst Du über Dinge erröthen, die kein menschliches Auge gesehen hat?«

»Gott sah sie.«

»Gott, Du schwaches Weib! Du, bist nicht werth, Deinen Mann betrogen zu haben, denn er ist nicht so leichtgläubig als Du.«

»Ihr treibt Euern Spott mit meinen Gewissensbissen, Musdoemon!«

»Nun, Elphege, wenn Du ein Gewissen hast, warum häufst Du täglich neue Verbrechen?«

Die Gräfin verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Musdoemon fuhr fort: »Elphege, Du hast die Wahl: Gewissensbisse und keine Verbrechen mehr, oder das Verbrechen und keine Gewissensbisse. Mache es wie ich, wähle das Zweite.«

»Mögen Euch diese Worte nicht in die Ewigkeit begleiten!«

»Das geht über den Spaß, mein Schatz!«

Musdoemon setzte sich vertraulich neben die Gräfin und schlang seine Arme um ihren Hals.

»Elphege,« sagte er, »suche dem Geist nach wenigstens zu bleiben, was Du vor zwanzig Jahren warst.«

Die unglückliche Gräfin, Sklavin ihres Mitschuldigen, suchte seiner widerlichen Zärtlichkeit los zu werden. Es lag in dieser ehebrecherischen Umarmung von zwei Wesen, die sich gegenseitig haßten und verachteten, Etwas, das selbst für diese entwürdigten Seelen empörend war. Ihre gesetzwidrige Verbindung, einst ihre Lust, war ihnen jetzt zur Qual geworden. Gerechte Strafe verbotener Leidenschaften! Ihr Verbrechen war ihre Strafe geworden.

Um dieser qualvollen Scene ein Ende zu machen, fragte die Gräfin, indem sie sich den Armen ihres verhaßten Liebhabers entriß, welchen mündlichen Auftrag ihr Gemahl ihm ertheilt habe?

»Ahlfeldt,« sagte Musdoemon, »hat in dem Augenblicke, wo seine Macht sich durch die Vermählung Ordener Guldenlews mit unserer Tochter befestigt …«

»Unserer Tochter!« rief die stolze Gräfin aus, und ihr auf Musdoemon gerichteter Blick nahm einen Ausdruck hochmüthiger Verachtung an.

»Nun,« sagte Musdoemon kaltblütig, »ich meine doch, daß Ulrike eben so gut meine Tochter sein könne, als die seinige. Ich wollte also sagen, daß diese Heirath Deinen Mann nicht vollkommen befriedigt, wenn nicht zu gleicher Zeit Schuhmacher ganz gestürzt wird. Dieser alte Günstling ist von seinem Kerker aus fast eben so furchtbar, als in seinem Palast. Er hat am Hofe heimliche, aber wichtige Freunde, um so mächtiger vielleicht, weil sie unbekannt sind. Als der König vor einem Monat erfuhr, daß die Unterhandlungen des Großkanzlers mit dem Herzog von Holstein-Ploen nicht vorwärts schritten, rief er ungeduldig aus: Greiffenfeld allein wußte mehr, als alle diese Menschen zusammen. Ein Intriguenmacher, Namens Dispolsen, der von Munckholm nach Kopenhagen kam, hat von dem König mehrere geheime Audienzen erhalten, nach welchen der König aus der Kanzlei, wo sie niedergelegt sind, Schuhmachers Adels- und Eigenthums-Urkunde abfordern ließ. Man weiß nicht, wohin Schuhmacher abzielt, aber ein Staatsgefangener ist, wenn er nur seine Freiheit erlangt, nicht mehr so fern von der Macht. Er muß also sterben, und zwar durch richterlichen Spruch umkommen. Ihm ein Verbrechen unterzuschieben, daran arbeiten wir.

»Dein Mann, Elphege, wird unter dem Vorwand, die nördlichen Provinzen incognito zu besuchen, sich des Resultats, das unsere Umtriebe bei den Bergleuten gehabt haben, selbst versichern. Wir wollen in Schuhmachers Namen einen Aufstand von ihnen herbeiführen, der sich nachher leicht wird dämpfen lassen. Was uns beunruhigt, ist der Verlust mehrerer wichtigen Papiere, welche sich auf diesen Plan beziehen, und die wir nicht ohne Grund im Besitze dieses Dispolsen vermuthen. Da wir nun wußten, daß er von Kopenhagen nach Munckholm zurückgereist war, so haben wir in den Schluchten von Kole einige Getreue aufgestellt, um ihn umzubringen und ihm seine Papiere abzunehmen. Aber wenn, wie man versichert, Dispolsen zur See zurückgekommen ist, so war unsere Mühe vergebens. Inzwischen habe ich bei meiner Ankunft einige Gerüchte von der Ermordung eines gewissen Hauptmanns Dispolsen vernommen. Wir werden ja sehen.

»Inzwischen spüren wir einem berüchtigten Räuber, Han dem Isländer, nach, den wir an die Spitze des Aufstands der Bergleute stellen wollen. Und nun, mein Schatz, was hast Du mir von Deiner Seite für Nachrichten mitzutheilen? Ist der niedliche Vogel in dem Käsig von Munckholm endlich die Beute unseres Friedrich …«

»Unseres Friedrich!« rief die Gräfin entrüstet aus,

»Nun, was weiter! Wie alt ist er? Vierundzwanzig Jahre, und es sind jetzt sechsundzwanzig Jahre, daß wir einander kennen!«

»Mein Friedrich, Gott weiß es, ist der legitime Erbe des Großkanzlers.«

»Wenn Gott es weiß,« sagte Musdoemon lachend, »so ist vielleicht dem Teufel davon nichts bekannt. Im Uebrigen ist Dein Friedrich ein Pinsel, der meiner unwerth wäre, und es lohnt sich nicht der Mühe, sich um eine solche Kleinigkeit zu streiten. Er taugt zu nichts, als ein Mädchen zu verführen. Damit ist er doch hoffentlich zu Stande gekommen?«

»Noch nicht, so viel ich weiß.«

»Elphege, suche doch eine etwas thätigere Rolle in unsern Angelegenheiten zu spielen. Ich kehre morgen zu Deinem Manne zurück. Beschränke Du Dich nun nicht darauf, für unsere Sünden zu beten, sondern handle. Ahlfeldt muß auch darauf denken, mich etwas besser zu belohnen, als bisher geschehen ist. Mein Glück ist an das Eurige geknüpft; aber ich fange an, es müde zu werden, der Diener des Gemahls zu sein, wenn ich der Liebhaber der Frau bin, und der Schulmeister der Kinder, deren Vater ich zu sein die Ehre habe.«

Hier endigte die Unterredung. Die Frauen traten wieder ein.

»Erlauben mir die gnädige Gräfin,« sagte Musdoemon mit einer tiefen Verbeugung, »die Hoffnung zu hegen, daß ich morgen wieder eine Audienz erlangen werde, um die Huldigungen meiner tiefsten Ehrfurcht zu Ihren Füßen niederzulegen?«

VIII.

»Alter Herr,« sagte Ordener zu Spiagudry, »fast hätte ich geglaubt, daß die in diesem Gebäude befindlichen Leichname damit beauftragt seien, die Thüre zu öffnen.«

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, ich … ich lag in tiefem Schlafe.«

»Wenn das der Fall ist, so müssen Eure Todten wach gewesen sein, denn ich hörte eben erst hier laut und deutlich sprechen.«

Spiagudry gerieth in Verwirrung: »Wie, gnädiger Herr,« stotterte er, »Sie hätten reden gehört?«

»Allerdings! Doch was liegt daran? Ich bin nicht hieher gekommen, mich mit Euern Angelegenheiten zu beschäftigen, sondern Euch mit den meinigen. Wir wollen hineingehen.«

Spiagudry öffnete und sie traten in das Leichenzimmer.

»Benignus Spiagudry,« sagte jetzt dieser, »steht Ihnen in Allem, was menschliche Wissenschaften betrifft, zu Diensten. Wenn Sie jedoch, wie man aus Ihrem nächtlichen Besuche schließen möchte, einen Hexenmeister hier zu finden glauben, so irren Sie sich. Ne famam credas, ich bin nur ein Gelehrter. Kommen Sie in mein Arbeitszimmer, gnädiger Herr!«

»Nicht doch, wir müssen hier bei diesen Leichnamen bleiben.«

»Bei diesen Leichnamen!« rief Spiagudry bestürzt aus. »Die können Sie nicht sehen, gnädiger Herr!«

»Wie? ich soll Leichname nicht sehen dürfen, die bloß deßhalb hier sind, um gesehen zu weiden? Ich habe Erkundigungen über einen derselben bei Euch einzuziehen, und Eure Pflicht ist es, sie mir zu geben. Gern oder ungern, Ihr müßt.«

Spiagudry hatte einen großen Respekt vor tödtlichen Gewehren, und er sah einen tüchtigen Säbel an Ordeners Seite. »Nihil non arrogat armis,« murmelte er zwischen den Zähnen.

»Zeigt mir die Kleider des Hauptmanns,« sagte Ordener.

In diesem Augenblicke fiel ein Strahl des Lichts auf Gill Stadts verstümmeltes Haupt.

»Gerechter Gott!« rief Ordener aus, »welche abscheuliche Entweihung!«

»Erbarmet Euch meiner um Gottes Barmherzigkeit willen!« rief der Alte.

»Alter Mann,« fuhr Ordener mit drohender Stimme fort, »Du stehst am Rande des Grabes, und scheust Dich nicht, einen solchen Frevel zu begehen! Zittere, die Lebenden werben die Entweihung rächen, die Du an Todten begangen hast!«

»Gnade! Gnade! Ich habe es nicht gethan … Wenn Sie wüßten! …«

Hier hielt er inne, denn er dachte an die Worte des kleinen Mannes: »Sei treu und stumm.«

»Haben Sie,« fuhr er zitternd fort, »Jemand durch diese Oeffnung schlüpfen sehen?«

»Ja! War es Dein Mitschuldiger?«

»Nein, es war der Schuldige, der Alleinschuldige. Das schwöre ich bei allen himmlischen und höllischen Mächten, bei diesem so schändlich entweihten Leichname selbst!«

Mit diesen Worten warf er sich stehend auf die Kniee nieder. So häßlich er auch war, so lag doch in seiner Verzweiflung, in seinen Betheuerungen ein solcher Ton der Wahrheit, daß er Ordener überzeugte.

»Alter Mann,« sagte er, »stehe auf. Wenn Du den Todten nicht entweiht hast, so würdige wenigstens Dein Alter nicht herab.«

Spiagudry stand auf.

»Wer ist der Schuldige?« fragte Ordener.

»Stille, edler Herr, stille! Sie wissen nicht, von wem Sie sprechen. Stille!«

»Wer ist der Schuldige? Ich will ihn wissen,« fuhr Ordener kaltblütig fort.

»Im Namen des Himmels, gnädiger Herr! Reden Sie nicht so, schweigen Sie, sonst möchte … Ich kann nicht … aus Furcht …«

»Furcht! die wird mich nicht schweigen machen, Dich aber wird sie zum Reden bringen.«

»Gnade, edler junger Herr!« rief der trostlose Spiagudry, »ich kann nicht … ich darf nicht …«

»Du kannst und sollst. Nenne den Schuldigen!«

Spiagudry suchte eine Ausflucht: »Wohlan denn, edler Herr! Der Entweiher dieses Leichnams ist der Mörder dieses Offiziers.«

»Dieser Offizier ist also ermordet worden?«

»Allerdings, gnädiger Herr!«

»Und von wem? Von wem?«

»Im Namen der Heiligen, die Ihre Mutter anrief, als sie Ihnen das Leben gab, forschen Sie nicht nach diesem Namen, zwingen Sie mich nicht, ihn zu nennen.«

»Ich will den Mörder wissen.«

»Nun denn! Betrachten Sie die tiefen Risse, welche lange und spitzige Nägel in diesen Leichnam gegraben haben – dann werden Sie den Mörder kennen.«

»Wie!« sagte Ordener, »irgend ein wildes Thier?«

»Nein, mein gnädiger Herr.«

»Nun, wenn es nicht der Teufel selbst gethan hat, so wüßte ich nicht …«

»Stille! Nehmen Sie sich in Acht. Haben Sie niemals,« fuhr der Alte mit leiser Stimme fort, »von einem Menschen oder einem Ungeheuer mit menschlichem Angesicht sprechen hören, dessen Nägel so lang sind, wie die Astaroths, der uns ins Verderben gestürzt hat, oder des Antichrists, der uns verderben wird?«

»Rede deutlicher.«

»Wehe! Wehe! heißt es in der Offenbarung …«

»Den Namen des Mörders will ich wissen.«

»Der Mörder … den Namen … Gnädiger Herr, erbarmen Sie sich meiner! Ach, erbarmen Sie sich!«

»Zaudere nicht länger.«

»Nun denn, wenn Sie es durchaus verlangen, der Mörder und Entweiher ist Han der Isländer.«

Dieser furchtbare Name war Ordener nicht unbekannt.

»Wie!« rief er aus, »Han! Dieser abscheuliche Bandit!«

»Er hat keine Bande, sondern ist immer allein.«

»Und wie kommst Du zu seiner Bekanntschaft, Elender? Welche gemeinschaftliche Verbrechen haben Euch einander nahe gebracht?«

»Edler Herr, mißtrauen Sie dem Scheine. Ist der Stamm der Eiche vergiftet, weil die Schlange an ihrer Wurzel kriecht?«

»Keine leeren Worte, ein Bösewicht kann keinen andern Freund haben, als einen Mitschuldigen.«

»Ich bin nicht sein Freund, und noch weniger sein Mitschuldiger, und wenn meine Betheurungen Sie nicht überzeugt haben, so erwägen Sie doch, daß die Entweihung dieses Leichnams mich innerhalb vierundzwanzig Stunden, wenn man den todten Körper abholt, der Strafe der Heiligthumsschänder aussetzen wird, obgleich ich unschuldig bin.«

Dieser Grund war für Ordener der überzeugendste; er sagte ruhig, aber ernst: »Alter, seid aufrichtig. Habt Ihr Papiere bei diesem Offizier gefunden?«

»Nicht eines, auf meine Ehre!«

»Wißt Ihr, ob Han der Isländer Papiere bei ihm gefunden hat?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kennt Ihr den Versteck Han des Isländers?«

»Er versteckt sich nicht, sondern wandert immer hin und her.«

»Das mag sein, aber er hat doch gewisse Verstecke.«

»Dieser Heide,« sagte Spiagudry leise, »hat eben so viele Verstecke, als die Insel Hitteren Felsenriffe und der Sirius Strahlen.«

»Gebt mir eine bestimmtere Antwort. Ihr steht in geheimnißvoller Verbindung mit diesem Räuber. Ihr kennt ihn und müßt wissen, wohin er von hier aus gegangen ist. Wenn Ihr nicht sein Mitschuldiger seid, so werdet ihr keinen Anstand nehmen, mich an seinen Aufenthaltsort zu führen …«

Spiagudry schauderte zurück.

»Sie, gnädiger Herr,« rief er aus. »Sie, großer Gott! Sie, voll Jugend und Leben, diesen Satan aufsuchen, herausfordern! Als Ingiald den Riesen Nyctolm bekämpfte, hatte er wenigstens vier Arme.«

»Nun, wir haben ja auch vier Arme, wenn Ihr mir zum Führer dient!«

»Ich! Ihr Wegweiser? Sie scherzen mit einem alten Manne, der bereits fast selbst eines Führers bedarf.«

»Hört! Wenn die Entweihung dieses Leichnams Euch der Strafe der Heiligthumsschänder aussetzt, so könnt Ihr nicht hier bleiben. Ihr müßt also fort. Ich nehme Euch unter meinen Schutz, aber nur unter der Bedingung, daß Ihr mich zum Versteck des Räubers geleitet. Seid mein Führer, ich will Euer Beschützer sein. Finde ich Han den Isländer, so bringe ich ihn lebendig oder todt hieher. Ihr könnt dann Eure Unschuld darthun, und ich verspreche Euch, daß Ihr in Euer Amt wieder eingesetzt werdet. Inzwischen empfanget hier mehr Thaler, als es Euch das ganze Jahr durch einträgt.«

»Edler Herr,« versetzte Spiagudry, indem er das Geld in Empfang nahm, »Sie haben vollkommen Recht. Wenn ich Ihnen folge, so setze ich mich einige Tage der Rache des furchtbaren Han aus. Bleibe ich, so falle ich morgen in die Hände des Henkers Orugix. Welches ist denn die Strafe der Heiligthumsschänder? … Gleichviel. In beiden Fällen ist mein armes Leben in Gefahr; da jedoch, nach der richtigen Bemerkung des gelehrten Saemond-Sigfusson, inter duo pericula aequalia minus imminens eligendum est, so folge ich Ihnen. Ja, gnädiger Herr, ich will Ihr Führer sein. Vergessen Sie jedoch nicht, daß ich Allem aufgeboten habe, Sie von Ihrem gefährlichen Unternehmen abzubringen.«

»Ihr sollt also mein Führer sein, und ich verlasse mich auf Eure Rechtlichkeit.«

»Herr, Spiagudry’s Rechtlichkeit ist eben so unbefleckt, als das Geld, das Sie mir eben so großmüthig gespendet haben.«

»Wo denkt Ihr, daß Han sich jetzt aufhalte?«

»Da der Süden von Drontheimhus jetzt voll Truppen ist, welche man auf Requisition des Großkanzlers dahin geschickt hat, so wird wohl Han seinen Weg nach der Grotte von Walderhog oder dem See von Smiassen genommen haben. Wir müssen also über Skongen gehen.«

»Wann könnt Ihr mir folgen?«

»Wenn heute Abend die Nacht einbricht und der Spladgest geschlossen wird, so wird Ihr demüthiger Diener seinen Dienst als Führer bei Ihnen antreten.«

»Wo werde ich Euch diesen Abend finden?«

»Auf dem großen Platze von Drontheim, wenn es Ihnen so gefällig ist, bei der Bildsäule der Gerechtigkeit, welche ehedem die Göttin Freya war und die mich ohne Zweifel in den Schutz ihres Schattens aufnehmen wird, aus Dankbarkeit, daß ich einen so schönen Teufel unter ihre Füße habe meißeln lassen.«

»Gut, Alter, der Vertrag ist geschlossen.«

»Geschlossen,« wiederholte Spiagudry.

Kaum hatte er dieses Wort gesprochen, so ließ sich über ihnen eine Art von Gebrumme hören. »Was ist das?« sagte der zitternde Spiagudry.

»Ist denn außer uns beiden noch ein lebendes Wesen hier?« fragte Ordener staunend.

»Ah! Ohne Zweifel mein Vicarius Oglypiglap,« sagte Spiagudry, den dieser Gedanke beruhigte. »Ein schlafender Lappe, sagte der Bischof Arngrim, macht eben so viel Lärm, als ein wachendes Weib.«

Ordener entfernte sich. Spiagudry schloß eilig die Thüre, legte Gill Stadts Leichnam so zurecht, daß man die Verstümmelung nicht gewahr werden konnte, und begab sich dann in seine Wohnung.

Viele Gründe mußten zusammentreffen, um den furchtsamen Spiagudry zu bewegen, Ordeners abenteuerlichen Vorschlag anzunehmen. Die Hauptgründe waren: 1) die Furcht vor dem anwesenden Ordener und seinem Säbel; 2) die Furcht vor dem Scharfrichter Orugix; 3) ein alter Haß gegen Han den Isländer, den er kaum sich selbst zu gestehen wagte, so sehr drückte ihn der Schrecken nieder; 4) die Liebe zu den Wissenschaften, welche er auf dieser Reise befriedigen zu können glaubte; 5) das Zutrauen in seine vermeintliche List, durch welche er sich Hans Blicken zu entziehen hoffte; 6) die Liebe zum Geld, indem er die für die Wittwe Stadt bestimmte Büchse für sich behalten zu können hoffte.

Im Uebrigen war es ihm gleichgültig, ob der Räuber den Fremden, oder der Fremde den Räuber tödte. Als er über diesen Punkt nachdachte, brach er in die Worte aus: »Es ist immerhin ein Leichnam, der mir zukommen wird.«

Hier ließ sich abermals ein Brummen hören. Spiagudry fuhr schreckenvoll zusammen.

»Das ist kein Schnarchen meines Oglypiglap,« sagte er, »diese Töne kommen von Außen. Es wird wohl,« fügte er nach einigem Nachdenken hinzu, »der Hund im Hafen sein, der bellt.«

IX.

Am Morgen dieses Tages stieg Schuhmacher, wie er pflegte, auf den Arm seiner Tochter gestützt, in den Garten herab, der an sein Gefängniß stieß. Beide hatten eine unruhige Nacht gehabt, der Greis durch Schlaflosigkeit, das junge Mädchen durch süße Träume.

Der Vater warf, nachdem sie eine Zeitlang herumgegangen waren, einen ernsten und traurigen Blick auf seine Tochter: »Du lächelst vor Dich hin und erröthest, Ethel; Du bist glücklich, denn Du erröthest nicht über die Vergangenheit, und lächelst der Zukunft entgegen.«

Ethel erröthete noch mehr und hörte auf zu lächeln.

»Mein Vater,« sagte sie verwirrt, »ich habe die Edda mitgebracht.«

»So lies, meine Tochter!« versetzte der Greis und fiel in seine vorige Träumerei zurück.

Ethel las ihm die Geschichte der Schäferin Allanga vor, welche die Hand eines Königs ausschlug, bis er ihr bewiesen haben würde, daß er ein Kriegsmann sei. Regner Lodbrog erhielt die Hand der Schäferin erst, nachdem er den Räuber von Klipstadur, Ingulph den Vertilger, besiegt hatte.

Plötzlich ließ sich ein Geräusch hinter ihnen hören, und der Lieutenant Ahlfeldt trat aus dem Gebüsche.

»Habe ich nicht, schönste Dame,« rief er Ethel zu, »den Namen Ingulphs des Vertilgers aus Ihrem schönen Munde vernommen? Ohne Zweifel haben Sie von Han dem Isländer gesprochen und sind sofort bis zu seinem Ahnhern hinaufgestiegen. Die Damen lieben Räubergeschichten. Man erzählt von Ingulph und dessen Nachkommen Dinge, welche schauerlich angenehm zu vernehmen sind. Ingulph der Vertilger hatte nur einen einzigen, mit der Hexe Thoarka erzeugten Sohn. Dieser Sohn hatte wieder nur einen Sohn, der ebenfalls mit einer Zauberin erzeugt war. Seit vier Jahrhunderten hat sich dieses Geschlecht immer nur durch einen einzigen Zweig fortgepflanzt und in Island viel Unglück angerichtet. Durch diese Reihe einziger Erben ruht jetzt Ingulphs Geist auf dem berüchtigten Han dem Isländer, der so eben, wie ich vermuthe, die jungfräulichen Gedanken der schönen Dame beschäftigt hat.«

Der Lieutenant hielt einen Augenblick inne. Ethel schwieg aus Verlegenheit, Schuhmacher aus Ekel und Langeweile. Der Geck hielt dies für eine Aufmunterung, fortzufahren.

»Han der Isländer,« sprach er weiter, »kennt keine andere Leidenschaft als Menschenhaß, und ist einzig damit beschäftigt, dem menschlichen Geschlechte zu schaden …«

»Das ist vernünftig von ihm,« sagte Schuhmacher.

»Er lebt immer allein,« fuhr der Lieutenant fort.

»Dann ist er glücklich,« sprach Schuhmacher.

»Möge uns der Gott Mithra von diesen Vernünftigen und Glücklichen befreien! Verflucht sei der Wind, der diesen isländischen Teufel nach Norwegen geweht hat! Ein Bischof ist es, dem wir das Glück danken, Han von Klipstadur zu besitzen. Nach der Tradition fanden einige Bauern Han, der noch ein Kind war, auf den Bergen von Bessested und wollten ihn umbringen; aber der Bischof von Scalholt hielt sie davon ab, und nahm den jungen Wilden in Schutz, um aus dem Teufel einen Christen zu machen. Er wendete tausend Mittel an, seine höllische Intelligenz zu entwickeln. In einer finstern Nacht aber zündete der herangewachsene Han seines Wohlthäters Wohnung an, setzte sich auf einen Baumstamm und schiffte ohne Weiteres nach Norwegen. So erzählt man sich in den Spinnstuben. Seitdem Unheil aller Art: Die Minen von Faroer verschüttet und dreihundert Arbeiter unter den Trümmern begraben, der über Golyn hängende Fels zur Nachtzeit auf das Dorf herabgestürzt, die Brücke von Half-Broe unter den Wanderern zusammenbrechend und in den Abgrund fallend, die Hauptkirche zu Drontheim in Brand gesteckt, die Leuchtthürme in stürmischen Nächten ausgelöscht und eine Menge von Verbrechen und Mordthaten in die Seeen von Sparbo und Smiassen eingesenkt, oder in den Grotten von Walderhog und Rylaß verborgen. In den Spinnstuben behaupten sie, daß bei jedem Verbrechen ihm ein neues Haar in seinen Bart wachse. Wenn das der Fall ist, so muß sein Bart so dicht sein, als der des ehrwürdigsten assyrischen Magiers.«

Schuhmacher unterbrach ihn: »Und es ist nicht gelungen, sich dieses Menschen zu bemächtigen?« sagte er mit triumphirendem Blick und ironischem Lächeln. »Ich muß in der That die Fähigkeit der Großkanzlei beider Königreiche bewundern.«

»Han,« fuhr der Lieutenant, der die spöttische Anspielung nicht verstand, redselig fort, »hat sich bisher eben so unüberwindlich gezeigt, als Horatius Cocles. Soldaten, Milizen, Bergbewohner, Landleute, Alles flieht vor ihm oder findet den Tod. Er ist ein Dämon, dem man weder entgehen, noch ihn erreichen kann. Glücklich diejenigen, welche ihn suchen und nicht finden. Nicht wahr, edle Dame, das sind seltsame Geschichten? Sie könnten Stoff zu einem trefflichen Roman im Geschmacke der sublimen Schriften der Demoiselle Scudery liefern. Man müßte jedoch unser Klima etwas mildern, die Traditionen ein wenig aufputzen und unsere barbarischen Namen modificiren. So müßte man z. B. aus Drontheim Durtinianum machen, unsere finstern Wälder in liebliche Gebüsche, und unsere Waldströme in tausend klare Bäche verwandeln. Unsere schauerlichen Höhlen müßten halbdunkle Grotten sein, in welchen das reinste Krystall glänzt. In einer dieser Grotten würde ein berüchtigter Zauberer, Hannus von Thule, wohnen … denn Sie werden einsehen, daß Han der Isländer für ein poetisches Ohr zu hart klingt. Dieser Riese, denn ein Riese müßte es durchaus sein, würde in gerader Linie von dem alten Mars abstammen. Ingulph der Vertilger ist ein Name, der die Phantasie nicht in Anspruch nimmt. Die Hexe Thoarka könnte man in die Zauberin Theone verwandeln. Nachdem der Großmagier von Thule den Riesen Hannus erzogen hat, entflieht er eines Tages aus seinem goldenen Palaste auf einem mit zwei fliegenden Drachen bespannten Wagen. Ein alter Baumstamm wäre gar zu prosaisch. Unter dem schönen Himmel von Durtinianum angekommen und durch den Anblick dieses lieblichen Geländes verführt, schlägt er hier seinen Wohnsitz auf und macht das Land zum Schauplatze seiner Verbrechen. Lauter Verbrechen, das wäre gar zu schauerlich, weßhalb einige sinnreich erdachte verliebte Abenteuer damit zu verflechten sind. Mithin muß die Schäferin Alcippe eines Tages mit ihren Lämmchen in einem Rosen- und Myrtenhain spazieren gehen. Der Riese Hannus erblickt sie und verliebt sich alsbald. Allein die schöne Alcippe liebt bereits den schönen Lycidas, welcher Offizier ist und daselbst in Garnison liegt. Hiedurch Eifersucht des Riesen auf den Offizier, des Offiziers auf den Riesen, allerhand Ränke, List und Streit, Ohnmächten, Zweikämpfe, Entführungen, und eine Menge allerliebster Geschichten, durch welche die Gräuelthaten des Riesen Hannus verzuckert und für den zarten Geschmack des schönen Geschlechts genießbar gemacht würden, und ich wette meine polnischen Stiefel gegen ein Paar Holzschuhe, daß ein solcher Roman, aus der Feder der geistreichen Scudery geflossen, alle Damen in Kopenhagen toll machen würde.«

Schuhmacher, der auf das ganze Gesalbader nicht geachtet hatte, faßte den Namen Kopenhagen auf und sagte: »Kopenhagen? Was gibt es Neues zu Kopenhagen?« »Nichts, so viel ich weiß,« antwortete der Lieutenant, »außer der Einwilligung des Königs zu der wichtigen Vermählung, von der man in diesem Augenblicke in beiden Königreichen spricht.«

»Wie! Welche Vermählung?«

In diesem Augenblicke trat Ordener in den Garten. Die Anwesenheit des unberufenen Lieutenants setzte die Gesellschaft in Verlegenheit und führte ein ziemlich langes Stillschweigen herbei.

»Bei der Schleppe des königlichen Mantels,« rief der Lieutenant lachend aus, »das ist ein Schweigen, welches ganz demjenigen der gallischen Senatoren gleicht, als der Römer Brennus … Ich weiß auf Ehre nicht mehr recht, wer Römer oder Gallier, Senator oder Feldherr war. Doch gleichviel. Erzählen Sie dem alten Herrn da, was es Neues zu Kopenhagen gibt. Ich wollte ihn eben von der hohen Vermählung unterhalten, welche in diesem Augenblicke Meder und Perser beschäftigt.«

»Welche Vermählung?« fragten Ordener und Schuhmacher zugleich.

»Aus dem Schnitt Ihrer Kleider, Herr Fremdling,« rief der Lieutenant, in die Hände klopfend, »habe ich bereits geahnt, daß Sie aus irgend einer andern Welt gekommen sein müssen. Diese Frage gibt mir Gewißheit darüber. Sie sind ohne Zweifel gestern in einem mit Drachen bespannten Feenwagen an den Ufern der Nidder gelandet, denn wenn Sie durch Norwegen gereist wären, hätten Sie doch von der berühmten Vermählung zwischen dem Sohn des Vicekönigs und der Tochter des Großkanzlers hören müssen.«

Schuhmacher wandte sich zu dem Lieutenant: »Wie! Ordener Guldenlew heirathet Ulrike Ahlfeldt?«

»So ist es, und zwar wird das geschehen, ehe noch die Wülste zu Kopenhagen aus der Mode kommen.« »Friedrich Guldenlews Sohn muß jetzt etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, denn ich erfuhr seine Geburt, nachdem ich etwa ein Jahr in der Citadelle von Kopenhagen saß. Mag er sich jung heirathen,« fuhr Schuhmacher mit einem bittern Lächeln fort; »wenn er in Ungnade fällt, wird man ihm doch nicht minder den Vorwurf machen, daß er nach dem Kardinalshut getrachtet habe.«

Der Lieutenant verstand die Anspielung nicht, welche der gefallene Günstling auf sein eigenes Unglück machte.

»Das gewiß nicht,« rief er lachend, »der Baron Ordener wird Graf, Oberst und Ritter vom Elephantenorden, was Alles mit dem Kardinalshut sich nicht verträgt.«

»Desto besser,« sagte Schuhmacher. »Vielleicht wird man eines Tags aus seinem Ordensband ein Halsband machen, die Grafenkrone auf seiner Stirne zerbrechen und ihm die Epauletten ins Gesicht werfen.«

Ordener ergriff des Alten Hand: »Sprechen Sie nicht den Fluch über das Glück eines Feindes aus, ehe Sie wissen, ob dieses Glück auch ein Glück für ihn ist.«

»Je nun,« fiel der Lieutenant ein, »was liegt dem Baron Thorwick an diesen Verwünschungen?«

»Mehr vielleicht, als Sie glauben,« erwiderte Ordener. »Uebrigens,« fügte er nach einer Pause hinzu, »ist Ihre berühmte Heirath noch nicht so gewiß, als Sie denken.«

» Fiat quod vis,« versetzte der Lieutenant mit einer ironischen Verbeugung. »Der König, der Vicekönig und der Kanzler wünschen und wollen zwar diese Heirath, weil sie aber dem fremden Herrn da mißfällt, so wird ohne Zweifel trotz des Königs, des Vicekönigs und des Kanzlers nichts daraus werden.«

»Da können Sie vielleicht Recht haben,« sagte Ordener trocken.

»Das ist gar zu spaßhaft,« rief der Lieutenant aus, und lachte wie toll. »Wenn doch nur der Baron Thorwick hier wäre, um zu hören, wie dieser fremde Prophet über seine Zukunft verfügt! Es scheint mir jedoch, mein gelehrter Herr, daß Ihr Bart noch nicht lang genug ist, um ein großer Zauberer zu sein.«

»Herr Lieutenant,« antwortete Ordener kalt, »ich glaube nicht, daß Ordener Guldenlew eine Frau heirathet, ohne sie zu lieben.«

»Und wer sagt Ihnen, mein Herr vom grünen Mantel, daß der Baron Ordener Guldenlew die Gräfin Ulrike von Ahlfeld nicht liebt?«

»Und wer sagt Ihnen,« frage ich, »daß er sie liebt?«

Hier wurde der Lieutenant durch die Lebhaftigkeit des Gesprächs hingerissen, eine Thatsache zu behaupten, welcher er nicht gewiß war: »Wer es mir sagt, daß er sie liebt? Eine spaßhafte Frage! Es thut mir leid um Ihre Prophetengabe, aber Jedermann weiß ja, daß diese Vermählung sowohl eine Neigungs- als eine Convenienzheirath ist.«

»Wenn Jedermann es weiß, so weiß ich wenigstens es nicht.«

»Sie also ausgenommen! Was liegt daran? Sie werden dadurch nicht hindern, daß der Sohn des Vicekönigs in die Tochter des Großkanzlers verliebt ist.«

»Verliebt?«

»Ganz toll verliebt!«

»Er müßte allerdings toll sein, wenn er in sie verliebt wäre.«

»Vergessen Sie nicht, von wem und mit wem Sie reden. Sollte man nicht meinen, der Sohn des Vicekönigs dürfte sich nicht in eine Dame verlieben, ohne zuvor diesen Bauer da um Erlaubniß zu bitten?«

Mit diesen Worten erhob sich der Offizier. Ordeners Augen blitzten.

