II.

Der Leser weiß, daß wir uns zu Drontheim, einer der vier größten Städte Norwegens, obwohl nicht der Residenz des Vicekönigs, befinden. Zur Zeit, in welcher diese Geschichte vorging – im Jahre 1699 – gehörte das Königreich Norwegen noch zu Dänemark, und wurde von Vicekönigen regiert, deren Sitz zu Bergen, einer größeren, schöneren und südlicher gelegenen Stadt, als Drontheim, war.

Drontheim bietet einen angenehmen Anblick dar, wenn man es von dem Golf aus betrachtet, dem diese Stadt ihren Namen gegeben hat. Der Hafen ist ziemlich breit und die Stadt liegt in einer wohlbebauten Ebene. Mitten im Hafen, einen Kanonenschuß vom Ufer, erhebt sich, auf einer von Wogen umspülten Felsenmasse, die einsame Feste Munckholm, ein düsteres Gefängniß, in welchem damals der durch sein langes Glück sowohl, als durch seine schnelle Ungnade so berühmte Staatsgefangene saß.

Schuhmacher, ein Mann von niederer Geburt, war von seinem König erst mit Gunstbezeugungen überhäuft, dann plötzlich von seinem Sitze eines Großkanzlers von Dänemark und Norwegen auf die Bank der Staatsverräther gebracht, sofort aufs Schaffot geschleift und zuletzt aus Gnade in einen einsamen Kerker an der äußersten Grenze der beiden Königreiche gebracht worden. Seine eigenen Kreaturen hatten ihn gestürzt, und er hatte nicht einmal das Recht, über Undank zu klagen. Durfte er klagen, wenn er Sprossen der Leiter, die er bloß so hoch gestellt hatte, um auf ihnen hinaufzusteigen, unter seinen Füßen brechen sah?

Der Mann, welcher den Adel in Dänemark gegründet hatte, mußte aus seinem Verbannungsorte sehen, wie die Großen, die er geschaffen, seine eigenen Würden unter sich vertheilten. Der Graf Ahlfeldt, sein Todfeind, war sein Nachfolger als Großkanzler; der General Arensdorf verfügte als Feldmarschall über die Armee, sowie der Bischof Spollyson über Geistlichkeit und Schulen. Der einzige seiner Feinde, der ihm seine Erhebung nicht verdankte, war der Graf Ulrich Friedrich Guldenlew, natürlicher Sohn des Königs Friedrich des Dritten, Vicekönig von Norwegen, und dieser war der edelmüthigste von Allen.

Gegen diesen traurigen Felsen von Munckholm steuerte die Barke, die den jungen Mann mit der schwarzen Feder trug. Die Sonne ging eben unter.

XX.

»Ja, Herr Graf, heute treffen wir ihn in den Ruinen von Arbar, Ich habe es durch Zufall erfahren, aber viele Umstände machen mir es wahrscheinlich.«

»Sind wir weit von diesen Ruinen?«

»Sie liegen in der Nähe des Sees Smiassen. Der Führer versichert, daß wir sie vor Mittag erreichen können.«

So besprachen sich zwei Personen zu Pferd, die in braune Mäntel gehüllt waren. Es war noch früh Morgens und sie befanden sich auf einem jener engen Wege, welche den Wald, der zwischen den Seeen von Smiassen und Sparbo liegt, in allen Richtungen durchschneiden. Ein Bergmann, der sein Horn umhängen hatte und mit seiner Axt bewaffnet war, ritt auf einem kleinen grauen Pferde voran; und hinter ihnen kamen vier andere wohlbewaffnete Reiter, gegen welche sie von Zeit zu Zeit die Köpfe zurückwendeten, als ob sie fürchteten, von ihnen gehört zu werden.

Die beiden Reiter waren der Graf von Ahlfeldt und sein Sekretär Musdoemon. »Wenn dieser isländische Räuber sich wirklich in den Ruinen von Urbar befindet,« sagte der Letztere, »so haben wir viel gewonnen, denn das Schwierigste an der Sache war, dieses ungreifbare Wesen aufzufinden.«

»Glaubt Ihr, Musdoemon? Und wenn er nun unsere Anerbietungen verwirft?«

»Unmöglich, gnädiger Herr Graf! Gold und Straflosigkeit! Welcher Räuber würde da widerstehen?«

»Ihr wißt aber, daß dieser Räuber kein Bösewicht gewöhnlichen Schlags ist. Legt also nicht Euern Maßstab an ihn an. Wenn er nun unsern Antrag nicht annimmt, wie wollt Ihr Euer Versprechen gegen die drei Anführer des Aufstandes erfüllen?«

»Euer Gnaden scheinen vergessen zu haben, daß uns ein falscher Han der Isländer zu Gebot steht.«

»Ihr habt Recht und immer Recht, mein lieber Musdoemon!« sagte der Graf, und beide überließen sich nun ihren eigenen Gedanken.

Musdoemon, dessen Vortheil erforderte, seinen Gebieter bei guter Laune zu erhalten, machte, um ihn zu zerstreuen, eine Frage an den Wegweiser.

»Guter Mann,« sagte er, »was ist das für ein steinernes Kreuz dort hinter jenen Eichen?«

»Das ist kein Kreuz, Herr,« antwortete der Bergbewohner, »sondern der älteste Galgen in Norwegen. Der König Olaus hat ihn für einen Richter aufschlagen lassen, der mit einem Räuber ein Bündniß abgeschlossen hatte.«

Musdoemon sah den Aerger auf dem Gesichte seines Patrons, als er diese Worte hörte.

»Das ist eine ganz besondere Geschichte,« fuhr der treuherzige Wegweiser fort, »der Räuber mußte den Richter hängen …«

Musdoemon rief ihm zu: »Schon gut, schon gut, lieber Freund! Wir wissen diese Geschichte.«

»Er weiß diese Geschichte, der Flegel!« murmelte der Graf für sich. »Warte, Musdoemon, Du sollst mir Deine Unverschämtheit theuer bezahlen!«

»Was befehlen Ew. Gnaden?« fragte Musdoemon mit unterwürfigem Wesen.

»Ich dachte eben auf Mittel, mein Lieber, den Danebrogorden für Euch zu erhalten. Die Vermählung meiner Tochter Ulrike mit Baron Ordener wird dazu eine gute Gelegenheit sein.«

Musdoemon zerfloß in Danksagungen und Betheurungen seiner Anhänglichkeit.

»Um wieder auf unsere Angelegenheiten zu kommen, glaubt Ihr, daß der Mecklenburger den Befehl, der ihn nach Bergen beruft, jetzt in Händen habe?«

»Ohne Zweifel, gnädiger Herr Graf, wird jetzt der Bote zu Drontheim sein, und der General Levin muß sich mithin zur Abreise anschicken.«

»Diese Abberufung ist ein Meisterstreich von Euch, Musdoemon. Er gehört zu Euren best ausgesonnenen und best ausgeführten Intriguen.«

»Die Ehre davon gehört Euer Gnaden eben so gut als mir,« erwiederte Musdoemon, der sich zur Maxime gemacht hatte, den Grafen bei allen seinen Umtrieben zu betheiligen.

Der Graf, der seine geheimen Gedanken ganz gut kannte, versetzte gleichwohl lächelnd: »Mein lieber geheimer Sekretär, Ihr seid immer allzu bescheiden, aber ich werde dennoch Eurer ausgezeichneten Dienste stets eingedenk sein. Elphegens Anwesenheit und des Mecklenburgers Abwesenheit sichern meinen Triumph zu Drontheim. Ich bin Oberhaupt der Provinz, und wenn Han das Commando der Rebellen annimmt, das ich ihm selbst anbieten werde, so werde ich den Ruhm ernten, diese Empörung gedämpft und den furchtbaren Räuber gefangen zu haben.«

In diesem Augenblicke drehte sich der Wegweiser um und rief: »Seht da, gnädige Herren, zu unserer Linken den Hügel, auf welchem Biord der Gerechte im Angesicht seiner Armee den doppelzüngigen Verräther Wellon enthaupten ließ, der die ächten Vertheidiger des Königs entfernt und den Feind in das Lager gerufen hatte, damit es scheine, als habe er allein Biords Leben gerettet …«

Musdoemon unterbrach ihn barsch: »Laßt das, guter Mann, schweigt und setzt Euern Weg fort, ohne Euch umzuwenden! Was liegt uns an Euern alten Geschichten! Ihr stört meinen Herrn durch Eure alte Weiberhistorien!«

XIV.

»Ja, Herr, wir sind in der That schuldig und verbunden, eine Wallfahrt nach der Grotte von Lynraß zu machen. Hätte man glauben sollen, daß dieser Eremit, den ich verwünschte wie einen höllischen Geist, unser Retter werden sollte, und daß die Lanze, die uns jeden Augenblick den Tod zu drohen schien, uns zur sicheren Brücke über den Abgrund dienen würde?«

Mit diesen Worten gab Benignus Spiagudry seine Freude und seine Dankbarkeit gegen den geheimnißvollen Einsiedler zu erkennen. Unsere Reisenden hatten den verfluchten Thurm verlassen und Vygla lag bereits weit hinter ihnen. Sie klommen eben einen steilen Berg hinauf. Der Anbruch des Tages war nahe. Ordener schritt schweigend vorwärts.

»Herr,« fuhr der redselige Spiagudry fort, »fürchten Sie nichts. Die Häscher haben sich mit dem Eremiten rechts gewendet und wir sind jetzt weit genug von ihnen entfernt, um frei sprechen zu können. Bis jetzt war es allerdings der Klugheit gemäß, stille zu schweigen.«

»In der That,« erwiederte Ordener, »Ihr treibt die Klugheit ziemlich weit, denn es sind jetzt etwa drei Stunden, daß wir den Thurm und die Häscher hinter uns haben.«

»Das ist wahr, Herr, aber Vorsicht kann nicht schaden. Wenn ich mich nun genannt hätte, als der Anführer dieser höllischen Rotte mit einer Stimme, gleich derjenigen, womit Saturn seinen neugeborenen Sohn forderte, um ihn zu fressen, den Namen Benignus Spiagudry aussprach, wenn ich nicht in diesem furchtbaren Augenblick meine Zuflucht zu einer klugen Schweigsamkeit genommen hätte, wo wäre ich jetzt, was wäre aus mir geworden, wie würde es mit mir enden?«

»Ich glaube in der That, alter Herr, daß man in jenem Augenblicke Euern Namen nicht anders von Euch hätte erlangen können, als wenn man ihn Euch mit Zangen aus dem Munde gerissen hätte.«

»Hatte ich Unrecht, Herr, zu schweigen? Hätte ich gesprochen, so würde der Eremit, den St. Usbald der Einsiedler segnen möge, nicht Zeit gehabt haben, den Anführer der Häscher zu fragen, ob seine Leute Soldaten der Besatzung von Munckholm seien, eine unbedeutende Frage, einzig in der Absicht gethan, Zeit zu gewinnen. Haben Sie nicht bemerkt, wie auf die bejahende Antwort dieses einfältigen Häschers der Eremit ihm mit einem seltsamen Lächeln erwiederte, daß er den Schlupfwinkel Spiagudry’s kenne und ihn selbst dahin führen wolle?«

Hier hielt der alte Schwätzer etwas inne, um frischen Athem zu schöpfen, dann ergoß er sich in einen neuen Strom pedantischer Redseligkeit.

»Guter Priester! Würdiger und tugendhafter Anachoret, der du die Grundsätze der christlichen Menschenfreundlichkeit und der evangelischen Liebe befolgst! Und ich, ich entsetze mich über dein Aeußeres, das allerdings ziemlich unglückverkündend war, aber eine um so schönere Seele verbarg! Auf Wiedersehen! sprachst du zu mir, als du die Häscher wegführtest! Allerdings hatte der Accent, mit welchem du diese Worte sprachst, etwas Zurückschreckendes, aber das ist nicht deine Schuld, du frommer und unvergleichlicher Eremit! Ohne Zweifel gibt die Einsamkeit der Stimme diesen seltsamen Ton. Ein Einsiedler anderer Art, jener furchtbare … Doch schweigen ist klug, wo reden zu nichts führt … Du hattest freilich Handschuhe an, wie … aber es war in der That kalt genug, um Handschuhe zu tragen … Auch über dein salziges Getränk wundere ich mich nicht mehr. Die katholischen Cönobiten haben oft seltsame Regeln. Ein Beispiel ähnlicher Art finden wir in folgendem Verse des berühmten Urensius, Mönchs auf dem Berge Kaukasus:

Rivos despiciens, maris undam potat amaram.

Wie ist mir doch in diesem verfluchten Thurme von Vygla dieser Vers nicht eingefallen! Etwas mehr Gedächtniß hätte mir viele thörichte Unruhe erspart. Es ist allerdings schwierig in einer solchen Mordhöhle, an dem Tische eines Scharfrichters, seine Gedanken ganz beisammen zu haben. Die nämliche Luft mit dem Henker athmen! Und der elendeste Bettler wirft die Lumpen weg, die seinen Leib gegen die Kälte des Winters schützen, wenn die unreine Hand des Henkers sie berührt hat! Und wenn der Kanzler den Bestallungsbrief des Scharfrichters ausgefertigt hat, wirft er ihn unter den Tisch zum Zeichen seines Ekels und Fluches! Und in Frankreich, wenn der Henker todt ist, bezahlen die Gerichtsdiener des Bezirks lieber eine Strafe von vierzig Livres, als daß sie seine Stelle annehmen! Und zu Pesth wollte der Verurtheilte Corchill lieber sich hinrichten lassen, als den Platz eines Scharfrichters annehmen, den man ihm als Begnadigung anbot! Turmeryn, Bischof zu Maestricht, ließ eine Kirche neu einweihen, welche der Fuß des Henkers betreten hatte, und die Czarin Petrowna wusch sich jedesmal das Gesicht, so oft sie von einer Hinrichtung zurückkam. Und gibt nicht, nach Melasius Iturham, Charon selbst dem Räuber Robin Hood beim Einsteigen in den höllischen Nachen den Vortritt vor dem Scharfrichter Philipcraß? Wenn ich jemals zur Macht gelange, was in Gottes Hand steht, so will ich Todesstrafe und Scharfrichter aufheben und die alten Gebräuche und Taxen wieder einführen. Für den Mord eines Prinzen bezahlt man alsdann, wie im Jahre 1450, die Summe von 1440 Doppelthalern; für den Mord eines Grafen 1440 einfache Thaler; für den Mord eines Barons 1440 halbe Thaler; der Mord eines einfachen Edelmanns kostet …«

»Höre ich nicht hinter uns den Schritt eines Pferdes?« sagte Ordener.

Sie sahen sich um und erblickten etwa hundert Schritte hinter sich einen schwarzgekleideten Mann, der ihnen mit der Hand winkte.

»Um Gottes willen, Herr! Lassen Sie uns eilen, dieser schwarze Mann gleicht auf ein Haar einem verkleideten Häscher,« sagte der furchtsame Spiagudry.

»Alter Herr, wir sind ja zu zwei und sollten vor einem Manne fliehen!«

»Zwanzig Sperber fliehen vor einer einzigen Nachteule. Ein Kampf mit einem solchen Nachtvogel ist nicht glorreich.«

»Seid ruhig, Alter, ich erkenne jetzt den Räuber. Bleibt stehen!«

Der Räuber kam zu ihnen. Es war Athanasius Munder. Er grüßte sie und sagte: »Meine lieben Freunde, um Euretwillen bin ich umgekehrt.«

»Herr Pfarrer,« sagte Ordener, »wir werden uns glücklich schätzen, Ihnen in irgend etwas dienlich zu sein.«

»Im Gegentheil, junger Mann, wünsche ich Ihnen zu dienen. Wollen Sie mir wohl sagen, welches der Zweck Ihrer Reise ist?«

»Das kann ich nicht, ehrwürdiger Herr!«

»Ich wünsche, mein Sohn, daß dies nicht aus Mißtrauen gegen mich geschehe, denn sonst wehe mir, wehe jedem Menschen, dem man mißtraut, wenn man ihn auch zum erstenmal gesehen hat.«

Die salbungsvolle Demuth des Geistlichen rührte Ordener.

»Alles, was ich Ihnen sagen kann, mein Vater, ist, daß wir in die nördlichen Gebirge gehen.«

»Das dachte ich mir, mein Sohn, und deßwegen bin ich zurückgekommen. Es gibt in diesen Gebirgen Banden von Bergleuten und Jägern, die öfters den Reisenden gefährlich sind.«

»Nun?« sagte Ordener.

»Nun! Ein edler junger Mann, der einer Gefahr entgegengeht, mag seinen Weg verfolgen, ohne daß man ihn davon abwendig macht; aber Sie haben mir Achtung eingeflößt, und es ist mir ein Mittel eingefallen, Ihnen nützlich zu sein. Der unglückliche Falschmünzer, dem ich gestern die letzten Tröstungen der Religion darbrachte, war ein Bergmann. Vor seinem Ende gab er mir dieses Blatt, auf welches sein Name geschrieben ist, und sagte mir, daß dieser Paß mich vor jeder Gefahr schützen würde, wenn ich je die Gebirge besuchte. Was kann aber dieses Papier einem armen Priester helfen, dessen Beruf ist, bei Gefangenen zu leben und zu sterben, und der übrigens inter castra latronum keine anderen Vertheidigungsmittel suchen darf, als die er in Ergebung und Gebet findet, welches die einzigen Gott wohlgefälligen Schutzmittel sind! Ich habe diesen Paß angenommen, weil man das Herz dessen, der in kurzer Zeit auf dieser Welt nichts mehr zu geben und zu empfangen hat, nicht durch eine abschlägige Antwort betrüben soll. Der Herr hat mir wohl gerathen, denn heute kann ich Ihnen dieses Papier einhändigen, um Ihnen auf Ihrem gefahrvollen Wege dienlich zu sein, und möge die Gabe des Sterbenden dem Lebenden zur Wohlthat gereichen!«

Ordener empfing mit Rührung das Geschenk des ehrwürdigen Geistlichen.

