97. Die Brüder

97. Die Brüder

Auf den nachbarlichen Burgen Sternfels und Liebenstein am Rhein wohnten zwei Brüder, die waren sehr reich und hatten die Burgen stattlich von ihres Vaters Erbe erbaut. Da ihre Mutter starb, wurden sie noch reicher, beide hatten aber eine Schwester, die war blind, mit der sollten nun die Brüder der Mutter Erbe teilen. Sie teilten aber, da man das Geld in Scheffeln maß, daß jedes ein volles Maß nach dem andern nahm, und die blinde Schwester fühlte bei jedem, daß eines so richtig voll war wie das andere; die arglistigen Brüder drehten aber jedesmal, wenn es ans Maß der Schwester ging, dieses um und deckten nur den von schmalem Rand umgebenen Boden mit Geld zu, da fühlte die Blinde oben darauf und war zufrieden, daß sie ein volles Maß empfing, wie sie nicht anders glaubte. Sie war aber gottlos betrogen, dennoch war mit ihrem Gelde Gottes Segen, sie konnte reiche Andachten in drei Klöster stiften, zu Bornhofen, zu Kidrich und Zur Not Gottes. Aber mit dem Gelde der Brüder war der Unsegen für und für, ihre Habe verringerte sich, ihre Herden starben, ihre Felder verwüstete der Hagel, ihre Burgen begannen zu verfallen, und sie wurden aus Freunden Feinde und bauten zwischen ihren nachbarlich nahe gelegenen Burgen eine dicke Mauer als Scheidewand, deren Reste noch heute zu sehen sind. Als all ihr Erbe zu Ende gegangen, versöhnten sich die feindlichen Brüder und wurden wieder Freunde, aber auch ohne Glück und Segen. Beide bestellten einander zu einem gemeinschaftlichen Jagdritt, wer zuerst munter sei, solle den andern Bruder frühmorgens durch einen Pfeilschuß an den Fensterladen wecken. Der Zufall wollte, daß beide gleichzeitig erwachten, beide gleichzeitig die Armbrust spannten, im gleichen Augenblick den Laden aufstießen und schossen, und daß der Pfeil jedes von ihnen dem andern in das Herz fuhr – das war der Lohn ihrer untreuen Tat an ihrer blinden Schwester.

Andere erzählen, es habe das Geschick nur den einen Pfeil eines der Brüder dem einen der Brüder in das Herz gelenkt, darauf sei der andere zur Buße nach dem Heiligen Grabe gepilgert und im Morgenlande verstorben. Noch andere haben neue Märlein über dies feindliche Brüderpaar ersonnen, denen Kundige es auf den ersten Blick ansehen, daß sie früher nie als Sagen im Volke lebten.

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979. Das Fräulein vom Karlstein