Ethel trat zu ihm: »Ruhig, um Gottes Willen! Was liegt uns daran, ob der Sohn des Vicekönigs die Tochter des Kanzlers liebt?«

Ordener beruhigte sich. Der Lieutenant nahm seine alte muntere Laune wieder an.

»Das Fräulein,« rief er aus, »spielt mit unendlicher Grazie die Rolle der Sabinerinnen. Meine Worte waren nicht abgemessen genug; ich hatte vergessen, daß zwischen uns ein Band der Ritterlichkeit besteht, das uns verbietet, uns gegenseitig zu reizen. Ritter, Ihre Hand! Gestehen Sie ebenfalls, daß Sie vergessen hatten, daß Sie von dem Sohne des Vicekönigs mit seinem künftigen Schwager, dem Lieutenant Ahlfeldt, sprachen.«

Schuhmacher, der bisher gleichgültig zugehört hatte, sprang von seinem steinernen Sitze auf und stieß einen Schrei des Abscheus aus.

»Ahlfeldt! Ein Ahlfeldt vor meinen Augen!» rief er aus. »Fort Schlange! Warum erkannte ich nicht an dem Sohne die Züge seines schändlichen Vaters! Laßt mich in Ruhe in meinem Kerker, ich bin nicht zu der Strafe verurtheilt, Euch zu sehen! Jetzt fehlte mir nur noch der Sohn jenes Guldenlew neben diesem Ahlfeldt! Feige Verräther! Am Ende kommen sie noch selbst, sich an meinem Jammer zu ergötzen! Abscheuliches Geschlecht! Fort von mir, Du Sohn Ahlfeldts!«

Der Lieutenant, der im Anfang bestürzt war, ging bald zum Zorn über. »Willst Du schweigen, alter Narr! Willst Du aufhören, Deine teuflischen Litaneien zu singen!«

»Fort,« rief Schuhmacher, »und, nimm meinen Fluch mit Dir, meinen Fluch über Dich und das elende Geschlecht der Guldenlew, das sich dem Deinigen vermählen will!«

»Zum Teufel! Doppelte Beschimpfung! …«

Ordener hielt den Lieutenant, der ganz außer sich war.

»Lieutenant,« sagte er ruhig, »Ihr Feind ist ein Greis. Wir haben uns bereits Genugthuung zu geben, ich nehme auch die Beleidigungen des Gefangenen auf mich.«

»Meinetwegen, Sie machen eine doppelte Schuld ab,« erwiederte der Lieutenant. »Das wird ein Kampf auf Leben und Tod werden, denn ich habe meinen Schwager und mich selbst zu rächen. Vergessen Sie nicht, daß Sie mit meinem Handschuh auch den für Ordener Guldenlew ausheben.«

»Lieutenant Ahlfeldt,« sagte Ordener, »Sie führen die Sache der Abwesenden mit edelmüthiger Hitze. Bedenken Sie, daß ein unglücklicher Greis, dem das Unglück einiges Recht gibt, ungerecht zu sein, auch Mitleid verdient.«

Ahlfeldt gehörte zu den Menschen, bei denen man durch Lob eine Tugend wecken kann. Er drückte Ordeners Hand und trat auf Schuhmacher zu, der, durch seine Entrüstung erschöpft, auf den Stein zurück in die Arme seiner trostlosen Tochter gesunken war.

»Herr Schuhmacher,« sagte der Offizier, »Sie haben Ihr Alter mißbraucht, und ich war vielleicht im Begriff, meine Jugend zu mißbrauchen, wenn Sie nicht einen Verfechter gefunden hätten. Ich bin diesen Morgen zum letzten Mal in Ihr Gefängniß gekommen, um Ihnen anzukündigen, daß Sie, laut besondern Befehls des Vicekönigs, von nun an in dem Ihnen angewiesenen Raume frei und unbewacht bleiben können. Empfangen Sie diese erfreuliche Nachricht aus dem Munde eines Feindes.«

»Gehen Sie!« sagte der alte Gefangene mit dumpfer Stimme.

Der Lieutenant verbeugte sich und ging, innerlich vergnügt, einen beifälligen Blick Ordeners erlangt zu haben.

Schuhmacher blieb eine Zeitlang in Gedanken versunken; dann warf er einen Blick auf Ordener und fragte: »Nun?«

»Herr Graf, Dispolsen ist ermordet.«

Das Haupt des Greises sank auf seine Brust herab.

Ordener fuhr fort: »Sein Mörder ist ein berüchtigter Räuber, Han der Isländer.«

»Han der Isländer!« sagte Schuhmacher. »Han der Isländer!« wiederholte Ethel.

»Er hat den Hauptmann beraubt,« fuhr Ordener fort.

»Haben Sie,« fragte der Greis, »von keiner kleinen eisernen Büchse, die mit dem Greiffenfeldischen Wappen versiegelt war, etwas vernommen?«

»Nein, Herr Graf!«

Schuhmacher stützte seine Stirne in beide Hände.

»Ich werde Ihnen diese Büchse verschaffen, verlassen Sie sich darauf. Der Mord ist gestern Morgen geschehen, Han ist nach Norden geflohen. Ich habe einen Führer, der seine Schlupfwinkel kennt, und ich selbst habe oft die Berge von Drontheimhus durchstrichen. Ich werde den Räuber auffinden.«

Ethel erbleichte. Schuhmacher stand auf, sein Blick hatte etwas Freudiges; er schien vergnügt, noch Tugend unter den Menschen zu finden.

»Edler Ordener, leben Sie wohl!« sprach der Greis feierlich, hob die Hand gen Himmel und verschwand im Gebüsche.

Als Ordener sich umwandte, fiel sein erster Blick auf Ethel. Die Jungfrau saß auf dem von Moos gebräunten Felsstück, bleich wie ein Marmorbild auf einem schwarzen Fußgestell.

»Gerechter Gott!« rief er aus. »Was ist Dir?«

»Ordener,« erwiederte sie mit zitternder Stimme, »wenn Du mich liebst, wenn ich Dir theuer bin, wenn Du meinen Tod nicht willst, so gib diesen thörichten Vorsatz auf, ich beschwöre Dich im Namen des Himmels, bleib! Suche diesen Räuber, diesen Dämon nicht auf! Warum willst Du ohne Grund Dein Leben aufs Spiel setzen?«

»Du machst Dir unnöthige Unruhe, meine Ethel! Der Himmel wird mit mir sein, und ich suche nicht ohne Grund diesen Räuber auf; es geschieht für Euch, diese eiserne Büchse enthält …«

»Was soll mir diese eiserne Büchse, mag sie enthalten, was sie will, wenn sie Dein Leben in Gefahr bringt!« »Warum denkst Du denn, daß mein Leben in Gefahr sei?«

»Ha! Du kennst diesen Han, diesen höllischen Geist nicht! Weißt Du, welches Ungethüm Du aufsuchst? Weißt Du, daß er über alle Mächte der Finsterniß gebietet? Daß er Berge umstürzt und Städte verwüstet? Daß unterirdische Höhlen unter seinem Fußtritt einbrechen? Daß sein Hauch die Leuchtthürme auf dem Felsen auslöscht? Und diesem von der Macht der Hölle beschützten Riesen willst Du entgegentreten?«

»Beruhige Dich, liebe Ethel, man hat Dir die Macht und Stärke dieses Räubers viel zu übertrieben geschildert. Er ist ein Mensch wie ein anderer; er gibt den Tod und empfängt ihn.«

»Du willst mir also nicht folgen? Was soll aus mir werden, wenn Du ferne bist, wenn ich Dich von Gefahr zu Gefahr irrend weiß? Gewiß, Du kennst dieses Ungeheuer nicht, es hat ganze Bataillone vernichtet.«

»Beste Ethel, ich muß. Es handelt sich um Euer Glück, um Euer Vermögen …«

»Was liegt an meinem Glück, an meinem Vermögen?«

»Ethel, es handelt sich um das Leben Deines Vaters.«

»Um das Leben meines Vaters?« rief sie erbleichend aus.

»Ja, dieser Räuber, den wahrscheinlich Deines Vaters Feinde gedungen haben, hat dem Hauptmann Dispolsen Papiere abgenommen, an denen Deines Vaters Leben hängt. Diese Papiere will ich ihm wieder abnehmen, und sollte ich sie mit meinem Blute bezahlen.«

»Um meines Vaters Leben!« wiederholte die trostlose Jungfrau, wandte dann langsam die Augen auf Ordener und sprach: »Was Du thun willst, ist fruchtlos, aber thue es!«

»Edelmüthige Tochter!« rief der Jüngling begeistert aus und faßte ihre Hand. »Der Himmel wird mich schützen, ich kehre bald zurück, um Dich nie mehr zu verlassen. Ich will der Retter Deines Vaters werden und verdienen, sein Sohn zu sein.« »Gehe, mein Ordener, und wenn Du nicht wiederkehrst, wird auch mich der Schmerz tödten. Diesen Trost habe ich.«

Sie verließen Hand in Hand den Garten. Unter der Pforte schnitt Ethel eine ihrer schwarzen Locken ab und gab sie Ordener.

»Ordener,« sprach sie, »denke an mich, ich will für Dich beten!«

X.

Nach einer schlaflosen Nacht lag die Gräfin von Ahlfeldt auf dem Sopha, gepeinigt von dem bittern Nachgeschmack unreiner Freuden. Sie dachte an diesen Musdoemon, der ihr einst in so verführerischem Lichte erschienen war, und den sie jetzt so abscheulich fand. Das unglückliche Geschöpf weinte, nicht aus Reue, sondern aus Verdruß. Das Laster hatte sie geflohen, sie nicht das Laster. Ihre Thränen gewährten ihr nicht den Trost, den der Tugendhafte darin findet. Jetzt öffnete sich die Thüre und Musdoemon trat mit ihrem Sohne Friedrich ein.

»Wie kommen denn Sie hieher, Mutter?« rief der Lieutenant, »Ich glaubte Sie zu Bergen. Ist es jetzt bei unsern Damen Mode geworden, wie fahrende Ritter durch das Land zu ziehen?«

Die Gräfin umfing ihren Friedrich mit zärtlichen Umarmungen, die er, wie alle verwöhnten Kinder, ziemlich kalt erwiederte. Dies war vielleicht die empfindlichste aller Strafen für die unglückliche Mutter. Friedrich war ihr Liebling, das einzige Wesen auf der Welt, an dem sie mit uneigennütziger Liebe hing.

»Es freut mich, lieber Sohn,« sagte sie, »daß Du sogleich zu mir geeilt bist, nachdem Du meine Anwesenheit in Drontheim erfahren hattest.« »Sie irren sich, Mama! Ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind. Die Langeweile plagte mich in der Festung, ich ging in die Stadt, begegnete Musdoemon, und der hat mich hieher geführt.« Die arme Mutter stieß einen Seufzer aus.

»Apropos, Frau Mutter,« fuhr Friedrich fort, »es ist eben recht, daß Sie hier sind. Sie werden mir sagen können, ob Rosa zu Kopenhagen noch immer in der Mode ist. Haben Sie nicht vergessen, mir eine Flasche Haaröl mitzubringen? Den zuletzt übersetzten französischen Roman, meine goldenen Borten und die kleinen Lockenkämmchen werden Sie hoffentlich auch mitgebracht haben? …«

Das unglückliche Weib hatte ihrem Sohne nichts mitgebracht, als die einzige Liebe, welche sie für irgend Jemand auf der Welt fühlte.

»Mein lieber Sohn, ich war krank, und meine Schmerzen haben mich gehindert, an das zu denken, was Dir Freude macht.«

»Krank! Es freut mich, daß Sie sich wieder wohl befinden. Apropos, was macht meine Meute normannischer Hunde? Ich wette darauf, daß man vergessen hat, mein niedliches Aeffchen jeden Abend in Rosenwasser zu baden, und meinen Papagei, den werde ich am Ende todt finden … Wenn ich abwesend bin, nimmt sich Niemand des armen Thieres an.«

»Deine Mutter, mein Sohn, denkt wenigstens an Dich,« sagte die Gräfin mit zitternder Stimme.

Selbst der Engel mit dem feurigen Schwerte, der die Sünder aus dem Paradiese treibt, würde in diesem Augenblicke mit der unglücklichen Mutter Mitleid gehabt haben. Musdoemon lachte höhnisch in einem Winkel des Zimmers.

»Herr Friedrich,« sagte er, »wozu dieses Haaröl, und diese Bänder, und diese Borten, und all dieses schwere Geschütz der Liebe, wenn das einzige weibliche Herz, das Munckholms Mauern einschließen, unbezwinglich ist?« »Fürwahr, das ist sie!« erwiederte Friedrich lachend. »Ich habe von dieser Festung abziehen müssen, jetzt ist sie unüberwindlich, und ich fordere den General Schack selbst auf, sie zu nehmen. Wie soll man auch eine Festung überrumpeln, in der das ganze Jahr nichts decouvrirt ist, wo alle Posten immer besetzt sind? Halskrause bis an das Kinn, Aermel bis auf die Finger! Und in diesem Fort, mein lieber Lehrmeister, hält die Schamhaftigkeit Wache.«

»Wirklich!« sagte Musdoemon. »Nun, so muß die Liebe die Schamhaftigkeit zur Uebergabe zwingen.«

»Vergebliche Mühe! Die Liebe hat sich allerdings in den Platz eingeschlichen, aber sie dient der Schamhaftigkeit als Verstärkung.«

»Das ist etwas Nagelneues. Wenn Sie geliebt sind …«

»Wer sagt Ihnen denn, daß ich geliebt sei?«

»Und wer denn?« riefen Musdoemon und die Gräfin zugleich aus.

Als eben Friedrich antworten und die nächtliche Scene schildern wollte, fiel ihm das gegebene Ehrenwort ein.

»Wahrhaftig …« sagte er, »ich weiß in der That nicht, wer … irgend ein gemeiner Mensch … ein Lehensmann …«

»Irgend ein Soldat der Besatzung?« sagte Musdoemon lachend.

»Wie, mein Sohn!« rief die Gräfin aus, »sie liebt einen Bauern, einen Lehensmann? Weißt Du das gewiß? Das wäre nicht zu bezahlen.«

»Freilich weiß ich es gewiß; es ist aber kein Soldat der Besatzung. Ich weiß so gewiß, daß sie liebt, daß meine längere Verbannung in dieses verfluchte Schloß jetzt überflüssig ist.«

Der Gräfin Augen leuchteten vor Schadenfreude: »Du mußt uns das noch ausführlicher erzählen, mein Sohn. Im Uebrigen wundere ich mich nicht darüber, eine Bauerndirne kann nur einen Bauern lieben. Inzwischen verwünsche dieses Schloß nicht, in welchem Du zum erstenmal eine unserer Familie so werthe Person gesehen hast.«

»Wie, Mutter, welche Person?« fragte der Lieutenant verwundert.

»Keinen Scherz, mein Sohn! Hat Dir gestern Niemand die Aufwartung gemacht? Du siehst, ich weiß davon.«

»Mehr als ich, wie es scheint. Der Teufel soll mich holen, wenn ich gestern ein fremdes Gesicht gesehen habe!«

»Wie, Friedrich, Du hast Niemand gesehen?«

»Niemand, Mutter!«

»Wie! Ist nicht gestern Abend der Sohn des Vicekönigs nach Munckholm gekommen?«

Der Lieutenant wollte sich vor Lachen ausschütten: »Der Sohn des Vicekönigs! Sie träumen oder wollen mich zum Besten haben.«

»Weder das eine, noch das andere. Wer hatte denn gestern die Wache?«

»Ich selbst, Mama!«

»Und Du hast den Baron Ordener nicht gesehen?«

»Nein, sage ich Ihnen!«

»Er konnte ja das Incognito beobachten, Du kennst ihn ja nicht, da er zu Drontheim erzogen worden ist. Du kennst seine Grillen, er kann einen falschen Namen angenommen haben. Hast Du in der That gar Niemand gesehen?«

Friedrich schwankte einen Augenblick. Sein Ehrenwort fiel ihm ein. »Nein!« rief er, »Niemand!«

»In diesem Falle ist also der Baron nicht nach Munckholm gegangen.«

Musdoemon hatte aufmerksam zugehört. Er unterbrach jetzt die Gräfin.

»Erlauben Sie, gnädige Gräfin! Wie heißt der Bauer, gnädiger Herr, der Schuhmachers Tochter liebt?« »Ich weiß es nicht … oder vielmehr … Ja, ich weiß es nicht.«

»Und wie wissen Sie denn, daß sie einen Bauern liebt?«

»Habe ich gesagt einen Bauern? Ja, richtig einen Bauern …«

Des Lieutenants Verlegenheit stieg. Er suchte ihr durch einen raschen Entschluß zu entgehen.

»Meiner Treu, Herr Musdoemon, und Sie, gnädige Mama, wenn die Narrheit der Verhöre jetzt Mode ist, so machen Sie sich das Vergnügen, einander selbst zu verhören! Was mich betrifft, so will ich nicht länger verhört sein.«

Mit diesen Worten öffnete er die Thüre und verschwand. Die Beiden erschöpften sich in Vermuthungen.

Friedrich eilte in den Hof, denn er hörte Musdoemons Stimme, die ihn zurückrief, schwang sich aufs Pferd und sprengte dem Hafen zu.

Unterwegs dachte er über die Sache: Wenn es Ordener Guldenlew war, dann gute Nacht, meine arme Ulrike … doch nein! Wer wird denn so einfältig sein, die arme Tochter eines Staatsgefangenen der reichen Tochter eines allmächtigen Ministers vorzuziehen! Ein solcher Narr lebt nicht auf der Welt. Mithin könnte die Liebe zu Schuhmachers Tochter höchstens eine vorübergehende Neigung sein, und nichts hindert, neben der Frau eine Maitresse zu halten; das gehört sogar zum guten Ton. Doch nein! Es ist nicht Ordener, der Sohn des Vicekönigs würde nicht in einem abgetragenen Rocke und mit einer schwarzen Feder ohne Diamantschnalle, die von Wind und Wetter gefegt ist, einhergehen! Und dieser große Mantel, aus dem man ein Zelt machen könnte! Und die Haare ohne Frisur und ohne Kamm! Und diese mit Koth bespritzten Stiefel mit eisernen Sporen! Das ist nicht der Sohn des Vicekönigs. Der Baron von Thorwick ist Ritter des Danebrogordens; dieser Fremde hat nichts an sich, was von weitem einem Orden gleich sieht. Wenn ich Ritter wäre, so würde ich das Ordensband am Schlafrock tragen. Er weiß nichts von dem neuesten Roman der geistreichen Scudery. Das ist nicht der Sohn des Vicekönigs.

XI.

»Was gibt es? Was willst Du, Paul? Wer hat Dich kommen heißen?«

»Euer Excellenz vergessen, daß Sie mich eben selbst gerufen haben.«

»Richtig,« sagte der General. »Hm! Gib mir diese Mappe da.«

Paul reichte dem Gouverneur die Mappe dar, nach der er nur den Arm hätte ausstrecken dürfen, um sie selbst zu nehmen.

Der Gouverneur blätterte mit zerstreuter Miene in einigen Papieren.

»Paul, ich wollte Dich auf diesem … Wie viel Uhr ist es?«

»Sechs Uhr,« erwiederte der Bediente dem General, vor dessen Augen eine Uhr hing.

»Ich wollte Dich fragen … Was gibt es Neues im Hause?«

»Nichts, als daß ich immer noch auf meinen Herrn warte, und ich sehe, daß Euer Excellenz wegen seines Ausbleibens auch besorgt sind.«

»Ich, besorgt! Ich weiß, warum er abwesend ist … ich erwarte ihn noch nicht.«

Der General Levin von Knud hielt so sehr auf sein Ansehen, daß er es für gefährdet hielt, wenn ein Untergebener einen seiner geheimen Gedanken nur hätte errathen können. Er wollte nicht wissen lassen, daß Ordener ohne seinen Befehl gehandelt habe.

»Paul,« fuhr er fort, »Du kannst gehen.«

Der Diener ging. »In der That,« sagte der General mißmuthig für sich, »er mißbraucht mich, dieser Ordener. Wenn man den Bogen zu stark spannt, bricht er. Mich eine schlaflose Nacht zubringen lassen! Den General Levin den Spöttereien einer Kanzlerin und den Vermuthungen eines Reitknechtes aussetzen! Und Alles das um einem alten Feinde die ersten Umarmungen zu bringen, die er einem alten Freunde schuldig ist! Ordener! Ordener! Launenhaftigkeit ist nicht die wahre Freiheit. Er soll nur kommen, ich will ihm tüchtig den Kopf waschen!«

In diesem Augenblicke rief eine wohlbekannte Stimme: »Mein edler Vater!«

Ordener lag in den Armen des Generals.

»Ordener, lieber Ordener!« rief dieser freudig aus. »Wie glücklich bin ich, daß Du da bist! …«

Plötzlich hielt der alte Herr inne und fuhr dann in anderem Tone fort: »In der That, ja es freut mich, daß Du so Herr Deiner Gefühle bist. Ohne Zweifel wolltest Du Dir eine Büßung auflegen, daß Du vierundzwanzig Stunden zugebracht hast, ohne mich zu besuchen.«

»Mein Vater, Sie haben mir oft selbst gesagt, daß ein unglücklicher Feind einem glücklichen Freunde vorgehe. Ich komme von Munckholm.«

»Allerdings, Du hast Recht, wenn im Verzuge Gefahr liegt, aber Schuhmachers Zukunft …«

»Ist ärger bedroht als je, mein Vater! Ein schändliches Complot ist gegen diesen Unglücklichen angesponnen. Menschen, die seine geborenen Freunde sind, wollen ihn verderben. Ein Mann, der sein geborener Feind ist, wird ihn zu retten wissen.«

»Ganz wohl, lieber Ordener,« erwiederte der General, dessen Gesicht immer freundlicher geworden war. »Aber was sagst Du da? Welche Menschen? Welche Umtriebe? Schuhmacher steht unter meinem Schutze.«

»Welche Umtriebe! Welche Menschen! In wenigen Tagen werde ich Alles erforscht haben, und dann sollen Sie das Ganze erfahren. Ich muß diesen Abend wieder abreisen.«

»Wie! Du willst nur so kurze Zeit bleiben! Und wohin gehst Du, warum willst Du fort, mein lieber Sohn?«

»Sie haben mir schon mehr als einmal erlaubt, eine gute That im Stillen zu thun.«

»Allerdings, mein Sohn! Ist Deine Abreise aber auch so dringend nothwendig, und bedenke, welche große Angelegenheit Dich zurückhalten sollte! …«

»Mein Vater hat mir einen Monat Bedenkzeit gegeben, diesen verwende ich zum Nutzen eines Andern. Gute That gibt guten Rath. Bei meiner Rückkunft werden wir weiter sehen.«

»Wie! Mißfällt Dir etwa diese Heirath? Ulrike Ahlfeldt soll sehr schön sein. Hast Du sie gesehen?«

»Ja, und sie scheint mir wirklich schön.«

»Nun denn?« sagte der Gouverneur.

»Sie wird mein Weib nicht,« erwiederte Ordener.

Dieses kalte entschiedene Wort traf den General wie ein Donnerschlag. Der Verdacht der hochmüthigen Gräfin kam ihm ins Gedächtnis zurück.

»Ordener,« sagte er mit Kopfschütteln, »Ordener, der alte Gefangene hat eine Tochter!«

»Davon eben wollte ich mit Ihnen sprechen, mein Vater! Ich bitte Sie um Ihren Schutz für dieses schwache, unglückliche Wesen.«

»Du bittest sehr lebhaft,« sagte der General ernst.

Ordener faßte sich: »Ich bitte für eine unglückliche Gefangene, der man die Unschuld rauben will.«

»Die Unschuld! Bin denn ich nicht mehr Gouverneur? Ich weiß nichts von all diesen Gräueln. Erkläre Dich näher.«

»Mein edler Vater! Schuhmachers Leben ist durch ein höllisches Complot bedroht …«

»Das wird ernsthaft, welche Beweise hast Du dafür?«

»Der älteste Sohn einer mächtigen Familie ist in diesem Augenblicke zu Munckholm; er ist dort in der Absicht, die Gräfin Ethel zu verführen … er hat es mir selbst gesagt.«

Der General wich drei Schritte zurück.

»Mein Gott! die arme Verlassene!« rief er aus. »Ordener! Schuhmacher und seine Tochter stehen unter meinem Schutze. Wer ist dieser Elende? Wie heißt die Familie?«

»Ahlfeldt.«

»Ahlfeldt!« rief der alte General aus. »Jetzt ist mir Alles klar. Friedrich von Ahlfeldt ist zu Munckholm. Und an diese Race will man Dich verkuppeln, mein edler Ordener! Jetzt wundere ich mich nicht mehr über Deinen Widerwillen.«

Der Greis blieb eine Zeitlang mit verschränkten Armen stehen, dann trat er auf Ordener zu und drückte ihn an seine Brust: »Du kannst gehen. Ich bleibe der Beschützer jener Unglücklichen. Geh und handle. Diese höllische Gräfin von Ahlfeldt ist hier.«

In diesem Augenblicke öffnete der Thürsteher das Zimmer: »Die gnädige Gräfin von Ahlfeldt!«

Ordener wich unwillkürlich in einen Winkel des Zimmers zurück. Die Gräfin stürmte herein, ohne ihn zu bemerken.

»Herr General,« rief sie, »Ihr Zögling treibt sein Spiel mit Ihnen; er war nicht zu Munckholm.«

»Wirklich!« sagte der General.

»Allerdings! Mein Sohn Friedrich hatte gestern die Wache, und hat Niemand gesehen.«

»Wirklich, gnädige Frau?« wiederholte der General.

»Mithin,« fuhr die Gräfin mit einem triumphirenden Lächeln fort, »warten Sie nicht mehr auf Ihren Ordener.«

»In der That warte ich auch nicht mehr auf ihn,« sagte der General ernst und kalt.

»Ich glaubte, wir seien allein,« sagte die Gräfin, die sich umgewendet hatte. »Wer ist …«

Ordener verbeugte sich.

»In der That,« fuhr sie fort … »ich habe ihn nur einmal gesehen … aber … ohne diese Kleidung … wäre er der Sohn des Vicekönigs?«

»Er ist es, gnädige Gräfin!« sagte Ordener und verbeugte sich zum zweitenmal.

Die Gräfin lächelte.

»Wenn es so ist, so erlauben Sie einer Dame, die Ihnen bald näher angehören wird, zu fragen, wohin Sie gestern gegangen sind, Herr Graf?«

»Herr Graf! Ich hoffe nicht, daß ich so unglücklich gewesen bin, bereits meinen Vater zu verlieren, Frau Gräfin!«

»Dieser Sinn liegt nicht in meiner Rede. Besser ist es, Graf zu werden durch den Gewinn einer Gattin, als durch den Verlust eines Vaters.«

»Das Eine taugt nicht viel mehr, als das Andere.«

Die Gräfin wurde, durch diese Antwort ein wenig in Verlegenheit gesetzt, war aber gewandt genug, um ihre scherzhafte Seite aufzufassen, und brach in ein lautes Lachen aus.

»Richtig,« rief sie aus, »man hat nicht gelogen, seine Bildung ist etwas wilder Art. Sie wird sich inzwischen mit den Geschenken der Damen vertraut machen, wenn Ulrike Ahlfeldt ihm die Kette des Elephantenordens um den Hals schlingen wird.«

»In der That, eine wirkliche Kette!« sagte Ordener.

»Wir werden noch erleben, General,« fuhr die Gräfin fort, deren Lachen etwas peinlich wurde, »daß Ihr unlenksamer Zögling auch seinen Rang als Oberst einer Dame nicht wird verdanken wollen.«

»Sie haben Recht, gnädige Gräfin,« erwiederte Ordener; »ein Mann, der ein Schwert an der Seite trägt, müßte sich schämen, seine Epauletten von einem Unterrock anzunehmen.«

Das Gesicht der Gräfin verfinsterte sich ganz und gar.

»Ho! Ho! Woher kommt denn der Herr Baron? Ist es denn wirklich wahr, daß Seine Ritterlichkeit nicht zu Munckholm gewesen ist?«

»Gnädige Gräfin, ich pflege nicht alle Fragen zu beantworten. Auf Wiedersehen, mein Vater!«

Er drückte dem General die Hand, verbeugte sich gegen die Gräfin und verließ das Zimmer.

XII.

Mit Einbruch der Nacht wanderten auf der engen und steinigen Straße von Drontheim nach Skongen, die bis zum Weiler Vygla längs dem Golf hinläuft, zwei Reisende. Beide waren in Mäntel gehüllt. Der eine ging festen Schrittes, aufrecht, mit erhobenem Haupt; unter seinem Mantel sah der unterste Theil eines Säbels hervor; eine Feder wehte auf seinem Haupt; der andere war etwas größer als sein Gefährte, aber mager und schmächtig: unter seinem Mantel ragte eine Art Höcker hervor, der von einem Schnappsack, den er darunter trug, herzurühren schien. Er hatte einen Knotenstock in der Hand, mit welchem er seinen schwankenden Gang unterstützte.

»Jetzt, junger gnädiger Herr,« sagte der Letztere, »befinden wir uns auf dem Punkt, von dem aus man den Thurm von Vygla und die Kirchthürme von Drontheim zugleich erblickt. Vor uns, am Horizont, jene schwarze Masse dort ist der Thurm, hinter uns liegt die Hauptkirche von Drontheim.« »Ist Vygla weit von Skongen, Meister Spiagudry?« fragte der Andere.

»Wir müssen zuvor noch Ordals passiren und werden Skongen nicht vor drei Uhr Morgens erreichen, gnädiger Herr!«

»Wie viel Uhr schlägt es eben?« fragte Ordener weiter.

»Mein Gott, Herr! Sie machen mich zittern! Ja, es ist die Glocke von Drontheim, deren Töne uns der Wind zuführt. Das kündigt ein Gewitter an. Der Hauch des Nordwestwinds führt die Wolken herbei.«

»In der That, die Sterne hinter uns sind verschwunden.«

»Lassen Sie uns den Schritt verdoppeln, mein edler Herr! Das Gewitter naht, und vielleicht hat man in der Stadt bereits die Verstümmelung Gill Stadts wahrgenommen, und weiß, daß ich entflohen bin. Vorwärts in Gottes Namen!«

»Gerne, alter Herr! Ihr scheint schwer zu tragen: gebt mir Euren Pack, ich bin jung und stark.«

»Nicht doch, edler Herr! Es ziemt dem Adler nicht, das Haus der Schildkröte zu tragen. Wer bin ich, daß Sie meinen Schnappsack tragen sollten!«

»Wenn er Euch aber zu schwer wird, alter Herr? Er scheint gewichtig. Was ist denn darin? Ihr seid eben gestolpert, es klingt ja wie Eisen.«

Spiagudry ging schnell vorwärts.

»Es klingt, gnädiger Herr! Nicht doch, Sie irren sich. Es ist nichts darin als Lebensmittel, Kleider … Oh! es ist gar nicht schwer.«

Der wohlwollende Vorschlag Ordeners schien Spiagudry einen bedeutenden Schrecken eingeflößt zu haben, den er zu verhehlen suchte.

»Nun,« sagte Ordener, der dies nicht wahrnahm, »wenn der Pack Euch nicht beschwerlich ist, so behaltet ihn.«

Spiagudry, obwohl dadurch beruhigt, beeilte sich doch, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen,

»O, wie traurig ist es,« sagte er seufzend, »in der Finsterniß der Nacht eine Straße als Flüchtling zu wandern, die man zur Tageszeit so angenehm als nützlich mit den Augen eines wissenschaftlichen Beobachters durchlaufen könnte! Links an den Ufern des Golfs findet man eine Menge Runensteine, auf denen man Buchstaben lesen kann, welche laut der Tradition Götter und Riesen hineingegraben haben. Rechts von uns hinter den Felsen, die den Weg begrenzen, breitet sich der salzige Sumpf von Skiold aus, der ohne Zweifel durch irgend einen unterirdischen Kanal mit dem Meer in Verbindung steht, weil man darin den See-Regenwurm antrifft, diese seltsame Fischgattung, welche, nach der von Ihrem unterthänigen Diener und Wegweiser gemachten Entdeckung, sich von Sand nährt. In dem Thurme von Vygla, dem wir uns jetzt nähern, hat der heidnische König Pharamund die Brüste der heiligen Etheldera, der glorreichen Märtyrerin, mit Holz vom wahren Kreuze Christi braten lassen. Inzwischen hat man, wie die Sage geht, vergebens versucht, diesen verfluchten Thurm in eine Kapelle zu verwandeln. Alle Kreuze, die man nach einander hineinsetzte, sind vom Feuer des Himmels verzehrt worden.«

In diesem Augenblick erhellte ein furchtbarer Blitz den Golf, die Hügel und Felder umher. Die Wanderer standen still. Ein heftiger Donnerschlag folgte, dessen Echo in den Bergen wiederhallte. Der Himmel war ganz umwölkt; der Wind trieb schwarze Wolken vor sich her. In den obern Regionen hörte man den Sturmwind brausen; er war noch nicht bis zur Erde herniedergestiegen. Sonst war die Nacht still und schweigsam. Kein Laut ließ rings umher sich hören.

Plötzlich ertönte durch diese stürmische Stille nahe bei den beiden Reisenden ein Brummen, wie von einem wilden Thier, das den Alten erbeben machte.