»Herr Pfarrer,« sagte er, »möge der Himmel Ihren Wunsch erhören! Inzwischen,« fügte er mit jugendlichem Uebermuth hinzu, indem er an seinen Säbel schlug, »führte ich schon hier meinen Paß an der Seite.«

»Junger Mann,« erwiederte der Priester, »vielleicht wird dieses leichte Papier Sie besser schützen, als das Eisen an Ihrer Seite. Der Blick eines Büßenden ist mächtiger, als das feurige Schwert des Erzengels. Leben Sie wohl! Die da gefangen sind, harren meiner. Beten Sie bisweilen für sie und mich.«

»Ihre Gefangenen werden Gnade erhalten, das sage ich Ihnen nochmals.«

»Sprechen Sie nicht mit solcher Zuversicht, mein Sohn! Versuche den Herrn nicht, steht geschrieben. Ein Mensch kennt nicht die Gedanken eines andern Menschen, und Sie wissen nicht, was der Sohn des Vicekönigs beschließen wird. Vielleicht wird er einen armen Diener des Herrn nicht einmal vor seine Augen lassen. Gehen Sie mit Gott, und möge der Himmel Ihre Reise segnen!«

XV.

In der Kanzlei des Gouverneurs von Drontheim saßen drei Sekretäre an einer langen Tafel, auf welcher viele Papiere lagen.

»Wissen Sie auch, Wapherney,« sagte einer derselben, »daß dieser arme Bibliothekar Fortipp von dem Bischof entlassen werden wird, Dank dem Empfehlungsschreiben, durch welches Sie das Gesuch des Doktors Anglyvius unterstützt haben?«

»Was spielen Sie uns da auf, Richard?« sagte der andere der beiden Sekretäre, an welchen die Frage nicht gerichtet war. »Wapherney konnte kein Empfehlungsschreiben zu Gunsten des Anglyvius ausfertigen, denn die Bittschrift dieses Menschen hat den General empört, als ich sie ihm vorlas.«

»Das haben Sie mir allerdings gesagt, allein ich fand auf der Bittschrift das Wort tribuatur, von des Gouverneurs eigener Hand geschrieben,« erwiederte Wapherney.

»Wirklich!« rief der erste verwundert aus.

»Ja, mein Freund! Und mehrere andere Beschlüsse Sr. Excellenz, von welchen Sie mir sagten, sind in den Randglossen ebenfalls geändert. So hat der General unter die Bittschrift der Bergleute geschrieben negetur …«

»Wie! Das ist mir unbegreiflich, da der General doch wegen des aufrührerischen Geistes dieser Bergleute in Besorgniß war.«

»Er wollte sie vielleicht durch Strenge schrecken. Ich glaubte dies darum, weil auf die Bittschrift des Almoseniers Munder in Betreff der Begnadigung der zwölf Verurtheilten gleichfalls abschlägige Antwort gegeben ist.«

»Das kann ich nicht glauben. Der Gouverneur hat ja so viel Mitleid für diese Verurtheilten an den Tag gelegt …«

»So lesen Sie selbst, Arthur!«

Arthur nahm die Bittschrift und sah darunter die abschlägige Antwort.

»In der That,« sagte er, »ich kann kaum meinen eigenen Augen glauben. Ich will dieses Papier dem General noch einmal vorlegen. An welchem Tage hat denn der Gouverneur die Beschlüsse auf diese Eingabe beigesetzt?«

»Vor drei Tagen, meine ich.«

»Das war also an dem Morgen, an welchem Baron Ordener so kurz erschien und so schnell wieder verschwand.«

»Sehen Sie einmal,« rief Wapherney aus, »steht nicht abermals ein tribuatur auf der nämlichen Bittschrift dieses Benignus Spiagudry?«

Richard wollte sich vor Lachen ausschütten.

»Ist das nicht dieser alte Aufseher im Spladgest, der erst auf eine so seltsame Weise verschwunden ist?«

»So ist es, man hat in seinem Todtenzimmer einen verstümmelten Leichnam gefunden, und jetzt läßt ihn die Justiz verfolgen. Ein kleiner Lappe, sein Diener, der allein im Spladgest zurückgeblieben, ist, sowie das Publikum, der Meinung, daß ihn der Teufel geholt habe, weil er ein Hexenmeister sei.«

»Der hinterläßt eine gute Reputation!« sagte Wapherney lachend.

In diesem Augenblicke trat ein vierter Sekretär ein.

»Sie kommen heute sehr spät, Gustav,« rief ihm Wapherney zu, »haben Sie etwa gestern Hochzeit gehalten?«

»Nicht doch,« fiel Arthur ein, »er wird einen Umweg gemacht haben, um vor dem Fenster der schönen Rosily seinen neuen Mantel zu zeigen.«

»Sie irren sich, die Ursache meines Ausbleibens ist nicht so angenehm, und ich zweifle, daß mein neuer Mantel einigen Eindruck auf die Person gemacht hat, welche ich eben besuchte.«

»Woher kommen Sie denn?«

»Vom Spladgest.«

»Was haben Sie denn dort so Besonderes gesehen?«

»Ich wurde durch die Menge, die sich um den Spladgest drängte, mit fortgerissen. Man hat die Leichname von drei Soldaten der Besatzung von Munckholm und von zwei Häschern hingebracht, welche man gestern, vier Stunden von hier, in der Schlucht von Cascadthymore gefunden hat. Sie waren ausgeschickt worden, den flüchtigen Spiagudry zu verfolgen. Es ist unbegreiflich, wie so viele bewaffnete Menschen ermordet werden konnten. Die Verstümmlung ihrer Körper beweist, daß sie vom Felsen herabgestürzt worden sind.«

»Sie haben die Leichname selbst gesehen?«

»Ich habe sie im Geiste noch vor Augen.«

»Und wen hält man für die Thäter?«

»Einige schreiben den Mord einer Bande von Bergleuten zu; sie versichern, daß man gestern im Gebirge den Hörnerschall vernommen habe, wodurch sie sich das Zeichen zu geben pflegen.«

»Wirklich!«

»Ein alter Bauer hat dagegen die Bemerkung gemacht, daß auf dieser Seite weder Minen noch Bergleute seien.«

»Und wer sollte es sonst sein?«

»Man weiß es nicht. Wenn die Körper angefressen wären, so könnte man glauben, daß es wilde Thiere seien, denn sie haben lange und tiefe Ritze an sich, wie von Thierkrallen. Auf die nämliche Weise ist der Leichnam eines Greises mit weißem Barte entstellt, den man vorgestern Morgens in den Spladgest gebracht hat.«

»Wer ist dieser Greis?«

»An seiner hohen Gestalt, seinem weißen Bart und dem Rosenkranz, den er noch in der Hand hatte, wollte man in ihm den Einsiedler von Lynraß erkennen. Augenscheinlich ist der arme Mann auch ermordet worden. Allein zu welchem Zwecke? Aus religiöser Unduldsamkeit geschieht jetzt kein Mord mehr, und der alte Eremit besah aus der Welt nichts, als seine Kutte und das öffentliche Wohlwollen, das ihm Brod gab.«

»Und dieser Leichnam ist auch wie von den Krallen eines wilden Thieres zerrissen?«

»Und die nämlichen Spuren von Thierkrallen hat man an dem Leichnam eines Offiziers gefunden, der vor einigen Tagen in den Spladgest gebracht worden ist.«

»Das ist höchst sonderbar,« sagte Arthur.

»Entsetzlich ist es,« fügte Richard hinzu.

»Stille jetzt und Arbeit, denn ich glaube, der General ist im Anmarsch!« fiel Wapherney ein.

XVI.

Im Jahr 1675, vierundzwanzig Jahre vor dem Zeitpunkt, in welchem unsere Geschichte beginnt, wurde in dem Weiler Thoctree die Hochzeit der schönen Lucie Pelnyrh mit dem starken Caroll Stadt gefeiert. Lucie war das schönste Mädchen, Caroll der wackerste Bursche im ganzen Kanton. Eltern und Verwandte hatten ihrer Vereinigung Schwierigkeiten in den Weg gelegt, bis eines Tages Caroll seine Lucie aus einer großen Gefahr rettete. Er hörte Geschrei im Wald und eilte herbei; ein vom ganzen Lande gefürchteter Räuber hatte Lucie ergriffen, um sie wegzutragen. Caroll griff dieses Unthier mit menschlichem Angesicht, dem man den Namen Han beigelegt hatte, weil es brüllte, wie ein wildes Thier, herzhaft an. Niemand hätte dies gewagt, aber die Liebe verdoppelte seine Kräfte. Er befreite seine Geliebte und brachte sie ihrem Vater, der sie ihm nun zum Weibe gab.

Der Tag ihrer Vereinigung war ein Fest für das ganze Dorf. Lucie allein war düster. Am Abend ging das Brautpaar in seine neue Hütte.

Am andern Morgen war Caroll Stadt verschwunden. Nach neun Monaten einsamer Trauer gebar Lucie einen Sohn, und am nämlichen Tage wurde das Dorf Golyn von dem über ihm hängenden Felsen zerschmettert.

Die Geburt dieses Sohnes verminderte in Nichts die düstere Traurigkeit der Mutter. Gill Stadt glich in Nichts dem verschwundenen Caroll. Seine wilde Kindheit schien ein noch wilderes Leben anzukünden. Bisweilen kam ein kleiner wilder Mensch, in welchem die Einwohner Han den Isländer erkannten, in die verlassene Hütte der Wittwe Caroll, und dann hörten die Vorübergehenden darin thierisches Brüllen und klagende Töne eines Weibes. Monate lang führte der Wilde den jungen Gill mit sich fort, und wenn er in das Haus seiner Mutter zurückkehrte, war er jedesmal wilder und unbändiger.

Die Wittwe Stadt fühlte für dieses Kind eine Mischung von Abscheu und Zärtlichkeit. Manchmal schloß sie es in ihre Arme, als das einzige Gut, welches sie noch an das Leben fesselte. Ein andermal stieß sie es mit Abscheu von sich, indem sie schmerzlich den Namen Caroll ausrief. Niemand auf der Welt wußte, was in ihrem Herzen vorging.

Als Gill dreiundzwanzig Jahre alt war, sah er Guth Stersen und liebte sie mit glühender Leidenschaft. Guth Stersen war reich und er arm. Deßhalb ging er in die Bergwerke von Roeraas, um dort als Bergmann etwas zu erwerben. Von da an hatte seine Mutter nichts mehr von ihm gehört.

In einer Nacht saß die Wittwe Stadt bei halb erloschener Lampe an dem Spinnrad, das sie nährte. Man klopfte an die Thüre.

»Wenn es mein Sohn wäre!« rief sie und eilte zu öffnen. Ein kleiner Eremit mit schwarzem Bart trat herein.

»Heiliger Mann Gottes,« sagte die Wittwe, »was verlangt Ihr? Ihr wißt nicht, über welche Schwelle Ihr eingegangen seid.«

»Doch, ich weiß es!« erwiederte der Einsiedler mit einer rauhen mißtönenden Stimme, welche ihr nur allzu wohl bekannt war, riß den schwarzen Bart ab, schlug die Kapuze zurück und ließ sein wildes Gesicht, seinen rothen struppigen Bart und seine mit furchtbaren Nägeln bewaffneten Hände sehen.

»O!« rief die Wittwe aus und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.

»Nun,« sagte der kleine Mann, »hast Du Dich in vierundzwanzig Jahren noch nicht daran gewöhnt, den Gatten zu sehen, der Dir für die ganze Ewigkeit beigesellt ist?«

»Ewigkeit!« murmelte sie mit Entsetzen.

»Höre, Lucie Pelnyrh, ich bringe Dir Nachrichten von Deinem Sohne.«

»Von meinem Sohne! Wo ist er ? Warum kommt er nicht?«

»Er kann nicht.«

»So sprecht doch! Ich will Euch danken, wenn Ihr mir einmal Glück bringt.«

»Es ist das wahre Glück, was ich Dir bringe, denn Du bist ein schwaches Weib, und ich wundere mich, daß Du einen solchen Sohn unter Deinem Herzen tragen konntest. So freue Dich denn! Du hast immer gefürchtet, daß Dein Sohn in meine Fußstapfen treten möchte. Fürchte es nicht mehr.«

»Wie!« rief die Mutter entzückt aus, »mein Sohn hat sich also geändert?«

Der Eremit warf einen höhnisch traurigen Blick auf sie.

»Ganz geändert!« sagte er.

»Und warum eilt er nicht in meine Arme? Wo habt Ihr ihn gesehen? Was machte er?«

»Er schlief.«

»Warum habt Ihr ihn nicht geweckt, daß er zu seiner Mutter komme?«

»Sein Schlaf war allzu tief.«

»Wann wird er endlich kommen? Wann soll ich ihn wiedersehen ?«

Der Eremit zog eine Art Trinkschale unter seiner Kutte hervor.

»Trinke, Wittwe,« sprach er, »trinke auf die nahe Rückkehr Deines Sohnes!«

Die Wittwe stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Es war ein menschlicher Hirnschädel.

»Weib, wende Deine Blicke nicht ab! Du willst Deinen Sohn sehen, das ist Alles, was von ihm übrig ist.«

Er brachte beim röthlichen Lampenschein den Schädel des Sohnes an die bleichen Lippen der Mutter.

Das arme Weib hatte ihre Tage im Unglück verlebt, ein Unglück mehr konnte ihr Herz nicht brechen. Sie warf einen starren, stumpfsinnigen Blick auf das wilde Gesicht des Eremiten und seufzte: »Der Tod! Tödte mich!«

»Stirb, wenn Du willst! Aber denke zurück an den Wald von Thoctree! Erinnere Dich des Tags, an welchem der Dämon, indem er sich mit Deinem Körper vermischte, Deine Seele der Hülle übergab! Ich bin der Dämon, und Du bist mein Weib in Ewigkeit! Jetzt stirb, wenn Du willst!«

In diesem abergläubischen Lande war der allgemeine Glaube, daß bisweilen höllische Geister unter den Menschen erschienen, um in ihrer Mitte ein Leben verbrecherischer und unglückseliger Thaten zu durchleben. Han der Isländer stand in diesem Rufe. Man glaubte auch, daß das Weib, welches durch Verführung oder Gewalt die Beute eines dieser Dämone in menschlicher Gestalt wurde, schon durch dieses Unglück unwiderruflich die Gefährtin seiner ewigen Verdammniß werde.

»Gott, mein Gott!« rief, von diesen abergläubischen Gedanken ergriffen, das Weib in Verzweiflung aus, »so muß ich denn das Leben tragen! Und welches Verbrechen habe ich denn begangen! Kann ein schwaches Weib der Gewalt eines Dämons widerstehen!«

Han warf auf sie einen Blick höhnischen Triumphs.

»Ha!« rief sie plötzlich aus, »es ist nur ein furchtbarer Traum, der mich schreckt, mein Sohn lebt, mein Sohn ist nicht todt!«

»Weib, Dein Sohn ist so gewiß todt, als Du lebst!«

»Gott, großer Gott!« seufzte sie schmerzlich.

»Rufe den Namen Gottes nicht an, Du Tochter der Hölle!«

Die Unglückliche verstummte.

»Zweifle nicht,« fuhr er fort, »an dem Tod Deines Sohnes. Er ist gestraft worden, weil er sein Felsenherz von dem Blick eines Weibes erweichen ließ. Ich, ich habe Dich besessen, aber nie geliebt. Mein Sohn und der Deinige ist von seiner Braut, für die er starb, betrogen worden.«

Das Weib jammerte um ihren Sohn in kläglichen Tönen.

»Schwaches Weib, bezwinge Deinen Schmerz! Ich weihe meinem Sohne mehr als fruchtlose Thränen. Während Du weinst, habe ich schon begonnen, ihn zu rächen. Seine Braut hat ihn um eines Soldaten der Besatzung von Munckholm willen betrogen. Das ganze Regiment soll durch meine Hände umkommen.«

Er schlug die Aermel seiner Kutte zurück. Seine mißgestalteten Arme waren mit Blut bedeckt,

»Ja,« fuhr er mit einem Brüllen des Schmerzes fort, »ja, am Strande von Urchthal, in den Schluchten von Cascadthymore wird Gills Geist gerne verweilen. Weib, siehst Du dieses Blut? Tröste Dich also!«

Plötzlich, wie von einer Erinnerung ergriffen, unterbrach er sich.

»Weib, hat man Dir nicht eine eiserne Büchse von mir überbracht? Ich habe Dir Gold geschickt und bringe Dir Blut, und Du weinst noch! Welchem Geschlecht gehörst Du denn an? Bist Du nicht vom Geschlecht der Menschen, daß Dich Gold nicht glücklich macht?«

Das Weib, in dumpfer Verzweiflung, schwieg.