979. Das Fräulein vom Karlstein

Wenn man vom Chiemsee über Traunstein durch das reizende Hochgebirgstal von Inzell schreitet, wo die Alpenrosen von den Höhen bis nieder an den Weg steigen, kömmt man zwischen dem Staufenberge, dem Wendberge und dem Müllnerberge an eine Wegscheide, da geht ein Weg nach Traunstein, einer nach Reichenhall und Berchtesgaden, und der dritte führt südwärts recht ins Gebirg hinein, der Saal entgegen, zunächst nach Unken, wo die Füchse einander gute Nacht geben. Eine Strecke unterhalb dieser Wegscheide liegt ein Gehöft, im Kaitl geheißen, nicht mehr weit von Reichenhall, dort rastet sich’s gut und fehlt nimmer an Gesellschaft von Jägern, Holzleuten und Wanderern, die des Wegs ziehen, und vom Kaitl bis Reichenhall spannen sich reizende Wiesenteppiche, die heißen die Weidwiesen. In der Nähe ist auch ein Trümmerschloß, der Karlstein, die Leute dortherum nennen es aber nur das Salzsäßchen, und sieht gerad aus von weitem wie das Löttöpfchen im Thüringerwalde. Dortherum nun geht ein Geist um in eines kleinen Weibleins Gestalt, das soll ein Fräulein auf dem Karlstein gewesen sein, die habe einen Jüngling geliebt und einen andern, den sie nicht liebte, mit aller Gewalt heiraten sollen, wie sich das bisweilen in der Welt also zuträgt. Da habe nun besagtes Fräulein das nämliche getan wie jenes im Ritterschloß über Heilingen und sich von der Burg herab in den Felsenabgrund gestürzt, wo sie nun als Geist zur Strafe und zur Sühne umwandeln muß. Ein Holzschaffner unterm Karlstein fand, sooft er in die Burg hinaufkam, die seit des Fräuleins und ihres grausamen Vaters Tode – denn grausam heißen alle Väter, die nicht ihrer Kinder Willen tun – verödet war und ein Aufenthalt der Füchse und Schubuts, jedesmal ein Rupertigröschlein. Sobald er das aber aufhob und einsackte, ging ein Spuk los, der nicht gering war. Es warf erst mit Sand, dann mit kleinen Steinen, dann mit großen, auch kamen gätliche Baumstämme geflogen – doch war das beste, daß keiner den Holzschaffner traf, nur mußte er die Beine auf die Achsel nehmen und laufen, als wenn er dem Schlangenkönig die Krone genommen hätte.

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980. Das Weidwiesenweiblein

980. Das Weidwiesenweiblein

Mag das Weidwiesenweiblein nun jenes verwunschene Fräulein vom Karlstein sein, wie einige sagen, oder auch nicht sein, so viel steht baumfest, daß selbiges Weiblein gehörig spukt. An der Wegscheid sitzt es und winselt zum Steinerbarmen, aber die Steine sind dort gar zu groß. Als Baumstamm saust es die steilen Bergwände prasselnd nieder und rollt hinter den Pferden des Reiters her, bis nahe an den Kaitl, dann ist’s weg. Auf dem Felsen hört man es herzzerschneidend schreien und wimmern; am schlimmsten hat sich’s im Jahr 1831, aufgeführt, nachdem es auch in den Jahren 1782 und 1783 gar arg gespukt und viel Redens von sich gemacht. Seine Gestalt war klein, sein Gewand schwarz, in der Hand trug es einen Tiegel und im Tiegel ein brennend Lämpchen. Ein großer Hut barg das spinnewebig runzelvolle Gesicht. Mit dem Lämpchen leuchtete es den Leuten ganz getreulich durch die dunkle Nacht, und kein Wind mochte das verlöschen, bisweilen aber hat es manche auch ganz ungetreulich irregeführt, besonders wenn sie sich im Kaitl recht bezecht hatten. Im letzterwähnten Jahre machte sich im Spätherbst der Brunnenwärter vom Nesselgraben auf und ging dem Winseln nach, das sich stark hören ließ, und verstieg sich hoch hinauf bis auf den Grat des Bergstocks, da hörte er das Gewinsel wieder tief unter sich, und unter ihm klaffte steilab die schüssige Wand. Da er mit Not wieder heruntergestiegen war, kam ein Bekannter zu ihm, das war der Kreiser von Helmbach, der stieg kecklich und mit Gefahr seines Lebens durch die Schrunden der Stimme nach und fand endlich ein uralt hockeruckeriges Weiblein, das saß in einer Felsenspalte wie eine Unke und greinte gotteserbärmlich, gab auf keine Frage eine Antwort, und wie der Bub sich zu ihm bog, krallte es ihm nach dem Gesicht. Der aber, nicht furchtsam und nicht faul, erwischt das Weiblein beim Schlafittich und zieht es nach sich bis auf die Matte, wo er vorher seine Joppen ausgezogen. Da läßt er’s fahren und bückt sich und zieht die Joppe an, und wie er umschaut, ist’s Weiblein weg wie weggeblasen. Da kommt ihm aber ein gewaltigs Grauen an, macht, daß er heimkommt, und wird acht Tage lang krank vor Schrecken. Nicht lange darauf ist das Weiblein auch auf den Kaitl gekommen, hat Gaben empfangen, aber nie dafür gedankt. Einige sagen, daß das Weidwiesenweiblein nachderhand mit seinem Lämpchen einem Fuhrmann geleuchtet, dem in finsterer Nacht beim Kalkofen ein Rad zerbrochen, dem sei das Leuchten ein großer Trost gewesen, und habe gesagt, als er das Hülfsrad angelegt: Tausend Dank! – und da hätte das Weiblein voller Freude gesagt: Hab‘ genug an einem Dank! Jetzt sieht mich niemand mehr! – sei darauf hinweggeschwunden und erlöst gewesen, wie das dienstfertige Licht zwischen Neundorf und Görkwitz im Vogtland.

