Kapitel 29

Kapitel 29

Das alte Schloß zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebäude wurde erst von Ulrichs Sohn, Herzog Christoph, aufgeführt. Das Schloß der alten Herzoge von Württemberg stand übrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausführung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur daß es zum größten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Gräben, über welche eine Brücke in die Stadt führte. Ein großer, schöner Vorplatz diente in früheren Zeiten dem fröhlichen Hof Ulrichs zum Tummelplatz für ritterliche Spiele, und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebäudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewölbt wie eine Kirche, daß die Ritter in dieser „Tyrnitz“ bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuern Lanzen ungehindert darin handhaben konnten. Von der Größe dieser fürstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, daß man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da führte eine steinerne Treppe aufwärts, so breit, daß zwei Ritter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser großartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien die zum Tanz und Spiel eingerichtet waren.

Georg maß mit staunenden Augen diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Höfen, diesen Sälen; wie klein und gering kam er ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glänzenden Hofhaltung Ulrichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloß siebentausend Gäste aus allen Teilen des deutschen Reiches speiste, wo in dem hohen Gewölbe der Tyrnitz und in dem weiten Schloßhof einen ganzen Monat lang Ritterspiele und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen, Ritter und Edelleute mit Hunderten der schönsten Damen in jenen Sälen und Galerien tanzten. Er blickte hinab in den herrlichen Schloßgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevölkerte diese Lustgehege und Gänge mit jenem fröhlichen Gewimmel des fröhlichen Hofes, mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fräulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie öde und leer deuchten ihm diese Mauern und Gärten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gäste der Hochzeit, der glänzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fürstliche Gemahlin ist entflohen, der glänzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten, sind von dem Fürsten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen – er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, brütet Rache an seinen Feinden und weiß nicht, wie lange er nur in dem Haus seiner Väter bleiben wird. Ob nicht aufs neue seine Feinde noch mächtiger heranziehen, ob er nicht noch unglücklicher wird als je zuvor!

Vergeblich strebte der Jüngling, diese trüben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebung mit dem Unglück des Herzogs in ihm erweckt hatte, zu unterdrücken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte, vergeblich malte er sich sein häusliches Glück an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus; jene trüben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, daß jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglück gezeigt hatte, einen so großen Raum in der Brust des Jünglings gewonnen hatte, sei es, daß ihn die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkürlichen Gefühl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst, und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als glücklich, als müsse er ihn vor irgendeinem drohenden Unglück warnen.

»So überaus ernst, junger Herr?« fragte eine heisere Stimme hinter ihm, und weckte ihn aus seinen Gedanken. »Ich dächte doch, Georg von Sturmfeder hätte alle Ursache, heiter und guter Dinge zu sein!«

Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab – auf den Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall, da der Kanzler durch überladenen Putz seine Mißgestalt noch mehr herausgehoben hatte.

Dieser Mann war es, der an Georg von Sturmfeder mit süßem Lächeln hinaufsah, und da ihn dieser noch immer anstarrte, zu sprechen fortfuhr: »Ihr kennt mich vielleicht nicht, wertgeschätzter junger Freund, ich bin aber Ambrosius Volland, Sr. Durchlaucht Kanzler. Ich komme, um Euch einen guten Morgen zu wünschen.«

»Ich danke Euch, Herr Kanzler. Viel Ehre für mich, wenn Ihr Euch deswegen her bemühtet.«

»Ehre, wem Ehre gebührt! Ihr seid der Ausbund und die Krone unserer jungen Ritterschaft! Ja, wer meinem Herrn so treu beigestanden ist in aller Not und Fährlichkeit, der hat Anspruch auf meinen innigsten Dank und meine sonderliche Verehrung.«

»Ihr hättet das wohlfeiler haben können; wenn Ihr mitgezogen wäret nach Mömpelgard«, erwiderte Georg, den die Lobsprüche dieses Mannes beleidigten. »Treue muß man nie loben, eher Untreue schelten.«