Er schüttelte sie am Arme: »Lucie Pelnyrh! Hat Dir nicht ein Bote eine versiegelte eiserne Büchse gebracht?«

Das Weib schüttelte den Kopf und versank wieder in ihren Schmerz.

»Ha! Elender! Ungetreuer Spiagudry!« rief der Wilde aus. »Das sollst Du mir schwer büßen! Dieses Gold soll Dich theuer zu stehen kommen!«

Er warf seine Kutte von sich und stürzte aus der Hütte mit dem Brüllen einer Hyäne, die einen Leichnam sucht.

XVII.

Der Strand von Norwegen ist so reich an engen Buchten, Schlupfhafen, Felsenriffen, Lagunen und kleinen Vorgebirgen, daß durch ihre Zahl und Namen das Gedächtniß des Reisenden ermüdet und die Geduld des Topographen erschöpft wird. (Ehemals hatte, nach den Volkssagen, jede Landenge ihren bösen Geist, der da hauste, jede Bucht eine Fee zur Bewohnerin, jedes Vorgebirge seinen Heiligen, der es schützte, denn der Aberglaube mischt sich Gegenstände des Schreckens aus allen Religionen zusammen. Am Strande von Kelvel, einige Stunden nordwärts von der Grotte von Walderhog, war, nach dem Volksglauben, ein einziger Ort frei von der Gerichtsbarkeit der höllischen und himmlischen Geister. Es war eine lichte Stelle am Ufer, von einem Felsen beherrscht, auf dessen Gipfel man noch einige alte Ruinen von der Burg Ralphs des Riesen erblickte. Diese kleine wilde Matte, die nördlich vom Meer begrenzt und zwischen mit Buschwerk bewachsenen Felsen eingezwängt war, dankte ein solches Vorrecht dem bloßen Namen dieses alten norwegischen Ritters, ihres ersten Besitzers, denn kein höllischer oder himmlischer Geist hätte gewagt, sich zum Bewohner oder Beschützer des Orts zu machen, der vor alten Zeiten Ralph dem Riesen angehört hatte.

Allerdings reichte schon Ralphs furchtbarer Name allein hin, diesem an sich schon so wilden Ort einen Schrecken einflößenden Charakter aufzudrücken; aber die Rückerinnerung an einen Riesen ist doch nicht so erschreckend, als die Gegenwart eines Geistes, und niemals hatte ein Fischer, der hier Schutz vor dem Sturme suchte, höllische Geister und verdammte Seelen auf der Spitze der Felsen tanzen, noch die Fee in ihrem von leuchtenden Würmern gezogenen Wagen durch das Gebüsche fahren, noch den Heiligen nach verrichtetem Gebet wieder zum Himmel hinaufschweben sehen.

Wenn jedoch in der Nacht, welche auf jenen großen Sturm folgte, die Wellen des Meeres und die Gewalt des Windes irgend einen Seemann in diese gastliche Bucht getragen hätten, so würde ihn der Anblick von drei Männern, die mitten in der Matte um ein Feuer saßen, mit abergläubischem Schrecken erfüllt haben. Zwei dieser Männer trugen die großen Filzhüte und die langen weiten Beinkleider der königlichen Bergleute. Ihre Arme waren nackt bis zur Schulter, ihre Füße steckten in ungegerbten Thierfellen; ihre krummen Säbel und ihre langen Pistolen trugen sie in einem rothen Gürtel um den Leib. Beide hatten eine Trompete von Horn um den Hals hängen. Der eine war alt, der andere jung. Der dichte Bart des alten und die langen Haare des jungen Mannes machten ihre von Natur ernsten und düsteren Gesichter noch wilder.

In ihrem Gefährten erkannte man an seiner Mütze von Bärenfell, an seinem Wamms von geöltem Leder, an seiner Büchse, die in einem Bandelier über seinem Rücken hing, an seinen kurzen und engen Beinkleidern, an seinen nackten Knieen, an seinen Sandalen von Baumrinde, an der glänzenden Axt in seiner Hand, mit leichter Mühe einen Bergbewohner aus den nördlichen Theilen Norwegens.

Diese drei Männer drehten öfters den Kopf nach dem Fußpfad um, der von der Höhe zu Ralphs Matte führte, und nach ihren Reden zu urtheilen, erwarteten sie eine vierte Person.

»Wißt Ihr auch, Kennybol,« sagte der eine der Männer, »daß wir in der Matte des Räubers Tulbytilbet da üben zu dieser Stunde den Abgesandten des Grafen Greiffenfeld nicht so ungestört erwarten würden, eben so wenig, als da unten in St. Cuthberts Bucht? …«

»Schweigt, Jonas, redet nicht so laut,« erwiederte der Bergbewohner dem alten Bergknappen, »gepriesen sei Ralph der Riese, der uns schützt! Möge mich der Himmel bewahren, daß ich je wieder den Fuß in Tulbytilbets Matte setze! Letzthin glaubte ich dort Weißdorn zu brechen, und ich pflückte Hexenkraut, das mich sengte und brennte, daß ich fast närrisch wurde.«

Der junge Bergmann lachte.

»In der That, Kennybol,« sagte er, »ich glaube, daß das Hexenkraut seine Wirkung auf Euren armen Hirnkasten nicht verfehlt hat.«

»Selbst armer Hirnkasten!« erwiederte der beleidigte Bergbewohner. »Seht doch, Jonas, er lacht über das Hexenkraut! Das ist das Lachen eines Wahnsinnigen, der mit einem Todtenkopf spielt.«

»Hm!« versetzte Jonas, »so mag er in die Grotte von Walderhog gehen, wo die Köpfe der von Han dem isländischen Dämon Erschlagenen jede Nacht um sein Lager von trockenen Kräutern tanzen und mit den Zähnen klappern, um ihn einzuschläfern.«

»Das ist ganz wahr,« sagte der Bergbewohner.

»Aber,« fiel der junge Bergmann ein, »der Herr Hacket, den wir hier erwarten, hat uns ja versprochen, daß Han der Isländer sich an die Spitze unseres Aufstandes stellen werde.«

»Er hat es versprochen,« antwortete Kennybol, »und mit Hülfe dieses Dämons werden wir unfehlbar alle grünen Röcke von Drontheim und Kopenhagen überwinden.«

»Desto besser!« rief Jonas aus, »nur will ich nicht in der Nacht Schildwache bei ihm stehen.«

Es krachte im Gebüsch, sie wandten die Köpfe um, und erkannten beim Scheine des Feuers den neuen Ankömmling.

»Er ist es! Es ist Herr Hacket! Ihr habt lange auf Euch warten lassen, Herr Hacket!«

Dieser Herr Hacket war ein kleiner, dicker, schwarzgekleideter Mann, dessen Gesicht, trotz seiner Jovialität, einen düsteren Ausdruck hatte.

»Meine Unkenntniß des Wegs und die Vorsichtsmaßregeln, die ich treffen mußte,« sagte er, »haben meine Ankunft verzögert. Ich habe diesen Morgen den Grafen Schuhmacher verlassen. Hier sind drei Geldbörsen, die ich Euch von ihm überreichen soll.«

Die beiden Alten griffen mit jener Habgier zu, welche allen Landleuten dieses armen Norwegens eigen ist. Der junge Bergmann wies die Börse zurück, welche ihm Hacket darreichte.

»Behaltet Euer Gold, Herr!« sagte er. »Ich würde lügen, wenn ich sagte, daß ich mich um Eures Grafen Schuhmacher willen empöre. Ich stehe auf, um die Bergmänner von der königlichen Vormundschaft zu befreien; ich empöre mich, damit das Bett meiner Mutter eine warme Decke habe.«

Herr Hacket erwiederte ruhig: »Also, mein lieber Norbith, will ich dieses Gold Eurer armen Mutter schicken, und sie soll sich zwei neue Decken anschaffen, welche sie gegen die Stürme des Winters schützen.«

Norbith nickte bejahend mit dem Kopfe.

Hacket fuhr fort: »Aber hütet Euch, unbedachtsam zu sagen, daß Ihr nicht für Schuhmacher, Grafen von Greiffenfeld, die Waffen ergreift.«

»Gleichwohl…. gleichwohl….« murmelten die beiden Alten, »wissen wir, daß man die Bergleute unterdrückt, aber diesen Grafen, diesen Staatsgefangenen kennen wir nicht….«

»Wie!« rief der Abgesandte aus. »Könnt Ihr so sehr undankbar sein! Ihr seufzet unter der Erde, des Lichtes und der Luft beraubt, um Euer Eigenthum betrogen, Sklaven der unerträglichsten Vormundschaft! Wer ist Euch zu Hülfe gekommen? Wer hat Euern Muth entflammt? Wer hat Euch Gold und Waffen gegeben? War es nicht mein erlauchter Gebieter, der edle Graf von Greiffenfeld, der noch unglücklicher ist, als Ihr selbst? Und jetzt, von ihm mit Wohlthaten überhäuft, wollet Ihr zaudern, seine Freiheit mit der Eurigen zu erfechten?«

»Ihr habt Recht,« unterbrach ihn Norbith, »das wäre übel gethan.«

»Ja, Herr Hacket,« sagten die beiden Alten, »wir wollen für den Grafen Schuhmacher kämpfen.«

»Recht so, meine Freunde! Muth gefaßt, erhebt Euch in seinem Namen, tragt den Namen Eures Wohlthäters von einem Ende Norwegens zum andern! Alles begünstigt Eure gerechte Sache. Ihr werdet von einem furchtbaren Feinde, dem General Levin von Knud, Gouverneur der Provinz, befreit werden. Die geheime Macht meines edlen Herrn, des Grafen von Greiffenfeld, wird ihn für eine Zeit nach Bergen berufen lassen. Sagt mir nun, Kennybol, Jonas, und Ihr, mein lieber Norbith, sind alle Eure Kameraden bereit?«

»Meine Brüder zu Guldbransthal,« antwortete Norbith, »warten nur, daß ich ihnen das Zeichen gebe. Morgen, wenn Ihr wollt….«

»Morgen! Sei es! Die jungen Bergmänner, an deren Spitze Ihr steht, müssen den Aufstand beginnen. Und Ihr, wackerer Jonas?«

»Sechshundert Eisenarme der Inseln Faroer, die seit drei Tagen in dem Walde von Bennaltag von Bärenfett und Gemsenfleisch leben, harren nur auf den Hörnerschall ihres alten Hauptmanns Jonas aus dem Flecken Loewig.«

»Ganz gut! Und Ihr, Kennybol?«

»Alle, die in den Schluchten von Kole eine Axt führen, und ohne Knieleder die Felsen erklettern, sind bereit, sich an ihre Brüder, die Bergleute, anzuschließen, sobald ihr Horn erschallt.«

»So ist es in der Ordnung. Jetzt kündigt Euern Kameraden, damit sie des Sieges gewiß seien, an, daß Han der Isländer sich an ihre Spitze stellen wird.«

»Ist das sicher?« fragten alle drei zumal mit einer Stimme, in welcher sich Hoffnung mit Schrecken gemischt kundgab.

»Innerhalb vier Tagen, zu der nämlichen Stunde,« sagte der Abgesandte feierlich, »erwarte ich Euch mit Euern vereinigten Haufen in der Mine von Apsyl-Corh, bei dem See Smiassen, unter der Ebene des blauen Sternes. Dort werde ich mit Han dem Isländer eintreffen.«

»Wir werden uns einfinden,« erwiederten die drei Anführer, »und möge Gott diejenigen nicht verlassen, denen der Teufel hilft!«

»Fürchtet nichts von Seite Gottes,« sagte Hacket höhnisch. »Ihr werdet in den alten Ruinen von Crag Fahnen für Eure Truppen finden. Vergeßt nicht den Ruf: Es lebe Schuhmacher! Laßt uns Schuhmacher befreien! Jetzt müssen wir uns trennen, es will Tag werden. Zuvor aber schwört mir das unverbrüchlichste Stillschweigen über Alles, was zwischen uns vorgeht.«

Alsbald öffneten sich die drei Anführer mit ihren Säbeln eine Ader am linken Arme, ergriffen sofort Hacket’s Hand und ließen jeder einige Tropfen seines Blutes darauf fließen.

»Ihr habt unser Blut!« sagten sie.

Norbith fügte feierlich hinzu: »Möge all‘ mein Blut aus meinen Adern strömen, wie dieses, möge ein böser Geist alle meine Pläne zu nichte machen, wie der Wind einen Strohhalm vor sich her bläst, möge mein Arm von Blei sein, wenn ich eine Schmach rächen will, mögen Fledermäuse auf meinem Grabe laufen, mögen mich im Leben die Todten umgaukeln, und im Tode die Lebenden entweihen, mögen meine Augen Thränen weinen, wie die eines alten Weibes, wenn ich je den Mund aufthue, von dem zu sprechen, was zu dieser Stunde auf der Matte Ralphs des Riesen geschehen ist! So mögen mir alle Engel im Himmel beistehen, daß ich meinen Schwur halte! Amen!«

»Amen!« wiederholten die beiden Alten.

XVIII.

Benignus Spiagudry konnte nicht begreifen, was einen gesunden jungen Mann, der noch viele Lebensjahre vor sich hatte, bewegen mochte, aus freien Stücken einen Kampf mit Han dem Isländer zu suchen. Oft hatte er unterwegs auf diesen Gegenstand angespielt, aber der junge Abenteurer beobachtete über die Ursache seiner Reise das tiefste Schweigen. Auch in andern Beziehungen, welche seinen Reisegefährten betrafen, war der vorwitzige Pedant nicht glücklicher gewesen. Einmal hatte er eine Frage nach der Familie und dem Namen seines jungen Herrn, wie er ihn nannte, gewagt. »Nennt mich Ordener!« war die kurze Antwort, und zwar in einem Ton, der sich jede weitere Frage verbat.

Sie waren schon vier Tage unterwegs, ohne viel Weg zurückgelegt zu haben, theils wegen der durch das Ungewitter zerrissenen Straßen, theils wegen der vielen Um- und Querwege, welche der flüchtige Spiagudry machen zu müssen glaubte, um bewohnte Orte zu vermeiden. Nachdem sie Skongen rechts liegen gelassen, erreichten sie am Abend des vierten Tags das Ufer des Svarbosees.

Ordener hielt an und verlor sich in den Anblick dieser alten druidischen Wälder, welche die felsigen Ufer des Sees bedecken.

»Ganz recht, junger gnädiger Herr!« rief ihm Spiagudry zu. »Vor demjenigen der Seeen Norwegens, welcher am meisten Plattfische enthält, muß sich der Geist in Nachdenken verlieren.«

Ordener, in Betrachtung verloren, gab keine Antwort.

Der gelehrte Schwätzer fuhr fort: »So gerecht auch Ihre gelehrte Contemplation ist, so muß ich Sie dennoch derselben entreißen, um Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß sich der Tag neigt, und daß wir uns beeilen müssen, wenn wir den Weiler Oelmö vor Einbruch der Nacht noch erreichen wollen.«

Ordener setzte sich wieder in Marsch. Spiagudry folgte ihm, indem er gelehrte Betrachtungen über den Sparbosee anstellte; »Herr Ordener,« sprach er, »wenn Sie den wohlgemeinten Rath Ihres unterthänigst ergebenen Führers und Wegweisers annehmen wollten, so würden Sie Ihr unseliges Unternehmen aufgeben. Ja, gnädiger Herr, und dann würden wir unsern Aufenthalt an den Ufern dieses höchst merkwürdigen Sees nehmen und uns gemeinschaftlich einer Menge gelehrter Untersuchungen hingeben, als z. B. der über die stella canora palustris, welche sonderbare Pflanze, die viele Gelehrte für fabelhaft halten, der Bischof Arngrim an den Ufern des Sparbo gesehen und gehört zu haben versichert. Dazu kommt noch, daß wir das Vergnügen hätten, denjenigen Fleck Europas zu bewohnen, der am meisten Gyps enthält, und wohin die Spürhunde der Themis von Drontheim nicht leicht kommen. Spricht Sie dieser Gedanke nicht an, mein junger gnädiger Herr? Fassen Sie demnach den Entschluß, Ihrer ohne Nutzen gefährlichen Reise, einem periculum sine pecunia, d. h. einem thörichten, in einem unseligen Augenblicke gefaßten Unternehmen, zu entsagen.«

Ordener gab auf alles Geschwätz seines Reisegefährten nur einsilbige, abgerissene und zerstreute Antworten. So kamen sie in den Weiler Oelmö, in welchem eine ungewöhnliche Bewegung stattfand.

Die Einwohner strömten aus ihren Hütten einem kreisförmigen Hügel zu, auf welchem einige Leute standen, deren Einer in das Horn stieß, während er eine kleine schwarzweiße Fahne über seinem Haupte schwang.«

»Das ist ohne Zweifel irgend ein Marktschreier,« sagte Spiagudry, » ambubaiarum collegia, pharmacopolae, irgend ein Quacksalber, der Gold in Blei und Wunden in Geschwüre verwandelt. Laßt uns sehen, welche Erfindung der Hölle er an diese einfältigen Bauern verkaufen wird! Wenn diese Beutelschneider sich noch auf Könige und Fürsten beschränkten, wie der Däne Borichius und der Mailänder Borri, diese Alchymisten, die unsern guten Friedrich den Dritten so vollständig zum Narren hielten; allein diese Menschen haschen nach dem Pfennig des Landmanns, wie nach der Million des Fürsten.«

Spiagudry irrte sich. Als sie näher kamen, erkannten sie an seiner schwarzen Kleidung und runden spitzigen Mütze einen Gerichtsboten, den etliche Häscher umgaben.