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981. Die übergossene Alm

981. Die übergossene Alm

Im bayrischen Hochgebirge ragt unter der weiten Kette mächtiger Alpenhäupter auch der Wendelstein sechstausenddreihundert Fuß hoch in die Lüfte, und ewiger Schnee bedeckt die Höhen ringsumher. Am Abhang dieses Berges war nordwärts eine Alm gelegen, die Kaiserer Alm genannt, die war gar blumenvoll, rings gute Weide, und standen schöne Sennhütten droben, mit frischen und lustigen Sennderinnen, die wußten gar nicht, wie gut sie es hatten, und weil sie es zu gut hatten, wurden sie übermütig, führten ein üppiges Leben und sannen auf allerlei Lustfrevel und unnütze Dinge. Sie hingen den Kühen silberne Glocken an und verguldeten den Stieren die Hörner; sie wuschen sich mit Milch und pflasterten den Weg zum Stall mit Käsen, wie der Hirte auf der Blümelis-Alpe seine Treppe. Wein ließen sie von Salzburg fäßleinweis heraufkommen und Schleckerbißlein auch, Rosinen, Mandelkern, Zucker und Zingiber, eingemachten versteht sich, Zimmet und Nägelein, Muskatblüt und -nuß, Pistazien und Zibeben, Datteln und Feigen, Marzipan und Biskuit. An Beten dachten selbige Dirnen die ganze Woche nicht, und den Sonntag auch nicht, und wenn die Woche herum war, wieder nicht, aber getanzt und gejuchezet haben’s alleweil genug. Und da haben sie einmal einen ganzen Tanzplatz von Käsen gemacht, und die Lücken mit Butter ausgefüllt, und sind darauf herumgetanzt, und haben gemeint, der Teufel könnte hernach mit seiner Großmutter und seiner Kameradschaft die Käs‘ schon fressen, daß er auch einmal etwas in seinen hungrigen Wanst bekäme. Aber nun war es verspielt und war Gottes Geduldfaden abgerissen, und in der Nacht, da heult’s und klopft’s und pocht und donnert an die Sennhütten, und seufzt und ächzt und stöhnt, und die Windsbraut kommt dahergefahren, und die ewigstarren Wellen im Steinernen Meer wogen und branden, und es ist, als ob vom Watzmann bis zum Zugspitz das ganze Gebirg in eins zusammenkrache und -donnere. Ganze Berge Lawinenschnee übergossen die Alm mit den sündigen Menschen darauf, war nur schad ums arme Vieh – und als der Morgen kam, da war auf der ganzen Alm ein Schmelz, wie ein Zuckerguß auf einer Linzer Torte, und glitzerte hell im Sonnenschein – eitel Eis und Schnee und glattgefroren wie eine Gletscherwand. Das ist nun die übergossene Alm, ein ewiges Wahrzeichen von der Menschen Frevel und Gottes Strafgericht.