Einen Augenblick blitzte ein Strahl des Zornes aus den grünen Augen des Kanzlers, aber er faßte sich schnell wieder zur alten Freundlichkeit. »Jawohl, das mein‘ ich auch. Was mich betrifft, so lag ich am Zipperlein hart danieder und konnte also nicht nach Mömpelgard reisen. Werde aber jetzt mit meinem kleinen Licht, das mir der Himmel verliehen; dem Herrn desto tätiger zur Hand gehen.«

Er hielt einen Augenblick inne und schien Antwort zu erwarten. Aber der Jüngling schwieg und maß ihn nur hin und wieder mit einem Blick, den er nicht recht ertragen konnte. »Nun, Euch wird die Freude erst recht angehen. Der Herzog hält erstaunlich viel von Euch! Natürlich, Ihr verdient es auch im höchsten Grad, und der Herzog hat seinen Liebling gut gewählt. Wollt doch erlauben, daß Ambrosius Volland Euch auch eine kleine Erkenntlichkeit zeige. Seid Ihr Freund von schönen Waffen? Kommt in meine Behausung auf dem Markt, wählt Euch aus meiner Armatur, was Euch beliebt. Vielleicht dienen Euch schöne Bücher, habe einen ganzen Kasten voll, wählt Euch aus, was Ihr wollt, wie es unter Freunden gebräuchlich. Eßt auch zuweilen bei mir zu Mittag, meine Base, ein feines Kind von siebzehn Jahren, hält mir Haus. Seht ihr nur, hi, hi, hi – seht ihr nur nicht zu tief in die Augen.«

»Seid ohne Sorgen, bin schon versehen.«

»So? Ei das ist recht christlich gedacht; das muß ich loben. Man trifft solchen wackern Sinn nicht immer unter unserer heutigen Jugend. Ich sagte es ja gleich, der Sturmfeder, das ist ein Ausbund von Tugenden. Nun, was ich noch sagen wollte, wir sind bis jetzt so miteinander die einzigen von des Herzogs Hofstaat; stehen wir zusammen; so werden nur Leute aufgenommen, die wir wollen. Versteht mich schon! Hi, hi, eine Hand wäscht die andere. Darüber läßt sich noch sprechen. Ihr beehrt mich doch zuweilen mit einem Besuch?«

»Wenn es meine Zeit erlauben wird, Herr Kanzler.«

»Würde mich gerne noch länger bei Euch aufhalten, denn in Eurer Gegenwart ist mir ganz wohl ums Herz, muß aber jetzt zum Herrn. Er will heute früh Gericht halten über die zwei Gefangenen, die gestern nacht das Volk aufwiegeln wollten. Wird was geben; der Beltle ist schon bestellt.«

»Der Beltle?« fragte Georg, »wer ist er?«

»Das ist der Scharfrichter, wertgeschätzter junger Freund.«

»Ich bitte Euch! Der Herzog wird doch nicht den ersten Tag seiner neuen Regierung mit Blut beflecken wollen!«

Der Kanzler lächelte grauenerregend und antwortete: »Was das wieder Eurem fürtrefflichen Herzen Ehre macht; aber zum Blutrichter taugt Ihr nicht. Man muß ein Exempel statuieren. Der eine«, fuhr er mit zarter Stimme fort, »der eine wird geköpft, weil er von Adel ist, der andere wird gehängt. Behüt Euch Gott, Lieber!«

So sprach der Kanzler Ambrosius Volland und ging mit leisen Schritten die Galerie entlang den Gemächern des Herzogs zu. Georg sah ihm mit düsteren Blicken nach. Er hatte gehört, daß dieser Mann früher durch seine Klugheit, vielleicht auch durch unerlaubte Künste, großen Einfluß auf Ulrich gewonnen hätte. Er hatte den Herzog selbst oft mit großer Achtung von der Staatsklugheit dieses Mannes sprechen hören. Aber er wußte nicht warum, er fürchtete für den Herzog, wenn er sich dem Kanzler vertraue, er glaubte Tücke und Falschheit in seinen Augen gelesen zu haben.

Er sah gerade den Höcker und den wehenden gelben Mantel um die Ecke schweben, als eine Stimme neben ihm flüsterte:

»Traut dem Gelben nicht!« Es war der Pfeifer von Hardt, der sich unbemerkt an seine Seite gestellt hatte.