Der flüchtige Spiagudry gerieth in Verwirrung und murmelte vor sich hin: »In der That, in diesem einsamen Weiler glaubte ich nicht auf einen Gerichtsboten zu stoßen. Hilf Himmel! Was wird er wohl ausrufen?«

In diesem Augenblicke erhob der Gerichtsbote seine Stimme:

Im Namen Sr. Majestät des Königs und auf Befehl Sr. Excellenz des Generals Levin von Knud, Gouverneurs, läßt der Oberrichter des Drontheimhus allen Einwohnern der Städte, Flecken, Dörfer, Weiler und Höfe der Provinz kund und zu wissen thun:

1) Auf den Kopf Han’s, gebürtig von Klipstadur in Island, Mörders und Mordbrenners, ist ein Preis von tausend Thalern gesetzt.

2) Auf den Kopf des Benignus Spiagudry, Schwarzkünstlers und Heiligthumsschänders, gewesenen Aufsehers im Spladgest zu Drontheim, ist ein Preis von vier Thalern gesetzt.

3) Dieses Edikt soll in der ganzen Provinz in allen Städten, Flecken und Dörfern, Weilern und Hoefen verkündigt werden. Diese Menschen sind vogelfrei, und ein Jeglicher mag ihr Leben nehmen.

Der arme Spiagudry verstummte vor Schrecken, und leicht hätten die Umstehenden seine Verwirrung wahrnehmen können, wenn nicht ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Gerichtsboten geheftet gewesen wäre.

»Einen Preis auf Hans Kopf!« rief ein alter Fischer aus. »Eben so gut könnten sie einen Preis auf den Kopf Beelzebubs, des Obersten der Teufel setzen.«

»Ich möchte Hans Kopf sehen,« sagte ein altes Weib, »um mich selbst zu überzeugen, ob seine Augen ein paar brennende Kohlen sind, wie es heißt.«

»Allerdings, daran ist nicht zu zweifeln,« versicherte eine andere Alte, »denn womit anders, als mit den Augen hat er die Kirche zu Drontheim angezündet? Ich möchte dieses Unthier lebendig sehen, mit seinem Drachenschwanz, seinen Bocksfüßen und Fledermausflügeln.«

»Wer hat Euch diese Mährchen erzählt, gute Mutter?« fiel ein Jäger ein, »Ich habe diesen Han den Isländer in den Schluchten von Medsybath mit eigenen Augen gesehen; er ist ein Mensch wie ein anderer, nur ist er so groß, wie ein vierzigjähriger Pappelbaum.«

»Wirklich,« sagte eine Stimme ans der Menge, deren Ton Spiagudry erbeben machte. Sie gehörte einem kleinen Manne an, dessen Gesicht unter einem breitrandigen Bergmannshut versteckt, und dessen Körper mit Seehundsfellen bedeckt war.

»Mag man,« rief ein rußiger Schmied aus, »tausend oder zehntausend Thaler auf seinen Kopf setzen, mag er vier oder vierzig Fuß groß sein, ich einmal will dieses Geld nicht verdienen!«

»Ich auch nicht,« fügte der Fischer hinzu.

»Ich auch nicht! ich auch nicht!« wiederholten alle Anwesenden.

»Wer Lust dazu hat,« sagte der kleine Mann, »kann Han den Isländer morgen in den Ruinen von Urbar, bei Smiassen, übermorgen in der Grotte von Walderhog finden.«

»Wißt Ihr das gewiß, mein lieber Mann?«

So fragte Ordener und zugleich mit ihm ein kleiner schwarz gekleideter Mann, der bei dem ersten Tone des Horns aus der Thüre des nahen Wirthshauses getreten war.

Der kleine Mann sah sie einen Augenblick an und sagte dann in dumpfem Tone: »Ja!«

»Und woher wißt Ihr das so gewiß?« fragte Ordener.

»Ich weiß so gut, wo Han der Isländer ist, als wo sich Benignus Spiagudry befindet. Weder der eine noch der andere sind in diesem Augenblicke weit von hier.«

Spiagudry zitterte an allen Gliedern, zupfte Ordener am Mantel, flüsterte ihm zu: »Herr, gnädiger Herr, im Namen des Himmels, in Gottes und Jesu Namen, aus Mitleid, aus Barmherzigkeit, lassen Sie uns gehen! Herr, hilf uns aus diesem verfluchten Weiler!«

Der kleine Mann kehrte ihnen den Rücken zu und schien sein Gesicht verbergen zu wollen.

»Diesen Benignus Spiagudry,« rief der Fischer, »habe ich im Spladgest zu Drontheim gesehen. Er ist ein langer Mann, Vier Thaler hat man auf seinen Kopf gesetzt?«

»Vier Thaler!« wiederholte der Jäger lachend. »Auf den mache ich keine Jagd. Da gilt ein blauer Fuchsbalg mehr.«

Diese Vergleichung, die ihn zu jeder andern Zeit beleidigt hätte, gereichte diesmal unserem guten Spiagudry zur Beruhigung. Um vier Thaler zu gewinnen, dachte er, werden sich die Leute nicht viel Mühe geben. Gleichwohl bat er Ordener aufs Neue, mit ihm den Ort zu verlassen. Ordener willfahrte ihm in der Hoffnung, den Räuber um so bälder aufzufinden.

»Alter Herr,« fragte er im Gehen, »welches ist denn diese Ruine, in der man morgen, nach der Versicherung des kleinen Mannes, Han den Isländer finden wird?«

»Ich weiß es nicht, ich habe es nicht recht gehört,« erwiederte Spiagudry, der diesmal wirklich die Wahrheit sagte.

»Man muß ihn also erst übermorgen in der Grotte von Walderhog aufsuchen,« fuhr Ordener fort.

»Die Grotte von Walderhog, gnädiger Herr, das ist in der That der Lieblingsaufenthalt Hans des Isländers.«

»So wollen wir unsern Weg dahin nehmen.«

»Dann müssen wir uns links ziehen, hinter den Felsen von Delmö; in weniger als zwei Tagen können wir die Grotte von Walderhog erreichen.«

»Kennt Ihr diesen sonderbaren Mann, der Euch so gut zu kennen scheint?«

»Nein, gnädiger Herr!« erwiederte Spiagudry mit zitternder Stimme. »Nur kommt mir der Ton seiner Stimme so seltsam vor.«

Ordener suchte ihn zu beruhigen: »Fürchtet nichts. Dient mir wohl, ich nehme Euch unter meinen Schutz. Wenn ich Han den Isländer überwinde, so verspreche ich Euch nicht nur Eure Begnadigung, sondern Ihr sollt auch die tausend Thaler haben, welche auf seinen Kopf gesetzt sind.«

So sehr Benignus am Leben hing, so sehr liebte er auch das Geld. Ordeners Versprechen hatte eine magische Wirkung auf ihn. Alle Schrecken wichen auf einmal aus seiner Seele, und in der Freude seines Herzens entwickelte er in vollem Maße jene Geschwätzigkeit, die sich in einem Strome pedantischer Redensarten und gelehrter Citate ergoß.

»Gnädiger Herr Ordener,« sprach er, »sollte ich auch über diesen Gegenstand eine Controverse mit Ower-Bilseuth, sonst auch der Schwätzer genannt, bestehen müssen, so sollte mich dennoch solches nicht abhalten, zu behaupten, daß Sie ein ehrenfester und weiser junger Mann sind; denn was ist in Wahrheit ehrenwerther und ruhmwürdiger, quid cithara, tuba, vel campana dignius, als kühn sein Leben einzusetzen, um sein Vaterland von einem Ungeheuer, von einem Räuber, von einem Dämon zu befreien, in welchem alle Dämonen, alle Räuber und Ungeheuer vereinigt erscheinen? Und nicht durch schmutzigen Eigennutz sind Sie getrieben! Der edelmüthige Ordener überläßt den Lohn seiner That seinem Reisegefährten, dem Greis, der ihn bis zur Entfernung einer Meile zur Grotte von Walderhog geleitet hat, denn Sie werden mir erlauben, junger gnädiger Herr, und es ziemt sich für mein Alter, den Ausgang Ihres berühmten Unternehmens in dem Weiler Surb, als welcher eine Meile weit vom Ufer von Walderhog im Walde liegt, abzuwarten! Und nachdem, o Herr, Ihr glänzender Sieg zur Kunde der Menschen gekommen sein wird, so wird durch ganz Norwegen ein Jubel herrschen, demjenigen ähnlich, als Pharamund, der Geächtete, von dem nämlichen Felsen von Oelmö aus, welchen wir jetzt erglimmen, das große Feuer erblickte, das sein Bruder Halfdan auf den Mauern von Munckholm zum Zeichen der Befreiung hatte anzünden lassen …«

Bei dem Namen Munckholm unterbrach ihn Ordener lebhaft: »Wie! Vom Gipfel dieses Felsen erblickt man also die Mauern von Munckholm?«

»Ja, gnädiger Herr, zwölf Meilen südlich zwischen den Bergen, welche unsere Väter Friggas Schemel benamsten. Zu dieser Stunde muss man den Leuchtthurm ganz gut erblicken können.«

»Wirklich!« rief Ordener aus. »Es gibt ohne Zweifel einen Fußweg, der auf den Gipfel dieses Felsen führt?«

»Allerdings beginnt in diesem Walde ein Fußweg, der ziemlich verloren bis auf den kahlen Gipfel des Felsen führt.«

»Zeigt mir diesen Fußweg, alter Herr! Wir wollen oben auf dem Felsen die Nacht zubringen.«

»Was fällt Ihnen da ein, mein gnädiger Herr? Die Ermattung dieses Tages …«

»Ich fühle mich kräftig genug, Euch zu unterstützen, wenn Ihr ermattet.«

»Gnädiger Herr, die Baumwurzeln in diesem unbetretenen Pfade, sodann die losen Steine, sofort die Finsternis; der Nacht …«

»Ich will vorangehen.«

»Ferner die wilden Thiere, kriechendes Gewürm, irgend ein entsetzliches Ungeheuer…«

»Ich fürchte die Ungeheuer nicht, sonst hätte ich diese Reise nicht unternommen.«

»Mein theuerster junger Herr, glauben Sie einem alten, erfahrenen, getreuen Diener und Wegweiser, welcher eine Ahnung hat, daß die Ausführung dieses Plans uns Unglück bringen wird …«

»Vorwärts, alter Schwätzer, und bedenke, daß Du mir versprochen hast, mir dienstlich zu sein!« rief Ordener ungeduldig aus. »Zeige mir diesen Fußweg, wo ist er?«

»Wir werden sogleich dahin einlenken,« sagte der furchtsame Spiagudry, sich in das unvermeidliche Schicksal ergebend.

Bald kamen sie an den bezeichneten Fußpfad, und Spiagudry bemerkte mit Staunen und Entsetzen, daß das hohe Gras frisch zusammen getreten war, und daß irgend Jemand den alten Fußsteig Pharamunds des Geächteten erst kürzlich passirt haben mußte.

XI.

»Was gibt es? Was willst Du, Paul? Wer hat Dich kommen heißen?«

»Euer Excellenz vergessen, daß Sie mich eben selbst gerufen haben.«

»Richtig,« sagte der General. »Hm! Gib mir diese Mappe da.«

Paul reichte dem Gouverneur die Mappe dar, nach der er nur den Arm hätte ausstrecken dürfen, um sie selbst zu nehmen.

Der Gouverneur blätterte mit zerstreuter Miene in einigen Papieren.

»Paul, ich wollte Dich auf diesem … Wie viel Uhr ist es?«

»Sechs Uhr,« erwiederte der Bediente dem General, vor dessen Augen eine Uhr hing.

»Ich wollte Dich fragen … Was gibt es Neues im Hause?«

»Nichts, als daß ich immer noch auf meinen Herrn warte, und ich sehe, daß Euer Excellenz wegen seines Ausbleibens auch besorgt sind.«

»Ich, besorgt! Ich weiß, warum er abwesend ist … ich erwarte ihn noch nicht.«

Der General Levin von Knud hielt so sehr auf sein Ansehen, daß er es für gefährdet hielt, wenn ein Untergebener einen seiner geheimen Gedanken nur hätte errathen können. Er wollte nicht wissen lassen, daß Ordener ohne seinen Befehl gehandelt habe.

»Paul,« fuhr er fort, »Du kannst gehen.«

Der Diener ging. »In der That,« sagte der General mißmuthig für sich, »er mißbraucht mich, dieser Ordener. Wenn man den Bogen zu stark spannt, bricht er. Mich eine schlaflose Nacht zubringen lassen! Den General Levin den Spöttereien einer Kanzlerin und den Vermuthungen eines Reitknechtes aussetzen! Und Alles das um einem alten Feinde die ersten Umarmungen zu bringen, die er einem alten Freunde schuldig ist! Ordener! Ordener! Launenhaftigkeit ist nicht die wahre Freiheit. Er soll nur kommen, ich will ihm tüchtig den Kopf waschen!«

In diesem Augenblicke rief eine wohlbekannte Stimme: »Mein edler Vater!«

Ordener lag in den Armen des Generals.

»Ordener, lieber Ordener!« rief dieser freudig aus. »Wie glücklich bin ich, daß Du da bist! …«

Plötzlich hielt der alte Herr inne und fuhr dann in anderem Tone fort: »In der That, ja es freut mich, daß Du so Herr Deiner Gefühle bist. Ohne Zweifel wolltest Du Dir eine Büßung auflegen, daß Du vierundzwanzig Stunden zugebracht hast, ohne mich zu besuchen.«

»Mein Vater, Sie haben mir oft selbst gesagt, daß ein unglücklicher Feind einem glücklichen Freunde vorgehe. Ich komme von Munckholm.«

»Allerdings, Du hast Recht, wenn im Verzuge Gefahr liegt, aber Schuhmachers Zukunft …«

»Ist ärger bedroht als je, mein Vater! Ein schändliches Complot ist gegen diesen Unglücklichen angesponnen. Menschen, die seine geborenen Freunde sind, wollen ihn verderben. Ein Mann, der sein geborener Feind ist, wird ihn zu retten wissen.«

»Ganz wohl, lieber Ordener,« erwiederte der General, dessen Gesicht immer freundlicher geworden war. »Aber was sagst Du da? Welche Menschen? Welche Umtriebe? Schuhmacher steht unter meinem Schutze.«

»Welche Umtriebe! Welche Menschen! In wenigen Tagen werde ich Alles erforscht haben, und dann sollen Sie das Ganze erfahren. Ich muß diesen Abend wieder abreisen.«

»Wie! Du willst nur so kurze Zeit bleiben! Und wohin gehst Du, warum willst Du fort, mein lieber Sohn?«

»Sie haben mir schon mehr als einmal erlaubt, eine gute That im Stillen zu thun.«

»Allerdings, mein Sohn! Ist Deine Abreise aber auch so dringend nothwendig, und bedenke, welche große Angelegenheit Dich zurückhalten sollte! …«

»Mein Vater hat mir einen Monat Bedenkzeit gegeben, diesen verwende ich zum Nutzen eines Andern. Gute That gibt guten Rath. Bei meiner Rückkunft werden wir weiter sehen.«

»Wie! Mißfällt Dir etwa diese Heirath? Ulrike Ahlfeldt soll sehr schön sein. Hast Du sie gesehen?«

»Ja, und sie scheint mir wirklich schön.«

»Nun denn?« sagte der Gouverneur.

»Sie wird mein Weib nicht,« erwiederte Ordener.

Dieses kalte entschiedene Wort traf den General wie ein Donnerschlag. Der Verdacht der hochmüthigen Gräfin kam ihm ins Gedächtnis zurück.

»Ordener,« sagte er mit Kopfschütteln, »Ordener, der alte Gefangene hat eine Tochter!«

»Davon eben wollte ich mit Ihnen sprechen, mein Vater! Ich bitte Sie um Ihren Schutz für dieses schwache, unglückliche Wesen.«

»Du bittest sehr lebhaft,« sagte der General ernst.

Ordener faßte sich: »Ich bitte für eine unglückliche Gefangene, der man die Unschuld rauben will.«

»Die Unschuld! Bin denn ich nicht mehr Gouverneur? Ich weiß nichts von all diesen Gräueln. Erkläre Dich näher.«

»Mein edler Vater! Schuhmachers Leben ist durch ein höllisches Complot bedroht …«

»Das wird ernsthaft, welche Beweise hast Du dafür?«

»Der älteste Sohn einer mächtigen Familie ist in diesem Augenblicke zu Munckholm; er ist dort in der Absicht, die Gräfin Ethel zu verführen … er hat es mir selbst gesagt.«

Der General wich drei Schritte zurück.