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974. Herzog Christophs Stein

974. Herzog Christophs Stein

In einem Hofe und Durchgang der alten Residenz zu München, unterm Torbogen zwischen dem Kapellenhof und Brunnenhof, liegt ein großmächtiger Stein an einer Kette, den auch ohne Kette keiner wegtrüge, so schwer ist er. Diesen selben Stein, der dreihundertundvierundsechzig Pfund wiegt, hat Herzog Christoph von Bayern mit eignen Händen nicht nur gehoben, sondern auch eine gute Strecke weit geworfen. Dieser Herr war also stark und kräftig, daß er gleicherweise auch einen Sprung zwölf Fuß hoch getan und einen in die Mauer gesteckten Nagel mit dem Fuße hinweggeschnellt. Zwei andere Springer, Konrad der eine, Philipp der andere geheißen, sprangen der eine zehnthalb Schuh, der andere neunthalb Schuh hoch. Die Inschrift an der Mauer, welche dies kündet, verheißt auch den Namen dessen zu verewigen, der noch höher springt.

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975. Münchner Haussagen

975. Münchner Haussagen

An mehr als ein Haus zu München knüpfen sich Sagen, wie zumeist in alten Städten, und ließen sich deren allein Bücher voll sammeln. Mehrere sind aber insonderheit darum hervorzuheben, weil sie Wiederholungen von Sagen bilden, die weit von dieser Stadt im deutschen Norden lebendig sind. So steht auf einem Hause eine Dohle als Dachfahne, die einen Ring im Schnabel hält, an den sich die Sage von einem durch eine Dohle entwendeten Ring knüpft, die, wenn sie der vom Raben zu Merseburg auch nicht gleicht, so doch an sie erinnert.

Auf dem alten Hofgebäude stand ein Turm, darauf war ein steinern Affenbild zu erschauen, und die Sage wußte von einem Prinzchen zu erzählen, das ein im Schlosse gehaltener zahmer Affe geraubt, auf die Turmzinne getragen, aber endlich, da er sich nicht mehr verfolgt sah, gutwillig wieder heruntertrug und in des Prinzchens Wiege legte. Danach ward des Affen Bild in Stein ausgehauen, gerade wie jenes des Affen zu Dhaun, und auf den Turm gesetzt.

Am Schrannenplatz, nahe dem Wurmeck, allwo die Gestalt eines Lindwurms in Stein gehauen zu ersehen, der die Pest über München ausgehaucht und mit einer von den Kanonen, die vor der Hauptwache auf selbem Platz stehen, erschossen worden sein soll, war unter den Bögen Doktor Luthers Bild und seiner Kathi, wohl mehr zum Hohn als zum Ruhm, wie das zu München nicht anders sein konnte; und in der Sendlinger Gasse im Haus beim Koch in der Hölle, da sollte der Luther auf seiner Flucht – doch wohl auf der von Augsburg nach Hohenaschau, denn nur auf dieser einen Flucht könnte Luther München berührt haben – eilend getrunken und Bratwurst gegessen haben, letztere aber eben auch schuldig geblieben sein, just wie zu Wertheim am Main. Hernach haben sie zu München Spottbilder auf Luther ausgehen lassen, wie er mit der Bratwurst auf einer Sau davonreitet, ganz so wie der Reiter auf alten Spielkartenblättern unter der Eichelsieben.