»Allmächtiger Gott!« rief er aus und faßte den Arm des jungen Mannes, »das ist das Lachen des Teufels in diesem Sturme, oder die Stimme des …«

Ein neuer Blitz, ein neuer Donnerschlag machten ihn verstummen. Das Gewitter brach jetzt mit Heftigkeit aus. Die beiden Wanderer hüllten sich dichter in ihre Mäntel.

»Alter Herr,« sagte Orden«, »ich habe im Blitzstrahle rechts von uns den Thurm von Vygla gesehen. Wir wollen dort eine Zuflucht suchen.«

»Eine Zuflucht in dem verfluchten Thurm!« rief Spiagudry voll Entsetzen aus. »Hilf Himmel! Dieser Thurm ist verlassen und unbewohnt.«

»Desto besser, dann wird uns Niemand an der Thüre warten lassen.«

»Bedenken Sie doch, welche entsetzliche That ihn entheiligt hat!«

»Nun, so wollen wir ihn durch unsere Gegenwart wieder heiligen. In einer solchen Nacht würde ich Gastfreundschaft in einer Räuberhöhle suchen. Vorwärts Alter!«

Ordener schlug, trotz Spiagudry’s Widerspruch, den Weg zum Thurme ein, den ihm die häufigen Blitze in geringer Entfernung zeigten. Als sie näher kamen, erblickten sie ein Licht in einer der Oeffnungen des Thurmes.

»Ihr seht,« sagte Ordener, »daß dieser Thurm nicht unbewohnt ist. Jetzt werdet Ihr ohne Zweifel beruhigt sein.«

»Mein Gott! Mein Gott! Wo führen Sie mich hin? Bewahre mich der Himmel, daß ich in diesen Tempel der höllischen Geister trete!«

Sie waren jetzt am Thurme angelangt, Ordener schlug mit Macht an die Thüre. »Seid ruhig, alter Herr,« sagte er scherzend, »es ist gewiß irgend ein frommer Einsiedler in diese Wohnung des Teufels eingezogen, um sie wieder zu heiligen.«

»Nein,« rief Spiagudry mit Entsetzen aus, »nein, ich gehe nicht hinein! Der heilige Eremit könnte hier nicht wohnen, wenn er nicht eine der sieben Ketten Beelzebubs als Rosenkranz hätte.«

Inzwischen war von Oeffnung zu Oeffnung ein Licht herabgestiegen, das man jetzt durch die Spalten der Thüre leuchten sah.

»Du kommst spät, Nychol!« rief eine heisere Stimme.

»Man schlägt den Galgen um die Mittagsstunde auf, und man braucht nur sechs Stunden, um von Skongen nach Vygla zu kommen. Hat es denn noch mehr zu thun gegeben?«

Ein Weib öffnete die Thüre. Als sie zwei fremde Gesichter erblickte, stieß sie einen Schrei des Schreckens und der Drohung aus, während sie drei Schritte zurückwich.

Das Weib war von hoher Statur und trug eine eiserne Lampe in der Hand. Ihr falbes Gesicht und ihre ausgetrocknete, eckige Figur hatten etwas Leichenartiges an sich. Sie blickte finster aus hohlen Augen. Sie trug von der Hüfte an einen Scharlachrock, der bis auf ihre nackten Füße hinabreichte. Ihre fleischlose Brust war mit einem Männerwamms von gleicher Farbe halb bedeckt, dessen Aermel am Ellenbogen abgeschnitten waren. Der durch die offene Thüre hereindringende Wind spielte mit ihren grauen Haaren, die durch ein Netz von Baumrinde festgehalten waren. Ihr Gesicht erhielt dadurch einen noch wilderen Ausdruck.

»Gutes Weib,« sagte Ordener, »der Regen fällt in Strömen, Ihr habt ein Dach und wir Geld.«

Spiagudry zog ihn am Mantel und flüsterte ihm zu: »Was sagen Sie denn da? Was reden Sie von Geld? Wenn das nicht die Wohnung des Teufels selbst ist, so ist es wenigstens die Höhle irgend eines Räubers. Unser Geld wird uns hier zum Verderben gereichen.«

»Ruhig, Alter!« erwiederte Ordener, zog seine Börse und klimperte damit in die Ohren der Thurmbewohnerin.

Die Hexe des Thurms blickte sie mit stieren Augen an und sprach in hohlem Tone: »Fremdlinge, haben Euch Eure Schutzgeister verlassen? Was sucht Ihr hier bei den verfluchten Bewohnern des verfluchten Thurmes? Fremdlinge! Menschen haben Euch den Weg zu diesem Thurme nicht gezeigt. Sie hätten Euch gesagt: Lieber unter dem Blitze des Himmels, als am Heerde des Thurmes von Vygla! Der einzige Lebende, der hier aus und eingeht, betritt keine Wohnung anderer Sterblichen, er verläßt die Einsamkeit nur, um vor der strömenden Menge auf öffentlichem Platze zu erscheinen, er lebt nur für den Tod. Die Flüche der Menschen folgen ihm, er dient nur ihrer Rache, im Verbrechen ist sein Dasein. Und der elendeste Verbrecher wälzt von sich die öffentliche Verachtung auf ihn ab, und fügt noch die seinige hinzu. Ihr seid Fremdlinge, Ihr müßt es sein, denn Euer Fuß steht ohne Schauder auf der Schwelle dieses Thurms. Stört nicht länger die Wölfin und ihre Jungen! Kehrt auf den Pfad zurück, auf dem die Kinder der Menschen wandeln, und wenn Ihr nicht wollt, daß Eure Brüder Euch fliehen, so sagt ihnen nicht, daß die Lampe des Vyglathurmes Eure Gesichter bestrahlt habe.«

Bei diesen Worten deutete die Thurmbewohnerin mit dem Finger auf die Thüre und trat auf die beiden Wanderer zu. Spiagudry zitterte an allen Gliedern. Ordener, der wegen der Geläufigkeit ihrer Zunge von den Reden der Alten wenig verstanden hatte, hielt sie für wahnsinnig und hatte übrigens keine Lust, sich dem Sturm, der noch eben so heftig raste, wieder auszusetzen.

»Ihr macht mich sehr begierig auf den seltsamen Bewohner dieses Thurmes, mein gutes Weib,« sagte er scherzend, »und ich will die Gelegenheit nicht verlieren, eine so anziehende Bekanntschaft zu machen.«

»Die Bekanntschaft mit ihm, junger Mensch, ist eben so schnell beendigt als gemacht. Wenn der böse Geist Euch dazu treibt, so ermordet einen Lebenden oder entweiht einen Todten.«

»Einen Todten entweihen!« rief Spiagudry mit zitternder Stimme und verbarg sich im Schatten seines Gefährten.

»Man müßte ein Narr sein,« sagte Ordener, »bei einem solchen Wetter die Reise fortzusetzen.«

»Und ein größerer Narr,« murmelte Spiagudry, »an einem solchen Orte Schutz zu suchen, das Wetter mag sein, wie es will.«

»Unglückseliger!« rief die Hexe. »Weiche von der Schwelle dessen, der keine andere Pforte öffnet, als die des Grabes!«

»Und wenn es offen stände,« erwiederte Ordener entschlossen. »Schließe die Thüre, Alte, denn der Wind weht kalt, und nimm dieses Gold! Ich führe ein Schwert an der Seite, das mir für mein Leben bürgt.«

»Was soll ich mit Eurem Golde?« fuhr die Thurmbewohnerin fort. »Werthvoll in Euern Händen, wird es in den meinigen zu Blei. Bleibt denn für Euer Gold! Es kann ein Obdach öffnen gegen die Stürme des Himmels, vor der Verachtung der Menschen schützt es nicht. Bleibt, Ihr bezahlt die Gastfreundschaft theurer, als man das Haupt eines Menschen bezahlt. Gebt mir Euer Gold und wartet hier eine Weile. Zum erstenmal tragen menschliche Hände Gold, das nicht mit menschlichem Blute befleckt ist, in dieses Haus.«

Die Alte stellte die Lampe auf den Boden, verriegelte die Thüre und verschwand unter dem Eingang einer finstern Treppe, die abwärts führte. Spiagudry rief alle Heiligen an und verwünschte die Unklugheit seines Gefährten. Ordener nahm das Licht und leuchtete in dem runden Zimmer herum, worin sie sich befanden. Als er sich der Mauer näherte, schauderte er zurück, und der Alte, der ihm gefolgt war, rief leichenblaß aus: »Großer Gott! Ein Galgen!«

In der That war ein großer Galgen an die Mauer gelehnt.

»Und hier,« fuhr Ordener fort, »Sägen, Ketten, Halsbänder, eiserne Zangen!«

»O, Herr im Himmel!« rief Spiagudry. »Wo sind wir?«

Ordener fuhr ruhig fort: »Hier ein hänfener Strick, dort Glühöfen und Kessel; hier Peitschen mit stählernen Spitzen, dort ein Beil und ein Schwert!«

»Das ist die Rüstkammer der Hölle!« sprach der zitternde Alte.

»Das sind freilich seltsame Gerätschaften! Ich bedaure meine Unklugheit, die Euch hiehergeführt hat, alter Herr!«

»Jetzt ist es zu spät!« sagte Spiagudry, der mehr todt als lebendig war.

»Nur ruhig, ich bin da und mein Schwert auch!«

»Das wird viel helfen!« murmelte der Alte zwischen den Zähnen.

Jetzt erschien die Thurmbewohnerin wieder und gab den Fremden ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie ging mit der Lampe voran, und sie stiegen eine enge Treppe hinauf. Sie kamen oben in ein rundes Zimmer, wie das untere war. In der Mitte desselben brannte ein großes Feuer, dessen Rauch durch eine Oeffnung in der Decke hinauszog. Ein Bratspieß mit noch frischem Fleisch drehte sich an dem Feuer, Spiagudry wendete sich mit Abscheu weg.

»An diesem abscheulichen Herde,« sagte er zu seinem Gefährten, »hat das Holz des wahren Kreuzes die Glieder einer Heiligen verzehrt.«

In einiger Entfernung vom Feuer stand ein plumper Tisch. Das Weib lud die Reisenden ein, Platz daran zu nehmen.

»Fremdlinge,« sagte sie, und setzte die Lampe vor sie hin, »das Nachtessen wird bald fertig sein, und mein Mann wird bald kommen, damit ihn nicht der Geist der Mitternacht, der um den verwünschten Thurm haust, durch die Lüfte davon führe.«

Jetzt, beim Scheine des Lichts, konnte Ordener erst sehen, wie seltsam sich der furchtsame Spiagudry verkleidet hatte, um sich unkenntlich zu machen. Er hatte seine Kleider von Rennthierfell gegen eine ganz schwarze Kleidung vertauscht, die er im Spladgest von einem berühmten Grammatiker aus Drontheim ererbt hatte, welcher sich aus Verzweiflung darüber ersäufte, daß er den Grund nicht auffinden konnte, warum Jupiter im Genitiv mit Jovis declinirt wird. Seine Holzschuhe hatte er gegen ein paar weite Postillonsstiefel vertauscht, die ein Postknecht, den seine Pferde geschleift hatten, im Spladgest zurückließ. Er hätte darin keinen Schritt thun können, wenn sie nicht mit einem halben Bund Heu ausgestopft gewesen wären. Auf seinem Haupt trug er eine große Perrücke, von einem reisenden Franzosen ererbt, der in der Nähe von Drontheim ermordet worden war. Eines seiner Augen war mit einem Pflaster bedeckt, und das Gesicht hatte er sich mit einer Schminke bestrichen, die er von einer alten Jungfer an sich gebracht hatte, welche aus Liebe gestorben war. Ehe er sich setzte, nahm er das Paket, das er aus seinem Rücken trug, sorgfältig unter sich, wickelte sich in seinen alten Mantel, und seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Braten gerichtet, den die alte Hexe am Spieß hatte, und auf den er von Zeit zu Zeit Blicke voll unruhigen Entsetzens warf. Sein zahnloser Mund murmelte von Zeit zu Zeit: »Menschenfleisch! … Horrendas epulas!… Anthropophagen! … Gastmahl des Moloch! … Noe pueros coram populo Medea trucidet! … Wo sind wir? … Druide! … Irmensäule! …«

Endlich rief er aus: »Gott sei Lob und Dank! Ich sehe einen Schwanz.«

Ordener, der aufmerksam auf ihn gewesen war, hatte den Gang seiner Gedanken ungefähr errathen und sagte lächelnd: »Das ist nicht sehr beruhigend. Es ist vielleicht das Hintertheil eines Teufels.«

Spiagudry überhörte diesen Scherz, denn seine Blicke starrten auf den Hintergrund des Zimmers. Er schauderte zusammen und flüsterte in Ordeners Ohr: »Herr, sehen Sie dort hin, auf dem Stroh da hinten … im Schatten …«

»Nun, was denn?«

»Drei nackte und unbewegliche Körper, drei Leichname von Kindern! …«

»Man klopft an die Thüre des Thurmes,« sagte die Alte.

In der That folgten mehrere heftige Schläge hintereinander, die das Toben des Sturms übertönten.

»Das ist endlich Nychol!« sagte die Thurmbewohnerin, nahm die Lampe und stieg eilends die Treppe hinab.

Bald hörte man in dem unteren Zimmer ein verwirrtes Geräusch von Stimmen, unter welchen man endlich folgende Worte unterschied, die in einem Tone ausgesprochen wurden, der schauderhaft in Spiagudry’s Ohr klang: »Weib,« sagte die Stimme, »schweig! Wir bleiben. Der Sturm fährt in das Haus, ohne daß man ihm die Pforte öffnet.«

Spiagudry drängte sich an Ordener und sagte kläglich: »Wehe uns, o, Herr, Wehe uns!«

Schritte ertönten auf der Treppe, und zwei Männer in geistlicher Kleidung traten ein. Die Thurmbewohnerin folgte ihnen. Der eine dieser Männer war ziemlich groß und trug die schwarze Kleidung der lutherischen Geistlichen; der andere, von kleiner Gestalt, hatte eine Einsiedlerskutte an, die mit einem Strick um den Leib befestigt war. Die vorgezogene Kapuze ließ von seinem Gesicht nichts erblicken, als seinen langen schwarzen Bart, und seine Hände waren von den langen Aermeln seiner Kutte ganz bedeckt.

Beim Anblick dieser beiden friedlichen Personen legte sich der Schrecken, den die sonderbare Stimme der einen von ihnen Spiagudry eingeflößt hatte.

»Seid unbesorgt, gutes Weib,« sagte der Geistliche zu der Thurmbewohnerin, »die Diener des Herrn dienen selbst ihren Feinden; sollten sie denen schaden wollen, die ihnen dienstlich sind? Wir verlangen nur ein Obdach. Wenn der ehrwürdige Vater, der mich begleitet, eben hart mit Euch gesprochen hat, so hatte er Unrecht, jene Ermäßigung der Stimme aus der Acht zu lassen, welche unser Gelübde vorschreibt. Aber selbst die Heiligsten sind Menschen und Sünder. Ich war verirrt aus der Straße von Skongen nach Drontheim, ohne Führer in der Nacht, ohne Zuflucht im Sturm. Dieser ehrwürdige Vater hat mir den Weg zu Eurer Wohnung gezeigt. Er hat mir Eure Gastfreundschaft gerühmt, und ich hoffe mich darin nicht getäuscht zu sehen. Nehmt uns wohlwollend auf, dann wird der Herr Eure Ernten vor Hagel bewahren, Euern Heerden im Sturm eine Zuflucht gewähren, wie Ihr sie verirrten Wanderern gewährt habt.«

»Alter Mann,« unterbrach ihn die Thurmbewohnerin, »ich besitze keinen Fleck Erde, auf dem ich säen und ernten könnte, und nicht den Raum für eine einzige Ziege.«

»Wenn Ihr arm seid, so wisset, das Gott den Armen vor dem Reichen segnet. Ihr werdet alt werden mit Eurem Manne und geachtet, nicht um Eurer irdischen Güter, sondern um Eurer Tugenden willen. Eure Kinder werden aufwachsen, umgeben von der Achtung der Menschen, und sie werden sein, was ihr Vater war…«

»Schweige, alter Mann! Ja, unsere Kinder werden bleiben, was wir sind, die Verachtung der Menschen wird ihnen folgen, wie uns, von Geschlecht zu Geschlecht. Schweige, alter Mann! Uns wird der Segen zum Fluche.«

»Allmächtiger Gott!« rief der Geistliche aus. »Wer seid Ihr denn? In welchen Verbrechen bringt Ihr Euer Leben hin?«

»Was nennt Ihr Verbrechen, was Tugend? Wir besitzen hier ein Vorrecht vor allen Menschen: wir können keine Tugenden üben, wir können keine Verbrechen begehen.«

»Dieses Weib ist wahnsinnig,« sagte der Geistliche zu dem kleinen Eremiten, der seine Kutte an dem Feuer trocknete.

»Nein, Priester!« versetzte die Thurmbewohnerin. »Du aber weißt nicht, wo Du bist. Ich will lieber Abscheu einflößen, als Mitleid. Ich bin nicht wahnwitzig, sondern das Weib des …«

Ein heftiger Schlag an die Hausthüre hinderte das Uebrige zu hören, zum großen Verdrusse Spiagudry’s und Ordeners, welche diesem Zwiegespräch aufmerksam zugehört hatten.

»Verflucht sei,« murmelte das Weib zwischen den Zähnen, »der Oberrichter von Skongen, der uns diesen so nahe an der Straße gelegenen Thurm zur Wohnung angewiesen hat! Vielleicht ist es abermals nicht Nychol.«

Sie nahm ihre Lampe und fügte hinzu: »Gleichviel, ob es abermals ein Reisender ist! Nach der Überschwemmung des Stroms mag auch das Bächlein sein Wasser ergießen.«

Die vier Wanderer betrachteten einander beim Scheine des Feuers. Spiagudry, den die Stimme des Eremiten anfangs erschreckt, dann sein schwarzer Bart wieder beruhigt hatte, würde vielleicht abermals gezittert haben, wenn er gesehen hätte, welche stechende Blicke der Einsiedler unter seiner Kapuze hervor auf ihn warf.

Nach einer Pause warf der Geistliche eine Frage hin: »Bruder Eremit, Ihr seid wahrscheinlich einer der katholischen Priester, welche der letzten Verfolgung entgangen sind, und wäret auf dem Wege nach Eurer Zufluchtsstätte, als ich Euch zu meinem Glücke begegnete. Könnt Ihr mir sagen, wo wir uns befinden?«

Die Thüre öffnete sich rasch, bevor noch der Einsiedler Zeit zur Antwort gefunden hatte.

Ein Mann von riesenmäßigem Wuchse, roth gekleidet, trat ein.

»Weib,« sagte er, »wenn ein Ungewitter kommt, fehlt es nicht an Leuten, die sich an unserem verfluchten Tische niedersetzen und sich unter unserem verwünschten Dache bergen.«

»Nychol,« erwiederte das Weib, »ich konnte nicht hindern …«

»Nun, willkommen sind die Gäste, welche bezahlen! Das Geld ist eben so gut verdient, wenn man einem Reisenden Obdach und Nahrung gibt, als wenn man einem Diebe den Strick um den Hals schnürt.«

Als Benignus Spiagudry den rothgekleideten Mann erblickte, stieß er einen Schrei des Entsetzens aus. Der Geistliche wendete mit Staunen und Abscheu sein Haupt weg.

Der Herr des Hauses, der ihn erkannt hatte, redete ihn an: »Wie kommt Ihr hieher, Herr Pfarrer? Ich glaubte in der That nicht, daß ich heute noch einmal das Vergnügen haben würde, Eure erschrockene Miene und Euer salbungsvolles Gesicht zu sehen.«

Der Geistliche unterdrückte seine erste Regung von Widerwillen. Seine Züge wurden ernst und heiter.

»Und ich, mein Sohn,« sagte er, »ich danke der Vorsehung, die den Hirten zu dem verirrten Lamme geführt hat, damit, so wird es der Herr wollen, das Lamm zu dem Hirten komme.«

»Ha! ha! Bei Hamans Galgen,« rief der Andere mit lautem Gelächter aus, »das ist das Erstemal, daß ich mich mit einem Lamme vergleichen höre. Hört, geistlicher Herr, wenn Ihr dem Geyer schmeicheln wollt, so müßt Ihr ihn nicht Taube nennen.«

»Derjenige, mein Sohn, durch den der Geyer zur Taube wird, tröstet und schmeichelt nicht. Du glaubst, ich fürchte Dich, ich beklage Dich nur.«

»Ihr müßt in der That einen guten Vorrath von Mitleid besitzen, daß Ihr es heute bei diesem armen Teufel nicht ganz erschöpft habt, dem Ihr Euer Kreuz vorhieltet, damit er meinen Galgen nicht sehen sollte.«

»Dieser Unglückliche war weniger bedauernswerth, als Du, denn er weinte und Du lachtest. Glücklich, wer in dem Augenblicke, wo er sein Verbrechen büßt, erkennt, wie viel mächtiger Gottes Wort ist, als der Arm der Menschen!«

»Wohl gesprochen, mein Vater in Christo. Glücklich, wer weint! Unser Mann von heute hatte übrigens kein anderes Verbrechen begangen, als daß er seinen König so sehr liebte, daß er nicht umhin konnte, das Bildniß Seiner Majestät auf kleine Kupferstücke zu graben, die er alsdann künstlich versilberte, um sie des königlichen Angesichts desto würdiger zu machen. Unser gnadenreicher Souverän ist aber auch dafür erkenntlich gewesen und hat ihm zur Belohnung einer so großen Anhänglichkeit an seine erhabene Person ein schönes hänfenes Band verliehen, welches ihm heut auf dem Marktplatze von Skongen durch mich, Großkanzler des Galgenordens, unter dem Beistande des hier gegenwärtigen Großalmoseniers gedachten Ordens, öffentlich umgehängt worden ist.«

»Halt ein, Unglücklicher!« unterbrach ihn der Priester. »Wie kann der Arm der Gerechtigkeit vergessen, daß das Laster gestraft wird! Hörst Du den Donner?«

»Was ist der Donner? Satans Gelächter.«

»Großer Gott! Er kommt eben von einer Hinrichtung und lästert Gott!«

»Stille, alter Narr!« rief der Henker zornig aus. »Stille, sonst möchtest Du vielleicht dem Engel der Finsterniß fluchen, der uns in zwölf Stunden zweimal auf dem nämlichen Karren und unter dem nämlichen Dache zusammengeführt hat! Ahme das Beispiel Deines Amtsgenossen, des Eremiten nach; er schweigt, weil er in seine Grotte zu Lynraß zurückkehren möchte. Ich danke Euch, Bruder Eremit, für den Segen, den Ihr jeden Morgen, wenn Ihr über den Hügel geht, dem verfluchten Thurme ertheilt; es hat mir aber von ferne geschienen, als ob Ihr größer seid, und Euer schwarzer Bart kam mir weißer vor. Ihr seid ja doch der Einsiedler zu Lynrah, denn es gibt in ganz Drontheimhus keinen andern?«

»Ich bin in der That der einzige,« erwiederte der Eremit in dumpfem Tone.

»Wir sind also die beiden Einsiedler der Provinz. Holla! Weib, mache, daß dieser Lammbraten fertig wird, denn ich habe Hunger. Ich bin zu Burlock von diesem verfluchten Doktor Manryll aufgehalten worden, der mir für den Leichnam nur zwölf Pfennige geben wollte, während man dem höllischen Wächter des Spladgest vierzig bezahlt.«

»Was ist Euch denn, alter Perrückenstock?« rief der Henker Spiagudry zu, der an allen Gliedern zitterte. »Steht fest auf den Beinen, wenn Ihr nicht fallen wollt! – Weib, bist Du mit dem Skelett des Vergifters Ogivius fertig? Er muß fort in das Kabinet zu Bergen. Hast Du einen Deiner kleinen Frischlinge an den Syndikus zu Loewig abgeschickt, um zu fordern, was er mir schuldig ist? Vier harte Thaler für die Tortur einer Hexe und zweier Alchimisten, zwanzig Pfennige, daß ich den Strick eines Selbstmörders abgeschnitten, und einen Thaler für einen neuen Arm an den Galgen.«

»Das Geld ist noch in den Händen des Syndikus, weil Dein Bube den hölzernen Löffel vergessen hatte, um es in Empfang zu nehmen, denn Niemand, auch die Amtsknechte nicht, wollte sich dazu verstehen, es ihm in seine eigene Hand zu legen.«

Der Scharfrichter runzelte die Stirne: »Möge ihr Hals in meine Hände fallen, dann will ich sie mit etwas Anderem berühren, als mit einem hölzernen Löffel! – Höre, Weib, laß doch Deine Jungen nicht mit meinen Zangen spielen, sie haben alle meine Instrumente in Unordnung gebracht.«

»Wo sind sie, die jungen Wölfe?« fügte er hinzu und trat an das Strohlager, auf welchem Spiagudry drei Leichname ausgestreckt glaubte. »Da liegen sie ja und schlafen!«

Der arme Spiagudry war seit dem Eintreten des Scharfrichters, den er sogleich erkannt hatte, voll Entsetzen. Jetzt neigte er sich zu Ordeners Ohr und sagte mit fast unhörbarer Stimme: »Es ist Nychol Orugir, Scharfrichter des Drontheimhus!«

Inzwischen hatte das Weib den Lammbraten in einer großen irdenen Schüssel aufgetragen. Der Scharfrichter setzte sich zwischen die zwei Geistlichen, Ordener und Spiagudry gegenüber.

»Nun, ehrwürdiger Vater,« sagte Orugir lachend, »das Lamm bietet Euch Schöpsbraten an. Und ihr, Herr Perrückenstock, hat der Wind Eure Perrücke Euch so über das Gesicht geweht?«

»Der Wind … Herr … das Gewitter …« stotterte der zitternde Spiagudry.

»Nur Muth gefaßt, mein Alter! Ihr seht ja, daß die Herren Pfaffen und ich gute Teufel sind. Sagt mir einmal, wer Ihr seid, und wer ist der schweigsame junge Mensch, Euer Begleiter? Thut einmal das Maul auf! Wir wollen Bekanntschaft mit einander machen. Wenn Eure Reden Eurem Ansehen entsprechen, so müßt Ihr sehr unterhaltend sein.«

»Der Herr beliebt zu spassen …« erwiederte Spiagudry und bemühte sich vergebens, ein Lächeln hervorzubringen, »ich bin nur ein armer alter Mann …«

»Irgend ein alter Gelehrter, ein alter Hexenmeister …« unterbrach ihn der lustige Henker.

»Gelehrt, ja! Hexenmeister, nein! Das könnt Ihr mir glauben, Herr!«

»Desto schlimmer. Ein Hexenmeister würde unserem lustigen Sanhedrin wohl anstehen. Ihr Herren Gäste, laßt uns unser Mahl mit diesem Bier würzen! Vielleicht wird dann unser alter Gelehrter redseliger. Auf die Gesundheit des heute Gehenkten, Bruder Pfarrer! Wie, Bruder Eremit, Ihr verschmäht mein Bier?«

Der Eremit hatte unter seiner Kutte eine Feldflasche mit einem sehr hellen Wasser hervorgezogen, womit er sein Glas anfüllte.

»Höllenteufel! Einsiedler von Lynraß,« rief der Henker aus, »wenn Ihr nicht von meinem Bier trinkt, so trinke ich von dem Wasser, das Ihr ihm vorzieht.«

»Trinke!« sagte der Eremit.

»Zieht zuerst Eure Handschuhe aus, ehrwürdiger Herr: man schenkt nicht anders als mit bloßer Hand zu trinken ein.«

Der Einsiedler machte ein verneinendes Zeichen.

»Es ist ein Gelübde,« sagte er.

»So schenkt ein,« versetzte der Henker.

Kaum hatte Orugix sein Glas an den Mund gebracht, so stieß er es rasch wieder von sich, während der Eremit das seinige mit einem Zuge leerte.

»Beim heiligen Kelche des Abendmahls, hochwürdiger Bruder, was habt Ihr da für ein höllisches Getränke? Ich habe noch nie ein ähnliches getrunken, seit dem Tage, wo ich auf der Reise von Kopenhagen nach Drontheim beinahe ertrunken wäre. Das ist kein Wasser aus der Quelle des Lynraß, sondern Seewasser.«

»Seewasser!« stammelte Spiagudry mit einem Entsetzen, das der Anblick des Handschuhes des Eremiten noch vermehrte.

»Alter Absalon,« sagte der Henker lachend, »Alles setzt Euch ja hier in Schrecken, bis auf das Seewasser hinaus, das ein heiliger Waldbruder trinkt, seinen Leib zu kasteien?«

»Seewasser! … Herr … Seewasser! … Es gibt nur einen einzigen Menschen …«

»Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht. Euer Schrecken kommt von einem bösen Gewissen oder aus Verachtung …«

Diese in einem empfindlichen Tone ausgestoßenen Worte ließen den armen Spiagudry die Nothwendigkeit erkennen, sein Entsetzen zu verhehlen. Um nun seinen gefürchteten Wirth zu ergötzen, bot er das Bischen Geistesgegenwart, das ihm noch übrig geblieben war, zur Unterstützung seines unermeßlichen Gedächtnisses auf.

»Verachtung, Herr!« sagte er. »Ich sollte Euch verachten!

Euch, dessen Anwesenheit in einer Provinz derselben das merum imperium oder Blutrecht ertheilt! Euch, den Nachrichter, den Vollzieher der öffentlichen Gerechtigkeit, das Schwert der Justiz, den Schild der Unschuld! Euch, den Aristoteles unter die Magistratspersonen zählt, und dessen Gehalt das Paris von Puteo auf fünf Goldgulden festsetzt, wie aus folgender Stelle erhellt: Quinque aureos manivolto! Euch, dessen Amtsbrüder zu Kronstadt den Adel erlangen, nachdem sie dreihundert Köpfe abgeschlagen haben! Euch, dessen furchtbare, aber ehrenwerthe Amtsgeschäfte in Franken von dem jüngsten Ehemann, zu Reutlingen von dem jüngsten Gemeinderath, zu Stedien von dem jüngsten Bürger verrichtet werden! Wie, sollte ich Euch nicht tief verehren, da der Abt von Saint-Germain-des-Pres Euch jedes Jahr am St. Vincentiustage einen Schweinskopf verabreicht und Euch an der Spitze seiner Prozession gehen läßt! …«

Hier wurde der Strom seiner Gelehrsamkeit von dem Scharfrichter plötzlich unterbrochen.

»Das ist das erste Wort, das ich davon erfahre,« rief er aus. »Der hochwürdige Abt, von dem Ihr da redet, hat mich bis jetzt um dieses Recht schändlich betrogen. Ihr Herren,« fuhr er fort, »ich will mich nicht weiter mit den Tollheiten dieses alten Narren einlassen, sondern Euch nur kurz sagen, daß allerdings meine Laufbahn gänzlich verfehlt ist. Ich bin heute noch nur der arme Scharfrichter einer armen Provinz. Und ich hätte eine eben so glänzende Laufbahn zurücklegen können, als Stillison Dickoy, der berühmte Nachrichter von Moskau! Könnt Ihr’s glauben? ich war es, den man vor vierundzwanzig Jahren mit Schuhmachers Hinrichtung beauftragt hatte.«

»Schuhmachers, Grafen von Greiffenfeld?« rief Ordener aus.

»Das wundert Euch, mein stummer Herr! Ja, des nämlichen Schuhmacher, den ein sonderbarer Zufall abermals in den Bereich meines Armes bringen würde, im Fall es dem König gefiele, den Aufschub der Hinrichtung aufzuheben. Ich will Euch erzählen, ihr Herren, wie es kommt, daß ich so erbärmlich ende, nachdem ich so glänzend begonnen hatte.«

»Ich war im Jahre 1676 Knecht von Rhum Stuald, königlichem Nachrichter zu Kopenhagen.

»Bei des Grafen von Greiffenfeld Verurteilung wurde ich, weil mein Herr krank war, Dank meinen Protektionen, auserlesen, diese ehrenvolle Hinrichtung zu vollziehen. Am 5. Juni, ich werde diesen Tag nie vergessen, schlugen wir von 5 Uhr Morgens an ein schwarz behängtes Schaffot auf. Um acht Uhr umgab die Noblegarde das Gerüst, und die Uhlanen von Schleswig hielten die Menge zurück, welche sich auf dem Platze drängte. Ich war selig! Aufrecht, das Schwert in der Hand, harrte ich auf der Estrade. Alle Augen waren auf mich gerichtet. In diesem Augenblicke war ich die wichtigste Person in beiden Königreichen. Dein Glück, dachte ich, ist gemacht, denn was vermögen ohne dich und dein Schwert alle die großen Herren, die sich zum Untergang des Kanzlers verschworen haben? Ich erblickte mich im Geiste schon als königlichen Nachrichter der Hauptstadt, ich hatte Knechte, Privilegien… Hört nun weiter! Die Glocke des Fort schlägt zehn Uhr. Der Verurtheilte verläßt den Kerker, geht durch die Menge, besteigt mit festem Tritt und ruhigem Angesicht das Blutgerüste, Ich will ihm die Haare hinaufknüpfen; er stößt mich zurück und thut es selbst. »Ich bin schon lange gewohnt,« sagte er lächelnd zu dem Pfarrer von St. Andreas, »mir die Haare selbst zu machen.«

»Ich biete ihm die schwarze Binde an, er weist sie unwillig, doch ohne mir Verachtung zu zeigen, zurück. »Freund,« sagte er zu mir, »das ist vielleicht das erste Mal, daß die beiden Endpunkte der richterlichen Ordnung, der Großkanzler und der Scharfrichter, auf dem engen Räume eines Blutgerüstes zusammentreffen.«

»Diese Worte sind in mein Gedächtniß gegraben geblieben. Er nahm auch das schwarze Kissen nicht an, das ich unter seine Kniee legen wollte; er umarmte den Geistlichen und kniete nieder, nachdem er mit lauter Stimme gerufen hatte, er sterbe unschuldig.