»Mein Gott! die arme Verlassene!« rief er aus. »Ordener! Schuhmacher und seine Tochter stehen unter meinem Schutze. Wer ist dieser Elende? Wie heißt die Familie?«

»Ahlfeldt.«

»Ahlfeldt!« rief der alte General aus. »Jetzt ist mir Alles klar. Friedrich von Ahlfeldt ist zu Munckholm. Und an diese Race will man Dich verkuppeln, mein edler Ordener! Jetzt wundere ich mich nicht mehr über Deinen Widerwillen.«

Der Greis blieb eine Zeitlang mit verschränkten Armen stehen, dann trat er auf Ordener zu und drückte ihn an seine Brust: »Du kannst gehen. Ich bleibe der Beschützer jener Unglücklichen. Geh und handle. Diese höllische Gräfin von Ahlfeldt ist hier.«

In diesem Augenblicke öffnete der Thürsteher das Zimmer: »Die gnädige Gräfin von Ahlfeldt!«

Ordener wich unwillkürlich in einen Winkel des Zimmers zurück. Die Gräfin stürmte herein, ohne ihn zu bemerken.

»Herr General,« rief sie, »Ihr Zögling treibt sein Spiel mit Ihnen; er war nicht zu Munckholm.«

»Wirklich!« sagte der General.

»Allerdings! Mein Sohn Friedrich hatte gestern die Wache, und hat Niemand gesehen.«

»Wirklich, gnädige Frau?« wiederholte der General.

»Mithin,« fuhr die Gräfin mit einem triumphirenden Lächeln fort, »warten Sie nicht mehr auf Ihren Ordener.«

»In der That warte ich auch nicht mehr auf ihn,« sagte der General ernst und kalt.

»Ich glaubte, wir seien allein,« sagte die Gräfin, die sich umgewendet hatte. »Wer ist …«

Ordener verbeugte sich.

»In der That,« fuhr sie fort … »ich habe ihn nur einmal gesehen … aber … ohne diese Kleidung … wäre er der Sohn des Vicekönigs?«

»Er ist es, gnädige Gräfin!« sagte Ordener und verbeugte sich zum zweitenmal.

Die Gräfin lächelte.

»Wenn es so ist, so erlauben Sie einer Dame, die Ihnen bald näher angehören wird, zu fragen, wohin Sie gestern gegangen sind, Herr Graf?«

»Herr Graf! Ich hoffe nicht, daß ich so unglücklich gewesen bin, bereits meinen Vater zu verlieren, Frau Gräfin!«

»Dieser Sinn liegt nicht in meiner Rede. Besser ist es, Graf zu werden durch den Gewinn einer Gattin, als durch den Verlust eines Vaters.«

»Das Eine taugt nicht viel mehr, als das Andere.«

Die Gräfin wurde, durch diese Antwort ein wenig in Verlegenheit gesetzt, war aber gewandt genug, um ihre scherzhafte Seite aufzufassen, und brach in ein lautes Lachen aus.

»Richtig,« rief sie aus, »man hat nicht gelogen, seine Bildung ist etwas wilder Art. Sie wird sich inzwischen mit den Geschenken der Damen vertraut machen, wenn Ulrike Ahlfeldt ihm die Kette des Elephantenordens um den Hals schlingen wird.«

»In der That, eine wirkliche Kette!« sagte Ordener.

»Wir werden noch erleben, General,« fuhr die Gräfin fort, deren Lachen etwas peinlich wurde, »daß Ihr unlenksamer Zögling auch seinen Rang als Oberst einer Dame nicht wird verdanken wollen.«

»Sie haben Recht, gnädige Gräfin,« erwiederte Ordener; »ein Mann, der ein Schwert an der Seite trägt, müßte sich schämen, seine Epauletten von einem Unterrock anzunehmen.«

Das Gesicht der Gräfin verfinsterte sich ganz und gar.

»Ho! Ho! Woher kommt denn der Herr Baron? Ist es denn wirklich wahr, daß Seine Ritterlichkeit nicht zu Munckholm gewesen ist?«

»Gnädige Gräfin, ich pflege nicht alle Fragen zu beantworten. Auf Wiedersehen, mein Vater!«

Er drückte dem General die Hand, verbeugte sich gegen die Gräfin und verließ das Zimmer.

XII.

Mit Einbruch der Nacht wanderten auf der engen und steinigen Straße von Drontheim nach Skongen, die bis zum Weiler Vygla längs dem Golf hinläuft, zwei Reisende. Beide waren in Mäntel gehüllt. Der eine ging festen Schrittes, aufrecht, mit erhobenem Haupt; unter seinem Mantel sah der unterste Theil eines Säbels hervor; eine Feder wehte auf seinem Haupt; der andere war etwas größer als sein Gefährte, aber mager und schmächtig: unter seinem Mantel ragte eine Art Höcker hervor, der von einem Schnappsack, den er darunter trug, herzurühren schien. Er hatte einen Knotenstock in der Hand, mit welchem er seinen schwankenden Gang unterstützte.

»Jetzt, junger gnädiger Herr,« sagte der Letztere, »befinden wir uns auf dem Punkt, von dem aus man den Thurm von Vygla und die Kirchthürme von Drontheim zugleich erblickt. Vor uns, am Horizont, jene schwarze Masse dort ist der Thurm, hinter uns liegt die Hauptkirche von Drontheim.« »Ist Vygla weit von Skongen, Meister Spiagudry?« fragte der Andere.

»Wir müssen zuvor noch Ordals passiren und werden Skongen nicht vor drei Uhr Morgens erreichen, gnädiger Herr!«

»Wie viel Uhr schlägt es eben?« fragte Ordener weiter.

»Mein Gott, Herr! Sie machen mich zittern! Ja, es ist die Glocke von Drontheim, deren Töne uns der Wind zuführt. Das kündigt ein Gewitter an. Der Hauch des Nordwestwinds führt die Wolken herbei.«

»In der That, die Sterne hinter uns sind verschwunden.«

»Lassen Sie uns den Schritt verdoppeln, mein edler Herr! Das Gewitter naht, und vielleicht hat man in der Stadt bereits die Verstümmelung Gill Stadts wahrgenommen, und weiß, daß ich entflohen bin. Vorwärts in Gottes Namen!«

»Gerne, alter Herr! Ihr scheint schwer zu tragen: gebt mir Euren Pack, ich bin jung und stark.«

»Nicht doch, edler Herr! Es ziemt dem Adler nicht, das Haus der Schildkröte zu tragen. Wer bin ich, daß Sie meinen Schnappsack tragen sollten!«

»Wenn er Euch aber zu schwer wird, alter Herr? Er scheint gewichtig. Was ist denn darin? Ihr seid eben gestolpert, es klingt ja wie Eisen.«

Spiagudry ging schnell vorwärts.

»Es klingt, gnädiger Herr! Nicht doch, Sie irren sich. Es ist nichts darin als Lebensmittel, Kleider … Oh! es ist gar nicht schwer.«

Der wohlwollende Vorschlag Ordeners schien Spiagudry einen bedeutenden Schrecken eingeflößt zu haben, den er zu verhehlen suchte.

»Nun,« sagte Ordener, der dies nicht wahrnahm, »wenn der Pack Euch nicht beschwerlich ist, so behaltet ihn.«

Spiagudry, obwohl dadurch beruhigt, beeilte sich doch, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen,

»O, wie traurig ist es,« sagte er seufzend, »in der Finsterniß der Nacht eine Straße als Flüchtling zu wandern, die man zur Tageszeit so angenehm als nützlich mit den Augen eines wissenschaftlichen Beobachters durchlaufen könnte! Links an den Ufern des Golfs findet man eine Menge Runensteine, auf denen man Buchstaben lesen kann, welche laut der Tradition Götter und Riesen hineingegraben haben. Rechts von uns hinter den Felsen, die den Weg begrenzen, breitet sich der salzige Sumpf von Skiold aus, der ohne Zweifel durch irgend einen unterirdischen Kanal mit dem Meer in Verbindung steht, weil man darin den See-Regenwurm antrifft, diese seltsame Fischgattung, welche, nach der von Ihrem unterthänigen Diener und Wegweiser gemachten Entdeckung, sich von Sand nährt. In dem Thurme von Vygla, dem wir uns jetzt nähern, hat der heidnische König Pharamund die Brüste der heiligen Etheldera, der glorreichen Märtyrerin, mit Holz vom wahren Kreuze Christi braten lassen. Inzwischen hat man, wie die Sage geht, vergebens versucht, diesen verfluchten Thurm in eine Kapelle zu verwandeln. Alle Kreuze, die man nach einander hineinsetzte, sind vom Feuer des Himmels verzehrt worden.«

In diesem Augenblick erhellte ein furchtbarer Blitz den Golf, die Hügel und Felder umher. Die Wanderer standen still. Ein heftiger Donnerschlag folgte, dessen Echo in den Bergen wiederhallte. Der Himmel war ganz umwölkt; der Wind trieb schwarze Wolken vor sich her. In den obern Regionen hörte man den Sturmwind brausen; er war noch nicht bis zur Erde herniedergestiegen. Sonst war die Nacht still und schweigsam. Kein Laut ließ rings umher sich hören.

Plötzlich ertönte durch diese stürmische Stille nahe bei den beiden Reisenden ein Brummen, wie von einem wilden Thier, das den Alten erbeben machte.

»Allmächtiger Gott!« rief er aus und faßte den Arm des jungen Mannes, »das ist das Lachen des Teufels in diesem Sturme, oder die Stimme des …«

Ein neuer Blitz, ein neuer Donnerschlag machten ihn verstummen. Das Gewitter brach jetzt mit Heftigkeit aus. Die beiden Wanderer hüllten sich dichter in ihre Mäntel.

»Alter Herr,« sagte Orden«, »ich habe im Blitzstrahle rechts von uns den Thurm von Vygla gesehen. Wir wollen dort eine Zuflucht suchen.«

»Eine Zuflucht in dem verfluchten Thurm!« rief Spiagudry voll Entsetzen aus. »Hilf Himmel! Dieser Thurm ist verlassen und unbewohnt.«

»Desto besser, dann wird uns Niemand an der Thüre warten lassen.«

»Bedenken Sie doch, welche entsetzliche That ihn entheiligt hat!«

»Nun, so wollen wir ihn durch unsere Gegenwart wieder heiligen. In einer solchen Nacht würde ich Gastfreundschaft in einer Räuberhöhle suchen. Vorwärts Alter!«

Ordener schlug, trotz Spiagudry’s Widerspruch, den Weg zum Thurme ein, den ihm die häufigen Blitze in geringer Entfernung zeigten. Als sie näher kamen, erblickten sie ein Licht in einer der Oeffnungen des Thurmes.

»Ihr seht,« sagte Ordener, »daß dieser Thurm nicht unbewohnt ist. Jetzt werdet Ihr ohne Zweifel beruhigt sein.«

»Mein Gott! Mein Gott! Wo führen Sie mich hin? Bewahre mich der Himmel, daß ich in diesen Tempel der höllischen Geister trete!«

Sie waren jetzt am Thurme angelangt, Ordener schlug mit Macht an die Thüre. »Seid ruhig, alter Herr,« sagte er scherzend, »es ist gewiß irgend ein frommer Einsiedler in diese Wohnung des Teufels eingezogen, um sie wieder zu heiligen.«

»Nein,« rief Spiagudry mit Entsetzen aus, »nein, ich gehe nicht hinein! Der heilige Eremit könnte hier nicht wohnen, wenn er nicht eine der sieben Ketten Beelzebubs als Rosenkranz hätte.«

Inzwischen war von Oeffnung zu Oeffnung ein Licht herabgestiegen, das man jetzt durch die Spalten der Thüre leuchten sah.

»Du kommst spät, Nychol!« rief eine heisere Stimme.

»Man schlägt den Galgen um die Mittagsstunde auf, und man braucht nur sechs Stunden, um von Skongen nach Vygla zu kommen. Hat es denn noch mehr zu thun gegeben?«

Ein Weib öffnete die Thüre. Als sie zwei fremde Gesichter erblickte, stieß sie einen Schrei des Schreckens und der Drohung aus, während sie drei Schritte zurückwich.

Das Weib war von hoher Statur und trug eine eiserne Lampe in der Hand. Ihr falbes Gesicht und ihre ausgetrocknete, eckige Figur hatten etwas Leichenartiges an sich. Sie blickte finster aus hohlen Augen. Sie trug von der Hüfte an einen Scharlachrock, der bis auf ihre nackten Füße hinabreichte. Ihre fleischlose Brust war mit einem Männerwamms von gleicher Farbe halb bedeckt, dessen Aermel am Ellenbogen abgeschnitten waren. Der durch die offene Thüre hereindringende Wind spielte mit ihren grauen Haaren, die durch ein Netz von Baumrinde festgehalten waren. Ihr Gesicht erhielt dadurch einen noch wilderen Ausdruck.

»Gutes Weib,« sagte Ordener, »der Regen fällt in Strömen, Ihr habt ein Dach und wir Geld.«

Spiagudry zog ihn am Mantel und flüsterte ihm zu: »Was sagen Sie denn da? Was reden Sie von Geld? Wenn das nicht die Wohnung des Teufels selbst ist, so ist es wenigstens die Höhle irgend eines Räubers. Unser Geld wird uns hier zum Verderben gereichen.«

»Ruhig, Alter!« erwiederte Ordener, zog seine Börse und klimperte damit in die Ohren der Thurmbewohnerin.

Die Hexe des Thurms blickte sie mit stieren Augen an und sprach in hohlem Tone: »Fremdlinge, haben Euch Eure Schutzgeister verlassen? Was sucht Ihr hier bei den verfluchten Bewohnern des verfluchten Thurmes? Fremdlinge! Menschen haben Euch den Weg zu diesem Thurme nicht gezeigt. Sie hätten Euch gesagt: Lieber unter dem Blitze des Himmels, als am Heerde des Thurmes von Vygla! Der einzige Lebende, der hier aus und eingeht, betritt keine Wohnung anderer Sterblichen, er verläßt die Einsamkeit nur, um vor der strömenden Menge auf öffentlichem Platze zu erscheinen, er lebt nur für den Tod. Die Flüche der Menschen folgen ihm, er dient nur ihrer Rache, im Verbrechen ist sein Dasein. Und der elendeste Verbrecher wälzt von sich die öffentliche Verachtung auf ihn ab, und fügt noch die seinige hinzu. Ihr seid Fremdlinge, Ihr müßt es sein, denn Euer Fuß steht ohne Schauder auf der Schwelle dieses Thurms. Stört nicht länger die Wölfin und ihre Jungen! Kehrt auf den Pfad zurück, auf dem die Kinder der Menschen wandeln, und wenn Ihr nicht wollt, daß Eure Brüder Euch fliehen, so sagt ihnen nicht, daß die Lampe des Vyglathurmes Eure Gesichter bestrahlt habe.«

Bei diesen Worten deutete die Thurmbewohnerin mit dem Finger auf die Thüre und trat auf die beiden Wanderer zu. Spiagudry zitterte an allen Gliedern. Ordener, der wegen der Geläufigkeit ihrer Zunge von den Reden der Alten wenig verstanden hatte, hielt sie für wahnsinnig und hatte übrigens keine Lust, sich dem Sturm, der noch eben so heftig raste, wieder auszusetzen.

»Ihr macht mich sehr begierig auf den seltsamen Bewohner dieses Thurmes, mein gutes Weib,« sagte er scherzend, »und ich will die Gelegenheit nicht verlieren, eine so anziehende Bekanntschaft zu machen.«

»Die Bekanntschaft mit ihm, junger Mensch, ist eben so schnell beendigt als gemacht. Wenn der böse Geist Euch dazu treibt, so ermordet einen Lebenden oder entweiht einen Todten.«

»Einen Todten entweihen!« rief Spiagudry mit zitternder Stimme und verbarg sich im Schatten seines Gefährten.

»Man müßte ein Narr sein,« sagte Ordener, »bei einem solchen Wetter die Reise fortzusetzen.«

»Und ein größerer Narr,« murmelte Spiagudry, »an einem solchen Orte Schutz zu suchen, das Wetter mag sein, wie es will.«

»Unglückseliger!« rief die Hexe. »Weiche von der Schwelle dessen, der keine andere Pforte öffnet, als die des Grabes!«

»Und wenn es offen stände,« erwiederte Ordener entschlossen. »Schließe die Thüre, Alte, denn der Wind weht kalt, und nimm dieses Gold! Ich führe ein Schwert an der Seite, das mir für mein Leben bürgt.«

»Was soll ich mit Eurem Golde?« fuhr die Thurmbewohnerin fort. »Werthvoll in Euern Händen, wird es in den meinigen zu Blei. Bleibt denn für Euer Gold! Es kann ein Obdach öffnen gegen die Stürme des Himmels, vor der Verachtung der Menschen schützt es nicht. Bleibt, Ihr bezahlt die Gastfreundschaft theurer, als man das Haupt eines Menschen bezahlt. Gebt mir Euer Gold und wartet hier eine Weile. Zum erstenmal tragen menschliche Hände Gold, das nicht mit menschlichem Blute befleckt ist, in dieses Haus.«

Die Alte stellte die Lampe auf den Boden, verriegelte die Thüre und verschwand unter dem Eingang einer finstern Treppe, die abwärts führte. Spiagudry rief alle Heiligen an und verwünschte die Unklugheit seines Gefährten. Ordener nahm das Licht und leuchtete in dem runden Zimmer herum, worin sie sich befanden. Als er sich der Mauer näherte, schauderte er zurück, und der Alte, der ihm gefolgt war, rief leichenblaß aus: »Großer Gott! Ein Galgen!«

In der That war ein großer Galgen an die Mauer gelehnt.