»Wie? Bist Du es, Hans?« rief Georg und bot ihm freundlich die Hand. »Kommst Du ins Schloß, uns zu besuchen? Das ist schön von Dir, bist mir wahrhaftig lieber als der mit dem Höcker. Aber was wolltest Du mit dem Gelben, dem ich nicht trauen solle?«

»Das ist eben der mit dem Höcker, der Kanzler, der ist ein falscher Mann. Ich habe auch den Herzog gewarnt, er soll nicht alles tun, was er ihm rät; aber er wurde zornig, und es mag wahr sein, was er sagte.«

»Was sagte er denn? Hast Du ihn heute schon gesprochen?«

»Ich kam, um mich zu verabschieden, denn ich gehe wieder heim nach Hardt zu Weib und Kind. Der Herr war erst gerührt und erinnerte sich an die Tage seiner Flucht und sagte, ich soll mir eine Gnade ausbitten. Ich aber habe keine verdient, denn was ich getan, ist eine alte Schuld, die ich abgetragen. Da sage ich, weil ich nichts anders wußte, er solle mich meinen Fuchs frei schießen lassen und es nicht strafen als Jagdfrevel. Des lachte er und sprach: das könne ich tun, das sei aber keine Gnade; ich solle weiter bitten. Da faßte ich ein Herz und antwortete: Nun, so bitt‘ ich, Ihr mögt dem schlauen Kanzler nicht allzuviel trauen und folgen. Denn ich meine, wenn ich ihn sehe, er meint es falsch.«

»So geht es mir gerade auch«, rief Georg. »Es ist, als wolle er mir die Seele ausspionieren mit den grünen Augen, und ich wette, er meint es falsch. Aber was gab Dir der Herzog zur Antwort?«

»›Das verstehst Du nicht‹, sagte er und wurde böse. ›In Klüften und Höhlen magst Du wohl bewandert sein; aber im Regiment kennt der Kanzler die Schliche besser als Du.‹ Kann sein, ich habe unrecht, und es soll mir lieb sein um den Herzog. Nun lebt wohl, Junker, Gott sei mit Euch! Amen!«

»Und wolltest Du so gehen? Wolltest nicht noch zu meiner Hochzeit bleiben? Ich erwarte den Vater und das Fräulein heute. Bleibe noch ein paar Tage. Du warst so oft der Liebesbote und darfst uns nicht fehlen!«

»Was soll so ein geringer Mann wie ich bei der Hochzeit eines Ritters? Zwar könnte ich mich hinaufsetzen zu den Spielleuten und auch eines aufspielen zum Ehrentanz, aber das tun andere so gut als ich, und mein Haus verlangt nach mir.«

»Nun; so lebe wohl! Grüße mir Dein Weib und Bärbele, Dein schmuckes Töchterlein, und besuche uns fleißig auf Lichtenstein. Gott sei mit Dir.«

Dem Jüngling hing eine Träne im Auge, als er dem Bauer die Hand zum Abschied bot, denn er hatte in ihm einen kräftigen biederen Mann, einen treuen Diener seines Fürsten, einen mutigen Genossen in Gefahren und einen heiteren Gesellen im Unglück erkannt. Wohl schwebte ihm noch manche Frage über das geheimnisvolle Walten dieses Mannes, über seine wunderbare Anhänglichkeit an den Herzog auf den Lippen; aber er unterdrückte sie, überwältigt von jener unerklärlichen Macht, von jener natürlichen Größe und Würde, welche den Pfeifer von Hardt auch im unscheinbaren Gewand des Bauers umgab.