»Jetzt zertrümmerte ich mit einer Keule sein Wappenschild, indem ich, wie es gebräuchlich ist, rief: »Solches geschieht mit Fug und Recht!« Das erschütterte seine Festigkeit; er erblaßte, doch faßte er sich gleich wieder und sagte: » Der König hat es mir gegeben, der König kann es wieder nehmen!«

Ruhig legte er sein Haupt aus den Block, ich hob das Schwert. In diesem Augenblicke ertönte es in meinen Ohren: » Gnade! Im Namen des Königs! Gnade!«

Ich wende mich um und sehe einen Adjutanten dem Schaffot zusprengen, den Gnadenbrief hoch in der Hand schwingend.

Der Graf erhob sich ruhig. Man reichte ihm den Gnadenbrief: »Gerechter Gott!« rief er aus. »Ewige Gefangenschaft! Ihre Begnadigung ist härter als der Tod.«

Er steigt herab, niedergeschlagener als er hinaufgestiegen war. Mir war das gleichviel. Ich konnte nicht ahnen, daß das Glück dieses Menschen mein Unglück werden sollte. Nachdem das Schaffot abgetragen war, kehrte ich zu meinem Herrn zurück, noch voll Hoffnung, und nur etwas ärgerlich, daß ich um den Goldgulden gekommen war, der für einen abgeschlagenen Kopf bezahlt wird. Das war aber nicht Alles. Am andern Morgen bekomme ich den Bestallungsbrief als Nachrichter von Drontheimhus, mit dem Befehl, sogleich abzureisen. Scharfrichter in der Provinz, und zwar in der schlechtesten Provinz Norwegens! Wißt Ihr, wie das zuging, ihr Herren? Die Feinde des Grafen hatten, um sich ein Ansehen von Milde zu geben, Alles so eingerichtet, daß die Begnadigung einen Augenblick nach der Hinrichtung eintreffen sollte. Eine Minute machte hier Alles aus, und nun schob man die Schuld auf meine Langsamkeit, als ob es anständig gewesen wäre, einen vornehmen Herrn sich nicht noch einige Sekunden vor seinem letzten Augenblick erfreuen zu lassen! Als ob ein königlicher Nachrichter, der einen Großkanzler enthauptet, dies nicht mit mehr Anstand und Würde verrichten müßte, als der Henker einer Provinz, der einen schäbigen Juden aufknüpft! Dazu kam noch Bosheit. Ich hatte einen Bruder, der, glaube ich, noch lebt. Er hatte einen andern Namen angenommen und sich in dem Hause des neuen Großkanzlers, Grafen von Ahlfeldt, einzunisten gewußt. Diesem Elenden war meine Anwesenheit in Kopenhagen zuwider. Mein Bruder haßt und verachtet mich; er hat vielleicht eine Ahnung, daß ich der Henker sein werde, der ihn eines Tages hängt.«

Hier hielt der Redner einen Augenblick inne und fuhr dann lachend fort: »Ihr seht, meine lieben Gäste, daß ich mich in mein Schicksal gefügt habe. Zum Teufel mit dem Ehrgeiz! Ich treibe hier ehrbar mein Handwerk. Ich verkaufe meine Leichname, oder macht mein Weib Skelette daraus, die ich an anatomische Kabinette verwerthe. Ich lache über Alles, selbst über dieses arme Weibsbild, die sonst als Zigeunerin herumzog und jetzt in der Einsamkeit toll geworden ist. Meine drei Erben wachsen auf in der Furcht des Teufels und des Galgens. Mein Name ist der Schrecken der kleinen Kinder in der ganzen Provinz Drontheimhus. Die Schöppen liefern mir einen Karren und rothe Kleider. Der verfluchte Thurm schützt mich so gut gegen den Regen, als den Bischof sein Palast. Die alten Pfarrer, die ein Obdach bei mir suchen, predigen mir, und die Gelehrten orgeln mir etwas vor. Summa Summarum: Ich bin so glücklich, als irgend ein Anderer, ich esse und trinke, ich köpfe und hänge, ich wache und schlafe.«

»Er tödtet und schläft, der Unselige!« murmelte der Geistliche.

»Wie glücklich ist dieser Elende!« rief der Eremit aus.

»Ja, Bruder Eremit,« sagte der Henker, »elend wie Du, aber gewiß glücklicher. Das Handwerk wäre gut, aber es gibt Leute, die einem armen fleißigen Mann das Brod vor dem Maul wegschnappen. Da hat erst der neue Almosenier von Drontheim bei Gelegenheit ich weiß nicht welcher hohen Hochzeit um Begnadigung von zwölf Verbrechern angesucht, die mir verfallen sind …«

»Die Euch verfallen sind!« rief der Geistliche aus.

»Allerdings, geistlicher Herr! Sieben davon sollen ausgepeitscht, zwei auf dem linken Backen gebrandmarkt und drei gehängt werden, das macht, wohl gezählt, ihrer zwölf, und das sind zwölf Thaler und dreißig Pfennige, die ich verliere, wenn die Begnadigung erfolgt. So verfügt dieser Priester über mein Eigenthum! Dieser verfluchte Pfaffe heißt Athanasius Munder. Ha! Wenn ich ihn hätte …«

Der Geistliche erhob sich und sagte ruhig: »Ich, mein Sohn, bin dieser Athanasius Munder.«

Bei diesem Namen flammte des Henkers Gesicht vor Zorn, er stand rasch auf. Sein zorniges Auge fiel auf das ruhige und wohlwollende Gesicht des Geistlichen, dann setzte er sich langsam, stumm und verwirrt wieder auf seinen Sitz.

Es trat eine augenblickliche Stille ein. Ordener, der sich erhoben hatte, um den Priester zu vertheidigen, brach sie zuerst.

»Nychol Orugix,« sagte er, »hier sind dreizehn Thaler, um Euch für die Begnadigung der Verurtheilten zu entschädigen.«

»Wer weiß,« unterbrach ihn der Geistliche, »ob ich diese Begnadigung erlangen werde? Ich möchte gerne mit dem Sohn des Vicekönigs selbst sprechen, denn die Begnadigung hängt von seiner Vermählung mit der Tochter des Großkanzlers ab.«

»Herr Pfarrer,« versetzte Ordener in zuversichtlichem Tone, »Sie werden diese Begnadigung erlangen. Ordener Guldenlew wird den Brautring nicht wechseln, bis die Ketten Ihrer Schutzbefohlenen gebrochen sind.«

»Junger Fremdling, dazu können Sie nichts beitragen, aber der Herr hat Ihre guten Wünsche vernommen und wird Sie dafür belohnen.«

Die dreizehn Thaler hatten den guten Nychol Orugix gänzlich umgewandelt. Seine fröhliche Laune war zurückgekehrt,

»Ihr seid ein wackerer Mann, verehrtester Herr Almosenier,« sagte er, »und ich habe mehr Schlimmes über Euch gesagt, als ich selbst dachte. Ihr geht schnurgerade aus Eurem Pfade fort, und es ist nicht Eure Schuld, wenn er den meinigen durchkreuzt. Aber wem ich nicht wohl will, das ist der Wächter im Todtenhause zu Drontheim, dieser alte Hexenmeister … Wie heißt er doch? … Spliugry? … Spadugry? … Sagt mir doch, alter Herr Doktor, der Ihr ein Babel von Wissenschaft seid, und dem nichts verborgen ist, könnt Ihr mir den Namen dieses Hexenmeisters, Eures Collegen, nicht mittheilen? … Ihr habt ihm doch wohl manchmal an einem Sabbat auf einem Besen in der Luft begegnen müssen.«

Der arme Benignus Spiagudry wäre in diesem Augenblicke gerne auf einem Besen durch die Lüfte davongefahren, wenn er auf diesem Wege aus dem verfluchten Thurm hätte entrinnen können. Er zitterte wie Espenlaub, und seine Zunge war so schwer, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte.

»Nun,« fuhr Orugix fort, »wißt Ihr den Namen dieses verdammten Wächters des Spladgest? Macht Euch Eure Perrücke taub?«

»Ein wenig, Herr … Aber,« stotterte er nach einer Pause, »ich weiß diesen Namen nicht, das schwöre ich Euch,«

»Er weiß ihn nicht,« sagte des Einsiedlers gefürchtete Stimme. »Er thut nicht wohl, darauf zu schwören. Dieser Mensch heißt Benignus Spiagudry.«

»Ich! Ich! Großer Gott!« rief der Alte schreckenvoll aus.

Der Henker schüttete sich aus vor Lachen: »Wer spricht denn von Euch? Wir reden von diesem heidnischen Wächter des Spladgest. Dieser Schulmeister da geräth doch über Alles in Angst. Wie wäre es erst, wenn er eine gegründete Ursache dazu hätte? Es müßte ein Spaß sein, diesen alten Narren zu hängen. Also, verehrtester Doktor,« fügte Orugix hinzu, den die Angst Spiagudry’s belustigte, »also kennt Ihr diesen Benignus Spiagudry nicht?«

»Nein, Herr, ich kenne ihn nicht, das versichere ich Euch,« antwortete er, etwas beruhigt durch sein Incognito. »Und da er das Unglück hat, Euch zu mißfallen, so möchte ich in der That diesen Menschen gar nicht kennen.«

»Aber Ihr, Meister Einsiedler, Ihr scheint ihn zu kennen?«

»Allerdings, es ist ein alter, langer, dürrer, ausgetrockneter Mensch mit einem Kahlkopf …«

Spiagudry zog hastig seine Perrücke über die Stirne.

»Er hat Finger, so lang wie die eines Diebs, der seit acht Tagen keinem Reisenden begegnet ist, sein Rücken ist gekrümmt …«

Spiagudry setzte sich so aufrecht, als ihm möglich war.

»Man könnte ihn für einen der Leichname halten, die er bewacht, wenn er nicht so stechende Augen hätte …«

Spiagudry hielt die Hand vor das Auge, das nicht mit Pflaster bedeckt war.

»Schönen Dank, Vater, ich werde nun diesen alten Juden erkennen, wo ich ihn auch finde …«

Spiagudry, der ein sehr guter Christ war, konnte, durch diese Schmähung empört, einen Ausruf nicht unterdrücken: »Jude! … Herr! … Jude!«

Er hielt plötzlich inne, als ob er bereits zu viel gesagt hätte.

»Jude oder Heide, das ist einerlei, wenn er im Bunde mit dem Teufel steht, wie es heißt!«

»Das würde ich auch glauben,« fuhr der Eremit mit einem sardonischen Lächeln fort, das seine Kapuze nicht ganz verbarg, »wenn er keine so feige Memme wäre. Aber wie sollte er den Anblick des Teufels ertragen können? Er ist eben so feig als boshaft. Wenn ihn die Furcht ergreift, kennt er sich nicht mehr.«

»Ein boshafter Mensch sollte nicht feig sein,« sagte Orugix. »Gegen eine Schlange muß man kämpfen, eine Eidechse tritt man mit dem Fuße nieder.«

Spiagudry wagte einige Worte zu seiner Vertheidigung: »Aber, Ihr Herren, wißt Ihr auch gewiß, daß der Beamte, von dem Ihr sprecht, so beschaffen ist, wie Ihr ihn schildert? Steht er denn in einem Rufe …«

»In dem schlimmsten Ruf in der ganzen Provinz,« erwiederte der Einsiedler.

Benignus, auf dieser Seite geschlagen, wendete sich dem Scharfrichter zu: »Herr und Meister, welches Unrecht habt Ihr ihm denn vorzuwerfen, denn ich zweifle nicht, daß Euer Haß gegen ihn gerecht sei?«

»Und Ihr thut wohl daran. Da sein Gewerbe dem meinigen gleicht, thut er Alles, was er vermag, mir zu schaden.«

»O Herr, glaubt das nicht! Oder wenn dem so ist, so kommt es bloß daher, daß dieser Mann Euch nicht wie ich gesehen hat, umgeben von Eurer reizenden Gattin und Euern hoffnungsvollen Kindern, Fremdlinge an Eurem Tische speisend. Wenn dieser Unglückliche Eure Gastfreundschaft genossen hätte, wie wir, könnte er nicht Euer Feind sein.«

Kaum hatte Spiagudry diese Worte gesprochen, so erhob sich das Weib des Nachrichters, die bisher stumm da gesessen war, von ihrem Sitze und sprach mit schauervoll feierlicher Stimme: »Die Zunge der Viper ist nie giftiger, als wenn sie von Honig trieft.«

»Dieses Weib ist wahnsinnig,« dachte Spiagudry, der sich den schlechten Erfolg seiner, wie er glaubte, so wohl angebrachten Schmeichelei nicht anders erklären konnte.

»Das Weib hat Recht,« sagte Orugix, »und ich werde Euch selbst für eine Otterzunge halten, wenn Ihr diesen Spiagudry noch länger in Schutz nehmt.«

»Gott soll mich behüten, Herr, daß ich diesen Menschen vertheidigte!«

»Das lasse ich gelten. Ihr wißt noch nicht einmal, wie weit er seine Unverschämtheit treibt. Glaubt Ihr wohl, daß er die Frechheit hat, mir mein Recht an Han dem Isländer streitig zu machen?«

»An Han dem Isländer?« fragte rasch der Einsiedler.

»Allerdings! Ihr kennt wohl diesen berüchtigten Räuber?«

»Ja!« sagte der Eremit.

»Nun denn, jeder Räuber ist dem Henker verfallen, nicht wahr? Was thut nun dieser höllische Spiagudry? Er verlangt, daß man einen Preis auf Hans Kopf setze …«

»Er verlangt, daß man auf Hans Kopf einen Preis setze!« unterbrach ihn der Einsiedler.

»So frech ist er, und einzig deswegen, damit ihm der Leichnam zukomme und ich um mein Eigenthum betrogen sei.«

»Das ist schändlich, Meister Orugix, Euch ein Eigenthum streitig zu machen, das so augenscheinlich Euch gehört!«

Diese Worte waren von dem boshaften Lachen begleitet, das Spiagudry so schreckte.

»Es ist um so schändlicher, da ich einer Hinrichtung, wie die Han des Isländers ist, bedürfte, um mich aus meiner Dunkelheit zu ziehen und das Glück zu machen, das ich bei Schuhmacher verscherzt habe.«

»Da habt Ihr Recht, Meister Nychol!«

»Ja, Bruder Einsiedler, an dem Tage, wo Han gefangen wird, kommt zu mir, dann wollen wir auf meine künftige Erhöhung ein fettes Schwein schlachten.«

»Gerne; aber wißt Ihr auch, ob ich an diesem Tage frei sein werde? Ihr habt aber ja eben erst allen Ehrgeiz zum Teufel geschickt?«

»Mußte ich nicht, da ich sehe, daß es nur eines Spiagudry und einer Bitte, einen Preis auf Hans Kopf zu setzen, bedarf, um die begründetsten Hoffnungen zu vernichten?«

»Ha!« wiederholte der Einsiedler mit einer sonderbaren Stimme. »Ha! Spiagudry hat einen Preis auf Han des Isländers Kopf verlangt!«

Diese Stimme gab jedesmal dem armen Spiagudry einen Stich durch das Herz.

»Ihr Herren,« sagte er, »warum so obenhin aburtheilen? Die Sache ist noch nicht gewiß, vielleicht ist es nur ein falsches Gerücht …«

»Ein falsches Gerücht!« rief Orugix aus. »Es ist nur allzu gewiß. Die Bitte der Schöppen liegt gegenwärtig zu Drontheim und Spiagudry’s Unterschrift steht darunter. Man wartet nur noch auf die Genehmigung des Gouverneurs.«

Spiagudry verstummte und zwang sich, seine Angst zu verbergen. Sein Schrecken stieg noch höher, als er plötzlich den Eremiten in scherzendem Tone ausrufen hörte: »Meister Nychol, welche Strafe haben diejenigen zu erwarten, die etwas Geheiligtes entweihen?«

»Das hängt von der Art der Entweihung ab,« erwiederte der Scharfrichter.

»Wenn man einen todten Körper entweiht?«

»Ehemals begrub man ihn lebendig mit dem Leichnam.«

»Und jetzt?«

»Jetzt ist man milder.«

»Man ist milder,« sagte Spiagudry, tief athmend.

»Ja, man brennt ihm erst mit einem glühenden Eisen den ersten Buchstaben des Wortes, das sein Verbrechen bezeichnet, auf die Wade …«

»Und hernach?« fragte Spiagudry gespannt.

»Hernach hängt man ihn bloß.«

»Barmherziger Gott! Hängen!« rief Spiagudry aus.

»Was Teufels ist denn diesem Menschen? Er sieht mich ja an, als ob er den Strick um den Hals hätte.«

In diesem Augenblicke hörte man den klaren und deutlichen Schall eines Waldhorns. Das Gewitter hatte aufgehört.

»Nychol,« sagte das Weib, »man ist irgend einem Verbrecher auf den Fersen, das ist das Horn der königlichen Häscher.«

»Das Horn der Häscher!« riefen Alle in verschiedenem Tone aus, Spiagudry in dem des höchsten Schreckens,

In demselben Moment folgten heftige Schläge an die Pforte des Thurmes.

XIII.

Löwig ist ein großes Dorf, das auf dem nördlichen Ufer des Golfs von Drontheim liegt. Der Anblick des Dorfs mit seinen ärmlichen Hütten ist traurig.

Am Morgen des Tages, an welchem Ordener zu Drontheim angekommen war, war zu Löwig eine Person ans Land gestiegen, die das Incognito beobachtete. Die vergoldete Sänfte dieser Person, obwohl ohne Wappen, und die vier wohlbewaffneten Heiducken, welche sie mit sich führte, waren das Gespräch aller Einwohner. Der Wirth zur goldenen Möve, in welchem elenden Wirthshause diese hohe Person abgestiegen war, nahm ein geheimnißvolles Wesen an und gab sich die Miene, als ob er den fremden Herrn wohl kenne, aber nicht sagen dürfe, wer er sei. Die Heiducken waren stumm wie Fische.

Am zweiten Tage der Ankunft dieses Fremden trat der Wirth in sein Zimmer und meldete mit einer tiefen Verbeugung, daß der erwartete Abgesandte angekommen sei.

»Laßt ihn heraufkommen!« sagte der Fremde.

Bald darauf trat der Abgesandte ein, schloß sorgfältig die Thüre, machte dem Fremden eine tiefe Verbeugung und erwartete in ehrfurchtsvollem Schweigen seine Befehle.

»Ich habe Euch diesen Morgen erwartet,« sagte der Fremde, »was hat Euch denn aufgehalten?«

»Euer Gnaden Angelegenheiten, Herr Graf!«

»Was machen Elphege und Friedrich?«

»Beide wohl!«

»Gut! Habt Ihr mir nichts Wichtigeres mitzutheilen? Was Neues zu Drontheim?«

»Nichts, als daß Baron Thorwick gestern dort angekommen ist.«

»Ich weiß, daß er diesen alten Mecklenburger Levin über die projektirte Verbindung um Rath fragen will. Wißt Ihr, welches das Resultat seiner Unterredung mit dem Gouverneur war?«

»Heute um die Mittagsstunde, als ich abreiste, hatte er den General noch nicht gesprochen.«

»Wie! Und schon den Tag zuvor angekommen! Das wundert mich, Musdoemon! Und hat er die Gräfin gesehen?«

»Noch weniger, gnädiger Herr!«

»Also habt Ihr ihn gesehen?«

»Mit keinem Auge, und ich kenne ihn auch nicht.«

»Und woher, wenn Niemand von Euch ihn gesehen hat, wißt Ihr, daß er zu Drontheim ist?«

»Von seinem Reitknecht, der mit den Pferden in des Gouverneurs Palast kam.«

»Und wo ist denn er selbst abgestiegen?«

»Im Spladgest, und von dort schiffte er sich, wie sein Bedienter sagte, sogleich nach Munckholm ein.«

Das Auge des Grafen flammte.

»Nach Munckholm! In Schuhmachers Gefängniß! Wißt Ihr das gewiß? Ich habe doch immer gedacht, dieser ehrliche Levin sei ein Verräther. Nach Munckholm! Was kann ihn dort hinziehen? Will er auch Schuhmacher um Rath fragen? Will er …«

»Gnädiger Herr,« unterbrach ihn Musdoemon, »es ist nicht gewiß, daß er dahin gegangen ist.«

»Wie? Und was sagtet Ihr mir denn eben erst? Treibt Ihr Euern Scherz mit mir?«

»Verzeihung, gnädiger Herr! ich erzählte Ihnen bloß, was sein Bedienter gesagt hat; aber Ihr Herr Sohn, der gestern die Wache hatte, hat den Baron nicht zu Munckholm gesehen.«

»Schöner Beweis! Mein Sohn kennt den Sohn des Vicekönigs nicht. Ordener konnte incognito das Fort besuchen.«

»Allerdings, gnädiger Herr, aber Ihr Herr Sohn behauptet, gar Niemand gesehen zu haben.«

»Das ist ein anderlei. Behauptet das mein Sohn wirklich?«

»Er hat es mir dreimal versichert, und der Vortheil Herrn Friedrichs trifft hier mit dem Eurer Gnaden zusammen.«

»Ich verstehe jetzt,« sagte der Graf. »Der Baron wird ein wenig am Golf spazieren gegangen sein, und sein Diener wird geglaubt haben, er sei nach Munckholm. Denkt nur, Musdoemon, ich habe aus dieser Fahrt nach Munckholm gleich einen Roman gemacht und mir Ordener in Ethel Schuhmacher verliebt gedacht. Gottlob, dieser junge Mensch ist weniger thöricht, als ich alter Narr! Apropos, was ist diese junge Danaë unter den Händen meines Friedrich geworden?«

»Er hat nichts ausgerichtet, aber es scheint, daß ein Anderer bei ihr glücklicher war.«

»Ein Anderer! Was für ein Anderer?«

»Irgend ein Leibeigener, ein Bauer …«

»Sagt Ihr die Wahrheit?« fragte der Graf mit strahlenden Blicken.

»Ihr Herr Sohn hat es mir und der gnädigen Gräfin versichert.«

Der Graf stand auf, ging im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.

»Musdoemon, mein lieber Musdoemon, noch einen letzten Schlag, und wir sind am Ziele! Der Zweig des Baums ist vergiftet, wir haben nur noch den Stamm umzustürzen. Habt Ihr noch irgend eine gute Nachricht?«

»Dispolsen ist ermordet worden.«

Das Gesicht des Grafen hellte sich ganz auf.

»Ha! Ihr werdet sehen, daß wir von Triumph zu Triumph schreiten. Hat man seine Papiere? Hat man insbesondere jene eiserne Büchse?«

»Es ist mir leid, Euer Gnaden sagen zu müssen, daß der Mord nicht von unsern Leuten begangen worden ist. Er wurde am Strande von Urchthal ermordet und beraubt, und man schreibt die That Han dem Isländer zu.«

»Han dem Isländer, jenem berüchtigten Räuber, den wir an die Spitze unserer Aufrührer stellen wollen?«

»Dem Nämlichen. Nur fürchte ich nach Allem, was ich von ihm erzählen hörte, daß es schwierig sein wird, ihn aufzufinden. Für alle Fälle habe ich mich eines Anführers versichert, der seinen Namen annehmen und an seine Stelle treten wird. Es ist ein wilder Bergbewohner, hoch und fest wie eine Eiche, kühn und unbändig wie ein Wolf der Wüste. Dieser furchtbare Riese wird Han des Isländers Rolle ganz gut spielen.«

»Dieser Han ist also von hoher Gestalt?«

»So heißt es allgemein im Volke.«

»Ich muß die Geschicklichkeit loben, mein lieber Musdoemon, womit Ihr Eure Plane entwerft. Wann bricht der Aufruhr aus?«

»Unverweilt. Vielleicht in diesem Augenblicke schon, gnädiger Herr! Die königliche Vormundschaft erscheint schon lange den Bergleuten als eine unerträgliche Last; Alle ergreifen mit Freude die Idee eines Aufstandes. Der Aufruhr wird in Guldbransthal beginnen und sich nach Sund Moer und Kongsberg ausbreiten. Zweitausend Bergleute können innerhalb drei Tagen auf den Beinen sein. Der Aufstand wird in Schuhmachers Namen geschehen; unsere Emissäre stellen sich als von ihm abgesendet dar. Dann brechen die Truppen im Süden und die Besatzungen von Drontheim und Skongen gegen die Rebellen auf; Sie sind gerade zu rechter Zeit da, um den Aufruhr zu unterdrücken, Sie haben dem König einen neuen ausgezeichneten Dienst geleistet; Schuhmacher ist ein Verbrecher, dessen man sich für immer entledigt.«

Der Kanzler wußte jetzt, was er wissen mußte. Musdoemon, der Vertraute seiner Verbrechen, war ihm nun zur Last. Es blieb ihm nun nichts übrig, als ihn auf eine gute Art zu verabschieden.

»Musdoemon,« sagte er mit gnädigem Lächeln, »Ihr seid der treueste und eifrigste meiner Diener. Alles geht gut, und das danke ich Eurem Eifer. Ich ernenne Euch zum geheimen Sekretär des Großkanzlers.«

Musdoemon verbeugte sich tief.

»Das ist noch nicht Alles, ich werde zum drittenmal den Danebrogorden für Euch verlangen; aber ich fürchte immer, daß Eure Geburt, Eure unwürdige Verwandtschaft …«

Musdoemon, bald roth, bald blaß, suchte die Leidenschaften, die sich auf seinem Gesichte malten, durch eine tiefe Verbeugung zu verbergen.

»Geht nur,« fuhr der Kanzler fort und reichte ihm die Hand zum Kusse, »geht nur, Herr geheimer Sekretär, und setzt Eure Bittschrift auf. Vielleicht findet sie den König in einem Augenblick guter Laune.«

»Mag mir Se. Majestät den Orden bewilligen oder nicht, immerhin bin ich stolz auf Euer Excellenz hohe Gnade und gerührt von so vielem Wohlwollen.«

»Eilt Euch, Lieber, denn ich will schnell abreisen. Ihr müßt Euch noch genaue Nachweisungen über diesen Han verschaffen.«

Musdoemon verabschiedete sich mit einer stummen Verbeugung.

XIV.

»Ja, Herr, wir sind in der That schuldig und verbunden, eine Wallfahrt nach der Grotte von Lynraß zu machen. Hätte man glauben sollen, daß dieser Eremit, den ich verwünschte wie einen höllischen Geist, unser Retter werden sollte, und daß die Lanze, die uns jeden Augenblick den Tod zu drohen schien, uns zur sicheren Brücke über den Abgrund dienen würde?«

Mit diesen Worten gab Benignus Spiagudry seine Freude und seine Dankbarkeit gegen den geheimnißvollen Einsiedler zu erkennen. Unsere Reisenden hatten den verfluchten Thurm verlassen und Vygla lag bereits weit hinter ihnen. Sie klommen eben einen steilen Berg hinauf. Der Anbruch des Tages war nahe. Ordener schritt schweigend vorwärts.

»Herr,« fuhr der redselige Spiagudry fort, »fürchten Sie nichts. Die Häscher haben sich mit dem Eremiten rechts gewendet und wir sind jetzt weit genug von ihnen entfernt, um frei sprechen zu können. Bis jetzt war es allerdings der Klugheit gemäß, stille zu schweigen.«

»In der That,« erwiederte Ordener, »Ihr treibt die Klugheit ziemlich weit, denn es sind jetzt etwa drei Stunden, daß wir den Thurm und die Häscher hinter uns haben.«

»Das ist wahr, Herr, aber Vorsicht kann nicht schaden. Wenn ich mich nun genannt hätte, als der Anführer dieser höllischen Rotte mit einer Stimme, gleich derjenigen, womit Saturn seinen neugeborenen Sohn forderte, um ihn zu fressen, den Namen Benignus Spiagudry aussprach, wenn ich nicht in diesem furchtbaren Augenblick meine Zuflucht zu einer klugen Schweigsamkeit genommen hätte, wo wäre ich jetzt, was wäre aus mir geworden, wie würde es mit mir enden?«

»Ich glaube in der That, alter Herr, daß man in jenem Augenblicke Euern Namen nicht anders von Euch hätte erlangen können, als wenn man ihn Euch mit Zangen aus dem Munde gerissen hätte.«

»Hatte ich Unrecht, Herr, zu schweigen? Hätte ich gesprochen, so würde der Eremit, den St. Usbald der Einsiedler segnen möge, nicht Zeit gehabt haben, den Anführer der Häscher zu fragen, ob seine Leute Soldaten der Besatzung von Munckholm seien, eine unbedeutende Frage, einzig in der Absicht gethan, Zeit zu gewinnen. Haben Sie nicht bemerkt, wie auf die bejahende Antwort dieses einfältigen Häschers der Eremit ihm mit einem seltsamen Lächeln erwiederte, daß er den Schlupfwinkel Spiagudry’s kenne und ihn selbst dahin führen wolle?«

Hier hielt der alte Schwätzer etwas inne, um frischen Athem zu schöpfen, dann ergoß er sich in einen neuen Strom pedantischer Redseligkeit.

»Guter Priester! Würdiger und tugendhafter Anachoret, der du die Grundsätze der christlichen Menschenfreundlichkeit und der evangelischen Liebe befolgst! Und ich, ich entsetze mich über dein Aeußeres, das allerdings ziemlich unglückverkündend war, aber eine um so schönere Seele verbarg! Auf Wiedersehen! sprachst du zu mir, als du die Häscher wegführtest! Allerdings hatte der Accent, mit welchem du diese Worte sprachst, etwas Zurückschreckendes, aber das ist nicht deine Schuld, du frommer und unvergleichlicher Eremit! Ohne Zweifel gibt die Einsamkeit der Stimme diesen seltsamen Ton. Ein Einsiedler anderer Art, jener furchtbare … Doch schweigen ist klug, wo reden zu nichts führt … Du hattest freilich Handschuhe an, wie … aber es war in der That kalt genug, um Handschuhe zu tragen … Auch über dein salziges Getränk wundere ich mich nicht mehr. Die katholischen Cönobiten haben oft seltsame Regeln. Ein Beispiel ähnlicher Art finden wir in folgendem Verse des berühmten Urensius, Mönchs auf dem Berge Kaukasus:

Rivos despiciens, maris undam potat amaram.

Wie ist mir doch in diesem verfluchten Thurme von Vygla dieser Vers nicht eingefallen! Etwas mehr Gedächtniß hätte mir viele thörichte Unruhe erspart. Es ist allerdings schwierig in einer solchen Mordhöhle, an dem Tische eines Scharfrichters, seine Gedanken ganz beisammen zu haben. Die nämliche Luft mit dem Henker athmen! Und der elendeste Bettler wirft die Lumpen weg, die seinen Leib gegen die Kälte des Winters schützen, wenn die unreine Hand des Henkers sie berührt hat! Und wenn der Kanzler den Bestallungsbrief des Scharfrichters ausgefertigt hat, wirft er ihn unter den Tisch zum Zeichen seines Ekels und Fluches! Und in Frankreich, wenn der Henker todt ist, bezahlen die Gerichtsdiener des Bezirks lieber eine Strafe von vierzig Livres, als daß sie seine Stelle annehmen! Und zu Pesth wollte der Verurtheilte Corchill lieber sich hinrichten lassen, als den Platz eines Scharfrichters annehmen, den man ihm als Begnadigung anbot! Turmeryn, Bischof zu Maestricht, ließ eine Kirche neu einweihen, welche der Fuß des Henkers betreten hatte, und die Czarin Petrowna wusch sich jedesmal das Gesicht, so oft sie von einer Hinrichtung zurückkam. Und gibt nicht, nach Melasius Iturham, Charon selbst dem Räuber Robin Hood beim Einsteigen in den höllischen Nachen den Vortritt vor dem Scharfrichter Philipcraß? Wenn ich jemals zur Macht gelange, was in Gottes Hand steht, so will ich Todesstrafe und Scharfrichter aufheben und die alten Gebräuche und Taxen wieder einführen. Für den Mord eines Prinzen bezahlt man alsdann, wie im Jahre 1450, die Summe von 1440 Doppelthalern; für den Mord eines Grafen 1440 einfache Thaler; für den Mord eines Barons 1440 halbe Thaler; der Mord eines einfachen Edelmanns kostet …«

»Höre ich nicht hinter uns den Schritt eines Pferdes?« sagte Ordener.

Sie sahen sich um und erblickten etwa hundert Schritte hinter sich einen schwarzgekleideten Mann, der ihnen mit der Hand winkte.

»Um Gottes willen, Herr! Lassen Sie uns eilen, dieser schwarze Mann gleicht auf ein Haar einem verkleideten Häscher,« sagte der furchtsame Spiagudry.

»Alter Herr, wir sind ja zu zwei und sollten vor einem Manne fliehen!«

»Zwanzig Sperber fliehen vor einer einzigen Nachteule. Ein Kampf mit einem solchen Nachtvogel ist nicht glorreich.«

»Seid ruhig, Alter, ich erkenne jetzt den Räuber. Bleibt stehen!«

Der Räuber kam zu ihnen. Es war Athanasius Munder. Er grüßte sie und sagte: »Meine lieben Freunde, um Euretwillen bin ich umgekehrt.«

»Herr Pfarrer,« sagte Ordener, »wir werden uns glücklich schätzen, Ihnen in irgend etwas dienlich zu sein.«

»Im Gegentheil, junger Mann, wünsche ich Ihnen zu dienen. Wollen Sie mir wohl sagen, welches der Zweck Ihrer Reise ist?«

»Das kann ich nicht, ehrwürdiger Herr!«

»Ich wünsche, mein Sohn, daß dies nicht aus Mißtrauen gegen mich geschehe, denn sonst wehe mir, wehe jedem Menschen, dem man mißtraut, wenn man ihn auch zum erstenmal gesehen hat.«

Die salbungsvolle Demuth des Geistlichen rührte Ordener.

»Alles, was ich Ihnen sagen kann, mein Vater, ist, daß wir in die nördlichen Gebirge gehen.«

»Das dachte ich mir, mein Sohn, und deßwegen bin ich zurückgekommen. Es gibt in diesen Gebirgen Banden von Bergleuten und Jägern, die öfters den Reisenden gefährlich sind.«

»Nun?« sagte Ordener.