»Und hier,« fuhr Ordener fort, »Sägen, Ketten, Halsbänder, eiserne Zangen!«

»O, Herr im Himmel!« rief Spiagudry. »Wo sind wir?«

Ordener fuhr ruhig fort: »Hier ein hänfener Strick, dort Glühöfen und Kessel; hier Peitschen mit stählernen Spitzen, dort ein Beil und ein Schwert!«

»Das ist die Rüstkammer der Hölle!« sprach der zitternde Alte.

»Das sind freilich seltsame Gerätschaften! Ich bedaure meine Unklugheit, die Euch hiehergeführt hat, alter Herr!«

»Jetzt ist es zu spät!« sagte Spiagudry, der mehr todt als lebendig war.

»Nur ruhig, ich bin da und mein Schwert auch!«

»Das wird viel helfen!« murmelte der Alte zwischen den Zähnen.

Jetzt erschien die Thurmbewohnerin wieder und gab den Fremden ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie ging mit der Lampe voran, und sie stiegen eine enge Treppe hinauf. Sie kamen oben in ein rundes Zimmer, wie das untere war. In der Mitte desselben brannte ein großes Feuer, dessen Rauch durch eine Oeffnung in der Decke hinauszog. Ein Bratspieß mit noch frischem Fleisch drehte sich an dem Feuer, Spiagudry wendete sich mit Abscheu weg.

»An diesem abscheulichen Herde,« sagte er zu seinem Gefährten, »hat das Holz des wahren Kreuzes die Glieder einer Heiligen verzehrt.«

In einiger Entfernung vom Feuer stand ein plumper Tisch. Das Weib lud die Reisenden ein, Platz daran zu nehmen.

»Fremdlinge,« sagte sie, und setzte die Lampe vor sie hin, »das Nachtessen wird bald fertig sein, und mein Mann wird bald kommen, damit ihn nicht der Geist der Mitternacht, der um den verwünschten Thurm haust, durch die Lüfte davon führe.«

Jetzt, beim Scheine des Lichts, konnte Ordener erst sehen, wie seltsam sich der furchtsame Spiagudry verkleidet hatte, um sich unkenntlich zu machen. Er hatte seine Kleider von Rennthierfell gegen eine ganz schwarze Kleidung vertauscht, die er im Spladgest von einem berühmten Grammatiker aus Drontheim ererbt hatte, welcher sich aus Verzweiflung darüber ersäufte, daß er den Grund nicht auffinden konnte, warum Jupiter im Genitiv mit Jovis declinirt wird. Seine Holzschuhe hatte er gegen ein paar weite Postillonsstiefel vertauscht, die ein Postknecht, den seine Pferde geschleift hatten, im Spladgest zurückließ. Er hätte darin keinen Schritt thun können, wenn sie nicht mit einem halben Bund Heu ausgestopft gewesen wären. Auf seinem Haupt trug er eine große Perrücke, von einem reisenden Franzosen ererbt, der in der Nähe von Drontheim ermordet worden war. Eines seiner Augen war mit einem Pflaster bedeckt, und das Gesicht hatte er sich mit einer Schminke bestrichen, die er von einer alten Jungfer an sich gebracht hatte, welche aus Liebe gestorben war. Ehe er sich setzte, nahm er das Paket, das er aus seinem Rücken trug, sorgfältig unter sich, wickelte sich in seinen alten Mantel, und seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Braten gerichtet, den die alte Hexe am Spieß hatte, und auf den er von Zeit zu Zeit Blicke voll unruhigen Entsetzens warf. Sein zahnloser Mund murmelte von Zeit zu Zeit: »Menschenfleisch! … Horrendas epulas!… Anthropophagen! … Gastmahl des Moloch! … Noe pueros coram populo Medea trucidet! … Wo sind wir? … Druide! … Irmensäule! …«

Endlich rief er aus: »Gott sei Lob und Dank! Ich sehe einen Schwanz.«

Ordener, der aufmerksam auf ihn gewesen war, hatte den Gang seiner Gedanken ungefähr errathen und sagte lächelnd: »Das ist nicht sehr beruhigend. Es ist vielleicht das Hintertheil eines Teufels.«

Spiagudry überhörte diesen Scherz, denn seine Blicke starrten auf den Hintergrund des Zimmers. Er schauderte zusammen und flüsterte in Ordeners Ohr: »Herr, sehen Sie dort hin, auf dem Stroh da hinten … im Schatten …«

»Nun, was denn?«

»Drei nackte und unbewegliche Körper, drei Leichname von Kindern! …«

»Man klopft an die Thüre des Thurmes,« sagte die Alte.

In der That folgten mehrere heftige Schläge hintereinander, die das Toben des Sturms übertönten.

»Das ist endlich Nychol!« sagte die Thurmbewohnerin, nahm die Lampe und stieg eilends die Treppe hinab.

Bald hörte man in dem unteren Zimmer ein verwirrtes Geräusch von Stimmen, unter welchen man endlich folgende Worte unterschied, die in einem Tone ausgesprochen wurden, der schauderhaft in Spiagudry’s Ohr klang: »Weib,« sagte die Stimme, »schweig! Wir bleiben. Der Sturm fährt in das Haus, ohne daß man ihm die Pforte öffnet.«

Spiagudry drängte sich an Ordener und sagte kläglich: »Wehe uns, o, Herr, Wehe uns!«

Schritte ertönten auf der Treppe, und zwei Männer in geistlicher Kleidung traten ein. Die Thurmbewohnerin folgte ihnen. Der eine dieser Männer war ziemlich groß und trug die schwarze Kleidung der lutherischen Geistlichen; der andere, von kleiner Gestalt, hatte eine Einsiedlerskutte an, die mit einem Strick um den Leib befestigt war. Die vorgezogene Kapuze ließ von seinem Gesicht nichts erblicken, als seinen langen schwarzen Bart, und seine Hände waren von den langen Aermeln seiner Kutte ganz bedeckt.

Beim Anblick dieser beiden friedlichen Personen legte sich der Schrecken, den die sonderbare Stimme der einen von ihnen Spiagudry eingeflößt hatte.

»Seid unbesorgt, gutes Weib,« sagte der Geistliche zu der Thurmbewohnerin, »die Diener des Herrn dienen selbst ihren Feinden; sollten sie denen schaden wollen, die ihnen dienstlich sind? Wir verlangen nur ein Obdach. Wenn der ehrwürdige Vater, der mich begleitet, eben hart mit Euch gesprochen hat, so hatte er Unrecht, jene Ermäßigung der Stimme aus der Acht zu lassen, welche unser Gelübde vorschreibt. Aber selbst die Heiligsten sind Menschen und Sünder. Ich war verirrt aus der Straße von Skongen nach Drontheim, ohne Führer in der Nacht, ohne Zuflucht im Sturm. Dieser ehrwürdige Vater hat mir den Weg zu Eurer Wohnung gezeigt. Er hat mir Eure Gastfreundschaft gerühmt, und ich hoffe mich darin nicht getäuscht zu sehen. Nehmt uns wohlwollend auf, dann wird der Herr Eure Ernten vor Hagel bewahren, Euern Heerden im Sturm eine Zuflucht gewähren, wie Ihr sie verirrten Wanderern gewährt habt.«

»Alter Mann,« unterbrach ihn die Thurmbewohnerin, »ich besitze keinen Fleck Erde, auf dem ich säen und ernten könnte, und nicht den Raum für eine einzige Ziege.«

»Wenn Ihr arm seid, so wisset, das Gott den Armen vor dem Reichen segnet. Ihr werdet alt werden mit Eurem Manne und geachtet, nicht um Eurer irdischen Güter, sondern um Eurer Tugenden willen. Eure Kinder werden aufwachsen, umgeben von der Achtung der Menschen, und sie werden sein, was ihr Vater war…«

»Schweige, alter Mann! Ja, unsere Kinder werden bleiben, was wir sind, die Verachtung der Menschen wird ihnen folgen, wie uns, von Geschlecht zu Geschlecht. Schweige, alter Mann! Uns wird der Segen zum Fluche.«

»Allmächtiger Gott!« rief der Geistliche aus. »Wer seid Ihr denn? In welchen Verbrechen bringt Ihr Euer Leben hin?«

»Was nennt Ihr Verbrechen, was Tugend? Wir besitzen hier ein Vorrecht vor allen Menschen: wir können keine Tugenden üben, wir können keine Verbrechen begehen.«

»Dieses Weib ist wahnsinnig,« sagte der Geistliche zu dem kleinen Eremiten, der seine Kutte an dem Feuer trocknete.

»Nein, Priester!« versetzte die Thurmbewohnerin. »Du aber weißt nicht, wo Du bist. Ich will lieber Abscheu einflößen, als Mitleid. Ich bin nicht wahnwitzig, sondern das Weib des …«

Ein heftiger Schlag an die Hausthüre hinderte das Uebrige zu hören, zum großen Verdrusse Spiagudry’s und Ordeners, welche diesem Zwiegespräch aufmerksam zugehört hatten.

»Verflucht sei,« murmelte das Weib zwischen den Zähnen, »der Oberrichter von Skongen, der uns diesen so nahe an der Straße gelegenen Thurm zur Wohnung angewiesen hat! Vielleicht ist es abermals nicht Nychol.«

Sie nahm ihre Lampe und fügte hinzu: »Gleichviel, ob es abermals ein Reisender ist! Nach der Überschwemmung des Stroms mag auch das Bächlein sein Wasser ergießen.«

Die vier Wanderer betrachteten einander beim Scheine des Feuers. Spiagudry, den die Stimme des Eremiten anfangs erschreckt, dann sein schwarzer Bart wieder beruhigt hatte, würde vielleicht abermals gezittert haben, wenn er gesehen hätte, welche stechende Blicke der Einsiedler unter seiner Kapuze hervor auf ihn warf.

Nach einer Pause warf der Geistliche eine Frage hin: »Bruder Eremit, Ihr seid wahrscheinlich einer der katholischen Priester, welche der letzten Verfolgung entgangen sind, und wäret auf dem Wege nach Eurer Zufluchtsstätte, als ich Euch zu meinem Glücke begegnete. Könnt Ihr mir sagen, wo wir uns befinden?«

Die Thüre öffnete sich rasch, bevor noch der Einsiedler Zeit zur Antwort gefunden hatte.

Ein Mann von riesenmäßigem Wuchse, roth gekleidet, trat ein.

»Weib,« sagte er, »wenn ein Ungewitter kommt, fehlt es nicht an Leuten, die sich an unserem verfluchten Tische niedersetzen und sich unter unserem verwünschten Dache bergen.«

»Nychol,« erwiederte das Weib, »ich konnte nicht hindern …«

»Nun, willkommen sind die Gäste, welche bezahlen! Das Geld ist eben so gut verdient, wenn man einem Reisenden Obdach und Nahrung gibt, als wenn man einem Diebe den Strick um den Hals schnürt.«

Als Benignus Spiagudry den rothgekleideten Mann erblickte, stieß er einen Schrei des Entsetzens aus. Der Geistliche wendete mit Staunen und Abscheu sein Haupt weg.

Der Herr des Hauses, der ihn erkannt hatte, redete ihn an: »Wie kommt Ihr hieher, Herr Pfarrer? Ich glaubte in der That nicht, daß ich heute noch einmal das Vergnügen haben würde, Eure erschrockene Miene und Euer salbungsvolles Gesicht zu sehen.«

Der Geistliche unterdrückte seine erste Regung von Widerwillen. Seine Züge wurden ernst und heiter.

»Und ich, mein Sohn,« sagte er, »ich danke der Vorsehung, die den Hirten zu dem verirrten Lamme geführt hat, damit, so wird es der Herr wollen, das Lamm zu dem Hirten komme.«

»Ha! ha! Bei Hamans Galgen,« rief der Andere mit lautem Gelächter aus, »das ist das Erstemal, daß ich mich mit einem Lamme vergleichen höre. Hört, geistlicher Herr, wenn Ihr dem Geyer schmeicheln wollt, so müßt Ihr ihn nicht Taube nennen.«

»Derjenige, mein Sohn, durch den der Geyer zur Taube wird, tröstet und schmeichelt nicht. Du glaubst, ich fürchte Dich, ich beklage Dich nur.«

»Ihr müßt in der That einen guten Vorrath von Mitleid besitzen, daß Ihr es heute bei diesem armen Teufel nicht ganz erschöpft habt, dem Ihr Euer Kreuz vorhieltet, damit er meinen Galgen nicht sehen sollte.«

»Dieser Unglückliche war weniger bedauernswerth, als Du, denn er weinte und Du lachtest. Glücklich, wer in dem Augenblicke, wo er sein Verbrechen büßt, erkennt, wie viel mächtiger Gottes Wort ist, als der Arm der Menschen!«

»Wohl gesprochen, mein Vater in Christo. Glücklich, wer weint! Unser Mann von heute hatte übrigens kein anderes Verbrechen begangen, als daß er seinen König so sehr liebte, daß er nicht umhin konnte, das Bildniß Seiner Majestät auf kleine Kupferstücke zu graben, die er alsdann künstlich versilberte, um sie des königlichen Angesichts desto würdiger zu machen. Unser gnadenreicher Souverän ist aber auch dafür erkenntlich gewesen und hat ihm zur Belohnung einer so großen Anhänglichkeit an seine erhabene Person ein schönes hänfenes Band verliehen, welches ihm heut auf dem Marktplatze von Skongen durch mich, Großkanzler des Galgenordens, unter dem Beistande des hier gegenwärtigen Großalmoseniers gedachten Ordens, öffentlich umgehängt worden ist.«

»Halt ein, Unglücklicher!« unterbrach ihn der Priester. »Wie kann der Arm der Gerechtigkeit vergessen, daß das Laster gestraft wird! Hörst Du den Donner?«

»Was ist der Donner? Satans Gelächter.«

»Großer Gott! Er kommt eben von einer Hinrichtung und lästert Gott!«

»Stille, alter Narr!« rief der Henker zornig aus. »Stille, sonst möchtest Du vielleicht dem Engel der Finsterniß fluchen, der uns in zwölf Stunden zweimal auf dem nämlichen Karren und unter dem nämlichen Dache zusammengeführt hat! Ahme das Beispiel Deines Amtsgenossen, des Eremiten nach; er schweigt, weil er in seine Grotte zu Lynraß zurückkehren möchte. Ich danke Euch, Bruder Eremit, für den Segen, den Ihr jeden Morgen, wenn Ihr über den Hügel geht, dem verfluchten Thurme ertheilt; es hat mir aber von ferne geschienen, als ob Ihr größer seid, und Euer schwarzer Bart kam mir weißer vor. Ihr seid ja doch der Einsiedler zu Lynrah, denn es gibt in ganz Drontheimhus keinen andern?«

»Ich bin in der That der einzige,« erwiederte der Eremit in dumpfem Tone.

»Wir sind also die beiden Einsiedler der Provinz. Holla! Weib, mache, daß dieser Lammbraten fertig wird, denn ich habe Hunger. Ich bin zu Burlock von diesem verfluchten Doktor Manryll aufgehalten worden, der mir für den Leichnam nur zwölf Pfennige geben wollte, während man dem höllischen Wächter des Spladgest vierzig bezahlt.«

»Was ist Euch denn, alter Perrückenstock?« rief der Henker Spiagudry zu, der an allen Gliedern zitterte. »Steht fest auf den Beinen, wenn Ihr nicht fallen wollt! – Weib, bist Du mit dem Skelett des Vergifters Ogivius fertig? Er muß fort in das Kabinet zu Bergen. Hast Du einen Deiner kleinen Frischlinge an den Syndikus zu Loewig abgeschickt, um zu fordern, was er mir schuldig ist? Vier harte Thaler für die Tortur einer Hexe und zweier Alchimisten, zwanzig Pfennige, daß ich den Strick eines Selbstmörders abgeschnitten, und einen Thaler für einen neuen Arm an den Galgen.«

»Das Geld ist noch in den Händen des Syndikus, weil Dein Bube den hölzernen Löffel vergessen hatte, um es in Empfang zu nehmen, denn Niemand, auch die Amtsknechte nicht, wollte sich dazu verstehen, es ihm in seine eigene Hand zu legen.«

Der Scharfrichter runzelte die Stirne: »Möge ihr Hals in meine Hände fallen, dann will ich sie mit etwas Anderem berühren, als mit einem hölzernen Löffel! – Höre, Weib, laß doch Deine Jungen nicht mit meinen Zangen spielen, sie haben alle meine Instrumente in Unordnung gebracht.«

»Wo sind sie, die jungen Wölfe?« fügte er hinzu und trat an das Strohlager, auf welchem Spiagudry drei Leichname ausgestreckt glaubte. »Da liegen sie ja und schlafen!«

Der arme Spiagudry war seit dem Eintreten des Scharfrichters, den er sogleich erkannt hatte, voll Entsetzen. Jetzt neigte er sich zu Ordeners Ohr und sagte mit fast unhörbarer Stimme: »Es ist Nychol Orugir, Scharfrichter des Drontheimhus!«

Inzwischen hatte das Weib den Lammbraten in einer großen irdenen Schüssel aufgetragen. Der Scharfrichter setzte sich zwischen die zwei Geistlichen, Ordener und Spiagudry gegenüber.

»Nun, ehrwürdiger Vater,« sagte Orugir lachend, »das Lamm bietet Euch Schöpsbraten an. Und ihr, Herr Perrückenstock, hat der Wind Eure Perrücke Euch so über das Gesicht geweht?«

»Der Wind … Herr … das Gewitter …« stotterte der zitternde Spiagudry.