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976. Die fromme Barbara

976. Die fromme Barbara

Herzog Albert III. zu Bayern hatte eine Tochter des Namens Barbara, die war gar fromm und schamhaft und wollte nimmer heiraten und keinem angehören als Christo, dem himmlischen Bräutigam, und darum verschmähte sie selbst den Kronprinzen des Königs von Frankreich, für den bei ihrem Vater des Prinzen Vater Werbung um ihre Hand tun ließ. Da sich nun darob großer Verdruß erhob, so zergrämete sich das arme achtzehnjährige Jungfräulein und welkte hin, wie ihr Majoranstöcklein, das sie in ihrem Fenster pflegte, und welches abstarb. Und war nicht mehr fröhlich und sang nicht mehr und blieb stumm, wie ihre Vöglein, die acht Tage nach des Majorans Absterben von den Stänglein fielen und also tot blieben. Das Herz mocht‘ ihr schier zerspringen, wie ihre Busenkette, die sie zum Geschmuck von ihrem Herrn Vater geschenkt bekommen, acht Tage nach der Vöglein Ableben recht über dem Herzen zersprang. Und da aber acht Tage um waren, sank Barbara hin wie eine bleiche Lilie, entschlief und erwachte nimmer. Und da nun zweimal acht Tage vorüber waren, starb eine Ordensschwester, welche Barbara geliebt hatte, und aber nach zwei Wochen wieder eine, und das so fort, bis ihrer zwanzig gestorben waren, und ward einer jeden Seele in eine weiße Taube verwandelt, die flogen Barbara nach in den Himmel. Barbaras irdische Hülle ruht in St. Jakobs Kirche auf dem Anger zu München.

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971. Die rechte Hand

971. Die rechte Hand

Es war ein junger Graf von Dachau, der liebte ein Ritterfräulein von Wolfratshausen, nahe dem Wurm- oder Würmsee gelegen, hatte aber einen Feind am Grafen von Starnberg, der ließ ihn auflauern durch seine Knechte, und da er von oder nach Wolfratshausen ritt, so erschlugen sie ihn nahe bei Berg am See und beraubten ihn und hieben ihm die rechte Hand ab, an deren Finger einem er einen Ring von seiner Braut trug, den wollten sie auch sich aneignen, aber da schnappte des Ermordeten Hund zu und faßte die Hand und trug sie fort, immer fort bis nach Dachau, zwischen Augsburg und München, und legte sie zu den Füßen der Mutter des Erschlagenen nieder. Da schrie die Mutter Ach und Weh zusamt der Braut, und ließen an der Stätte, wo die Tat geschehen, die bald kundbar ward, eine Kapelle bauen, die ist Hernachmals aber, weil sie zu fern vom Wege stand, bei die Notschweig hingebaut worden, und an der Empore der Kapelle ward die Geschichte bildlich dargestellt.

Bei Wolfratshausen hat vordessen auch ein Schloß gestanden, aber es ist versunken; darinnen ruht noch ein großer Schatz, den drei Fräulein und ein Hund hüten. Als diese drei noch beim Leben waren und geerbt hatten, waren zwei blind, die eine aber war halb schwarz, halb weiß und machte es bei der Teilung mit ihren Schwestern gerade so wie die Brüder auf der Burg am Rhein mit ihrer blinden Schwester: sie maß sich den vollen Scheffel Geldes zu und drehte dann den Scheffel um, deckte den Boden und ließ die Blinden fühlen, daß das Gefäß voll sei. Dafür fitzt sie der Teufel mit Ruten, bis die Haut in Fetzen von ihrem Leibe hängt, welche dann in der zwölften Stunde wieder zusammenwächst. Das soll so lange dauern, bis der Schatz gehoben ist.

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972. Die Reismühle

972. Die Reismühle

Wenn man vom Starnberger See gen München zu pilgert, so führt der Weg anfänglich durch eine ziemlich öde Flur am Fuße einer Hügelkette hin, dann aber lenkt vom Fahrweg ein Fußweg ab zur Linken in den Wald, und dieser Wald ist nicht wie die andern Wälder ringsumher trauriges Nadelholz, sondern frischer blumenreicher Laubwald voll tiefen herrlichen Grünes, so daß man meint, in einem andern Landstrich Deutschlands zu sein. Und durch den Wald rollt ein Bach, und der Bach treibt eine Mühle, die wird die Reismühle geheißen, und das Tal heißt das Mühltal. Und über diesem Tale und dieser Mühle rauscht die deutsche Sage wie mit Adlerfittichen.