»Nun! Ein edler junger Mann, der einer Gefahr entgegengeht, mag seinen Weg verfolgen, ohne daß man ihn davon abwendig macht; aber Sie haben mir Achtung eingeflößt, und es ist mir ein Mittel eingefallen, Ihnen nützlich zu sein. Der unglückliche Falschmünzer, dem ich gestern die letzten Tröstungen der Religion darbrachte, war ein Bergmann. Vor seinem Ende gab er mir dieses Blatt, auf welches sein Name geschrieben ist, und sagte mir, daß dieser Paß mich vor jeder Gefahr schützen würde, wenn ich je die Gebirge besuchte. Was kann aber dieses Papier einem armen Priester helfen, dessen Beruf ist, bei Gefangenen zu leben und zu sterben, und der übrigens inter castra latronum keine anderen Vertheidigungsmittel suchen darf, als die er in Ergebung und Gebet findet, welches die einzigen Gott wohlgefälligen Schutzmittel sind! Ich habe diesen Paß angenommen, weil man das Herz dessen, der in kurzer Zeit auf dieser Welt nichts mehr zu geben und zu empfangen hat, nicht durch eine abschlägige Antwort betrüben soll. Der Herr hat mir wohl gerathen, denn heute kann ich Ihnen dieses Papier einhändigen, um Ihnen auf Ihrem gefahrvollen Wege dienlich zu sein, und möge die Gabe des Sterbenden dem Lebenden zur Wohlthat gereichen!«

Ordener empfing mit Rührung das Geschenk des ehrwürdigen Geistlichen.

»Herr Pfarrer,« sagte er, »möge der Himmel Ihren Wunsch erhören! Inzwischen,« fügte er mit jugendlichem Uebermuth hinzu, indem er an seinen Säbel schlug, »führte ich schon hier meinen Paß an der Seite.«

»Junger Mann,« erwiederte der Priester, »vielleicht wird dieses leichte Papier Sie besser schützen, als das Eisen an Ihrer Seite. Der Blick eines Büßenden ist mächtiger, als das feurige Schwert des Erzengels. Leben Sie wohl! Die da gefangen sind, harren meiner. Beten Sie bisweilen für sie und mich.«

»Ihre Gefangenen werden Gnade erhalten, das sage ich Ihnen nochmals.«

»Sprechen Sie nicht mit solcher Zuversicht, mein Sohn! Versuche den Herrn nicht, steht geschrieben. Ein Mensch kennt nicht die Gedanken eines andern Menschen, und Sie wissen nicht, was der Sohn des Vicekönigs beschließen wird. Vielleicht wird er einen armen Diener des Herrn nicht einmal vor seine Augen lassen. Gehen Sie mit Gott, und möge der Himmel Ihre Reise segnen!«

XV.

In der Kanzlei des Gouverneurs von Drontheim saßen drei Sekretäre an einer langen Tafel, auf welcher viele Papiere lagen.

»Wissen Sie auch, Wapherney,« sagte einer derselben, »daß dieser arme Bibliothekar Fortipp von dem Bischof entlassen werden wird, Dank dem Empfehlungsschreiben, durch welches Sie das Gesuch des Doktors Anglyvius unterstützt haben?«

»Was spielen Sie uns da auf, Richard?« sagte der andere der beiden Sekretäre, an welchen die Frage nicht gerichtet war. »Wapherney konnte kein Empfehlungsschreiben zu Gunsten des Anglyvius ausfertigen, denn die Bittschrift dieses Menschen hat den General empört, als ich sie ihm vorlas.«

»Das haben Sie mir allerdings gesagt, allein ich fand auf der Bittschrift das Wort tribuatur, von des Gouverneurs eigener Hand geschrieben,« erwiederte Wapherney.

»Wirklich!« rief der erste verwundert aus.

»Ja, mein Freund! Und mehrere andere Beschlüsse Sr. Excellenz, von welchen Sie mir sagten, sind in den Randglossen ebenfalls geändert. So hat der General unter die Bittschrift der Bergleute geschrieben negetur …«

»Wie! Das ist mir unbegreiflich, da der General doch wegen des aufrührerischen Geistes dieser Bergleute in Besorgniß war.«

»Er wollte sie vielleicht durch Strenge schrecken. Ich glaubte dies darum, weil auf die Bittschrift des Almoseniers Munder in Betreff der Begnadigung der zwölf Verurtheilten gleichfalls abschlägige Antwort gegeben ist.«

»Das kann ich nicht glauben. Der Gouverneur hat ja so viel Mitleid für diese Verurtheilten an den Tag gelegt …«

»So lesen Sie selbst, Arthur!«

Arthur nahm die Bittschrift und sah darunter die abschlägige Antwort.

»In der That,« sagte er, »ich kann kaum meinen eigenen Augen glauben. Ich will dieses Papier dem General noch einmal vorlegen. An welchem Tage hat denn der Gouverneur die Beschlüsse auf diese Eingabe beigesetzt?«

»Vor drei Tagen, meine ich.«

»Das war also an dem Morgen, an welchem Baron Ordener so kurz erschien und so schnell wieder verschwand.«

»Sehen Sie einmal,« rief Wapherney aus, »steht nicht abermals ein tribuatur auf der nämlichen Bittschrift dieses Benignus Spiagudry?«

Richard wollte sich vor Lachen ausschütten.

»Ist das nicht dieser alte Aufseher im Spladgest, der erst auf eine so seltsame Weise verschwunden ist?«

»So ist es, man hat in seinem Todtenzimmer einen verstümmelten Leichnam gefunden, und jetzt läßt ihn die Justiz verfolgen. Ein kleiner Lappe, sein Diener, der allein im Spladgest zurückgeblieben, ist, sowie das Publikum, der Meinung, daß ihn der Teufel geholt habe, weil er ein Hexenmeister sei.«

»Der hinterläßt eine gute Reputation!« sagte Wapherney lachend.

In diesem Augenblicke trat ein vierter Sekretär ein.

»Sie kommen heute sehr spät, Gustav,« rief ihm Wapherney zu, »haben Sie etwa gestern Hochzeit gehalten?«

»Nicht doch,« fiel Arthur ein, »er wird einen Umweg gemacht haben, um vor dem Fenster der schönen Rosily seinen neuen Mantel zu zeigen.«

»Sie irren sich, die Ursache meines Ausbleibens ist nicht so angenehm, und ich zweifle, daß mein neuer Mantel einigen Eindruck auf die Person gemacht hat, welche ich eben besuchte.«

»Woher kommen Sie denn?«

»Vom Spladgest.«

»Was haben Sie denn dort so Besonderes gesehen?«

»Ich wurde durch die Menge, die sich um den Spladgest drängte, mit fortgerissen. Man hat die Leichname von drei Soldaten der Besatzung von Munckholm und von zwei Häschern hingebracht, welche man gestern, vier Stunden von hier, in der Schlucht von Cascadthymore gefunden hat. Sie waren ausgeschickt worden, den flüchtigen Spiagudry zu verfolgen. Es ist unbegreiflich, wie so viele bewaffnete Menschen ermordet werden konnten. Die Verstümmlung ihrer Körper beweist, daß sie vom Felsen herabgestürzt worden sind.«

»Sie haben die Leichname selbst gesehen?«

»Ich habe sie im Geiste noch vor Augen.«

»Und wen hält man für die Thäter?«

»Einige schreiben den Mord einer Bande von Bergleuten zu; sie versichern, daß man gestern im Gebirge den Hörnerschall vernommen habe, wodurch sie sich das Zeichen zu geben pflegen.«

»Wirklich!«

»Ein alter Bauer hat dagegen die Bemerkung gemacht, daß auf dieser Seite weder Minen noch Bergleute seien.«

»Und wer sollte es sonst sein?«

»Man weiß es nicht. Wenn die Körper angefressen wären, so könnte man glauben, daß es wilde Thiere seien, denn sie haben lange und tiefe Ritze an sich, wie von Thierkrallen. Auf die nämliche Weise ist der Leichnam eines Greises mit weißem Barte entstellt, den man vorgestern Morgens in den Spladgest gebracht hat.«

»Wer ist dieser Greis?«

»An seiner hohen Gestalt, seinem weißen Bart und dem Rosenkranz, den er noch in der Hand hatte, wollte man in ihm den Einsiedler von Lynraß erkennen. Augenscheinlich ist der arme Mann auch ermordet worden. Allein zu welchem Zwecke? Aus religiöser Unduldsamkeit geschieht jetzt kein Mord mehr, und der alte Eremit besah aus der Welt nichts, als seine Kutte und das öffentliche Wohlwollen, das ihm Brod gab.«

»Und dieser Leichnam ist auch wie von den Krallen eines wilden Thieres zerrissen?«

»Und die nämlichen Spuren von Thierkrallen hat man an dem Leichnam eines Offiziers gefunden, der vor einigen Tagen in den Spladgest gebracht worden ist.«

»Das ist höchst sonderbar,« sagte Arthur.

»Entsetzlich ist es,« fügte Richard hinzu.

»Stille jetzt und Arbeit, denn ich glaube, der General ist im Anmarsch!« fiel Wapherney ein.

XVI.

Im Jahr 1675, vierundzwanzig Jahre vor dem Zeitpunkt, in welchem unsere Geschichte beginnt, wurde in dem Weiler Thoctree die Hochzeit der schönen Lucie Pelnyrh mit dem starken Caroll Stadt gefeiert. Lucie war das schönste Mädchen, Caroll der wackerste Bursche im ganzen Kanton. Eltern und Verwandte hatten ihrer Vereinigung Schwierigkeiten in den Weg gelegt, bis eines Tages Caroll seine Lucie aus einer großen Gefahr rettete. Er hörte Geschrei im Wald und eilte herbei; ein vom ganzen Lande gefürchteter Räuber hatte Lucie ergriffen, um sie wegzutragen. Caroll griff dieses Unthier mit menschlichem Angesicht, dem man den Namen Han beigelegt hatte, weil es brüllte, wie ein wildes Thier, herzhaft an. Niemand hätte dies gewagt, aber die Liebe verdoppelte seine Kräfte. Er befreite seine Geliebte und brachte sie ihrem Vater, der sie ihm nun zum Weibe gab.

Der Tag ihrer Vereinigung war ein Fest für das ganze Dorf. Lucie allein war düster. Am Abend ging das Brautpaar in seine neue Hütte.

Am andern Morgen war Caroll Stadt verschwunden. Nach neun Monaten einsamer Trauer gebar Lucie einen Sohn, und am nämlichen Tage wurde das Dorf Golyn von dem über ihm hängenden Felsen zerschmettert.

Die Geburt dieses Sohnes verminderte in Nichts die düstere Traurigkeit der Mutter. Gill Stadt glich in Nichts dem verschwundenen Caroll. Seine wilde Kindheit schien ein noch wilderes Leben anzukünden. Bisweilen kam ein kleiner wilder Mensch, in welchem die Einwohner Han den Isländer erkannten, in die verlassene Hütte der Wittwe Caroll, und dann hörten die Vorübergehenden darin thierisches Brüllen und klagende Töne eines Weibes. Monate lang führte der Wilde den jungen Gill mit sich fort, und wenn er in das Haus seiner Mutter zurückkehrte, war er jedesmal wilder und unbändiger.

Die Wittwe Stadt fühlte für dieses Kind eine Mischung von Abscheu und Zärtlichkeit. Manchmal schloß sie es in ihre Arme, als das einzige Gut, welches sie noch an das Leben fesselte. Ein andermal stieß sie es mit Abscheu von sich, indem sie schmerzlich den Namen Caroll ausrief. Niemand auf der Welt wußte, was in ihrem Herzen vorging.

Als Gill dreiundzwanzig Jahre alt war, sah er Guth Stersen und liebte sie mit glühender Leidenschaft. Guth Stersen war reich und er arm. Deßhalb ging er in die Bergwerke von Roeraas, um dort als Bergmann etwas zu erwerben. Von da an hatte seine Mutter nichts mehr von ihm gehört.

In einer Nacht saß die Wittwe Stadt bei halb erloschener Lampe an dem Spinnrad, das sie nährte. Man klopfte an die Thüre.

»Wenn es mein Sohn wäre!« rief sie und eilte zu öffnen. Ein kleiner Eremit mit schwarzem Bart trat herein.

»Heiliger Mann Gottes,« sagte die Wittwe, »was verlangt Ihr? Ihr wißt nicht, über welche Schwelle Ihr eingegangen seid.«

»Doch, ich weiß es!« erwiederte der Einsiedler mit einer rauhen mißtönenden Stimme, welche ihr nur allzu wohl bekannt war, riß den schwarzen Bart ab, schlug die Kapuze zurück und ließ sein wildes Gesicht, seinen rothen struppigen Bart und seine mit furchtbaren Nägeln bewaffneten Hände sehen.

»O!« rief die Wittwe aus und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.

»Nun,« sagte der kleine Mann, »hast Du Dich in vierundzwanzig Jahren noch nicht daran gewöhnt, den Gatten zu sehen, der Dir für die ganze Ewigkeit beigesellt ist?«

»Ewigkeit!« murmelte sie mit Entsetzen.

»Höre, Lucie Pelnyrh, ich bringe Dir Nachrichten von Deinem Sohne.«

»Von meinem Sohne! Wo ist er ? Warum kommt er nicht?«

»Er kann nicht.«

»So sprecht doch! Ich will Euch danken, wenn Ihr mir einmal Glück bringt.«

»Es ist das wahre Glück, was ich Dir bringe, denn Du bist ein schwaches Weib, und ich wundere mich, daß Du einen solchen Sohn unter Deinem Herzen tragen konntest. So freue Dich denn! Du hast immer gefürchtet, daß Dein Sohn in meine Fußstapfen treten möchte. Fürchte es nicht mehr.«

»Wie!« rief die Mutter entzückt aus, »mein Sohn hat sich also geändert?«

Der Eremit warf einen höhnisch traurigen Blick auf sie.

»Ganz geändert!« sagte er.

»Und warum eilt er nicht in meine Arme? Wo habt Ihr ihn gesehen? Was machte er?«

»Er schlief.«

»Warum habt Ihr ihn nicht geweckt, daß er zu seiner Mutter komme?«

»Sein Schlaf war allzu tief.«

»Wann wird er endlich kommen? Wann soll ich ihn wiedersehen ?«

Der Eremit zog eine Art Trinkschale unter seiner Kutte hervor.

»Trinke, Wittwe,« sprach er, »trinke auf die nahe Rückkehr Deines Sohnes!«

Die Wittwe stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Es war ein menschlicher Hirnschädel.

»Weib, wende Deine Blicke nicht ab! Du willst Deinen Sohn sehen, das ist Alles, was von ihm übrig ist.«

Er brachte beim röthlichen Lampenschein den Schädel des Sohnes an die bleichen Lippen der Mutter.

Das arme Weib hatte ihre Tage im Unglück verlebt, ein Unglück mehr konnte ihr Herz nicht brechen. Sie warf einen starren, stumpfsinnigen Blick auf das wilde Gesicht des Eremiten und seufzte: »Der Tod! Tödte mich!«

»Stirb, wenn Du willst! Aber denke zurück an den Wald von Thoctree! Erinnere Dich des Tags, an welchem der Dämon, indem er sich mit Deinem Körper vermischte, Deine Seele der Hülle übergab! Ich bin der Dämon, und Du bist mein Weib in Ewigkeit! Jetzt stirb, wenn Du willst!«

In diesem abergläubischen Lande war der allgemeine Glaube, daß bisweilen höllische Geister unter den Menschen erschienen, um in ihrer Mitte ein Leben verbrecherischer und unglückseliger Thaten zu durchleben. Han der Isländer stand in diesem Rufe. Man glaubte auch, daß das Weib, welches durch Verführung oder Gewalt die Beute eines dieser Dämone in menschlicher Gestalt wurde, schon durch dieses Unglück unwiderruflich die Gefährtin seiner ewigen Verdammniß werde.

»Gott, mein Gott!« rief, von diesen abergläubischen Gedanken ergriffen, das Weib in Verzweiflung aus, »so muß ich denn das Leben tragen! Und welches Verbrechen habe ich denn begangen! Kann ein schwaches Weib der Gewalt eines Dämons widerstehen!«

Han warf auf sie einen Blick höhnischen Triumphs.

»Ha!« rief sie plötzlich aus, »es ist nur ein furchtbarer Traum, der mich schreckt, mein Sohn lebt, mein Sohn ist nicht todt!«

»Weib, Dein Sohn ist so gewiß todt, als Du lebst!«

»Gott, großer Gott!« seufzte sie schmerzlich.

»Rufe den Namen Gottes nicht an, Du Tochter der Hölle!«

Die Unglückliche verstummte.

»Zweifle nicht,« fuhr er fort, »an dem Tod Deines Sohnes. Er ist gestraft worden, weil er sein Felsenherz von dem Blick eines Weibes erweichen ließ. Ich, ich habe Dich besessen, aber nie geliebt. Mein Sohn und der Deinige ist von seiner Braut, für die er starb, betrogen worden.«

Das Weib jammerte um ihren Sohn in kläglichen Tönen.

»Schwaches Weib, bezwinge Deinen Schmerz! Ich weihe meinem Sohne mehr als fruchtlose Thränen. Während Du weinst, habe ich schon begonnen, ihn zu rächen. Seine Braut hat ihn um eines Soldaten der Besatzung von Munckholm willen betrogen. Das ganze Regiment soll durch meine Hände umkommen.«

Er schlug die Aermel seiner Kutte zurück. Seine mißgestalteten Arme waren mit Blut bedeckt,

»Ja,« fuhr er mit einem Brüllen des Schmerzes fort, »ja, am Strande von Urchthal, in den Schluchten von Cascadthymore wird Gills Geist gerne verweilen. Weib, siehst Du dieses Blut? Tröste Dich also!«

Plötzlich, wie von einer Erinnerung ergriffen, unterbrach er sich.

»Weib, hat man Dir nicht eine eiserne Büchse von mir überbracht? Ich habe Dir Gold geschickt und bringe Dir Blut, und Du weinst noch! Welchem Geschlecht gehörst Du denn an? Bist Du nicht vom Geschlecht der Menschen, daß Dich Gold nicht glücklich macht?«

Das Weib, in dumpfer Verzweiflung, schwieg.

Er schüttelte sie am Arme: »Lucie Pelnyrh! Hat Dir nicht ein Bote eine versiegelte eiserne Büchse gebracht?«

Das Weib schüttelte den Kopf und versank wieder in ihren Schmerz.

»Ha! Elender! Ungetreuer Spiagudry!« rief der Wilde aus. »Das sollst Du mir schwer büßen! Dieses Gold soll Dich theuer zu stehen kommen!«

Er warf seine Kutte von sich und stürzte aus der Hütte mit dem Brüllen einer Hyäne, die einen Leichnam sucht.

XVII.

Der Strand von Norwegen ist so reich an engen Buchten, Schlupfhafen, Felsenriffen, Lagunen und kleinen Vorgebirgen, daß durch ihre Zahl und Namen das Gedächtniß des Reisenden ermüdet und die Geduld des Topographen erschöpft wird. (Ehemals hatte, nach den Volkssagen, jede Landenge ihren bösen Geist, der da hauste, jede Bucht eine Fee zur Bewohnerin, jedes Vorgebirge seinen Heiligen, der es schützte, denn der Aberglaube mischt sich Gegenstände des Schreckens aus allen Religionen zusammen. Am Strande von Kelvel, einige Stunden nordwärts von der Grotte von Walderhog, war, nach dem Volksglauben, ein einziger Ort frei von der Gerichtsbarkeit der höllischen und himmlischen Geister. Es war eine lichte Stelle am Ufer, von einem Felsen beherrscht, auf dessen Gipfel man noch einige alte Ruinen von der Burg Ralphs des Riesen erblickte. Diese kleine wilde Matte, die nördlich vom Meer begrenzt und zwischen mit Buschwerk bewachsenen Felsen eingezwängt war, dankte ein solches Vorrecht dem bloßen Namen dieses alten norwegischen Ritters, ihres ersten Besitzers, denn kein höllischer oder himmlischer Geist hätte gewagt, sich zum Bewohner oder Beschützer des Orts zu machen, der vor alten Zeiten Ralph dem Riesen angehört hatte.

Allerdings reichte schon Ralphs furchtbarer Name allein hin, diesem an sich schon so wilden Ort einen Schrecken einflößenden Charakter aufzudrücken; aber die Rückerinnerung an einen Riesen ist doch nicht so erschreckend, als die Gegenwart eines Geistes, und niemals hatte ein Fischer, der hier Schutz vor dem Sturme suchte, höllische Geister und verdammte Seelen auf der Spitze der Felsen tanzen, noch die Fee in ihrem von leuchtenden Würmern gezogenen Wagen durch das Gebüsche fahren, noch den Heiligen nach verrichtetem Gebet wieder zum Himmel hinaufschweben sehen.

Wenn jedoch in der Nacht, welche auf jenen großen Sturm folgte, die Wellen des Meeres und die Gewalt des Windes irgend einen Seemann in diese gastliche Bucht getragen hätten, so würde ihn der Anblick von drei Männern, die mitten in der Matte um ein Feuer saßen, mit abergläubischem Schrecken erfüllt haben. Zwei dieser Männer trugen die großen Filzhüte und die langen weiten Beinkleider der königlichen Bergleute. Ihre Arme waren nackt bis zur Schulter, ihre Füße steckten in ungegerbten Thierfellen; ihre krummen Säbel und ihre langen Pistolen trugen sie in einem rothen Gürtel um den Leib. Beide hatten eine Trompete von Horn um den Hals hängen. Der eine war alt, der andere jung. Der dichte Bart des alten und die langen Haare des jungen Mannes machten ihre von Natur ernsten und düsteren Gesichter noch wilder.

In ihrem Gefährten erkannte man an seiner Mütze von Bärenfell, an seinem Wamms von geöltem Leder, an seiner Büchse, die in einem Bandelier über seinem Rücken hing, an seinen kurzen und engen Beinkleidern, an seinen nackten Knieen, an seinen Sandalen von Baumrinde, an der glänzenden Axt in seiner Hand, mit leichter Mühe einen Bergbewohner aus den nördlichen Theilen Norwegens.

Diese drei Männer drehten öfters den Kopf nach dem Fußpfad um, der von der Höhe zu Ralphs Matte führte, und nach ihren Reden zu urtheilen, erwarteten sie eine vierte Person.

»Wißt Ihr auch, Kennybol,« sagte der eine der Männer, »daß wir in der Matte des Räubers Tulbytilbet da üben zu dieser Stunde den Abgesandten des Grafen Greiffenfeld nicht so ungestört erwarten würden, eben so wenig, als da unten in St. Cuthberts Bucht? …«

»Schweigt, Jonas, redet nicht so laut,« erwiederte der Bergbewohner dem alten Bergknappen, »gepriesen sei Ralph der Riese, der uns schützt! Möge mich der Himmel bewahren, daß ich je wieder den Fuß in Tulbytilbets Matte setze! Letzthin glaubte ich dort Weißdorn zu brechen, und ich pflückte Hexenkraut, das mich sengte und brennte, daß ich fast närrisch wurde.«

Der junge Bergmann lachte.

»In der That, Kennybol,« sagte er, »ich glaube, daß das Hexenkraut seine Wirkung auf Euren armen Hirnkasten nicht verfehlt hat.«

»Selbst armer Hirnkasten!« erwiederte der beleidigte Bergbewohner. »Seht doch, Jonas, er lacht über das Hexenkraut! Das ist das Lachen eines Wahnsinnigen, der mit einem Todtenkopf spielt.«

»Hm!« versetzte Jonas, »so mag er in die Grotte von Walderhog gehen, wo die Köpfe der von Han dem isländischen Dämon Erschlagenen jede Nacht um sein Lager von trockenen Kräutern tanzen und mit den Zähnen klappern, um ihn einzuschläfern.«

»Das ist ganz wahr,« sagte der Bergbewohner.

»Aber,« fiel der junge Bergmann ein, »der Herr Hacket, den wir hier erwarten, hat uns ja versprochen, daß Han der Isländer sich an die Spitze unseres Aufstandes stellen werde.«

»Er hat es versprochen,« antwortete Kennybol, »und mit Hülfe dieses Dämons werden wir unfehlbar alle grünen Röcke von Drontheim und Kopenhagen überwinden.«

»Desto besser!« rief Jonas aus, »nur will ich nicht in der Nacht Schildwache bei ihm stehen.«

Es krachte im Gebüsch, sie wandten die Köpfe um, und erkannten beim Scheine des Feuers den neuen Ankömmling.

»Er ist es! Es ist Herr Hacket! Ihr habt lange auf Euch warten lassen, Herr Hacket!«

Dieser Herr Hacket war ein kleiner, dicker, schwarzgekleideter Mann, dessen Gesicht, trotz seiner Jovialität, einen düsteren Ausdruck hatte.

»Meine Unkenntniß des Wegs und die Vorsichtsmaßregeln, die ich treffen mußte,« sagte er, »haben meine Ankunft verzögert. Ich habe diesen Morgen den Grafen Schuhmacher verlassen. Hier sind drei Geldbörsen, die ich Euch von ihm überreichen soll.«

Die beiden Alten griffen mit jener Habgier zu, welche allen Landleuten dieses armen Norwegens eigen ist. Der junge Bergmann wies die Börse zurück, welche ihm Hacket darreichte.

»Behaltet Euer Gold, Herr!« sagte er. »Ich würde lügen, wenn ich sagte, daß ich mich um Eures Grafen Schuhmacher willen empöre. Ich stehe auf, um die Bergmänner von der königlichen Vormundschaft zu befreien; ich empöre mich, damit das Bett meiner Mutter eine warme Decke habe.«

Herr Hacket erwiederte ruhig: »Also, mein lieber Norbith, will ich dieses Gold Eurer armen Mutter schicken, und sie soll sich zwei neue Decken anschaffen, welche sie gegen die Stürme des Winters schützen.«

Norbith nickte bejahend mit dem Kopfe.

Hacket fuhr fort: »Aber hütet Euch, unbedachtsam zu sagen, daß Ihr nicht für Schuhmacher, Grafen von Greiffenfeld, die Waffen ergreift.«

»Gleichwohl…. gleichwohl….« murmelten die beiden Alten, »wissen wir, daß man die Bergleute unterdrückt, aber diesen Grafen, diesen Staatsgefangenen kennen wir nicht….«

»Wie!« rief der Abgesandte aus. »Könnt Ihr so sehr undankbar sein! Ihr seufzet unter der Erde, des Lichtes und der Luft beraubt, um Euer Eigenthum betrogen, Sklaven der unerträglichsten Vormundschaft! Wer ist Euch zu Hülfe gekommen? Wer hat Euern Muth entflammt? Wer hat Euch Gold und Waffen gegeben? War es nicht mein erlauchter Gebieter, der edle Graf von Greiffenfeld, der noch unglücklicher ist, als Ihr selbst? Und jetzt, von ihm mit Wohlthaten überhäuft, wollet Ihr zaudern, seine Freiheit mit der Eurigen zu erfechten?«

»Ihr habt Recht,« unterbrach ihn Norbith, »das wäre übel gethan.«

»Ja, Herr Hacket,« sagten die beiden Alten, »wir wollen für den Grafen Schuhmacher kämpfen.«

»Recht so, meine Freunde! Muth gefaßt, erhebt Euch in seinem Namen, tragt den Namen Eures Wohlthäters von einem Ende Norwegens zum andern! Alles begünstigt Eure gerechte Sache. Ihr werdet von einem furchtbaren Feinde, dem General Levin von Knud, Gouverneur der Provinz, befreit werden. Die geheime Macht meines edlen Herrn, des Grafen von Greiffenfeld, wird ihn für eine Zeit nach Bergen berufen lassen. Sagt mir nun, Kennybol, Jonas, und Ihr, mein lieber Norbith, sind alle Eure Kameraden bereit?«

»Meine Brüder zu Guldbransthal,« antwortete Norbith, »warten nur, daß ich ihnen das Zeichen gebe. Morgen, wenn Ihr wollt….«

»Morgen! Sei es! Die jungen Bergmänner, an deren Spitze Ihr steht, müssen den Aufstand beginnen. Und Ihr, wackerer Jonas?«

»Sechshundert Eisenarme der Inseln Faroer, die seit drei Tagen in dem Walde von Bennaltag von Bärenfett und Gemsenfleisch leben, harren nur auf den Hörnerschall ihres alten Hauptmanns Jonas aus dem Flecken Loewig.«

»Ganz gut! Und Ihr, Kennybol?«

»Alle, die in den Schluchten von Kole eine Axt führen, und ohne Knieleder die Felsen erklettern, sind bereit, sich an ihre Brüder, die Bergleute, anzuschließen, sobald ihr Horn erschallt.«

»So ist es in der Ordnung. Jetzt kündigt Euern Kameraden, damit sie des Sieges gewiß seien, an, daß Han der Isländer sich an ihre Spitze stellen wird.«

»Ist das sicher?« fragten alle drei zumal mit einer Stimme, in welcher sich Hoffnung mit Schrecken gemischt kundgab.

»Innerhalb vier Tagen, zu der nämlichen Stunde,« sagte der Abgesandte feierlich, »erwarte ich Euch mit Euern vereinigten Haufen in der Mine von Apsyl-Corh, bei dem See Smiassen, unter der Ebene des blauen Sternes. Dort werde ich mit Han dem Isländer eintreffen.«

»Wir werden uns einfinden,« erwiederten die drei Anführer, »und möge Gott diejenigen nicht verlassen, denen der Teufel hilft!«

»Fürchtet nichts von Seite Gottes,« sagte Hacket höhnisch. »Ihr werdet in den alten Ruinen von Crag Fahnen für Eure Truppen finden. Vergeßt nicht den Ruf: Es lebe Schuhmacher! Laßt uns Schuhmacher befreien! Jetzt müssen wir uns trennen, es will Tag werden. Zuvor aber schwört mir das unverbrüchlichste Stillschweigen über Alles, was zwischen uns vorgeht.«

Alsbald öffneten sich die drei Anführer mit ihren Säbeln eine Ader am linken Arme, ergriffen sofort Hacket’s Hand und ließen jeder einige Tropfen seines Blutes darauf fließen.

»Ihr habt unser Blut!« sagten sie.

Norbith fügte feierlich hinzu: »Möge all‘ mein Blut aus meinen Adern strömen, wie dieses, möge ein böser Geist alle meine Pläne zu nichte machen, wie der Wind einen Strohhalm vor sich her bläst, möge mein Arm von Blei sein, wenn ich eine Schmach rächen will, mögen Fledermäuse auf meinem Grabe laufen, mögen mich im Leben die Todten umgaukeln, und im Tode die Lebenden entweihen, mögen meine Augen Thränen weinen, wie die eines alten Weibes, wenn ich je den Mund aufthue, von dem zu sprechen, was zu dieser Stunde auf der Matte Ralphs des Riesen geschehen ist! So mögen mir alle Engel im Himmel beistehen, daß ich meinen Schwur halte! Amen!«

»Amen!« wiederholten die beiden Alten.

XVIII.

Benignus Spiagudry konnte nicht begreifen, was einen gesunden jungen Mann, der noch viele Lebensjahre vor sich hatte, bewegen mochte, aus freien Stücken einen Kampf mit Han dem Isländer zu suchen. Oft hatte er unterwegs auf diesen Gegenstand angespielt, aber der junge Abenteurer beobachtete über die Ursache seiner Reise das tiefste Schweigen. Auch in andern Beziehungen, welche seinen Reisegefährten betrafen, war der vorwitzige Pedant nicht glücklicher gewesen. Einmal hatte er eine Frage nach der Familie und dem Namen seines jungen Herrn, wie er ihn nannte, gewagt. »Nennt mich Ordener!« war die kurze Antwort, und zwar in einem Ton, der sich jede weitere Frage verbat.

Sie waren schon vier Tage unterwegs, ohne viel Weg zurückgelegt zu haben, theils wegen der durch das Ungewitter zerrissenen Straßen, theils wegen der vielen Um- und Querwege, welche der flüchtige Spiagudry machen zu müssen glaubte, um bewohnte Orte zu vermeiden. Nachdem sie Skongen rechts liegen gelassen, erreichten sie am Abend des vierten Tags das Ufer des Svarbosees.

Ordener hielt an und verlor sich in den Anblick dieser alten druidischen Wälder, welche die felsigen Ufer des Sees bedecken.

»Ganz recht, junger gnädiger Herr!« rief ihm Spiagudry zu. »Vor demjenigen der Seeen Norwegens, welcher am meisten Plattfische enthält, muß sich der Geist in Nachdenken verlieren.«

Ordener, in Betrachtung verloren, gab keine Antwort.

Der gelehrte Schwätzer fuhr fort: »So gerecht auch Ihre gelehrte Contemplation ist, so muß ich Sie dennoch derselben entreißen, um Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß sich der Tag neigt, und daß wir uns beeilen müssen, wenn wir den Weiler Oelmö vor Einbruch der Nacht noch erreichen wollen.«

Ordener setzte sich wieder in Marsch. Spiagudry folgte ihm, indem er gelehrte Betrachtungen über den Sparbosee anstellte; »Herr Ordener,« sprach er, »wenn Sie den wohlgemeinten Rath Ihres unterthänigst ergebenen Führers und Wegweisers annehmen wollten, so würden Sie Ihr unseliges Unternehmen aufgeben. Ja, gnädiger Herr, und dann würden wir unsern Aufenthalt an den Ufern dieses höchst merkwürdigen Sees nehmen und uns gemeinschaftlich einer Menge gelehrter Untersuchungen hingeben, als z. B. der über die stella canora palustris, welche sonderbare Pflanze, die viele Gelehrte für fabelhaft halten, der Bischof Arngrim an den Ufern des Sparbo gesehen und gehört zu haben versichert. Dazu kommt noch, daß wir das Vergnügen hätten, denjenigen Fleck Europas zu bewohnen, der am meisten Gyps enthält, und wohin die Spürhunde der Themis von Drontheim nicht leicht kommen. Spricht Sie dieser Gedanke nicht an, mein junger gnädiger Herr? Fassen Sie demnach den Entschluß, Ihrer ohne Nutzen gefährlichen Reise, einem periculum sine pecunia, d. h. einem thörichten, in einem unseligen Augenblicke gefaßten Unternehmen, zu entsagen.«

Ordener gab auf alles Geschwätz seines Reisegefährten nur einsilbige, abgerissene und zerstreute Antworten. So kamen sie in den Weiler Oelmö, in welchem eine ungewöhnliche Bewegung stattfand.