»Nur Muth gefaßt, mein Alter! Ihr seht ja, daß die Herren Pfaffen und ich gute Teufel sind. Sagt mir einmal, wer Ihr seid, und wer ist der schweigsame junge Mensch, Euer Begleiter? Thut einmal das Maul auf! Wir wollen Bekanntschaft mit einander machen. Wenn Eure Reden Eurem Ansehen entsprechen, so müßt Ihr sehr unterhaltend sein.«

»Der Herr beliebt zu spassen …« erwiederte Spiagudry und bemühte sich vergebens, ein Lächeln hervorzubringen, »ich bin nur ein armer alter Mann …«

»Irgend ein alter Gelehrter, ein alter Hexenmeister …« unterbrach ihn der lustige Henker.

»Gelehrt, ja! Hexenmeister, nein! Das könnt Ihr mir glauben, Herr!«

»Desto schlimmer. Ein Hexenmeister würde unserem lustigen Sanhedrin wohl anstehen. Ihr Herren Gäste, laßt uns unser Mahl mit diesem Bier würzen! Vielleicht wird dann unser alter Gelehrter redseliger. Auf die Gesundheit des heute Gehenkten, Bruder Pfarrer! Wie, Bruder Eremit, Ihr verschmäht mein Bier?«

Der Eremit hatte unter seiner Kutte eine Feldflasche mit einem sehr hellen Wasser hervorgezogen, womit er sein Glas anfüllte.

»Höllenteufel! Einsiedler von Lynraß,« rief der Henker aus, »wenn Ihr nicht von meinem Bier trinkt, so trinke ich von dem Wasser, das Ihr ihm vorzieht.«

»Trinke!« sagte der Eremit.

»Zieht zuerst Eure Handschuhe aus, ehrwürdiger Herr: man schenkt nicht anders als mit bloßer Hand zu trinken ein.«

Der Einsiedler machte ein verneinendes Zeichen.

»Es ist ein Gelübde,« sagte er.

»So schenkt ein,« versetzte der Henker.

Kaum hatte Orugix sein Glas an den Mund gebracht, so stieß er es rasch wieder von sich, während der Eremit das seinige mit einem Zuge leerte.

»Beim heiligen Kelche des Abendmahls, hochwürdiger Bruder, was habt Ihr da für ein höllisches Getränke? Ich habe noch nie ein ähnliches getrunken, seit dem Tage, wo ich auf der Reise von Kopenhagen nach Drontheim beinahe ertrunken wäre. Das ist kein Wasser aus der Quelle des Lynraß, sondern Seewasser.«

»Seewasser!« stammelte Spiagudry mit einem Entsetzen, das der Anblick des Handschuhes des Eremiten noch vermehrte.

»Alter Absalon,« sagte der Henker lachend, »Alles setzt Euch ja hier in Schrecken, bis auf das Seewasser hinaus, das ein heiliger Waldbruder trinkt, seinen Leib zu kasteien?«

»Seewasser! … Herr … Seewasser! … Es gibt nur einen einzigen Menschen …«

»Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht. Euer Schrecken kommt von einem bösen Gewissen oder aus Verachtung …«

Diese in einem empfindlichen Tone ausgestoßenen Worte ließen den armen Spiagudry die Nothwendigkeit erkennen, sein Entsetzen zu verhehlen. Um nun seinen gefürchteten Wirth zu ergötzen, bot er das Bischen Geistesgegenwart, das ihm noch übrig geblieben war, zur Unterstützung seines unermeßlichen Gedächtnisses auf.

»Verachtung, Herr!« sagte er. »Ich sollte Euch verachten!

Euch, dessen Anwesenheit in einer Provinz derselben das merum imperium oder Blutrecht ertheilt! Euch, den Nachrichter, den Vollzieher der öffentlichen Gerechtigkeit, das Schwert der Justiz, den Schild der Unschuld! Euch, den Aristoteles unter die Magistratspersonen zählt, und dessen Gehalt das Paris von Puteo auf fünf Goldgulden festsetzt, wie aus folgender Stelle erhellt: Quinque aureos manivolto! Euch, dessen Amtsbrüder zu Kronstadt den Adel erlangen, nachdem sie dreihundert Köpfe abgeschlagen haben! Euch, dessen furchtbare, aber ehrenwerthe Amtsgeschäfte in Franken von dem jüngsten Ehemann, zu Reutlingen von dem jüngsten Gemeinderath, zu Stedien von dem jüngsten Bürger verrichtet werden! Wie, sollte ich Euch nicht tief verehren, da der Abt von Saint-Germain-des-Pres Euch jedes Jahr am St. Vincentiustage einen Schweinskopf verabreicht und Euch an der Spitze seiner Prozession gehen läßt! …«

Hier wurde der Strom seiner Gelehrsamkeit von dem Scharfrichter plötzlich unterbrochen.

»Das ist das erste Wort, das ich davon erfahre,« rief er aus. »Der hochwürdige Abt, von dem Ihr da redet, hat mich bis jetzt um dieses Recht schändlich betrogen. Ihr Herren,« fuhr er fort, »ich will mich nicht weiter mit den Tollheiten dieses alten Narren einlassen, sondern Euch nur kurz sagen, daß allerdings meine Laufbahn gänzlich verfehlt ist. Ich bin heute noch nur der arme Scharfrichter einer armen Provinz. Und ich hätte eine eben so glänzende Laufbahn zurücklegen können, als Stillison Dickoy, der berühmte Nachrichter von Moskau! Könnt Ihr’s glauben? ich war es, den man vor vierundzwanzig Jahren mit Schuhmachers Hinrichtung beauftragt hatte.«

»Schuhmachers, Grafen von Greiffenfeld?« rief Ordener aus.

»Das wundert Euch, mein stummer Herr! Ja, des nämlichen Schuhmacher, den ein sonderbarer Zufall abermals in den Bereich meines Armes bringen würde, im Fall es dem König gefiele, den Aufschub der Hinrichtung aufzuheben. Ich will Euch erzählen, ihr Herren, wie es kommt, daß ich so erbärmlich ende, nachdem ich so glänzend begonnen hatte.«

»Ich war im Jahre 1676 Knecht von Rhum Stuald, königlichem Nachrichter zu Kopenhagen.

»Bei des Grafen von Greiffenfeld Verurteilung wurde ich, weil mein Herr krank war, Dank meinen Protektionen, auserlesen, diese ehrenvolle Hinrichtung zu vollziehen. Am 5. Juni, ich werde diesen Tag nie vergessen, schlugen wir von 5 Uhr Morgens an ein schwarz behängtes Schaffot auf. Um acht Uhr umgab die Noblegarde das Gerüst, und die Uhlanen von Schleswig hielten die Menge zurück, welche sich auf dem Platze drängte. Ich war selig! Aufrecht, das Schwert in der Hand, harrte ich auf der Estrade. Alle Augen waren auf mich gerichtet. In diesem Augenblicke war ich die wichtigste Person in beiden Königreichen. Dein Glück, dachte ich, ist gemacht, denn was vermögen ohne dich und dein Schwert alle die großen Herren, die sich zum Untergang des Kanzlers verschworen haben? Ich erblickte mich im Geiste schon als königlichen Nachrichter der Hauptstadt, ich hatte Knechte, Privilegien… Hört nun weiter! Die Glocke des Fort schlägt zehn Uhr. Der Verurtheilte verläßt den Kerker, geht durch die Menge, besteigt mit festem Tritt und ruhigem Angesicht das Blutgerüste, Ich will ihm die Haare hinaufknüpfen; er stößt mich zurück und thut es selbst. »Ich bin schon lange gewohnt,« sagte er lächelnd zu dem Pfarrer von St. Andreas, »mir die Haare selbst zu machen.«

»Ich biete ihm die schwarze Binde an, er weist sie unwillig, doch ohne mir Verachtung zu zeigen, zurück. »Freund,« sagte er zu mir, »das ist vielleicht das erste Mal, daß die beiden Endpunkte der richterlichen Ordnung, der Großkanzler und der Scharfrichter, auf dem engen Räume eines Blutgerüstes zusammentreffen.«

»Diese Worte sind in mein Gedächtniß gegraben geblieben. Er nahm auch das schwarze Kissen nicht an, das ich unter seine Kniee legen wollte; er umarmte den Geistlichen und kniete nieder, nachdem er mit lauter Stimme gerufen hatte, er sterbe unschuldig.

»Jetzt zertrümmerte ich mit einer Keule sein Wappenschild, indem ich, wie es gebräuchlich ist, rief: »Solches geschieht mit Fug und Recht!« Das erschütterte seine Festigkeit; er erblaßte, doch faßte er sich gleich wieder und sagte: » Der König hat es mir gegeben, der König kann es wieder nehmen!«

Ruhig legte er sein Haupt aus den Block, ich hob das Schwert. In diesem Augenblicke ertönte es in meinen Ohren: » Gnade! Im Namen des Königs! Gnade!«

Ich wende mich um und sehe einen Adjutanten dem Schaffot zusprengen, den Gnadenbrief hoch in der Hand schwingend.

Der Graf erhob sich ruhig. Man reichte ihm den Gnadenbrief: »Gerechter Gott!« rief er aus. »Ewige Gefangenschaft! Ihre Begnadigung ist härter als der Tod.«

Er steigt herab, niedergeschlagener als er hinaufgestiegen war. Mir war das gleichviel. Ich konnte nicht ahnen, daß das Glück dieses Menschen mein Unglück werden sollte. Nachdem das Schaffot abgetragen war, kehrte ich zu meinem Herrn zurück, noch voll Hoffnung, und nur etwas ärgerlich, daß ich um den Goldgulden gekommen war, der für einen abgeschlagenen Kopf bezahlt wird. Das war aber nicht Alles. Am andern Morgen bekomme ich den Bestallungsbrief als Nachrichter von Drontheimhus, mit dem Befehl, sogleich abzureisen. Scharfrichter in der Provinz, und zwar in der schlechtesten Provinz Norwegens! Wißt Ihr, wie das zuging, ihr Herren? Die Feinde des Grafen hatten, um sich ein Ansehen von Milde zu geben, Alles so eingerichtet, daß die Begnadigung einen Augenblick nach der Hinrichtung eintreffen sollte. Eine Minute machte hier Alles aus, und nun schob man die Schuld auf meine Langsamkeit, als ob es anständig gewesen wäre, einen vornehmen Herrn sich nicht noch einige Sekunden vor seinem letzten Augenblick erfreuen zu lassen! Als ob ein königlicher Nachrichter, der einen Großkanzler enthauptet, dies nicht mit mehr Anstand und Würde verrichten müßte, als der Henker einer Provinz, der einen schäbigen Juden aufknüpft! Dazu kam noch Bosheit. Ich hatte einen Bruder, der, glaube ich, noch lebt. Er hatte einen andern Namen angenommen und sich in dem Hause des neuen Großkanzlers, Grafen von Ahlfeldt, einzunisten gewußt. Diesem Elenden war meine Anwesenheit in Kopenhagen zuwider. Mein Bruder haßt und verachtet mich; er hat vielleicht eine Ahnung, daß ich der Henker sein werde, der ihn eines Tages hängt.«

Hier hielt der Redner einen Augenblick inne und fuhr dann lachend fort: »Ihr seht, meine lieben Gäste, daß ich mich in mein Schicksal gefügt habe. Zum Teufel mit dem Ehrgeiz! Ich treibe hier ehrbar mein Handwerk. Ich verkaufe meine Leichname, oder macht mein Weib Skelette daraus, die ich an anatomische Kabinette verwerthe. Ich lache über Alles, selbst über dieses arme Weibsbild, die sonst als Zigeunerin herumzog und jetzt in der Einsamkeit toll geworden ist. Meine drei Erben wachsen auf in der Furcht des Teufels und des Galgens. Mein Name ist der Schrecken der kleinen Kinder in der ganzen Provinz Drontheimhus. Die Schöppen liefern mir einen Karren und rothe Kleider. Der verfluchte Thurm schützt mich so gut gegen den Regen, als den Bischof sein Palast. Die alten Pfarrer, die ein Obdach bei mir suchen, predigen mir, und die Gelehrten orgeln mir etwas vor. Summa Summarum: Ich bin so glücklich, als irgend ein Anderer, ich esse und trinke, ich köpfe und hänge, ich wache und schlafe.«

»Er tödtet und schläft, der Unselige!« murmelte der Geistliche.

»Wie glücklich ist dieser Elende!« rief der Eremit aus.

»Ja, Bruder Eremit,« sagte der Henker, »elend wie Du, aber gewiß glücklicher. Das Handwerk wäre gut, aber es gibt Leute, die einem armen fleißigen Mann das Brod vor dem Maul wegschnappen. Da hat erst der neue Almosenier von Drontheim bei Gelegenheit ich weiß nicht welcher hohen Hochzeit um Begnadigung von zwölf Verbrechern angesucht, die mir verfallen sind …«

»Die Euch verfallen sind!« rief der Geistliche aus.

»Allerdings, geistlicher Herr! Sieben davon sollen ausgepeitscht, zwei auf dem linken Backen gebrandmarkt und drei gehängt werden, das macht, wohl gezählt, ihrer zwölf, und das sind zwölf Thaler und dreißig Pfennige, die ich verliere, wenn die Begnadigung erfolgt. So verfügt dieser Priester über mein Eigenthum! Dieser verfluchte Pfaffe heißt Athanasius Munder. Ha! Wenn ich ihn hätte …«

Der Geistliche erhob sich und sagte ruhig: »Ich, mein Sohn, bin dieser Athanasius Munder.«

Bei diesem Namen flammte des Henkers Gesicht vor Zorn, er stand rasch auf. Sein zorniges Auge fiel auf das ruhige und wohlwollende Gesicht des Geistlichen, dann setzte er sich langsam, stumm und verwirrt wieder auf seinen Sitz.

Es trat eine augenblickliche Stille ein. Ordener, der sich erhoben hatte, um den Priester zu vertheidigen, brach sie zuerst.

»Nychol Orugix,« sagte er, »hier sind dreizehn Thaler, um Euch für die Begnadigung der Verurtheilten zu entschädigen.«

»Wer weiß,« unterbrach ihn der Geistliche, »ob ich diese Begnadigung erlangen werde? Ich möchte gerne mit dem Sohn des Vicekönigs selbst sprechen, denn die Begnadigung hängt von seiner Vermählung mit der Tochter des Großkanzlers ab.«

»Herr Pfarrer,« versetzte Ordener in zuversichtlichem Tone, »Sie werden diese Begnadigung erlangen. Ordener Guldenlew wird den Brautring nicht wechseln, bis die Ketten Ihrer Schutzbefohlenen gebrochen sind.«

»Junger Fremdling, dazu können Sie nichts beitragen, aber der Herr hat Ihre guten Wünsche vernommen und wird Sie dafür belohnen.«

Die dreizehn Thaler hatten den guten Nychol Orugix gänzlich umgewandelt. Seine fröhliche Laune war zurückgekehrt,

»Ihr seid ein wackerer Mann, verehrtester Herr Almosenier,« sagte er, »und ich habe mehr Schlimmes über Euch gesagt, als ich selbst dachte. Ihr geht schnurgerade aus Eurem Pfade fort, und es ist nicht Eure Schuld, wenn er den meinigen durchkreuzt. Aber wem ich nicht wohl will, das ist der Wächter im Todtenhause zu Drontheim, dieser alte Hexenmeister … Wie heißt er doch? … Spliugry? … Spadugry? … Sagt mir doch, alter Herr Doktor, der Ihr ein Babel von Wissenschaft seid, und dem nichts verborgen ist, könnt Ihr mir den Namen dieses Hexenmeisters, Eures Collegen, nicht mittheilen? … Ihr habt ihm doch wohl manchmal an einem Sabbat auf einem Besen in der Luft begegnen müssen.«

Der arme Benignus Spiagudry wäre in diesem Augenblicke gerne auf einem Besen durch die Lüfte davongefahren, wenn er auf diesem Wege aus dem verfluchten Thurm hätte entrinnen können. Er zitterte wie Espenlaub, und seine Zunge war so schwer, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte.

»Nun,« fuhr Orugix fort, »wißt Ihr den Namen dieses verdammten Wächters des Spladgest? Macht Euch Eure Perrücke taub?«

»Ein wenig, Herr … Aber,« stotterte er nach einer Pause, »ich weiß diesen Namen nicht, das schwöre ich Euch,«

»Er weiß ihn nicht,« sagte des Einsiedlers gefürchtete Stimme. »Er thut nicht wohl, darauf zu schwören. Dieser Mensch heißt Benignus Spiagudry.«

»Ich! Ich! Großer Gott!« rief der Alte schreckenvoll aus.

Der Henker schüttete sich aus vor Lachen: »Wer spricht denn von Euch? Wir reden von diesem heidnischen Wächter des Spladgest. Dieser Schulmeister da geräth doch über Alles in Angst. Wie wäre es erst, wenn er eine gegründete Ursache dazu hätte? Es müßte ein Spaß sein, diesen alten Narren zu hängen. Also, verehrtester Doktor,« fügte Orugix hinzu, den die Angst Spiagudry’s belustigte, »also kennt Ihr diesen Benignus Spiagudry nicht?«

»Nein, Herr, ich kenne ihn nicht, das versichere ich Euch,« antwortete er, etwas beruhigt durch sein Incognito. »Und da er das Unglück hat, Euch zu mißfallen, so möchte ich in der That diesen Menschen gar nicht kennen.«

»Aber Ihr, Meister Einsiedler, Ihr scheint ihn zu kennen?«

»Allerdings, es ist ein alter, langer, dürrer, ausgetrockneter Mensch mit einem Kahlkopf …«

Spiagudry zog hastig seine Perrücke über die Stirne.