Es war nahe bei Freising ein Schloß, das hieß Weihenstephan; darauf wohnte eine Zeit der Frankenkönig Pipin und schirmte das Land gegen die Heiden. Und da er sich zu vermählen gedachte, sandte er seinen Hofmeister, der ein böser roter Ritter war, aus dem Schwabenlande bürtig, auch drei Söhne und eine Tochter hatte, ihm eine Königstochter aus dem Lande Britannia zu holen. Diese ward dem Ritter auch anvertraut und zog in seinem Geleit, der aber gedachte, seine eigene Tochter solle Königin werden, und zog aus Schwaben durch die tiefe Wildnis zwischen dem Ammersee und dem Würmsee, nicht weit von einem Heidenort des Namens Gauting, und in jenem Walde gebot er seinen Knechten, die fremde Braut zu töten, und nahm ihr ihre Gewande und ihren von Pipin ihr gesandten Verlobungsring und schmückte damit seine Tochter und führte diese dem Könige zu, daß sie dessen Weib ward. Nun aber hatten die Knechte Mitleid gehabt mit der schönen fremden Prinzessin, welche Bertha hieß, und sie mitnichten getötet, sondern ihrem Herrn nur ihres Hündleins Zunge gebracht zum Wahrzeichen, daß sie die Jungfrau getötet, und hatten ihm deshalb drei Eide schwören müssen. Die Jungfrau aber hatte den Knechten gelobt, nicht wieder heimzuziehen, und fand Unterkunft bei dem Müller im Tale dieser Wildnis und diente ihm sieben Jahre als eine Magd, und da sie ihr Gezeug zum Wirken mit sich genommen, auch etwas Seide und Goldfaden, so wirkte sie Börtlein, die trug der Müller gen Augsburg in die Stadt, da gab ihm eine Krämerin aber Gold- und Seidenfaden dafür und zwei volle Denare und hieß ihm mehr der köstlichen Arbeit bringen. Des war die Jungfrau froh und wirkte mehr, und der Müller empfing wieder neuen Stoff und dreißig Denare; das ging so fort drei Jahre lang, und die Käuferin hätte gar gern gewußt, wer so künstliche Börtlein wirke, die in diesem Lande niemand machen konnte, aber der Müller sagte ihr, wenn sie nicht nachlasse mit Fragen nach dem, was ihm zu sagen verboten sei, so gehe er weiter. Und der Müller wurde reich durch der Jungfrau Arbeit, sie aber begehrte nichts als ihre Nahrung und tat auch des Hauses Arbeit gern und willig. Und nach sieben Jahren jagte Pipin der König im Walde zwischen Gauting und Starnberg und kam ab von seinem Gefolge, doch war noch sein Astrolog und Arzt bei ihm, nebst einem Jäger und einem Knechte. Da ging der Jäger auch hinweg, den Weg zu suchen, und verirrte sich, denn vom Mühltal bis gen Weihenstephan war damals nichts als eitel Wildnis, und München ward erst über dreihundert Jahre später gebaut. Und jene fanden sich durch einen Köhler geleitet zur Reismühle und herbergten allda bei dem Müller als fremde Kaufleute, und Pipin scherzte mit der Jungfrau, die er für des Müllers Tochter hielt. Als es nun Abend ward, las der Astrolog in den Sternen und sprach dann zu Pipin: In den Sternen stehet, daß du heute sollt bei deinem Weibe sein und einen Sohn gewinnen, der wird ein Heidenüberwinder werden und sein Name noch größer als der deine. – Und siehe, im Wechselgespräche ward alles offenbar, und an seinem eigenen Ring an Berthas Finger erkannte Pipin, daß sie seine Verlobte war, und gewann sie zum Weibe. Sie wollte aber niemand verderben, und der König mußte ihr geloben, alles noch heimlich zu halten und sie in der Mühle zu lassen. Und der König gebot allen das tiefste Schweigen bei Leib und Leben. Hernach tat Pipin noch große Kämpfe gegen die Heidenschaft, allenden siegreich, und nach dreiviertel Jahren gebar Frau Bertha in der Reismühle einen Sohn, den brachte der Müller zur Taufe denselben Tag und ließ ihn Karl nennen, und ging dann zu Pipin und brachte ihm zum Zeichen, wie verabredet worden, einen Pfeilbolz. Und als der König seine Zeit ersah, da machte er alles offenbar, ließ den treulosen Hofmeister schmählichen Todes sterben, dessen Weib, die den Teufelsrat gegeben, vermauern und die Tochter, die, obschon unschuldig, doch den Trug vollendet hatte, gefangen halten. Darauf erhob er die edle Jungfrau zu seinem Ehegemahl, belohnte reich den Müller und zog mit Weib und Kind und allem Gefolge in das Frankenreich, wo Berthas Sohn, hernachmals Karl der Große geheißen, zu hohem Ruhm erwuchs.