Die Einwohner strömten aus ihren Hütten einem kreisförmigen Hügel zu, auf welchem einige Leute standen, deren Einer in das Horn stieß, während er eine kleine schwarzweiße Fahne über seinem Haupte schwang.«

»Das ist ohne Zweifel irgend ein Marktschreier,« sagte Spiagudry, » ambubaiarum collegia, pharmacopolae, irgend ein Quacksalber, der Gold in Blei und Wunden in Geschwüre verwandelt. Laßt uns sehen, welche Erfindung der Hölle er an diese einfältigen Bauern verkaufen wird! Wenn diese Beutelschneider sich noch auf Könige und Fürsten beschränkten, wie der Däne Borichius und der Mailänder Borri, diese Alchymisten, die unsern guten Friedrich den Dritten so vollständig zum Narren hielten; allein diese Menschen haschen nach dem Pfennig des Landmanns, wie nach der Million des Fürsten.«

Spiagudry irrte sich. Als sie näher kamen, erkannten sie an seiner schwarzen Kleidung und runden spitzigen Mütze einen Gerichtsboten, den etliche Häscher umgaben.

Der flüchtige Spiagudry gerieth in Verwirrung und murmelte vor sich hin: »In der That, in diesem einsamen Weiler glaubte ich nicht auf einen Gerichtsboten zu stoßen. Hilf Himmel! Was wird er wohl ausrufen?«

In diesem Augenblicke erhob der Gerichtsbote seine Stimme:

Im Namen Sr. Majestät des Königs und auf Befehl Sr. Excellenz des Generals Levin von Knud, Gouverneurs, läßt der Oberrichter des Drontheimhus allen Einwohnern der Städte, Flecken, Dörfer, Weiler und Höfe der Provinz kund und zu wissen thun:

1) Auf den Kopf Han’s, gebürtig von Klipstadur in Island, Mörders und Mordbrenners, ist ein Preis von tausend Thalern gesetzt.

2) Auf den Kopf des Benignus Spiagudry, Schwarzkünstlers und Heiligthumsschänders, gewesenen Aufsehers im Spladgest zu Drontheim, ist ein Preis von vier Thalern gesetzt.

3) Dieses Edikt soll in der ganzen Provinz in allen Städten, Flecken und Dörfern, Weilern und Hoefen verkündigt werden. Diese Menschen sind vogelfrei, und ein Jeglicher mag ihr Leben nehmen.

Der arme Spiagudry verstummte vor Schrecken, und leicht hätten die Umstehenden seine Verwirrung wahrnehmen können, wenn nicht ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Gerichtsboten geheftet gewesen wäre.

»Einen Preis auf Hans Kopf!« rief ein alter Fischer aus. »Eben so gut könnten sie einen Preis auf den Kopf Beelzebubs, des Obersten der Teufel setzen.«

»Ich möchte Hans Kopf sehen,« sagte ein altes Weib, »um mich selbst zu überzeugen, ob seine Augen ein paar brennende Kohlen sind, wie es heißt.«

»Allerdings, daran ist nicht zu zweifeln,« versicherte eine andere Alte, »denn womit anders, als mit den Augen hat er die Kirche zu Drontheim angezündet? Ich möchte dieses Unthier lebendig sehen, mit seinem Drachenschwanz, seinen Bocksfüßen und Fledermausflügeln.«

»Wer hat Euch diese Mährchen erzählt, gute Mutter?« fiel ein Jäger ein, »Ich habe diesen Han den Isländer in den Schluchten von Medsybath mit eigenen Augen gesehen; er ist ein Mensch wie ein anderer, nur ist er so groß, wie ein vierzigjähriger Pappelbaum.«

»Wirklich,« sagte eine Stimme ans der Menge, deren Ton Spiagudry erbeben machte. Sie gehörte einem kleinen Manne an, dessen Gesicht unter einem breitrandigen Bergmannshut versteckt, und dessen Körper mit Seehundsfellen bedeckt war.

»Mag man,« rief ein rußiger Schmied aus, »tausend oder zehntausend Thaler auf seinen Kopf setzen, mag er vier oder vierzig Fuß groß sein, ich einmal will dieses Geld nicht verdienen!«

»Ich auch nicht,« fügte der Fischer hinzu.

»Ich auch nicht! ich auch nicht!« wiederholten alle Anwesenden.

»Wer Lust dazu hat,« sagte der kleine Mann, »kann Han den Isländer morgen in den Ruinen von Urbar, bei Smiassen, übermorgen in der Grotte von Walderhog finden.«

»Wißt Ihr das gewiß, mein lieber Mann?«

So fragte Ordener und zugleich mit ihm ein kleiner schwarz gekleideter Mann, der bei dem ersten Tone des Horns aus der Thüre des nahen Wirthshauses getreten war.

Der kleine Mann sah sie einen Augenblick an und sagte dann in dumpfem Tone: »Ja!«

»Und woher wißt Ihr das so gewiß?« fragte Ordener.

»Ich weiß so gut, wo Han der Isländer ist, als wo sich Benignus Spiagudry befindet. Weder der eine noch der andere sind in diesem Augenblicke weit von hier.«

Spiagudry zitterte an allen Gliedern, zupfte Ordener am Mantel, flüsterte ihm zu: »Herr, gnädiger Herr, im Namen des Himmels, in Gottes und Jesu Namen, aus Mitleid, aus Barmherzigkeit, lassen Sie uns gehen! Herr, hilf uns aus diesem verfluchten Weiler!«

Der kleine Mann kehrte ihnen den Rücken zu und schien sein Gesicht verbergen zu wollen.

»Diesen Benignus Spiagudry,« rief der Fischer, »habe ich im Spladgest zu Drontheim gesehen. Er ist ein langer Mann, Vier Thaler hat man auf seinen Kopf gesetzt?«

»Vier Thaler!« wiederholte der Jäger lachend. »Auf den mache ich keine Jagd. Da gilt ein blauer Fuchsbalg mehr.«

Diese Vergleichung, die ihn zu jeder andern Zeit beleidigt hätte, gereichte diesmal unserem guten Spiagudry zur Beruhigung. Um vier Thaler zu gewinnen, dachte er, werden sich die Leute nicht viel Mühe geben. Gleichwohl bat er Ordener aufs Neue, mit ihm den Ort zu verlassen. Ordener willfahrte ihm in der Hoffnung, den Räuber um so bälder aufzufinden.

»Alter Herr,« fragte er im Gehen, »welches ist denn diese Ruine, in der man morgen, nach der Versicherung des kleinen Mannes, Han den Isländer finden wird?«

»Ich weiß es nicht, ich habe es nicht recht gehört,« erwiederte Spiagudry, der diesmal wirklich die Wahrheit sagte.

»Man muß ihn also erst übermorgen in der Grotte von Walderhog aufsuchen,« fuhr Ordener fort.

»Die Grotte von Walderhog, gnädiger Herr, das ist in der That der Lieblingsaufenthalt Hans des Isländers.«

»So wollen wir unsern Weg dahin nehmen.«

»Dann müssen wir uns links ziehen, hinter den Felsen von Delmö; in weniger als zwei Tagen können wir die Grotte von Walderhog erreichen.«

»Kennt Ihr diesen sonderbaren Mann, der Euch so gut zu kennen scheint?«

»Nein, gnädiger Herr!« erwiederte Spiagudry mit zitternder Stimme. »Nur kommt mir der Ton seiner Stimme so seltsam vor.«

Ordener suchte ihn zu beruhigen: »Fürchtet nichts. Dient mir wohl, ich nehme Euch unter meinen Schutz. Wenn ich Han den Isländer überwinde, so verspreche ich Euch nicht nur Eure Begnadigung, sondern Ihr sollt auch die tausend Thaler haben, welche auf seinen Kopf gesetzt sind.«

So sehr Benignus am Leben hing, so sehr liebte er auch das Geld. Ordeners Versprechen hatte eine magische Wirkung auf ihn. Alle Schrecken wichen auf einmal aus seiner Seele, und in der Freude seines Herzens entwickelte er in vollem Maße jene Geschwätzigkeit, die sich in einem Strome pedantischer Redensarten und gelehrter Citate ergoß.

»Gnädiger Herr Ordener,« sprach er, »sollte ich auch über diesen Gegenstand eine Controverse mit Ower-Bilseuth, sonst auch der Schwätzer genannt, bestehen müssen, so sollte mich dennoch solches nicht abhalten, zu behaupten, daß Sie ein ehrenfester und weiser junger Mann sind; denn was ist in Wahrheit ehrenwerther und ruhmwürdiger, quid cithara, tuba, vel campana dignius, als kühn sein Leben einzusetzen, um sein Vaterland von einem Ungeheuer, von einem Räuber, von einem Dämon zu befreien, in welchem alle Dämonen, alle Räuber und Ungeheuer vereinigt erscheinen? Und nicht durch schmutzigen Eigennutz sind Sie getrieben! Der edelmüthige Ordener überläßt den Lohn seiner That seinem Reisegefährten, dem Greis, der ihn bis zur Entfernung einer Meile zur Grotte von Walderhog geleitet hat, denn Sie werden mir erlauben, junger gnädiger Herr, und es ziemt sich für mein Alter, den Ausgang Ihres berühmten Unternehmens in dem Weiler Surb, als welcher eine Meile weit vom Ufer von Walderhog im Walde liegt, abzuwarten! Und nachdem, o Herr, Ihr glänzender Sieg zur Kunde der Menschen gekommen sein wird, so wird durch ganz Norwegen ein Jubel herrschen, demjenigen ähnlich, als Pharamund, der Geächtete, von dem nämlichen Felsen von Oelmö aus, welchen wir jetzt erglimmen, das große Feuer erblickte, das sein Bruder Halfdan auf den Mauern von Munckholm zum Zeichen der Befreiung hatte anzünden lassen …«

Bei dem Namen Munckholm unterbrach ihn Ordener lebhaft: »Wie! Vom Gipfel dieses Felsen erblickt man also die Mauern von Munckholm?«

»Ja, gnädiger Herr, zwölf Meilen südlich zwischen den Bergen, welche unsere Väter Friggas Schemel benamsten. Zu dieser Stunde muss man den Leuchtthurm ganz gut erblicken können.«

»Wirklich!« rief Ordener aus. »Es gibt ohne Zweifel einen Fußweg, der auf den Gipfel dieses Felsen führt?«

»Allerdings beginnt in diesem Walde ein Fußweg, der ziemlich verloren bis auf den kahlen Gipfel des Felsen führt.«

»Zeigt mir diesen Fußweg, alter Herr! Wir wollen oben auf dem Felsen die Nacht zubringen.«

»Was fällt Ihnen da ein, mein gnädiger Herr? Die Ermattung dieses Tages …«

»Ich fühle mich kräftig genug, Euch zu unterstützen, wenn Ihr ermattet.«

»Gnädiger Herr, die Baumwurzeln in diesem unbetretenen Pfade, sodann die losen Steine, sofort die Finsternis; der Nacht …«

»Ich will vorangehen.«

»Ferner die wilden Thiere, kriechendes Gewürm, irgend ein entsetzliches Ungeheuer…«

»Ich fürchte die Ungeheuer nicht, sonst hätte ich diese Reise nicht unternommen.«

»Mein theuerster junger Herr, glauben Sie einem alten, erfahrenen, getreuen Diener und Wegweiser, welcher eine Ahnung hat, daß die Ausführung dieses Plans uns Unglück bringen wird …«

»Vorwärts, alter Schwätzer, und bedenke, daß Du mir versprochen hast, mir dienstlich zu sein!« rief Ordener ungeduldig aus. »Zeige mir diesen Fußweg, wo ist er?«

»Wir werden sogleich dahin einlenken,« sagte der furchtsame Spiagudry, sich in das unvermeidliche Schicksal ergebend.

Bald kamen sie an den bezeichneten Fußpfad, und Spiagudry bemerkte mit Staunen und Entsetzen, daß das hohe Gras frisch zusammen getreten war, und daß irgend Jemand den alten Fußsteig Pharamunds des Geächteten erst kürzlich passirt haben mußte.

XIX.

Der General Levin von Knud sah nachdenklich vor seinem mit Papieren überlegten Schreibtisch. Ein vor ihm stehender Sekretär wartete auf seine Befehle.

»Zum Teufel auch,« rief er nach einer langen Pause, »wer hätte je gedacht, daß diese verdammten Bergleute es so weit treiben würden? Sie sind sicherlich durch geheime Umtriebe zu diesem Aufstand angereizt worden. Aber die Sache ist ernsthaft. Ihr müht wissen. Wapherney, daß fünf- bis sechshundert Schufte aus den Inseln Faroer bereits ihre Minen verlassen und unter einem alten Banditen Namens Jonas zu den Waffen gegriffen haben, daß ein junger Brausekopf, Norbith genannt, sich an die Spitze der Mißvergnügten von Gulbransthal gestellt hat, daß zu Sund-Moer, zu Hubfallo, zu Kongsberg, die Unzufriedenen, die nur auf das Signal warteten, vielleicht schon im Aufstand begriffen sind, daß die Bergbewohner unter der Anführung des alten tapfern Kennybol sich an die Empörer angeschlossen haben, und daß der gefürchtete Räuber Han an der Spitze der ganzen Insurrektion steht. Was sagt Ihr zu Allem dem, Freund Wapherney? Hm!«

»Euer Excellenz werden wissen, welche Maßregeln …«

»Es ist bei dieser ganzen Geschichte noch ein Umstand, den ich mir nicht entziffern kann, nämlich, daß unser Staatsgefangener Schuhmacher Urheber des Aufstands sein soll. Niemand wundert sich darüber, und mich wundert das am meisten. Ein Mensch, bei welchem sich unser ehrlicher Ordener gefiel, kann kein Staatsverräther sein. Inzwischen sind die Empörer, wie man versichert, in seinem Namen aufgestanden: sein Name ist ihr Loosungswort; sie legen ihm die Titel bei, deren ihn der König entsetzt hat … Das Alles scheint gewiß … Aber woher kommt es, daß die Gräfin Ahlfeldt schon vor sechs Tagen alle diese Sachen wußte, wo doch kaum in den Minen die Empörung sich kundgegeben hatte? Gleichviel, man muß der Sache abhelfen. Gebt mir mein Siegel, Wapherney!«

Der General schrieb drei Briefe, siegelte sie und übergab sie dem Sekretär.

»Dieses Schreiben,« sagte er, »an den Baron Voethaün, Oberst der Arquebusirer zu Munckholm, daß sein Regiment sogleich gegen die Empörer aufbreche. Hier an den Festungscommandanten zu Munckholm, der Staatsgefangene Schuhmacher soll sorgfältiger als je bewacht werden: ich werde ihn selbst verhören. Diesen Brief nach Skongen an den Major Wolhm, daß er einen Theil seiner Truppen gegen die Rebellen abschicke. Schnell Wapherney!«

Der Sekretär ging und ließ den Gouverneur in seinen Gedanken verloren zurück. Alles das, dachte er, ist sehr beunruhigend. Diese Empörer da, diese ränkevolle Kanzlerin hier, dieser Narr von Ordener, man weiß nicht wo! Vielleicht mitten unter den Rebellen, während er mir seinen Schuhmacher auf dem Halse läßt, der sich gegen den Staat verschwört, und seine Tochter, um deren Unschuld willen ich die Compagnie, in welcher Friedrich von Ahlfeldt dient, habe detachiren lassen … Nun, die ist vielleicht gerade am rechten Orte, die ersten Bewegungen der Rebellen aufzuhalten … Wahlstrom, wo sie in Besatzung ist, liegt nahe am See Smiassen und an den Ruinen von Arbar. Diesen Punkt muß der Aufstand bald erreichen…«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre.

»Was wollt Ihr, Gustav?« fragte der General.

»Ein Note, mein Herr General!«

»Was gibt es da wieder Neues? Laßt ihn herein!«

Der Bote überreichte dem Gouverneur ein Schreiben: »Excellenz, von Seiten Sr. Erlaucht des Vice-Königs!« sagte er.

»Bei Sankt Georg!« rief der General aus, nachdem er gelesen hatte, »ich glaube, sie sind alle närrisch geworden! Beordert man mich gar nach Bergen! Auf Befehl des Königs in dringenden Angelegenheiten … Dazu ist die Zeit gut gewählt … Der Großkanzler, der gegenwärtig die Provinz bereist, wird Sie einstweilen ersetzen … Ein sauberer Ersatzmann … Der Bischof wird ihn unterstützen … Zwei herrliche Befehlshaber in einem empörten Lande, ein Kanzler und ein Bischof! … aber was ist zu machen! … Unmittelbarer Befehl des Königs … Man muß … Ich will doch vor meiner Abreise Schuhmacher noch verhören. Ich sehe wohl, daß man mich in ein Chaos von Intriguen begraben will, aber ich habe einen Compaß, der nie irreleitet: ein gutes Gewissen.«

XX.

»Ja, Herr Graf, heute treffen wir ihn in den Ruinen von Arbar, Ich habe es durch Zufall erfahren, aber viele Umstände machen mir es wahrscheinlich.«

»Sind wir weit von diesen Ruinen?«

»Sie liegen in der Nähe des Sees Smiassen. Der Führer versichert, daß wir sie vor Mittag erreichen können.«

So besprachen sich zwei Personen zu Pferd, die in braune Mäntel gehüllt waren. Es war noch früh Morgens und sie befanden sich auf einem jener engen Wege, welche den Wald, der zwischen den Seeen von Smiassen und Sparbo liegt, in allen Richtungen durchschneiden. Ein Bergmann, der sein Horn umhängen hatte und mit seiner Axt bewaffnet war, ritt auf einem kleinen grauen Pferde voran; und hinter ihnen kamen vier andere wohlbewaffnete Reiter, gegen welche sie von Zeit zu Zeit die Köpfe zurückwendeten, als ob sie fürchteten, von ihnen gehört zu werden.

Die beiden Reiter waren der Graf von Ahlfeldt und sein Sekretär Musdoemon. »Wenn dieser isländische Räuber sich wirklich in den Ruinen von Urbar befindet,« sagte der Letztere, »so haben wir viel gewonnen, denn das Schwierigste an der Sache war, dieses ungreifbare Wesen aufzufinden.«

»Glaubt Ihr, Musdoemon? Und wenn er nun unsere Anerbietungen verwirft?«

»Unmöglich, gnädiger Herr Graf! Gold und Straflosigkeit! Welcher Räuber würde da widerstehen?«

»Ihr wißt aber, daß dieser Räuber kein Bösewicht gewöhnlichen Schlags ist. Legt also nicht Euern Maßstab an ihn an. Wenn er nun unsern Antrag nicht annimmt, wie wollt Ihr Euer Versprechen gegen die drei Anführer des Aufstandes erfüllen?«

»Euer Gnaden scheinen vergessen zu haben, daß uns ein falscher Han der Isländer zu Gebot steht.«

»Ihr habt Recht und immer Recht, mein lieber Musdoemon!« sagte der Graf, und beide überließen sich nun ihren eigenen Gedanken.

Musdoemon, dessen Vortheil erforderte, seinen Gebieter bei guter Laune zu erhalten, machte, um ihn zu zerstreuen, eine Frage an den Wegweiser.

»Guter Mann,« sagte er, »was ist das für ein steinernes Kreuz dort hinter jenen Eichen?«

»Das ist kein Kreuz, Herr,« antwortete der Bergbewohner, »sondern der älteste Galgen in Norwegen. Der König Olaus hat ihn für einen Richter aufschlagen lassen, der mit einem Räuber ein Bündniß abgeschlossen hatte.«

Musdoemon sah den Aerger auf dem Gesichte seines Patrons, als er diese Worte hörte.

»Das ist eine ganz besondere Geschichte,« fuhr der treuherzige Wegweiser fort, »der Räuber mußte den Richter hängen …«

Musdoemon rief ihm zu: »Schon gut, schon gut, lieber Freund! Wir wissen diese Geschichte.«

»Er weiß diese Geschichte, der Flegel!« murmelte der Graf für sich. »Warte, Musdoemon, Du sollst mir Deine Unverschämtheit theuer bezahlen!«

»Was befehlen Ew. Gnaden?« fragte Musdoemon mit unterwürfigem Wesen.

»Ich dachte eben auf Mittel, mein Lieber, den Danebrogorden für Euch zu erhalten. Die Vermählung meiner Tochter Ulrike mit Baron Ordener wird dazu eine gute Gelegenheit sein.«

Musdoemon zerfloß in Danksagungen und Betheurungen seiner Anhänglichkeit.

»Um wieder auf unsere Angelegenheiten zu kommen, glaubt Ihr, daß der Mecklenburger den Befehl, der ihn nach Bergen beruft, jetzt in Händen habe?«

»Ohne Zweifel, gnädiger Herr Graf, wird jetzt der Bote zu Drontheim sein, und der General Levin muß sich mithin zur Abreise anschicken.«

»Diese Abberufung ist ein Meisterstreich von Euch, Musdoemon. Er gehört zu Euren best ausgesonnenen und best ausgeführten Intriguen.«

»Die Ehre davon gehört Euer Gnaden eben so gut als mir,« erwiederte Musdoemon, der sich zur Maxime gemacht hatte, den Grafen bei allen seinen Umtrieben zu betheiligen.

Der Graf, der seine geheimen Gedanken ganz gut kannte, versetzte gleichwohl lächelnd: »Mein lieber geheimer Sekretär, Ihr seid immer allzu bescheiden, aber ich werde dennoch Eurer ausgezeichneten Dienste stets eingedenk sein. Elphegens Anwesenheit und des Mecklenburgers Abwesenheit sichern meinen Triumph zu Drontheim. Ich bin Oberhaupt der Provinz, und wenn Han das Commando der Rebellen annimmt, das ich ihm selbst anbieten werde, so werde ich den Ruhm ernten, diese Empörung gedämpft und den furchtbaren Räuber gefangen zu haben.«

In diesem Augenblicke drehte sich der Wegweiser um und rief: »Seht da, gnädige Herren, zu unserer Linken den Hügel, auf welchem Biord der Gerechte im Angesicht seiner Armee den doppelzüngigen Verräther Wellon enthaupten ließ, der die ächten Vertheidiger des Königs entfernt und den Feind in das Lager gerufen hatte, damit es scheine, als habe er allein Biords Leben gerettet …«

Musdoemon unterbrach ihn barsch: »Laßt das, guter Mann, schweigt und setzt Euern Weg fort, ohne Euch umzuwenden! Was liegt uns an Euern alten Geschichten! Ihr stört meinen Herrn durch Eure alte Weiberhistorien!«

XXI.

Wir haben Ordener und Spiagudry verlassen, als sie eben bei aufgehendem Monde den Gipfel des Felsen von Oelmö ziemlich mühsam erstiegen. Je höher die Reisenden kamen, um so kahler wurde allmählig der Felsen; der Wald verwandelte sich in Gesträuch; bald verschwand auch dieses.

»Gnädiger Herr Ordener,« sagte der stets redselige Spiagudry, »dieser steile Pfad ist sehr ermüdend, und um ihn mit Ihnen zu erklimmen, bedurfte es der ganzen Ergebenheit … Aber es scheint mir, daß ich da rechts einen prächtigen convolvulus sehe; den möchte ich gerne näher untersuchen. Schade, daß es nicht Tag ist! … Doch um auf etwas Anderes zu kommen, müssen Sie nicht selbst gestehen, daß es höchst unverschämt ist, einen Gelehrten, wie ich einer bin, nur um vier lumpige Thaler anzuschlagen? Es ist allerdings wahr, daß der berühmte Phädrus ein Sklave war, und daß Aesop, wenn wir dem gelehrten Planudius glauben wollen, auf dem öffentlichen Markt wie ein Thier oder eine Sache verkauft worden ist, und wer sollte nicht stolz darauf sein, ein mit dem großen Aesop in einiger Beziehung ähnliches Schicksal zu haben? …«

»Und mit dem berühmten Han?« fügte Ordener lachend hinzu.

Sprechen Sie doch diesen Namen nicht in solcher Beziehung aus, mein gnädiger Herr! Ich schwöre Ihnen bei Jupiters Thron, daß ich diese Vergleichung gerne entbehre. Das jedoch wäre ein sonderbarer Fall, wenn der Preis, welcher auf sein Haupt gesetzt ist, Benignus Spiagudry, der sich in gleichem Unglück befindet, zukäme. Gnädiger Herr Ordener, Sie sind edelmüthiger als Jason, denn dieser gab das goldene Vließ seinem Piloten von Argos nicht, und doch ist Ihr Unternehmen, dessen Zweck mir ein Räthsel bleibt, nicht minder gefährlich, als das Jason’sche war …«

»Nun,« unterbrach ihn Ordener, »da Ihr diesen Han den Isländer kennt, so macht mich doch näher mit seinen persönlichen Verhältnissen bekannt. Ihr habt mir bereits gesagt, daß er kein Riese sei, wie man insgemein glaubt.«

»Halten Sie, Herr!« rief Spiagudry ängstlich aus. »Es dünkt mich, daß ich das Geräusch von Schritten hinter uns höre.«

»Richtig,« antwortete Ordener ruhig, »Ihr habt Recht. Seid ruhig, es wird irgend ein wildes Thier sein, das wir aufgeschreckt haben.«

»Sie mögen Recht haben, mein junger Cäsar, denn seit langer Zeit hat diese Gehölze kein menschlicher Fuß betreten. Aus dem gewichtigen Tritte zu schließen, muß dieses Thier groß sein. Etwa ein Elennthier oder ein Rennthier. Es gibt deren viele in diesem Theile Norwegens. Man findet auch Pantherkatzen; ich habe deren selbst eine zu Kopenhagen gesehen; sie war ungeheuer groß. Ich will Ihnen doch eine Beschreibung von diesem wilden Thiere machen ….«

»Mein lieber Freund, macht mir lieber die Beschreibung von einem andern nicht minder wilden Thiere, jenem furchtbaren Han ….«

»Leise doch, gnädiger Herr! Wie Sie einen solchen Namen so ruhig aussprechen! Sie wissen nicht … Hören Sie doch um Gottes willen, Herr!«

Spiagudry drängte sich dicht an Ordener, welcher sehr deutlich eine Art Geheul vernahm, das demjenigen glich, welches in jener stürmischen Nacht den armen Spiagudry so sehr in Schrecken gesetzt hatte.

»Haben Sie es gehört?« murmelte dieser vor Furcht zitternd.

»Allerdings, und ich weiß nicht, warum Ihr zittert. Das ist das Heulen eines wilden Thieres, vielleicht gar jener Pantherkatze, von der Ihr eben gesprochen habt. Glaubtet Ihr denn um diese Stunde einen solchen Ort passiren zu können, ohne etwas von wilden Thieren zu vernehmen? Aber seid ruhig, sie sind gewiß selbst mehr erschreckt, als Ihr.«

Spiagudry faßte ein wenig Muth, als er die Ruhe seines Reisegefährten sah.

»Es könnte wohl sein, Herr, daß Sie abermals Recht hätten, allein dieses Thiergeschrei gleicht einer gewissen entsetzlichen Stimme … Es war eine böse Inspiration, welche Sie auf den Gedanken brachte, diesen Felsen, auf welchem die Ruinen von Pharamunds Burg liegen, ersteigen zu wollen. Ich fürchte fast, daß uns ein Unglück begegnen möge.«

»Fürchtet nichts, so lange ich bei Euch bin.«

»Ach! Sie fürchten sich doch vor gar nichts. Allein, Herr, nur der heilige Paulus kann Schlangen in die Hand nehmen, ohne daß sie ihn beißen. Sie haben aber nicht wahrgenommen, daß das Gras in diesem verfluchten Fußsteig, als wir in ihn einlenkten, frisch zerdrückt und zu Boden getreten war, was beweist, daß vor Kurzem erst Jemand den Weg passirt hatte.«

»Was liegt daran! Es macht mir keine Unruhe, wenn ein Grashalm zertreten ist. Jetzt sind wir aus dem Gebüsche, und hören weder Schritte noch Thiergeheul mehr. Wir müssen nun unsere Kräfte zusammennehmen, denn der in den Felsen gehauene Fußsteig wird schwierig zu ersteigen sein.«

»Nicht darum, Herr, weil er steiler ist, sondern der gelehrte Reisende Suckson erzählt, daß er oft durch Felsstücke oder schwere Steine gesperrt ist, die zu schwer sind, um sie aus dem Wege räumen zu können, und über die man nicht leicht wegkommt. Es liegt unter andern etwas jenseits des Ausfallthors des Malaerthurms, dem wir uns jetzt nähern, ein ungeheurer dreieckiger Granitblock, den ich längst gerne gesehen hätte. Schönning versichert, auf demselben die drei ursprünglichen runischen Buchstaben wieder aufgefunden zu haben …«

Die Reisenden kletterten schon eine Zeitlang den nackten Felsen hinauf; sie erreichten einen kleinen verfallenen Thurm, durch den sie passiren mußten.

»Dies ist das Ausfallthor des Malaerthurms,« sagte Spiagudry. »Dieser bedeckte Weg enthält mehrere sehenswürdige Bauten, die uns zeigen, welches die alten Fortifikationen unserer norwegischen Burgen waren. Dieses Ausfallthor, das immer vier Bewaffnete bewachten, war das erste Vorwerk der Burg Pharamunds. Bei Gelegenheit des Wortes Thor macht der Mönch Uresius eine sonderbare Bemerkung. Das Wort Janua, welches von Janus kommt, dessen Tempel so berühmte Thore hatte, soll das Wort Janitschar, Hüter der Thore des Sultans, erzeugt haben. Es wäre sonderbar, wenn der Name des friedlichen Janus auf die wilden und blutdürstigen Janitscharen übergegangen wäre.«

Während Spiagudry diesen gelehrten Galimathias auskramte, dachte Ordener nur an das Vergnügen, von hier aus den Leuchtthurm von Munckholm zu erblicken.

»Ah! Ich sehe ihn,« rief Spiagudry plötzlich aus. »Dieser Anblick entschädigt mich für alle meine Mühe. Ich sehe ihn, Herr, ich sehe ihn!«

»Was denn?« fragte Ordener, der an den Leuchtthurm von Munckholm und seine Ethel dachte.

»Was anders,« erwiederte Spiagudry mit beseligter Stimme, »als den dreieckigen Felsblock, von welchem Schönning spricht! Ich werde nunmehr, neben dem Professor Schönning und dem Bischof Isleif, der dritte Gelehrte sein, welcher das Glück gehabt hat, diesen Stein näher zu untersuchen. Nur ist es sehr zu bedauern, daß solches nur bei Mondschein geschehen kann.«

Als Spiagudry sich dem berühmten Felsblock näherte, stieß er einen Schrei schmerzlichen Staunens aus. Ordener fragte ihn um dessen Ursache, aber der arme Mann konnte lange Zeit die Zunge zur Antwort nicht bewegen.

»Ihr wart der Meinung,« sagte Ordener, »daß dieser Felsblock den Weg sperre. Ihr müßt nun im Gegentheil mit Vergnügen erkennen, daß er ihn vollkommen frei läßt.«

»Eben das setzt mich ja in Verzweiflung!« sagte Benignus mit kläglicher Stimme.

»Wie so denn?«

»Wie so, Herr! Sehen Sie nicht, daß dieser Block von der Stelle gerückt worden ist, daß dessen Basis, die auf dem Fußpfad ruhte, nun mehr der Luft ausgesetzt ist, während der Stein gerade mit der Seite, an welcher Schönning die ursprünglichen runischen Schriften entdeckt hatte, auf dem Boden ruht? … Das macht mich sehr unglücklich!«

»Das ist freilich ein harter Schlag!« sagte Ordener spottend.

»Dazu kommt noch,« fügte Spiagudry lebhaft hinzu, »daß die Wegrückung dieser Masse die Gegenwart irgend eines übernatürlichen Wesens beweist. Wenn es nicht der Teufel selbst ist, so gibt es in Norwegen nur einen einzigen Menschen, dessen Arm im Stande wäre …«

»Euer panischer Schrecken ergreift Euch wieder, alter Herr! Wer weiß, ob dieser Stein nicht seit einem Jahrhundert so liegt?«

»Allerdings,« sagte Spiagudry beruhigter, »sind es allbereits hundert und fünfzig Jahre, daß der letzte gelehrte Beobachter denselben studirt hat. Es scheint mir jedoch, daß er frisch weggeräumt sei; der Platz, den er einnahm, ist noch feucht. Sehen Sie, Herr …«

Ordener, voll Ungeduld, die Ruinen zu erreichen, riß den gelehrten Forscher von der Pyramide weg.

»Hört, Alter,« sagte er, »wenn Ihr erst die tausend Thaler, welche Euch Han’s Kopf eintragen wird, in der Tasche habt, könnt Ihr Euch an den Ufern dieses See’s niederlassen und die Alterthümer der Gegend mit aller Gemächlichkeit studiren.«

»Sie haben Recht, edler Herr, allein reden Sie nicht so leichthin von einem noch sehr zweifelhaften Siege. Ich will Ihnen einen Rath ertheilen, mittelst dessen Sie sich des Ungeheuers leicht bemeistern können …«

»Und welchen?« fragte Ordener schnell.