»Er hat Finger, so lang wie die eines Diebs, der seit acht Tagen keinem Reisenden begegnet ist, sein Rücken ist gekrümmt …«

Spiagudry setzte sich so aufrecht, als ihm möglich war.

»Man könnte ihn für einen der Leichname halten, die er bewacht, wenn er nicht so stechende Augen hätte …«

Spiagudry hielt die Hand vor das Auge, das nicht mit Pflaster bedeckt war.

»Schönen Dank, Vater, ich werde nun diesen alten Juden erkennen, wo ich ihn auch finde …«

Spiagudry, der ein sehr guter Christ war, konnte, durch diese Schmähung empört, einen Ausruf nicht unterdrücken: »Jude! … Herr! … Jude!«

Er hielt plötzlich inne, als ob er bereits zu viel gesagt hätte.

»Jude oder Heide, das ist einerlei, wenn er im Bunde mit dem Teufel steht, wie es heißt!«

»Das würde ich auch glauben,« fuhr der Eremit mit einem sardonischen Lächeln fort, das seine Kapuze nicht ganz verbarg, »wenn er keine so feige Memme wäre. Aber wie sollte er den Anblick des Teufels ertragen können? Er ist eben so feig als boshaft. Wenn ihn die Furcht ergreift, kennt er sich nicht mehr.«

»Ein boshafter Mensch sollte nicht feig sein,« sagte Orugix. »Gegen eine Schlange muß man kämpfen, eine Eidechse tritt man mit dem Fuße nieder.«

Spiagudry wagte einige Worte zu seiner Vertheidigung: »Aber, Ihr Herren, wißt Ihr auch gewiß, daß der Beamte, von dem Ihr sprecht, so beschaffen ist, wie Ihr ihn schildert? Steht er denn in einem Rufe …«

»In dem schlimmsten Ruf in der ganzen Provinz,« erwiederte der Einsiedler.

Benignus, auf dieser Seite geschlagen, wendete sich dem Scharfrichter zu: »Herr und Meister, welches Unrecht habt Ihr ihm denn vorzuwerfen, denn ich zweifle nicht, daß Euer Haß gegen ihn gerecht sei?«

»Und Ihr thut wohl daran. Da sein Gewerbe dem meinigen gleicht, thut er Alles, was er vermag, mir zu schaden.«

»O Herr, glaubt das nicht! Oder wenn dem so ist, so kommt es bloß daher, daß dieser Mann Euch nicht wie ich gesehen hat, umgeben von Eurer reizenden Gattin und Euern hoffnungsvollen Kindern, Fremdlinge an Eurem Tische speisend. Wenn dieser Unglückliche Eure Gastfreundschaft genossen hätte, wie wir, könnte er nicht Euer Feind sein.«

Kaum hatte Spiagudry diese Worte gesprochen, so erhob sich das Weib des Nachrichters, die bisher stumm da gesessen war, von ihrem Sitze und sprach mit schauervoll feierlicher Stimme: »Die Zunge der Viper ist nie giftiger, als wenn sie von Honig trieft.«

»Dieses Weib ist wahnsinnig,« dachte Spiagudry, der sich den schlechten Erfolg seiner, wie er glaubte, so wohl angebrachten Schmeichelei nicht anders erklären konnte.

»Das Weib hat Recht,« sagte Orugix, »und ich werde Euch selbst für eine Otterzunge halten, wenn Ihr diesen Spiagudry noch länger in Schutz nehmt.«

»Gott soll mich behüten, Herr, daß ich diesen Menschen vertheidigte!«

»Das lasse ich gelten. Ihr wißt noch nicht einmal, wie weit er seine Unverschämtheit treibt. Glaubt Ihr wohl, daß er die Frechheit hat, mir mein Recht an Han dem Isländer streitig zu machen?«

»An Han dem Isländer?« fragte rasch der Einsiedler.

»Allerdings! Ihr kennt wohl diesen berüchtigten Räuber?«

»Ja!« sagte der Eremit.

»Nun denn, jeder Räuber ist dem Henker verfallen, nicht wahr? Was thut nun dieser höllische Spiagudry? Er verlangt, daß man einen Preis auf Hans Kopf setze …«

»Er verlangt, daß man auf Hans Kopf einen Preis setze!« unterbrach ihn der Einsiedler.

»So frech ist er, und einzig deswegen, damit ihm der Leichnam zukomme und ich um mein Eigenthum betrogen sei.«

»Das ist schändlich, Meister Orugix, Euch ein Eigenthum streitig zu machen, das so augenscheinlich Euch gehört!«

Diese Worte waren von dem boshaften Lachen begleitet, das Spiagudry so schreckte.

»Es ist um so schändlicher, da ich einer Hinrichtung, wie die Han des Isländers ist, bedürfte, um mich aus meiner Dunkelheit zu ziehen und das Glück zu machen, das ich bei Schuhmacher verscherzt habe.«

»Da habt Ihr Recht, Meister Nychol!«

»Ja, Bruder Einsiedler, an dem Tage, wo Han gefangen wird, kommt zu mir, dann wollen wir auf meine künftige Erhöhung ein fettes Schwein schlachten.«

»Gerne; aber wißt Ihr auch, ob ich an diesem Tage frei sein werde? Ihr habt aber ja eben erst allen Ehrgeiz zum Teufel geschickt?«

»Mußte ich nicht, da ich sehe, daß es nur eines Spiagudry und einer Bitte, einen Preis auf Hans Kopf zu setzen, bedarf, um die begründetsten Hoffnungen zu vernichten?«

»Ha!« wiederholte der Einsiedler mit einer sonderbaren Stimme. »Ha! Spiagudry hat einen Preis auf Han des Isländers Kopf verlangt!«

Diese Stimme gab jedesmal dem armen Spiagudry einen Stich durch das Herz.

»Ihr Herren,« sagte er, »warum so obenhin aburtheilen? Die Sache ist noch nicht gewiß, vielleicht ist es nur ein falsches Gerücht …«

»Ein falsches Gerücht!« rief Orugix aus. »Es ist nur allzu gewiß. Die Bitte der Schöppen liegt gegenwärtig zu Drontheim und Spiagudry’s Unterschrift steht darunter. Man wartet nur noch auf die Genehmigung des Gouverneurs.«

Spiagudry verstummte und zwang sich, seine Angst zu verbergen. Sein Schrecken stieg noch höher, als er plötzlich den Eremiten in scherzendem Tone ausrufen hörte: »Meister Nychol, welche Strafe haben diejenigen zu erwarten, die etwas Geheiligtes entweihen?«

»Das hängt von der Art der Entweihung ab,« erwiederte der Scharfrichter.

»Wenn man einen todten Körper entweiht?«

»Ehemals begrub man ihn lebendig mit dem Leichnam.«

»Und jetzt?«

»Jetzt ist man milder.«

»Man ist milder,« sagte Spiagudry, tief athmend.

»Ja, man brennt ihm erst mit einem glühenden Eisen den ersten Buchstaben des Wortes, das sein Verbrechen bezeichnet, auf die Wade …«

»Und hernach?« fragte Spiagudry gespannt.

»Hernach hängt man ihn bloß.«

»Barmherziger Gott! Hängen!« rief Spiagudry aus.

»Was Teufels ist denn diesem Menschen? Er sieht mich ja an, als ob er den Strick um den Hals hätte.«

In diesem Augenblicke hörte man den klaren und deutlichen Schall eines Waldhorns. Das Gewitter hatte aufgehört.

»Nychol,« sagte das Weib, »man ist irgend einem Verbrecher auf den Fersen, das ist das Horn der königlichen Häscher.«

»Das Horn der Häscher!« riefen Alle in verschiedenem Tone aus, Spiagudry in dem des höchsten Schreckens,

In demselben Moment folgten heftige Schläge an die Pforte des Thurmes.

XIII.

Löwig ist ein großes Dorf, das auf dem nördlichen Ufer des Golfs von Drontheim liegt. Der Anblick des Dorfs mit seinen ärmlichen Hütten ist traurig.

Am Morgen des Tages, an welchem Ordener zu Drontheim angekommen war, war zu Löwig eine Person ans Land gestiegen, die das Incognito beobachtete. Die vergoldete Sänfte dieser Person, obwohl ohne Wappen, und die vier wohlbewaffneten Heiducken, welche sie mit sich führte, waren das Gespräch aller Einwohner. Der Wirth zur goldenen Möve, in welchem elenden Wirthshause diese hohe Person abgestiegen war, nahm ein geheimnißvolles Wesen an und gab sich die Miene, als ob er den fremden Herrn wohl kenne, aber nicht sagen dürfe, wer er sei. Die Heiducken waren stumm wie Fische.

Am zweiten Tage der Ankunft dieses Fremden trat der Wirth in sein Zimmer und meldete mit einer tiefen Verbeugung, daß der erwartete Abgesandte angekommen sei.

»Laßt ihn heraufkommen!« sagte der Fremde.

Bald darauf trat der Abgesandte ein, schloß sorgfältig die Thüre, machte dem Fremden eine tiefe Verbeugung und erwartete in ehrfurchtsvollem Schweigen seine Befehle.

»Ich habe Euch diesen Morgen erwartet,« sagte der Fremde, »was hat Euch denn aufgehalten?«

»Euer Gnaden Angelegenheiten, Herr Graf!«

»Was machen Elphege und Friedrich?«

»Beide wohl!«

»Gut! Habt Ihr mir nichts Wichtigeres mitzutheilen? Was Neues zu Drontheim?«

»Nichts, als daß Baron Thorwick gestern dort angekommen ist.«

»Ich weiß, daß er diesen alten Mecklenburger Levin über die projektirte Verbindung um Rath fragen will. Wißt Ihr, welches das Resultat seiner Unterredung mit dem Gouverneur war?«

»Heute um die Mittagsstunde, als ich abreiste, hatte er den General noch nicht gesprochen.«

»Wie! Und schon den Tag zuvor angekommen! Das wundert mich, Musdoemon! Und hat er die Gräfin gesehen?«

»Noch weniger, gnädiger Herr!«

»Also habt Ihr ihn gesehen?«

»Mit keinem Auge, und ich kenne ihn auch nicht.«

»Und woher, wenn Niemand von Euch ihn gesehen hat, wißt Ihr, daß er zu Drontheim ist?«

»Von seinem Reitknecht, der mit den Pferden in des Gouverneurs Palast kam.«

»Und wo ist denn er selbst abgestiegen?«

»Im Spladgest, und von dort schiffte er sich, wie sein Bedienter sagte, sogleich nach Munckholm ein.«

Das Auge des Grafen flammte.

»Nach Munckholm! In Schuhmachers Gefängniß! Wißt Ihr das gewiß? Ich habe doch immer gedacht, dieser ehrliche Levin sei ein Verräther. Nach Munckholm! Was kann ihn dort hinziehen? Will er auch Schuhmacher um Rath fragen? Will er …«

»Gnädiger Herr,« unterbrach ihn Musdoemon, »es ist nicht gewiß, daß er dahin gegangen ist.«

»Wie? Und was sagtet Ihr mir denn eben erst? Treibt Ihr Euern Scherz mit mir?«

»Verzeihung, gnädiger Herr! ich erzählte Ihnen bloß, was sein Bedienter gesagt hat; aber Ihr Herr Sohn, der gestern die Wache hatte, hat den Baron nicht zu Munckholm gesehen.«

»Schöner Beweis! Mein Sohn kennt den Sohn des Vicekönigs nicht. Ordener konnte incognito das Fort besuchen.«

»Allerdings, gnädiger Herr, aber Ihr Herr Sohn behauptet, gar Niemand gesehen zu haben.«

»Das ist ein anderlei. Behauptet das mein Sohn wirklich?«

»Er hat es mir dreimal versichert, und der Vortheil Herrn Friedrichs trifft hier mit dem Eurer Gnaden zusammen.«

»Ich verstehe jetzt,« sagte der Graf. »Der Baron wird ein wenig am Golf spazieren gegangen sein, und sein Diener wird geglaubt haben, er sei nach Munckholm. Denkt nur, Musdoemon, ich habe aus dieser Fahrt nach Munckholm gleich einen Roman gemacht und mir Ordener in Ethel Schuhmacher verliebt gedacht. Gottlob, dieser junge Mensch ist weniger thöricht, als ich alter Narr! Apropos, was ist diese junge Danaë unter den Händen meines Friedrich geworden?«

»Er hat nichts ausgerichtet, aber es scheint, daß ein Anderer bei ihr glücklicher war.«

»Ein Anderer! Was für ein Anderer?«

»Irgend ein Leibeigener, ein Bauer …«

»Sagt Ihr die Wahrheit?« fragte der Graf mit strahlenden Blicken.

»Ihr Herr Sohn hat es mir und der gnädigen Gräfin versichert.«

Der Graf stand auf, ging im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.

»Musdoemon, mein lieber Musdoemon, noch einen letzten Schlag, und wir sind am Ziele! Der Zweig des Baums ist vergiftet, wir haben nur noch den Stamm umzustürzen. Habt Ihr noch irgend eine gute Nachricht?«

»Dispolsen ist ermordet worden.«

Das Gesicht des Grafen hellte sich ganz auf.

»Ha! Ihr werdet sehen, daß wir von Triumph zu Triumph schreiten. Hat man seine Papiere? Hat man insbesondere jene eiserne Büchse?«

»Es ist mir leid, Euer Gnaden sagen zu müssen, daß der Mord nicht von unsern Leuten begangen worden ist. Er wurde am Strande von Urchthal ermordet und beraubt, und man schreibt die That Han dem Isländer zu.«

»Han dem Isländer, jenem berüchtigten Räuber, den wir an die Spitze unserer Aufrührer stellen wollen?«

»Dem Nämlichen. Nur fürchte ich nach Allem, was ich von ihm erzählen hörte, daß es schwierig sein wird, ihn aufzufinden. Für alle Fälle habe ich mich eines Anführers versichert, der seinen Namen annehmen und an seine Stelle treten wird. Es ist ein wilder Bergbewohner, hoch und fest wie eine Eiche, kühn und unbändig wie ein Wolf der Wüste. Dieser furchtbare Riese wird Han des Isländers Rolle ganz gut spielen.«

»Dieser Han ist also von hoher Gestalt?«

»So heißt es allgemein im Volke.«

»Ich muß die Geschicklichkeit loben, mein lieber Musdoemon, womit Ihr Eure Plane entwerft. Wann bricht der Aufruhr aus?«

»Unverweilt. Vielleicht in diesem Augenblicke schon, gnädiger Herr! Die königliche Vormundschaft erscheint schon lange den Bergleuten als eine unerträgliche Last; Alle ergreifen mit Freude die Idee eines Aufstandes. Der Aufruhr wird in Guldbransthal beginnen und sich nach Sund Moer und Kongsberg ausbreiten. Zweitausend Bergleute können innerhalb drei Tagen auf den Beinen sein. Der Aufstand wird in Schuhmachers Namen geschehen; unsere Emissäre stellen sich als von ihm abgesendet dar. Dann brechen die Truppen im Süden und die Besatzungen von Drontheim und Skongen gegen die Rebellen auf; Sie sind gerade zu rechter Zeit da, um den Aufruhr zu unterdrücken, Sie haben dem König einen neuen ausgezeichneten Dienst geleistet; Schuhmacher ist ein Verbrecher, dessen man sich für immer entledigt.«

Der Kanzler wußte jetzt, was er wissen mußte. Musdoemon, der Vertraute seiner Verbrechen, war ihm nun zur Last. Es blieb ihm nun nichts übrig, als ihn auf eine gute Art zu verabschieden.

»Musdoemon,« sagte er mit gnädigem Lächeln, »Ihr seid der treueste und eifrigste meiner Diener. Alles geht gut, und das danke ich Eurem Eifer. Ich ernenne Euch zum geheimen Sekretär des Großkanzlers.«

Musdoemon verbeugte sich tief.

»Das ist noch nicht Alles, ich werde zum drittenmal den Danebrogorden für Euch verlangen; aber ich fürchte immer, daß Eure Geburt, Eure unwürdige Verwandtschaft …«

Musdoemon, bald roth, bald blaß, suchte die Leidenschaften, die sich auf seinem Gesichte malten, durch eine tiefe Verbeugung zu verbergen.

»Geht nur,« fuhr der Kanzler fort und reichte ihm die Hand zum Kusse, »geht nur, Herr geheimer Sekretär, und setzt Eure Bittschrift auf. Vielleicht findet sie den König in einem Augenblick guter Laune.«

»Mag mir Se. Majestät den Orden bewilligen oder nicht, immerhin bin ich stolz auf Euer Excellenz hohe Gnade und gerührt von so vielem Wohlwollen.«

»Eilt Euch, Lieber, denn ich will schnell abreisen. Ihr müßt Euch noch genaue Nachweisungen über diesen Han verschaffen.«

Musdoemon verabschiedete sich mit einer stummen Verbeugung.