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973. Von der Münchner Frauenkirche

973. Von der Münchner Frauenkirche

In der Liebfrauenkirche zu München gibt es mehr als ein Wahrzeichen und geht mehr als eine Sage von ihr. Es ist ein herrliches stattliches Gebäu, zu dessen Grunde und Aufbau man den Mörtel mit bayrischem Wein bereitete. Die Kirche erhielt dreißig prächtige hohe Fenster, die zum Teil mit den herrlichsten Glasmalereien verziert sind. Als der Teufel einst voll Ärgers über den neuen schönen Tempel durch das Portal unterm Chore hineintrat, kam er auf eine Stelle zu stehen, wo er kein einziges von den Fenstern erblickte, und murmelte: Kein Fenster? Kein Licht? Daran erkenn‘ ich meine Münche – bon! – wandte zufrieden um und brannte nur seine Fußtapfe zum freundlichen Andenken in den Boden, die noch heute zu sehen. Hatte sich aber stark geirrt, der dumme Teufel.

So lang die Kirche ist, fast so hoch sind ihre Türme, dreihundertunddreiunddreißig Fuß. Auf dem linken südlichen Turme ist es nicht geheuer, er wird nur selten betreten. Jörg Gankoffen von Halspach (Haselbach bei Moosburg, wo noch sein Geburtshaus bezeichnet wird) hieß der Kirche Erbauer; er vollführte, wie eine Inschrift besagt, den ersten, den mittlern und den letzten Stein; zwanzig Jahre währte der Bau, und als der fromme Maurermeister den letzten Stein vollführt hatte, da starb er. Sein treues Bildnis ist noch innerhalb der Kirche zu sehen, neben ihm das Bildnis des Zimmermanns, der den Dachstuhl baute. Es wurden dazu nicht minder als vierzehnhundert Flöße, jedes aus fünfzehn bis sechzehn Bäumen bestehend, auf der Isar herabgeflößt. Da der Bau vollendet war, fand sich ein zugerichteter noch unverwendeter Balken, und dennoch fehlte nirgend auch nur eine Latte. Selbiger Trumm ist noch heute zu sehen. Der Meister soll selbst den Balken aus dem Gerüst genommen und gesagt haben: Nun komme her, wer da wolle, und sage mir, wo der Balken fehle, und wo er füglich hingehört! – Aber vor wie nach hat sich niemand gemeldet und ist ein Jahrhundert um das andere vorübergegangen, und der überflüssige Balken ist noch immer vorhanden.

Außer dem Hochaltar hat die Frauenkirche dreißig Altäre, einer derselben ist St. Benno geweiht, der nächst der Himmelskönigin Münchens und der Kirche Schutzpatron ist. Der heilige Leichnam Bennos ward aus Meißen, wo er gelebt und manches Wunder vollbracht, gen München geführt, und als er von da in bedrohlicher Zeit nach Salzburg geborgen wurde, später aber von dort zurückkam, übte der Heilige ein neues Wunder, denn alsbald hörte mit seinem Eintreffen die grimme Pest auf, welche damals zu München wütete, darum mit ward diesem Heiligen vorzugsweise der Name Wundertäter, Thaumaturgos, beigelegt.

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