»Der Räuber,« sagte Spiagudry leise und warf unruhige Blicke um sich, »trägt an seinem Gürtel einen Hirnschädel, aus welchem er zu trinken pflegt. Dieser Hirnschädel ist der seines Sohnes, des nämlichen Leichnams, wegen dessen Profanation ich verfolgt werde …«

»Etwas lauter, und fürchtet nichts; ich höre Euch kaum. Nun, dieser Hirnschädel?«

»Dieses Hirnschädels müssen Sie sich zu bemächtigen suchen. Das Ungeheuer knüpft daran gewisse abergläubische Ideen. Haben Sie einmal den Hirnschädel seines Sohnes in Ihrer Gewalt, so können Sie mit dem Räuber machen, was Sie wollen.«

»Ganz gut, aber wie in dessen Besitz gelangen?«

»Mit List, Herr! Während das Unthier schläft. Vielleicht ….«

»Genug, Euer guter Rath kann mir nichts helfen. Ich überfalle keinen Feind im Schlaf. Ich weiß ihn nur mit meinem guten Schwerte zu bekämpfen.«

»Herr, es ist nicht bewiesen, daß der Erzengel Michael keine List gebraucht hatte, Satan zu bekämpfen und in den Abgrund zu stürzen ….«

Hier hielt Spiagudry plötzlich inne, streckte beide Hände vor sich aus und rief mit fast erloschener Stimme: »Himmel! Himmel! Was sehe ich da? Seht, Herr, geht da nicht vor uns in dem nämlichen Fußwege ein kleiner Mann? ….«

»Ich sehe nichts,« sagte Ordener aufblickend.

»Nichts, Herr? Allerdings, der Weg biegt sich, und er ist hinter jenem Felsen verschwunden. Lassen Sie uns nicht weiter gehen, ich beschwöre Sie darum, Herr!«

»Wenn dieser kleine Mann so schnell verschwunden ist, so ist das ein Beweis, daß er uns nicht erwarten will, und wenn er flieht, so ist das kein Grund für uns, auch zu fliehen.«

»So möge der Himmel über uns wachen,« seufzte Spiagudry.

»Ihr werdet den Schatten einer aufgeschreckten Nachteule für einen Menschen gehalten haben.«

»Ich glaubte gleichwohl einen kleinen Mann deutlich zu erblicken. Es ist freilich wahr, daß der Mondschein bisweilen seltsame Täuschungen hervorbringt. Beim Mondschein hielt Baldan, Herr zu Merneugh, den weißen Vorhang seines Bettes für den Schatten seiner Mutter, weshalb er am andern Morgen vor den Richtern zu Christiania sich als Muttermörder selbst angab, während die Richter eben im Begriffe waren, den unschuldig angeklagten Pagen der Verstorbenen zu verurtheilen. Es kann demnach mit Recht behauptet werden, daß der Mondschein diesem Pagen das Leben gerettet habe.«

Kein Mensch auf der Welt vergaß so leicht, als Spiagudry, die Gegenwart über der Vergangenheit. Eine Rückerinnerung seines immensen Gedächtnisses war hinreichend, alle Eindrücke des Augenblicks aus seiner Seele zu verbannen. Baldans Geschichte verscheuchte alsbald alle seine Besorgnisse, und er fügte seiner Erzählung ganz ruhig hinzu: »Es ist möglich, daß mich der Mondschein auf gleiche Weise getäuscht hat.«

Die Wanderer kamen an den Ruinen an. Von den fünf Thürmen, die ehedem Pharamunds, des Geächteten, Burg geziert und beschützt hatten, stand nur noch ein einziger in seiner ganzen Höhe aufrecht. Dieser Thurm stand am äußersten Rande des Felsen. Von seiner Zinne konnte man, wie Spiagudry versicherte, den Leuchtthurm von Munckholm erblicken. Sie nahmen ihre Richtung nach ihm hin, obgleich es in diesem Augenblick ganz dunkel geworden war, denn der Mond hatte sich hinter einem schwarzen Gewölke versteckt. Als sie über eine Mauer kletterten, faßte plötzlich Benignus mit zitternder Hand Ordeners Arm.

»Was gibt es?« fragte dieser verwundert.

Statt aller Antwort drückte der Alte seinen Arm noch heftiger, als ob er ihm Stillschweigen auflegen wollte.

»Nun denn?«

Ein neues Drücken erfolgte, begleitet von einem tiefen Seufzer. Ordener entschloß sich, geduldig zu warten, bis der erste Schrecken vorüber sein würde.

Endlich sagte Spiagudry mit zurückgehaltenem Athem: »Nun, Herr, was sagen Sie dazu?«

»Wozu?«

»Nicht wahr, Sie bereuen es jetzt selbst, daß wir da heraufgestiegen sind?«

»Nein, wahrlich nicht, und ich will noch höher steigen. Warum soll ich es denn bereuen?«

»Wie, Herr, Sie haben also nicht gesehen? …«

»Gesehen! Was?«

»Sie haben nicht gesehen?«

»In der That nichts, gar nichts! Ich habe bloß Euer Zähneklappern gehört.«

»Wie! Hinter dieser Mauer da, in der Dunkelheit … diese zwei feurige Augen, wie Kometen leuchtend …. flammend auf uns gerichtet!… Die haben Sie nicht gesehen?«

»Gewiß nicht!« »Sie haben sie nicht gesehen, wie sie auf- und niederblitzten, hin- und herleuchten und zuletzt in den Ruinen verschwanden!«

»Ich weiß nicht, was Ihr damit wollt. Was liegt auch daran?«

»Was daran liegt? Wissen Sie nicht, daß es in Norwegen nur einen einzigen Menschen gibt, dessen Augen so in der Dunkelheit leuchten?«

»Und wer ist denn dieser Mensch mit den Katzenaugen? Etwa Han der Isländer? Desto besser, wenn er hier ist! Das erspart uns die Reise nach Walderhog.«

»Ah! Herr, Sie haben mir versprochen, mich im Dorfe Surb, eine Meile vom Kampfplatz, zurückzulassen …«

»Ihr habt Recht, es wäre unbillig, Euch in meine Gefahren zu verwickeln. Fürchtet also nichts. Dieser Han schwebt Euch überall vor Augen. Kann nicht in diesen Ruinen irgend eine wilde Katze sein, deren Augen ebenso leuchten, wie die jenes Menschen?«

Diese Erklärung beruhigte Spiagudry.

»Ach, Herr!« sagte er tiefathmend, »ohne Sie wäre ich schon zehnmal vor Furcht gestorben, seit wir diesen Felsen erklimmen. Freilich hätte ich ohne Sie niemals diesen Versuch gewagt.«

Das Licht des wieder erscheinenden Mondes zeigte ihnen den Eingang in den Thurm, an dessen Fuße sie jetzt angelangt waren. Ordener sammelte Reisach und dürre Kräuter, womit sie ein Feuer anzündeten. So wie die Flamme aufschlug, erhob sich ein ganzer Schwarm Eulen und Fledermäuse aus dem alten Gemäuer.

»Da sind wir keine willkommene Gäste,« sagte Ordener scherzend, »fürchtet Euch nur nicht wieder, alter Herr!«

Spiagudry setzte sich gemüthlich an das Feuer und erwiederte: »Ich, Eulen und Fledermäuse fürchten! Ich habe unter Leichen gelebt, ohne einen Vampyr zu fürchten. Ich fürchte Niemand, als die Lebenden! Tapfer bin ich zwar nicht, doch auch nicht abergläubisch. Nunmehr aber wollen wir an unser Nachtessen denken. Ich habe hier etwas schwarzes Brod und Käse. Das wird bald aufgezehrt sein, wenn Sie eben so großen Hunger haben, als ich. Ich sehe, daß wir noch lange nicht die Grenzen jenes Gesetzes Philipps des Schönen von Frankreich zu überschreiten im Begriffe sind: Nemo audeat comedere praeter duo fercula cum potagio. Auf diesem Thurme müssen sich ohne Zweifel Nester von Möven oder Fasanen befinden! aber wie soll man auf einer schwankenden, zerfallenen Treppe, welche höchstens Sylphen zu tragen im Stande wäre, auf dessen Spitze gelangen?«

»Gleichwohl muß diese Treppe mich tragen, denn ich will auf die Zinne dieses Thurmes steigen.«

»Wie, Herr! Wegen dieser Mövennester? Begehen Sie solche Unklugheit nicht. Man muß sein Leben nicht um ein gutes Nachtessen wagen. Im Uebrigen könnten Sie sich auch irren und statt der Mövennester Eulennester bekommen.«

»Was liegt mir an Euren Nestern! Habt Ihr mir nicht gesagt, daß man von der Spitze dieses Thurms den Leuchtturm von Munckholm erblickt?«

»Allerdings, edler Herr, gegen Süden! Ich sehe nun wohl, daß Ihr Wunsch, diesen wichtigen Punkt für die Wissenschaft der Geographie zu fixiren, der Beweggrund dieser ermüdenden Reise nach Pharamunds, des Geächteten, Burg gewesen ist, allein geruhen Sie zu erwägen, gnädiger Herr, daß zwar die Pflicht eines eifrigen Gelehrten bisweilen erfordern mag, der Ermüdung zu trotzen, niemals aber der Gefahr, weßhalb ich mit Grund die Bitte an Sie stelle, Ihr Leben aus dieser verfallenen Treppe, deren Stufen kaum einen Raben tragen würden, nicht unbesonnenerweise zu wagen.«

Benignus fürchtete sich, allein unten am Thurme zu bleiben; er erhob sich, um Ordener zurückzuhalten, aber zum Unglück fiel sein Schnappsack, der auf seinen Knieen lag, auf die Steine und gab einen hellen Ton von sich.

»Was klingt denn so in diesem Schnappsack?« fragte Ordener.

Diese Frage, die einen so kitzlichen Punkt betraf, benahm dem alten Herrn die Lust, seinen Reisegefährten länger zurückzuhalten. Statt daher auf die Frage zu antworten, sagte er bloß: »Nun denn, in Gottes Namen! Wenn Sie trotz meiner Bitten auf Ihrem Vorhaben bestehen, diesen Thurm zu besteigen, so vermeiden Sie wenigstens die Stellen des Gemäuers, welche verfallen sind und keinen festen Anhaltspunkt darbieten.«

»Aber,« fuhr Ordener fort, »was ist denn in Eurem Schnappsack, daß er einen so metallischen Klang von sich gibt?«

»Edler Herr,« antwortete Spiagudry, »wie können Sie sich um ein altes, garstiges eisernes Rasirbecken kümmern, das auf einem Kieselstein aufschlägt? Weil ich Sie denn nicht zurückhalten kann, so kommen Sie wenigstens bald wieder herab. Der Leuchtthurm von Munckholm liegt südlich zwischen den beiden Schemeln der Frigga.«

Ordener, von der Erinnerung an Munckholm ergriffen, eilte in den Thurm. Spiagudry hob seinen Schnappsack auf und setzte sich gemächlich ans Feuer.

»Mein lieber Benignus Spiagudry,« sprach er für sich, »während Du allein bist und vor den Augen dieses jungen Luchses verborgen, öffne geschwind diese Büchse, um oculis et manu von dem Schatze Besitz zu nehmen, welchen sie ohne Zweifel verschließt. Wenn derselbige aus diesem Gefängniß erlöst ist, so wird er weniger schwer zu tragen und leichter zu verstecken sein.«

Mit diesen Worten faßte er einen großen Stein, um das Schloß abzuschlagen, als ein Strahl der Flamme, der auf das Wappen fiel, ihn plötzlich lähmte.

»Bei Sankt Willebrod dem Numismatiker,« rief er aus, »ich irre mich nicht, das ist das Wappen von Greiffenfeld. Ich war im Begriff eine große Thorheit zu begehen, indem ich solches zerschlagen wollte. Dies ist vielleicht noch das einzige Modell, das von diesem berühmten Wappen übrig blieb, welches im Jahr 1676 durch die Hand des Henkers zertrümmert worden ist. Behüte mich Gott, daß ich meine Hand daran legen sollte! Was auch der Werth der Gegenstände sein mag, die in dieser Büchse verborgen sind, es wären denn, gegen alle Wahrscheinlichkeit, Münzen aus Palmyra oder Carthago, so ist doch dieses Wappen ein noch kostbarerer Schatz. Ich bin nunmehr derjenige, welcher allein noch das abgeschaffte Wappen von Greiffenfeld besitzt. Laßt uns diesen Schatz sorgfältig verbergen! Vielleicht werde ich irgend ein Mittel finden, die Büchse zu öffnen, ohne daß ich einen Vandalismus begehe. Das Wappen von Greiffenfeld! Welches Glück! Mit einem auflösenden Mittel werde ich das Schloß öffnen, ohne das Wappen zu verletzen. Diese Büchse enthält ohne Zweifel die Schätze des Exkanzlers. Wenn nun Jemand durch den Preis der vier Thaler gelockt, die auf meinen Kopf gesetzt sind, mich erkennen und anhalten sollte, so wird es mir nicht schwer werden, mich loszukaufen. Mithin wird diese glückselige Büchse mich gerettet haben …«

Während er so sprach, blickte er mechanisch in die Höhe, und plötzlich erstarrte sein Gesicht vor Schrecken. Alle seine Glieder zitterten krampfhaft. Seine Augen starrten, sein Mund bebte, die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken.

Ihm gegenüber, auf der andern Seite des Feuers, stand ein kleiner Mann mit gekreuzten Armen. An seiner Kleidung von noch blutigen Fellen, an seiner steinernen Axt, an seinem rothen Bart und den flammenden starr auf ihn gehefteten Augen hatte der unglückliche Spiagudry alsbald Han den Isländer erkannt.

»Ich bin es« sagte der kleine Mann mit einem furchtbaren Ausdruck. »Also diese glückselige Büchse wird Dich gerettet haben,« fügte er mit einem furchtbar höhnischen Lächeln hinzu. »Spiagudry! Ist das der Weg nach Thoctree?«

Der Unglückliche versuchte einige Worte zu stammeln: »Thoctree! …. Gnädiger Herr! ….. Mein Herr und Meister! … Ich war eben auf dem Wege …«

»Nach Walderhog,« ergänzte Han mit donnernder Stimme.

Spiagudry raffte alle seine Kräfte zusammen, um mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen zu machen.

»Du führtest mir einen Feind zu. Habe Dank! Das ist ein Lebender weniger. Fürchte nichts, getreuer Wegweiser, er wird Dir nachfolgen.«

Der Unglückliche wollte ein Geschrei ausstoßen und brachte kaum einen unbestimmten Laut hervor.

»Warum erschreckt Dich meine Gegenwart? Du suchtest mich ja. Keinen Laut, sonst bist Du ein Kind des Todes!«

Der Isländer schwang seine steinerne Axt über Spiagudry’s Haupt. Dann fuhr er mit einer Stimme fort, die, wie ein Waldstrom aus einer Höhle, aus der Tiefe der Brust drang: »Du hast mich verrathen!«

»Nein, Ihr Gnaden! … Nein, Excellenz! …« stöhnte Benignus.

Der Wilde gab ein dumpfes Brüllen von sich.

»Glaubst Du mich noch einmal täuschen zu können? Hoffe das nicht! Höre, ich war auf dem Dache des Spladgest, als Du Deinen Vertrag mit diesem jungen Thoren geschlossen hast; damals hast Du zweimal meine Stimme gehört. Meine Stimme hörtest Du während des Sturms auf dem Wege; ich war es, den Du im Thurme von Vygla als Eremit gesehen hast. Ich sagte Dir damals: Auf Wiedersehen!«

Der Unglückliche in seinem Entsetzen warf einen verwirrten Blick um sich her, als ob er um Hülfe rufen wollte.

Der Wilde fuhr fort: »Ich wollte diese Soldaten, welche Dich verfolgten, nicht entwischen lassen. Sie waren von dem Regiment von Munckholm. Du warst mir immer gewiß. – Spiagudry, ich war es, den Du im Weiler Oelmö unter dem Filzhut des Bergmanns wiedersahst; ich war es, dessen Schritte und Stimme Du hinter Dir hörtest, dessen Augen Du in diesen Ruinen in der Dunkelheit leuchten sahst. Ich bin jetzt da!«

Spiagudry krümmte sich zu den Füßen des furchtbaren Wesens und konnte nur mühsam das einzige Wort: »Gnade!« hervorbringen.

Immer noch stand Jener mit verschränkten Armen und heftete einen Blick der Blutgier auf ihn.

»Erflehe Dein Leben von dieser Büchse, von der Du es erwartet hast!«

»Gnade! … Herr! … Gnade! …« stammelte der schon sterbende Mann.

»Warst Du treu und stumm? Du wirst für immer stumm werden!«

Der Gemarterte stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Fürchte nichts, Du sollst vereint bleiben mit Deinen Schätzen!«

Der Barbar nahm seinen ledernen Gürtel ab, zog ihn durch den Ring der eisernen Büchse und schlang ihn so um Spiagudry’s Hals.

»Nun, sprich, welchem Teufel willst Du Deine Seele verschreiben? Rufe ihn flugs an, damit nicht ein anderer Dämon ihm zuvorkomme, den Du nicht gerufen hast!«

Der alte Mann, in stummer Verzweiflung, sank zu den Füßen des Ungeheuers nieder, mit krampfhaft wiederholten Zeichen des Schreckens und Flehens.

»Nein! Nein! Du getreuer Wegweiser, sei ruhig, Dein Reisegefährte wird ohne Dich den Weg finden. Ich will ihn ihm zeigen, er wird Dir bald nachfolgen. Komm und zeige ihm den Weg!«

Mit diesen Worten nahm er ihn in seine Eisenarme und trug ihn fort, wie ein Wolf ein wehrloses Lamm. Bald darauf hörte man in den Ruinen einen durchdringenden Angstschrei und ein gräßliches Lachen.

Inzwischen hatte Ordener von der Höhe des Thurms den Leuchtthurm von Munckholm erblickt. »Dort ist sie,« sagte er, »sie denkt an mich, sie träumt vielleicht von mir!«

Jetzt hörte er den durchdringenden Angstschrei und das gräßliche Lachen. Besorgt um seinen Reisegefährten, stieg er schnell hinab. Kaum war er einige Stufen der Treppe hinabgekommen, so hörte er ein dumpfes Geräusch, wie das eines schweren Körpers, der in tiefes Wasser fällt.

XXII.

Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf das vergitterte Fenster, an welchem Schuhmacher und seine Tochter Ethel saßen.

»Mein Vater,« sagte Ethel, »ich habe diese Nacht von einer glücklichen Zukunft geträumt … Blicken Sie auf, mein Vater, und betrachten Sie diesen schönen Himmel!«

»Ich sehe ihn durch die Eisengitter meines Kerkers,« erwiederte der Gefangene und ließ sein Haupt, das er einen Augenblick erhoben hatte, wieder in seine beiden Hände sinken.

»Glauben Sie nicht, daß Ordener bald zurückkommen werde? Er ist schon vier Tage fort.«

Der Greis schüttelte traurig das Haupt: »Wenn er vier Jahre abwesend sein wird, werden wir seiner Rückkehr eben so nahe sein, als heute.«

Ethel erblaßte: »Mein Gott! Glauben Sie denn, daß er nicht zurückkommen wird?«

»Hat er denn versprochen, zurückzukommen?«

»Gewiß, das hat er!«

»Also kommt er nicht wieder, denn er ist ein Mensch. Der Geyer mag zurückkehren zu dem verlassenen Leichnam, der Frühling kehrt nicht zurück, wenn der Winter naht.«

»Er wird zurückkommen, er ist kein Mensch wie andere.«

»Was weißt Du davon, Mädchen?«

»Was Sie selbst davon wissen.«

»Ich, ich weiß nichts. Ich habe die Worte eines Menschen gehört, sie verkündeten mir Thaten eines Gottes. Ich habe darüber nachgedacht und gefunden, daß das zu schön ist, um daran glauben zu können.«

»Und ich glaube daran, weil es schön ist.«

»Gut, mein Kind, daß Du nicht bist, was Du sein sollst, Gräfin von Tongsberg und Prinzessin von Wollin, umgeben von einem Hofe schöner Verräther und selbstsüchtiger Anbeter, dann würde diese Leichtgläubigkeit Dir und Andern verderblich werden.«

»Es ist nicht Leichtgläubigkeit, sondern Vertrauen.«

»Man sieht, daß französisches Blut in Deinen Adern wallt, denn Diejenigen, die Deinen Vater tiefer gestürzt haben, als er je erhöht war, können doch nicht hindern, daß Du nicht die Tochter der Prinzessin Charlotte von Tarent bist, und daß eine Deiner Ahnfrauen Adele Gräfin von Flandern war, deren Namen Du trägst.«

»Mein Vater, Sie beurtheilen den edlen Ordener falsch.«

»Edel, meine Tochter! Welchen Sinn verbindest Du mit diesem Wort? Ich habe Edle geschaffen, die sehr elende Menschen waren.«

»Ich meine nicht edel durch den Adel, den man Einem schenkt.«

»Stammt er denn von einem Jarl oder Hersa ab?«

»Ich weiß es nicht, mein Vater. Mag er der Sohn eines Leibeigenen sein! Man malt Krone und Leyer auf den Sammt eines Fußteppichs. Er ist edel durch den Adel des Herzens.«

»Edel durch den Adel des Herzens!« wiederholte der Greis. »Dieser Adel steht höher, als der, den die Könige geben, er ist von Gott. Gott verschwendet ihn nicht, wie die Fürsten …« Der Gefangene hob das Auge auf sein zertrümmertes Wappen, und fügte hinzu: »Und er nimmt ihn nie zurück.«

»Wer den Adel von Gott hat, mein Vater, tröstet sich leicht, den der Fürsten verloren zu haben.«

»Du hast Recht, meine Tochter, aber Du weißt nicht, daß die Ungnade, welche ungerecht erscheint in den Augen der Welt, bisweilen in unserem innersten Gewissen ihre Rechtfertigung findet. So ist unsere elende menschliche Natur. Einmal im Unglück, erheben sich in uns selbst hundert Stimmen, welche im Glück geschwiegen haben, um uns unsere Irrthümer und Fehler vorzuwerfen.«

»Sprechen Sie nicht so, mein edler Vater,« sagte Ethel tief bewegt, denn die Rührung seiner Stimme hatte ihr gezeigt, daß ihm ein schmerzliches Geheimniß entwischt war. «Sie urtheilen sehr streng über zwei edle Menschen, Ordener und Sie, mein ehrwürdiger Vater.«

»Du urtheilst leichthin, Ethel! Man sollte glauben, daß Du nicht wissest, welch eine ernste Sache das menschliche Leben ist.«

»Habe ich denn übel gethan, dem edelmüthigen Ordener Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?«

Der Vater runzelte die Stirne: »Ich kann nicht billigen, meine Tochter, daß Du auf solche Weise Deine Bewunderung einem Unbekannten schenkst, den Du ohne Zweifel niemals wieder sehen wirst.«

»Glauben Sie das nicht, mein Vater! Wir werden ihn wieder sehen. Hat er nicht für Sie diese Reise unternommen? Besteht er nicht für Sie diese Gefahren?«

»Ich habe mich, wie Du, anfangs durch diese Versprechungen täuschen lassen, aber er wird nicht gehen, und auch nicht wieder kommen.«

»Er geht gewiß, mein Vater!«

»Nun, wenn er auch geht und diesen Räuber bekämpft, so ist es das Gleiche: Er kommt nicht zurück.«

Ethel erblaßte und Thränen traten in ihre Augen: »O mein Vater,« sagte sie, »in dem Augenblicke, wo Sie so reden, stirbt vielleicht dieser Unglückliche für uns.«

Der Greis schüttelte das Haupt zum Zeichen des Zweifels.

»Ich glaube es eben so wenig,« sagte er, »als ich es wünsche, und welches Verbrechen hätte ich denn auch begangen? Ich wäre undankbar gegen diesen jungen Mann gewesen, wie so Viele es gegen mich waren.«

Ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort seiner Tochter, Ihr Vater drehte sich seinem Schreibtisch zu und riß einige Blätter aus Plutarchs Leben berühmter Männer, wovon ein Band vor ihm lag, der schon an zwanzig Stellen verstümmelt und mit Noten überladen war.

Jetzt öffnete sich die Thüre. Als Schuhmacher das Geräusch hörte, rief er, ohne sich umzuwenden, sein übliches Verbot: »Draußen geblieben! Laßt mich! Ich will Niemand sehen!«

»Es ist Se. Excellenz der Gouverneur,« antwortete die Stimme des Schließers.

Ein bejahrter Mann in Generalsuniform, mit mehreren Orden geschmückt, trat herein. Schuhmacher erhob sich halb von seinem Sitze, indem er zwischen den Zähnen murmelte: »Der Gouverneur!«

Der Gouverneur war in der Absicht gekommen, ein strenges Verhör mit dem Staatsgefangenen anzustellen, um möglichstes Licht über den Aufstand zu erhalten, bei welchem Schuhmachers Name zum Losungswort diente. Er hielt es für seine Pflicht, hier als unerbittlicher Richter sich zu zeigen; aber kaum war er in das Zimmer des Gefangenen getreten, so fühlte er sich angezogen durch das ehrwürdige, obgleich mürrische Gesicht des Greises, erweicht durch die sanften, obwohl stolzen Züge seiner Tochter, und schon der erste Anblick des Gefangenen milderte seine Strenge zur Hälfte. Er trat auf den gestürzten Minister zu, reichte ihm, gleichsam unwillkürlich, die Hand und sagte: »Ich grüße Sie, Herr Graf von Greiffenf… Herr Schuhmacher!«

»Sie sind der Gouverneur von Drontheim?« sagte der Gefangene nach einer Pause.

Der General, etwas verwundert, von demjenigen gleichsam verhört zu werden, den er verhören wollte, machte ein bejahendes Zeichen.

»In diesem Fall,« fuhr der Gefangene fort, »habe ich eine Klage bei Ihnen vorzubringen.«

»Eine Klage! Worüber haben Sie sich zu beklagen?«

»Nach einem Befehl des Vicekönigs soll man mich hier in diesem Kerker ungestört und in Ruhe lassen.«

»Ich kenne diesen Befehl.«

»Gleichwohl, Herr Gouverneur, erlaubt man sich, mir hier in meinem Gefängniß beschwerlich zu fallen.«

»Wie! Wer wagt dies?«

»Sie selbst, Herr Gouverneur!«

Diese in hohem Ton ausgesprochenen Worte beleidigten den General und er erwiederte mit einer fast zornigen Stimme: »Sie vergessen, daß meine Gewalt, wo es sich um den Dienst des Königs handelt, keine Grenze kennt.«

»Die Grenzen der Achtung, welche man dem Unglück schuldig ist, sollten Sie kennen! Aber freilich wissen das die Menschen nicht.«

»Ich hatte Unrecht, Herr Graf von Greiffenf… Herr Schuhmacher! Ich konnte Ihnen den Zorn lassen, weil ich die Macht habe.«

Der Gefangene schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er nachdenklich fort: »In Ihrem Gesicht und in Ihrer Stimme, Herr Gouverneur, ist etwas von einem Manne, den ich ehedem gekannt habe. Es ist schon lange her; Niemand als ich erinnert sich dieser Zeit: es war zur Zeit meines Glückes. Dieser Mann war ein gewisser Levin von Knud aus Mecklenburg. Haben Sie diesen Narren gekannt?«

»Ich habe ihn gekannt,« erwiederte der General mit Ruhe.

»So, Sie erinnern sich seiner? Ich glaubte, man erinnere sich der Leute bloß, wenn man im Unglück ist.«

»War er nicht Hauptmann in der königlichen Miliz?« fuhr der Gouverneur fort.

»Ja, nur Hauptmann, obgleich er bei dem König sehr beliebt war; aber er dachte nur an das Vergnügen und zeigte keinen Ehrgeiz. Es war ein überspannter Kopf. Läßt sich eine solche Mäßigung von einem Günstling begreifen?«

»Warum denn nicht?«

»Ich liebte ihn ziemlich, diesen Levin Knud, weil er mich nicht beunruhigte. Er war ein Freund des Königs, wie wenn dieser König ein gewöhnlicher Mensch gewesen wäre. Man hätte glauben sollen, daß er ihn bloß aus Zuneigung liebe, nicht um seines Glücks willen. Da Sie ihn gekannt haben, Herr Gouverneur, so werden Sie vermuthlich wissen, daß er einen Sohn hatte, der noch jung gestorben ist. Erinnern Sie sich noch, was bei der Geburt dieses Sohnes vorging?«

»Ich erinnere mich noch besser, was bei seinem Tode geschah,« sagte der General mit bewegter Stimme und hielt die Hand vor seine Augen.

»Es ist,« fuhr Schuhmacher gleichgültig fort, »eine wenig bekannte Thatsache, welche diesen Levin in seiner ganzen Sonderbarkeit darstellt. Der König wollte Pathe des Kindes werden. Glauben Sie wohl, daß Levin es ihm abschlug und dagegen einen alten Bettler, der sich an den Thoren des Palastes herumschleppte, zum Taufpathen annahm? Ich habe den Grund dieser tollen Handlung nie begreifen können!«

»Ich will Ihnen den Grund sagen. Als der Hauptmann Levin einen Fürbitter für die Seele seines Kindes wählte, dachte er ohne Zweifel, daß das Gebet eines Armen vor Gott wirksamer sei, als das eines Königs.«

»Sie können Recht haben,« sagte der Gefangene. »Ja,« fuhr er fort, »dieser Knud war ein sonderbarer Mensch. Er ist der Einzige von denen, die ich in den Zeiten meiner Größe sah, dessen Andenken mir nicht Ekel und Abscheu einflößt. Wenn er auch die Sonderbarkeit bis zur Narrheit trieb, so war er doch vermöge seiner edlen Eigenschaften ein Mann, wie es wenige gibt.«

»Ich bin nicht Ihrer Meinung. Dieser Levin war nichts weiter als die andern Menschen auch. Es gibt sogar Viele, die mehr Werth haben als er.«

Schuhmacher kreuzte die Arme und hob die Augen zum Himmel: »So sind sie doch alle, diese Menschen! Kaum lobt man vor ihren Ohren einen Mann, der Lob verdient, so beschmutzen sie ihn mit ihrem Geifer. Selbst gerechtes Lob vergiften sie, und doch kann man so selten loben!«

»Wenn Sie mich kennten, so würden Sie mich nicht der Anschwärzung des Gen….. des Hauptmanns Levin beschuldigen …«

»Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Kurz, ich sage Ihnen, was Rechtlichkeit und Edelmuth betrifft, so hat es nicht einen zweiten Menschen gegeben, wie dieser Levin Knud war, und wer das Gegentheil sagt, verleumdet ihn zu Gunsten dieses verfluchten Menschengeschlechts.«

»Ich versichere Sie, daß ich keine böse Gesinnung gegen diesen Levin hege …«

»Sagen Sie das nicht. Obwohl er ein Narr war, habe ich doch Seinesgleichen unter den Menschen nicht gekannt. Die Menschen sind heimtückisch, undankbar, neidisch, verleumderisch. Wissen Sie, daß Levin Knud mehr als die Hälfte seines Einkommens dem Spital in Kopenhagen schenkte?«

»Ich wußte nicht, daß Ihnen dies auch bekannt war.«

»Recht so! Recht so!« rief der Gefangene triumphirend aus. »Er glaubte ihn mit Sicherheit schmähen zu können, weil er wähnte, daß ich die guten Handlungen dieses armen Levin nicht kenne!«

»Nicht doch …«

»Wissen Sie auch nicht, daß er das vom König ihm bestimmte Regiment einem Offizier, der ihn im Duell verwundet hatte, abtrat, weil er im Dienste älter war als er?«

»Ich glaubte, daß diese Handlung Niemand bekannt …«

»Und wenn sie Niemand bekannt wäre, ist sie darum weniger schön, Herr Gouverneur von Drontheim? Weil Levin seine Tugenden verbarg, soll man sie darum in Abrede ziehen? Wissen Sie auch nicht, daß er der Wittwe eines Soldaten, der ihn ermorden wollte und welchen er der Strenge der Kriegsgesetze nicht zu entziehen vermochte, eine Pension gab?«

»Wer hätte nicht das Gleiche gethan?«

Schuhmacher lachte laut auf: »Wer? Sie! Ich! Jedermann! Halten Sie sich denn für einen Mann von Verdienst, weil Sie die Generalsuniform tragen und mit Orden behängt sind? Sie sind General, und der arme Levin ist vielleicht als Hauptmann gestorben. Er war freilich ein Thor, der nicht an seine Beförderung dachte.«

»Wenn er nicht selbst daran dachte, so hat die Gnade des Königs daran gedacht.«

»Die Gnade! Sagen Sie die Gerechtigkeit! Wenn es anders gerechte Könige gibt! Nun, welche ausgezeichnete Gnade ist ihm denn geworden?«

»Mehr als er verdiente.«

»Das wäre! Vielleicht hat man ihn zum Major befördert, nachdem er dreißig Jahre Hauptmann war?«

»So hören Sie mich doch …«

»Sie hören! Um aus Ihrem Munde zu vernehmen, daß Levin von Knud irgend einer elenden Beförderung unwürdig gewesen sei …«

»Ich schwöre Ihnen, daß das nicht …«

»Nächstens werde ich von Ihnen erfahren, daß er, wie Ihr alle, ein Verräther war, ein Betrüger, ein Bösewicht …«

»Gewiß nicht …«

»Was weiß ich Alles? Vielleicht hat er einen Freund verrathen, einen Wohlthäter verfolgt, wie Ihr alle? Oder Vater und Mutter vergiftet? …«

»Sie irren sich, ich bin weit entfernt …«

»Wissen Sie, daß dieser Levin es war, der vier meiner Richter vermochte, nicht für den Tod zu stimmen? Und ich soll ihn kaltblütig verleumden hören! So hat er gegen mich gehandelt, und ich habe ihm nie einen Dienst erwiesen, eher Schaden zugefügt, denn ich bin ein Mensch, wie Ihr alle, schlecht und bösartig!«

Der gereizte Greis hielt noch eine lange heftige Standrede gegen die Undankbarkeit des menschlichen Geschlechts, bis er endlich erschöpft in den Lehnsessel zurückfiel.

Der General hatte noch nicht den wichtigen Gegenstand berühren können, der ihn nach Munckholm geführt hatte. Die Aufregung, in welcher sich Schuhmacher befand, gab keine Hoffnung, daß er auf amtliche Fragen befriedigende Antwort ertheilen könnte, und im Uebrigen schien ihm dieser Mann nach seinem Aeußern und ganzen Benehmen kein Verschwörer und Staatsverräther zu sein. Gleichwohl trieb den Gouverneur seine Pflicht zu einem nochmaligen Versuch, sich in dieser wichtigen Sache Licht zu verschaffen.

»Beruhigen Sie sich doch, Herr Schuhmacher,« sagte er, »es ist für mich eine unangenehme Pflicht, daß ich hieher kommen muß …«

»Vor allen Dingen,« unterbrach ihn der Gefangene, »erlauben Sie mir zu fragen, auf welche Weise man Levin Knud für seine Dienste belohnt hat?«

»Der König hat ihn schon vor zwanzig Jahren zum General ernannt, und er lebt noch glücklich und geehrt.«

»So geht es in der Welt,« sagte der Gefangene bitter, »dieser Narr Levin, dem es gleichgültig war, als Hauptmann alt zu werden, stirbt als General, und dieser weise Schuhmacher, der als Großkanzler sterben wollte, stirbt als Staatsgefangener.«

»Sehen Sie doch, mein Vater,« sagte Ethel in der Absicht, ihn zu zerstreuen, »dort nördlich jene Flamme, die ich noch nie in dieser Richtung bemerkt habe.«

Wirklich erblickte man, durch das Dunkel der Nacht, am fernen Horizont ein schwaches Licht, das von einem auf dem Gipfel eines weit entfernten Berges brennenden Feuer zu kommen schien. Der General wurde aufmerksam. »Das ist vielleicht ein Feuer, dachte er, welches die Rebellen angezündet haben.«

Dieser Gedanke brachte ihm eindringlich den Zweck seiner Anwesenheit zu Munckholm in Erinnerung. »Graf Greiffenfeld,« sagte er, »es ist nur leid, Ihnen lästig sein zu müssen, aber es ist durchaus nöthig, daß Sie ein Verhör …«

»Ich verstehe, Herr Gouverneur! es ist nicht genug, daß ich meine Tage in einem Kerker verlebe, daß ich gebrandmarkt und verlassen bin, daß mir nichts übrig geblieben ist, als das bittere Andenken an meine vergangene Größe, man stört mich noch in meiner Einsamkeit, um meinen Schmerz auszubeuten und sich an meinem Unglück zu weiden. Wäre doch dieser Levin Knud hier an Ihrer Stelle commandirender General, er wäre gewiß nicht hieher gekommen, einen Unglücklichen in seinem Kerker zu quälen!«

Der General, der mehrmals im Begriff gewesen war, sich zu erkennen zu geben, um diesem seltsamen Gespräch ein Ende zu machen, wurde durch diesen indirekten Vorwurf davon abgehalten.

»Aber,« sagte er ziemlich verlegen, »wenn seine Pflicht ihn dazu gezwungen hätte, zweifeln Sie nicht, daß alsdann Levin Knud …«

»Ja, ich zweifle,« rief der Gefangene mit Bitterkeit aus. »Und Sie, zweifeln Sie nicht daran, daß er mit dem ganzen Edelmuth seines Herzens das Geschäft, die Qualen eines armen Gefangenen zu mehren und zu häufen, von sich gewiesen haben würde. Ich kenne ihn besser als Sie, er würde nie die Funktionen eines Henkers über sich genommen haben. Jetzt, Herr Gouverneur, bin ich bereit. Thun Sie, was Sie Ihre Pflicht nennen. Was befehlen Euer Excellenz?«

Bei diesen Worten maß der alte Minister den Gouverneur mit stolzem Blick. Es war um den Entschluß des Generals geschehen, sein erster Widerwille gegen diese Amtsverrichtung war unwiderstehlich wieder erwacht.

Er hat Recht, dachte er bei sich. Einen Unglücklichen auf bloßen Verdacht hin peinigen! Damit mag sich ein Anderer befassen als ich!

Die Wirkung dieser Betrachtung war schnell. Der Gouverneur trat zu dem erstaunten Gefangenen, drückte ihm die Hand und wendete sich der Thüre zu mit den Worten: »Graf Schuhmacher, bewahren Sie immer die gleiche Achtung vor Levin von Knud.«

I.

»Dahin führt die Liebe, Nachbar Niels; diese arme Guth Stersen würde nicht auf diesem großen schwarzen Stein da ausgestreckt liegen, wie ein Seefisch, den die Ebbe zurückgelassen hat, wenn sie nie an etwas Anderes gedacht hätte, als die Bretter am Nachen ihres Vaters festzunageln oder seine Netze zu flicken. Möge St. Usuph der Fischer unsern alten Kameraden in seinem Leide trösten!«

»Und ihr Bräutigam,« fiel eine heisere zitternde Stimme ein, »Gill Stadt, dieser schöne, junge Mensch, der neben ihr liegt, würde nicht da sein, wenn er, statt diese Guth zu lieben und in den verfluchten Bergwerken von Roeraas sein Glück zu suchen, an der Wiege seines jungen Bruders, die an den rauchigen Balken seiner Hütte hängt, sitzen geblieben wäre.«

Der Nachbar Niels unterbrach sie: »Euer Gedächtnis, altert mit Euch, Mutter Olly. Gill hat niemals einen Bruder gehabt, und deßhalb muß der Schmerz der armen Wittwe Stadt um so bitterer sein, denn ihre Hütte ist jetzt ganz einsam und verlassen. Wenn sie zum Himmel aufblicken will, um dort Trost zu suchen, so findet sie zwischen ihren Augen und den Wolken ihr altes Dach, an dem noch die leere Wiege ihres Kindes hängt, das ein großer Jüngling geworden und dann gestorben ist.«

»Arme Mutter!« sagte die alte Olly. »Was den jungen Menschen betrifft, so ist er selbst Schuld, warum ist er Bergknappe in den Minen von Roeraas geworden?«

»Ich glaube in der That,« sagte Niels, »daß diese höllischen Minen für jeden Centner Kupfer, den sie uns geben, uns einen Menschen nehmen. Was meint Ihr, Gevatter Braal?«

»Die Bergleute sind Narren,« erwiederte der Fischer. »Wenn der Fisch leben will, darf er nicht aus dem Wasser, und wenn der Mensch leben will, so soll er nicht unter den Boden.«

»Aber,« fragte ein junger Mensch unter dem Hausen, »wenn es für Gill Stadt nöthig war, in den Minen zu arbeiten, um seine Braut zu bekommen?.. .«

»Man muß,« unterbrach ihn Olly, »man muß niemals sein Leben aussetzen für Neigungen, die es nicht werth sind. Ein schönes Brautbett, das Gill für seine Guth gewonnen hat!«

»Dieses junge Mädchen,« fragte ein Neugieriger, »hat sich also aus Verzweiflung über den Tod des jungen Menschen ertränkt?«

»Wer sagt das?« rief mit starker Stimme ein Soldat aus, der durch den Haufen gedrungen war. »Dieses junge Mädchen, das ich wohl kenne, war allerdings die Braut eines jungen Bergmanns, den kürzlich ein Felsstück in den unterirdischen Gängen der Storwaadsgrube bei Roeraas zerschmettert hat; aber sie war zugleich die Geliebte eines meiner Kameraden, und als sie vorgestern sich zu Munckholm einschleichen wollte, um dort mit ihrem Liebhaber den Tod ihres Bräutigams zu feiern, strandete ihr Nachen an einer Klippe, und sie ist er» trunken.«

Ein Geräusch verwirrter Stimmen erhob sich. »Unmöglich, Herr Soldat!« schrieen die alten Weiber; die jungen schwiegen, und der Nachbar Niels wiederholte boshafterweise dem Fischer Braal seinen bedeutsamen Spruch: »Dahin führt die Liebe!«

Der Soldat begann im Ernst auf seine weiblichen Gegner böse zu werden, und nannte sie bereits alte Hexen aus der Grotte von Quiragoth, welche grobe Beschimpfung sie nicht geduldig hinzunehmen geneigt waren, als plötzlich eine kreischende Stimme in gebietendem Tone rief: » Stille! Stille» ihr Plaudertaschen!« Alles schwieg. Der Auftritt, dessen Erzählung wir hier begonnen haben ging in einem jener traurigen Gebäude vor, welche das öffentliche Mitleid und die staatsgesellschaftliche Umsicht für die unbekannten Leichname erbaut haben, diesem letzten Zufluchtsorte von Todten, die meistens unglücklich gelebt haben, und wo sich der gleichgültige Neugierige, der grämliche oder wohlwollende Beobachter, und oft trauernde Verwandte und Freunde drängen, denen eine lange und unerträgliche Unruhe nur noch eine einzige klägliche Hoffnung übrig gelassen hat. In der von uns bereits weit entfernten Epoche und in dem wenig civilisirten Lande, wo diese Geschichte spielt, war man noch nicht, wie in unsern Städten von Koth und Gold, auf den Gedanken gekommen, aus diesen Orten künstlich furchtbare und elegant traurige Monumente zu machen. Der Tag fiel nicht durch die hohe Wölbung auf eine Art von Ruhebetten, wo man den Todten einige der Bequemlichkeiten des Lebens lassen zu wollen schien, und wo ein Kopfkissen, wie für Schlafende, vorhanden ist. Wenn die Thüre des Wächters sich öffnete, konnte sich nicht, wie heutzutage, das von dem Anblick nackter und scheußlicher Leichname ermüdete Äuge durch den Anblick kostbarer Geräthschaften und freundlicher Kinder erholen. Dort war der Tod in seiner ganzen Häßlichkeit, in seinem ganzen Schrecken, und man hatte noch nicht versucht, sein fleischloses Skelett mit Putz und Bändern zu verzieren.

Der Saal, in welchem sich die handelnden Personen befanden, war geräumig und dunkel, wodurch er noch geräumiger erschien: er erhielt sein Licht bloß durch eine niedere, viereckige Thüre, die sich aus den Hafen von Drontheim öffnete, und durch eine plumpe Oeffnung in der Decke, durch welche mit dem Regen, dem Hagel und Schnee, je nach der Jahreszeit, ein bleiches Licht auf die Leichname herabfiel, hie sich unmittelbar darunter befanden. Dieser Saal war in seiner Breite durch ein eisernes Gitter von halber Manneshöhe in zwei Hälften getheilt. Das Publikum trat durch die viereckige Thüre in die erste Hälfte ein: in der zweiten Hälfte sah man sechs lange steinerne Lager, in paralleler Richtung, für die Leichname. Eine kleine Seitenthüre diente dem Wächter und seinem Gehülfen, deren Wohnung den hintern Theil des hart an das Meer stoßenden Gebäudes einnahm, zum Eingang. Aus zweien dieser steinernen Betten lagen der Bergmann und seine Braut. Der Leichnam des Mädchens ging bereits in Verwesung über; die Züge des Mannes schienen hart und düster, und sein Körper war furchtbar verstümmelt.

Vor diesen entstellten menschlichen Leichnamen hatte die Unterhaltung begonnen, welche wir so eben erzählt haben.

Ein langer, ausgetrockneter alter Mann, der indem dunkelsten Winkel des Saals mit gesenktem Haupt auf einem halb zerfallenen Schemel saß, hatte bis zu dem Augenblicke, wo er sich plötzlich mit dem Ruf: » Stille! Stille! ihr Plauder» laschen!« erhob, dem Gespräch gar keine Aufmerksamkeit zu schenken geschienen.

Alle schwiegen, der Soldat wandte sich um, und als er das eingefallene Gesicht, die wenigen schmutzigen Haare, die hagere, ganz in Rennthierfelle gekleidete Gestalt des Alten erblickte, brach er in lautes Lachen aus. In den Reihen der im ersten Augenblicke bestürzten Weiber erhob sich jetzt ein Gemurmel: »Das ist der Wächter des Spladgest! – Dieser höllische Thürsteher der Todten! – Dieser teuflische Spiagudry! Dieser verfluchte Hexenmeister!«

»Stille! Stille, ihr Plaudertaschen! Wenn es heute Hexen-Sabbath ist, so holt eure Besen, sonst stiegen sie allein fort. Lasset diesen geehrten Abkömmling des Gottes Thor in Ruhe!«

Mit diesen Worten wandte sich Spiagudry dem Soldaten zu und sprach mit einer freundlichen Grimasse: »Ihr sagtet so eben, mein Tapferer, daß dieses elende Weibsbild ….«

»Der alte Schacher!« murmelte Olly. »Ja, freilich, wir sind in seinen Augen elende Weibsbilder, weil unsere Leichname, wenn sie in seine Klaue fallen, ihm nach der Taxe bloß dreißig Pfennige eintragen, wahrend er für das Gerippe eines Mannes vierzig bekommt.«

»Stille, ihr alten Hexen!« wiederholte Spiagudry. »Diese verdammten Weiber sind wie ihre Kessel; wenn sie heiß werden, fangen sie an zu pfeifen. Sagt mir doch, mein tapferer Degenknopf, Euer Kamerad, dessen Geliebte diese Guth war, wird wohl aus Verzweiflung über ihren Verlust einen Selbstmord begehen? …«

Hier erfolgte der lange zurückgehaltene Ausruf: »Hört ihr den Schacher, den alten Heidenkopf?» schrieen zwanzig kreischende, mißtönende Stimmen. »Erwünscht einen Lebenden weniger wegen der vierzig Pfennige, die ihm ein Todter einträgt!«

»Und wenn es so wäre?« fuhr der Wächter des Spladgest fort. »Unser gnädigster König und Herr, Christiern der Fünfte, erklärt sich auch zum geborenen Beschützer aller Bergleute, damit sie bei ihrem Tode seinen königlichen Schatz mit ihrem lumpigen Nachlaß bereichern.«

»Ihr erweist dem König viel Ehre,« sagte der Fischer Braal, »daß Ihr seinen königlichen Schatz mit Eurer Bettelbüchse und Euch mit ihm vergleicht, Nachbar Spiagudry.«

»Nachbar!« wiederholte der Wächter des Spladgest, den diese Vertraulichkeit ärgerte. »Euer Nachbar! Sagt lieber, Euer Wirth, denn, mein lieber Schiffmann, es könnte wohl eines Tages geschehen, daß ich Euch auf einem meiner sechs steinernen Betten beherbergte.«

»Im Uebrigen,« fügte er lachend hinzu, »wenn ich von dem Tode dieses Soldaten sprach, so geschah es bloß, um in den großen und tragischen Leidenschaften, welche die Weiber einflößen, den löblichen Gebrauch des Selbstmords verewigt zu sehen.«

»Nun, großer Leichnam, der Du Leichname hütest,« sagte der Soldat, »wohin zielst Du denn mit Deiner liebenswürdigen Grimasse, die dem letzten Lachen eines Gehenkten gleicht?«

»Wohl gesprochen, mein Tapferer!« antwortete Spiagudry. »Ich war immer der Meinung, daß unter dem Helm des Waffenmannes Thurn, der den Teufel mit Schwert und Zunge überwand, mehr Verstand stecke, als unter der Mütze des Bischofs Isleif, der die Geschichte von Island verfaßt, und unter der Schlafhaube des Professors Schönning, der unsere Hauptkirche beschrieben hat.«

»In diesem Falle, mein alter Ledermann, rathe ich Dir, die Einkünfte Deiner Fleischbank im Stiche zu lassen und Dich in das Naturalienkabinet des Vicekönigs zu Bergen zu verkaufen. Ich schwöre Dir bei Sankt Belphegor, daß man dort die seltenen Thiere mit Gold auswägt. Jetzt aber sage mir erst, was Du denn eigentlich von mir willst?«

»Wenn die Leichname, die man uns bringt, im Wasser gefunden worden sind, so müssen wir die Hälfte der Taxe den Fischern abgeben. Ich wollte Euch demnach bitten, erlauchter Nachkomme des Waffenmannes Thurn, Euern unglücklichen Kameraden zu vermögen, daß er sich nicht ersäufe, sondern irgend eine andere Todesart wähle. Das kann ihm ja ganz einerlei sein, und wenn ihn doch einmal seine unglückliche Liebe zu dieser Handlung treibt, so wird er einem unglücklichen Christen, der seinen Leichnam gastfreundlich ausnimmt, im Sterben kein Unrecht zufügen wollen.«

»Hierin, mein gastfreundlicher Wirth, irrt Ihr Euch gewaltig, mein Kamerad bedankt sich für die Ehre, in Eure appetitliche Herberge mit den sechs Betten aufgenommen zu werden. Meint Ihr denn, er habe sich für den Verlust dieses Liebchens da nicht bereits durch ein anderes entschädigt? Ich schwöre Euch bei meinem Bart, daß er Eurer Guth längst übersatt war.«

Bei diesen Worten brach das Ungewitter, das Spiagudry einen Augenblick auf sein Haupt abgelenkt halte, stürmischer als je über den unverschämten Kriegsmann los.

»Wie, elender Taugenichts!« schrieen die alten Weiber. »So leicht vergeht Ihr uns! Jetzt gebt euch mehr mit diesen Schlingeln ab!«

Die jungen Weiber und Mädchen schwiegen fortwährend. Mehrere von ihnen sahen diesen Taugenichts an und fanden ihn nicht so übel.

»Oh! Oh!« sagte der Soldat, »sind wir denn auf dem Hexentanz? Das ist eine harte Zugabe für Freund Beelzebub, daß er allwöchentlich einen solchen Chorus hören muß!«

Man weiß nicht, auf welche Weise sich dieser Sturm zuletzt noch entladen haben würde, wenn nicht die allgemeine Aufmerksamkeit durch ein von Außen kommendes Geräusch in Anspruch genommen worden wäre. Das Geräusch nahm allmählig zu, und bald stürmte ein Schwarm halbnackter Buben, um eine von zwei Männern getragene und bedeckte Tragbahre herum laufend und schreiend, in den Spladgest herein.

»Woher kommt das?« fragte der Wächter die Träger.

»Vom Strande von Urchthal.«

»Oglypiglap!« rief Spiagudry.

Aus einer Seitenthüre trat ein kleiner, in Leder gekleideter Lappländer herein, und gab den Trägern ein Zeichen, ihm zu folgen. Spiagudry begleitete sie, und die Thüre schloß sich wieder, ehe noch die neugierige Menge an der Länge des auf der Tragbahre liegenden Leichnams errathen konnte, ob es ein Mann oder ein Weib sei.

Um diesen Gegenstand drehte sich das allgemeine Gespräch, als Spiagudry und sein Gehülfe wieder erschienen und den Leichnam eines Mannes auf einem der steinernen Betten niederlegten.

»Es ist schon lange her, daß ich keine so schöne Kleider mehr berührt habe,« sagte Oglypiglap, schüttelte den Kopf, stellte sich auf die Spitze der Zehen und hängte eine prächtige Hauptmannsuniform über dem Todten auf. Der Kopf des Leichnams war entstellt und die übrigen Glieder mit Blut bedeckt. Der Wächter begoß ihn mehrmals aus einer alten halb zerbrochenen Wasserrinne.

»Bei St. Beelzebub!« rief der Soldat, »das ist ein Offizier von meinem Regiment. Laßt sehen! Ist es vielleicht der Hauptmann Bollar, aus Schmerz, seinen Oheim verloren zu haben? Bah! Er erbt ja. Der Baron Randmer? Er hat gestern sein Gut im Spiele verloren, aber er wird es morgen nebst dem Schlosse seines Gegners wieder gewinnen. Oder der Hauptmann Lory, dessen Hund ersoffen ist? Oder der Zahlmeister Stunk, dessen Weib untreu ist? In der That, Alles das ist kein Grund, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen.«

Die Menge nahm mit jedem Augenblicke zu. Ein junger Mann ritt am Hafen vorüber, sah das Zuströmen des Volks, stieg vom Pferde, warf den Zügel seinem Bedienten zu und trat in den Spladgest herein. Er trug ein einfaches Reisekleid, war mit einem Säbel bewaffnet und in einen weiten grünen Mantel gewickelt. Eine schwarze Feder, die mit einer diamantenen Schnalle an seinem Hut befestigt war, fiel auf sein edles Gesicht herab und wogte auf seiner hohen, von langen braunen Haaren beschatteten Stirne. Seine mit Koth bespritzten Stiefel und Sporen bewiesen, daß er einen weiten Weg gemacht hatte.

Als er eintrat, sagte eben ein kleiner untersetzter Mann, der, gleich ihm, in einen Mantel gewickelt war und seine Hände, in großen Handschuhen stecken hatte, zu dem Soldaten: »Und wer sagt Euch denn, daß er sich selbst umgebracht hat? Dieser Mann da, dafür stehe ich Euch, hat sich eben so wenig selbst umgebracht, als das Dach Eurer Hauptkirche sich von selbst entzündet hat.«

»Unsere Hauptkirche!« sagte Niels, »man deckt sie jetzt mit Kupfer. Dieser elende Han der Isländer hat, wie es heißt, das Feuer eingelegt, um den Bergleuten Arbeit zu schaffen, unter denen sich sein Schützling Gill Stadt befand, der jetzt hier liegt.«

»Zum Teufel!« rief seinerseits der Soldat, »mir, dem zweiten Arquebusier der Garnison von Munckholm, ins Angesicht zu behaupten, daß dieser Mann da sich nicht vor den Kopf geschossen habe!«

»Dieser Mensch ist ermordet worden,« erwiederte der kleine Mann ruhig.

»Höre einmal, Du Orakel! Deine kleinen grauen Augen sehen nicht heller, als Deine Hände unter den großen Handschuhen da, womit Du sie mitten im Sommer bedeckst.«

Ein Blitz schoß aus den Augen des kleinen Mannes: »Soldat! Bitte Deinen Schutzpatron, daß nicht eines Tages diese Hände da ihre Spuren auf Deinem Gesichte zurücklassen mögen!«

»Heraus denn!« rief der zornige Soldat. »Doch nein,« fügte er plötzlich hinzu, »vor Todten soll man nicht von einem Zweikampfe sprechen.«

Der kleine Mann murmelte einige Worte in einer fremden Sprache und verschwand.

Eine Stimme rief: »Am Strande von Urchthal hat man ihn gefunden.«

»Am Strande von Urchthal?« sagte der Soldat, »dort sollte diesen Morgen der Hauptmann Dispolsen, der von Kopenhagen kommt, sich ausschiffen.«

»Der Hauptmann Dispolsen ist noch nicht zu Munckholm angekommen,« rief eine andere Stimme. »Es heißt,« fuhr ein Dritter fort, »daß sich Han der Isländer jetzt dort herumtreibt.«

»In diesem Falle,« sagte der Soldat, »ist es möglich, daß dieser Mann der Hauptmann Dispolsen ist, wenn ihn Han umgebracht hat, denn Jedermann weiß, daß dieser Isländer auf eine so teuflische Art mordet, daß seine Schlachtopfer oft wie Selbstmörder aussehen.«

»Was ist denn das für ein Mensch, dieser Han?« fragte Jemand.

»Ein Riese,« sagte der Eine.

»Ein Zwerg,« sprach der Andere.

»Hat ihn denn noch Niemand gesehen?« fragte eine Stimme.

»Wer ihn zum ersten Mal sieht, hat ihn auch zum letzten Mal gesehen.«

»Stille!« sagte die alte Olly; »es gibt nur drei Personen, die jemals menschliche Worte mit ihm gewechselt haben: dieser Heide Spiagudry da, die Wittwe Stadt und … aber sein Leben und Tod war unglücklich … dieser arme Gill, den ihr da liegen seht. Stille!«

»Stille!« wiederholte man von allen Seiten.

»Jetzt,« rief plötzlich der Soldat, »jetzt weiß ich gewiß, daß es wirklich der Hauptmann Dispolsen ist, ich erkenne die Stahlkette, welche ihm unser Gefangener, der alte Schuhmacher, bei seiner Abreise geschenkt hat.«

Der junge Mann mit der schwarzen Feder fiel ihm heftig ins Wort: »Ihr wißt gewiß, daß dies der Hauptmann Dispolsen ist?«

»Gewiß, so wahr es einen Beelzebub gibt!« versicherte der Soldat.

Der junge Mann ging rasch hinaus.

»Eine Barke nach Munckholm!« sagte er zu seinem Diener.

»Aber, gnädiger Herr, und der General? …«

»Du bringst ihm die Pferde. Ich komme morgen zu ihm. Bin ich mein Herr oder nicht? Vorwärts, der Tag neigt sich, und ich habe Eile, eine Barke also!«

Der Diener gehorchte und folgte eine Zeit lang mit den Augen dem Nachen, in welchem sein junger Herr saß, und der sich mit schnellem Ruderschlag vom Ufer entfernte.

X.

Nach einer schlaflosen Nacht lag die Gräfin von Ahlfeldt auf dem Sopha, gepeinigt von dem bittern Nachgeschmack unreiner Freuden. Sie dachte an diesen Musdoemon, der ihr einst in so verführerischem Lichte erschienen war, und den sie jetzt so abscheulich fand. Das unglückliche Geschöpf weinte, nicht aus Reue, sondern aus Verdruß. Das Laster hatte sie geflohen, sie nicht das Laster. Ihre Thränen gewährten ihr nicht den Trost, den der Tugendhafte darin findet. Jetzt öffnete sich die Thüre und Musdoemon trat mit ihrem Sohne Friedrich ein.

»Wie kommen denn Sie hieher, Mutter?« rief der Lieutenant, »Ich glaubte Sie zu Bergen. Ist es jetzt bei unsern Damen Mode geworden, wie fahrende Ritter durch das Land zu ziehen?«

Die Gräfin umfing ihren Friedrich mit zärtlichen Umarmungen, die er, wie alle verwöhnten Kinder, ziemlich kalt erwiederte. Dies war vielleicht die empfindlichste aller Strafen für die unglückliche Mutter. Friedrich war ihr Liebling, das einzige Wesen auf der Welt, an dem sie mit uneigennütziger Liebe hing.

»Es freut mich, lieber Sohn,« sagte sie, »daß Du sogleich zu mir geeilt bist, nachdem Du meine Anwesenheit in Drontheim erfahren hattest.« »Sie irren sich, Mama! Ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind. Die Langeweile plagte mich in der Festung, ich ging in die Stadt, begegnete Musdoemon, und der hat mich hieher geführt.« Die arme Mutter stieß einen Seufzer aus.

»Apropos, Frau Mutter,« fuhr Friedrich fort, »es ist eben recht, daß Sie hier sind. Sie werden mir sagen können, ob Rosa zu Kopenhagen noch immer in der Mode ist. Haben Sie nicht vergessen, mir eine Flasche Haaröl mitzubringen? Den zuletzt übersetzten französischen Roman, meine goldenen Borten und die kleinen Lockenkämmchen werden Sie hoffentlich auch mitgebracht haben? …«

Das unglückliche Weib hatte ihrem Sohne nichts mitgebracht, als die einzige Liebe, welche sie für irgend Jemand auf der Welt fühlte.

»Mein lieber Sohn, ich war krank, und meine Schmerzen haben mich gehindert, an das zu denken, was Dir Freude macht.«

»Krank! Es freut mich, daß Sie sich wieder wohl befinden. Apropos, was macht meine Meute normannischer Hunde? Ich wette darauf, daß man vergessen hat, mein niedliches Aeffchen jeden Abend in Rosenwasser zu baden, und meinen Papagei, den werde ich am Ende todt finden … Wenn ich abwesend bin, nimmt sich Niemand des armen Thieres an.«

»Deine Mutter, mein Sohn, denkt wenigstens an Dich,« sagte die Gräfin mit zitternder Stimme.

Selbst der Engel mit dem feurigen Schwerte, der die Sünder aus dem Paradiese treibt, würde in diesem Augenblicke mit der unglücklichen Mutter Mitleid gehabt haben. Musdoemon lachte höhnisch in einem Winkel des Zimmers.

»Herr Friedrich,« sagte er, »wozu dieses Haaröl, und diese Bänder, und diese Borten, und all dieses schwere Geschütz der Liebe, wenn das einzige weibliche Herz, das Munckholms Mauern einschließen, unbezwinglich ist?« »Fürwahr, das ist sie!« erwiederte Friedrich lachend. »Ich habe von dieser Festung abziehen müssen, jetzt ist sie unüberwindlich, und ich fordere den General Schack selbst auf, sie zu nehmen. Wie soll man auch eine Festung überrumpeln, in der das ganze Jahr nichts decouvrirt ist, wo alle Posten immer besetzt sind? Halskrause bis an das Kinn, Aermel bis auf die Finger! Und in diesem Fort, mein lieber Lehrmeister, hält die Schamhaftigkeit Wache.«

»Wirklich!« sagte Musdoemon. »Nun, so muß die Liebe die Schamhaftigkeit zur Uebergabe zwingen.«

»Vergebliche Mühe! Die Liebe hat sich allerdings in den Platz eingeschlichen, aber sie dient der Schamhaftigkeit als Verstärkung.«

»Das ist etwas Nagelneues. Wenn Sie geliebt sind …«

»Wer sagt Ihnen denn, daß ich geliebt sei?«

»Und wer denn?« riefen Musdoemon und die Gräfin zugleich aus.

Als eben Friedrich antworten und die nächtliche Scene schildern wollte, fiel ihm das gegebene Ehrenwort ein.

»Wahrhaftig …« sagte er, »ich weiß in der That nicht, wer … irgend ein gemeiner Mensch … ein Lehensmann …«

»Irgend ein Soldat der Besatzung?« sagte Musdoemon lachend.

»Wie, mein Sohn!« rief die Gräfin aus, »sie liebt einen Bauern, einen Lehensmann? Weißt Du das gewiß? Das wäre nicht zu bezahlen.«

»Freilich weiß ich es gewiß; es ist aber kein Soldat der Besatzung. Ich weiß so gewiß, daß sie liebt, daß meine längere Verbannung in dieses verfluchte Schloß jetzt überflüssig ist.«

Der Gräfin Augen leuchteten vor Schadenfreude: »Du mußt uns das noch ausführlicher erzählen, mein Sohn. Im Uebrigen wundere ich mich nicht darüber, eine Bauerndirne kann nur einen Bauern lieben. Inzwischen verwünsche dieses Schloß nicht, in welchem Du zum erstenmal eine unserer Familie so werthe Person gesehen hast.«

»Wie, Mutter, welche Person?« fragte der Lieutenant verwundert.

»Keinen Scherz, mein Sohn! Hat Dir gestern Niemand die Aufwartung gemacht? Du siehst, ich weiß davon.«

»Mehr als ich, wie es scheint. Der Teufel soll mich holen, wenn ich gestern ein fremdes Gesicht gesehen habe!«

»Wie, Friedrich, Du hast Niemand gesehen?«

»Niemand, Mutter!«

»Wie! Ist nicht gestern Abend der Sohn des Vicekönigs nach Munckholm gekommen?«

Der Lieutenant wollte sich vor Lachen ausschütten: »Der Sohn des Vicekönigs! Sie träumen oder wollen mich zum Besten haben.«

»Weder das eine, noch das andere. Wer hatte denn gestern die Wache?«

»Ich selbst, Mama!«

»Und Du hast den Baron Ordener nicht gesehen?«

»Nein, sage ich Ihnen!«

»Er konnte ja das Incognito beobachten, Du kennst ihn ja nicht, da er zu Drontheim erzogen worden ist. Du kennst seine Grillen, er kann einen falschen Namen angenommen haben. Hast Du in der That gar Niemand gesehen?«

Friedrich schwankte einen Augenblick. Sein Ehrenwort fiel ihm ein. »Nein!« rief er, »Niemand!«

»In diesem Falle ist also der Baron nicht nach Munckholm gegangen.«

Musdoemon hatte aufmerksam zugehört. Er unterbrach jetzt die Gräfin.

»Erlauben Sie, gnädige Gräfin! Wie heißt der Bauer, gnädiger Herr, der Schuhmachers Tochter liebt?« »Ich weiß es nicht … oder vielmehr … Ja, ich weiß es nicht.«

»Und wie wissen Sie denn, daß sie einen Bauern liebt?«

»Habe ich gesagt einen Bauern? Ja, richtig einen Bauern …«

Des Lieutenants Verlegenheit stieg. Er suchte ihr durch einen raschen Entschluß zu entgehen.

»Meiner Treu, Herr Musdoemon, und Sie, gnädige Mama, wenn die Narrheit der Verhöre jetzt Mode ist, so machen Sie sich das Vergnügen, einander selbst zu verhören! Was mich betrifft, so will ich nicht länger verhört sein.«

Mit diesen Worten öffnete er die Thüre und verschwand. Die Beiden erschöpften sich in Vermuthungen.

Friedrich eilte in den Hof, denn er hörte Musdoemons Stimme, die ihn zurückrief, schwang sich aufs Pferd und sprengte dem Hafen zu.

Unterwegs dachte er über die Sache: Wenn es Ordener Guldenlew war, dann gute Nacht, meine arme Ulrike … doch nein! Wer wird denn so einfältig sein, die arme Tochter eines Staatsgefangenen der reichen Tochter eines allmächtigen Ministers vorzuziehen! Ein solcher Narr lebt nicht auf der Welt. Mithin könnte die Liebe zu Schuhmachers Tochter höchstens eine vorübergehende Neigung sein, und nichts hindert, neben der Frau eine Maitresse zu halten; das gehört sogar zum guten Ton. Doch nein! Es ist nicht Ordener, der Sohn des Vicekönigs würde nicht in einem abgetragenen Rocke und mit einer schwarzen Feder ohne Diamantschnalle, die von Wind und Wetter gefegt ist, einhergehen! Und dieser große Mantel, aus dem man ein Zelt machen könnte! Und die Haare ohne Frisur und ohne Kamm! Und diese mit Koth bespritzten Stiefel mit eisernen Sporen! Das ist nicht der Sohn des Vicekönigs. Der Baron von Thorwick ist Ritter des Danebrogordens; dieser Fremde hat nichts an sich, was von weitem einem Orden gleich sieht. Wenn ich Ritter wäre, so würde ich das Ordensband am Schlafrock tragen. Er weiß nichts von dem neuesten Roman der geistreichen Scudery. Das ist nicht der Sohn des Vicekönigs.