»Noch eins!« rief Hans, als er eben nach dem letzten Händedruck des Junkers scheiden wollte. »Wißt Ihr auch, daß Euer ehemaliger Gastfreund und zukünftiger Vetter, Herr von Kraft, hier ist?«

»Der Ratsschreiber? Wie sollt‘ der hierher kommen? Er ist ja bündisch.«

»Er ist hier, und nicht gerade in anmutigsten Umständen denn er sitzt gefangen. Gestern abend, als das Volk zusammenlief wegen des Herzogs, soll er für den Bund öffentlich gesprochen haben.«

»Gott im Himmel! Das war Dietrich Kraft, der Ratsschreiber? Da muß ich schnell zum Herzog, er richtet schon über ihn, und der Kanzler will ihn köpfen lassen. Gehab‘ Dich wohl!«

Mit diesen Worten eilte der Jüngling den Korridor entlang zu den Gemächern des Herzogs. Er war in Mömpelgard zu allen Tageszeiten zum Herzog gegangen, daher machten ihm auch jetzt die Torhüter ehrerbietig Platz. Er trat hastig in das Gemach. Der Herzog sah ihn verwundert und etwas unwillig an; der Kanzler aber hatte das ewige süße Lächeln wie eine Larve vorgehängt.

»Guten Morgen, Sturmfeder!« rief der Herzog, der in einem grünen, goldgestickten Kleid, den grünen Jagdhut auf dem Kopf, am Tisch saß. »Hast Du gut geschlafen in meinem Schloß? Was führt Dich schon so früh zu Uns? Wir sind beschäftigt.«

Die Augen des jungen Mannes hatten indessen unruhig im Zimmer umhergeschweift und den Schreiber des Ulmer Rats in einer Ecke gefunden. Er war blaß wie der Tod, sein sonst so zierliches Haar hing in Verwirrung herab, und ein rosenfarbiges Mäntelein, das er über ein schwarzes Kleid trug, war in Fetzen zerrissen. Er warf einen rührenden Blick auf den Junker Georg und sah dann auf zum Himmel, als wollte er sagen: »Mit mir ist’s aus!« Neben ihm standen noch einige Männer, und auch ein langer, hagerer Mann, den er schon gesehen zu haben sich erinnerte. Die Gefangenen wurden von Peter, dem tapfern Magdeburger, und dem Staberl aus Wien bewacht. Sie standen mit ausgespreizten Beinen, die Hellebarden auf den Boden gestemmt, kerzengerade auf ihrem Posten.

»Ich sag‘, Wir haben zu tun«, fuhr der Herzog fort. »Was schaust Du nur immer nach dem rosenfarbigen Menschenkind? Das ist ein verstockter Sünder. Das Schwert wird schon für ihn gewetzt.«

»Euer Durchlaucht erlauben mir nur ein Wort«, entgegnete Georg, »Ich kenne jenen Mann und wollte mich mit Hab und Gut für ihn verbürgen, daß er ein friedlicher Mann ist, und gewiß kein Verbrecher, der den Tod vediente.«

»Bei St. Hubertus, das ist kühn! Die Natur hat sich geändert. Mein Kanzler, der treffliche Jurist, hat sich aufgeputzt wie ein junger Krieger, und mein junger Krieger dort will den Advokaten machen. Was sagt Ihr dazu, Ambrosius Volland?«

»Hi, hi! Ich habe Euer Durchlaucht durch meine Person Spaß machen wollen. Weiß aus früherer Zeit, daß Ihr einen kleinen Scherz liebt. Nun der liebe gute Sturmfeder will die Lustbarkeit vermehren und den Juristen spielen. Hi, hi, hi! Wird ihm aber nichts helfen, dem Rosenfarbigen. Majestätsverbrechen! Wird halt doch geköpft, der im Mäntelein.«

»Herr Kanzler«, rief der Jüngling, vor Unmut glühend, »der Herr Herzog wird mir bezeugen können, daß ich mich nie zum Schalksnarren hergegeben habe. Diese Rolle mache ich anderen nicht streitig. Und mit Menschenleben spiele und scherze ich nie! Es ist mein wahrer Ernst. Ich verbürge mich mit meinem Leben für gegenwärtigen Edlen von Kraft, Ratsschreiber in Ulm. Ich hoffe, meine Bürgschaft kann angenommen werden.«

»Wie?« sagte Ulrich. »Das ist wohl der zierliche Herr, Dein Gastfreund, von dem Du mir so oft erzähltest? Tut mir leid um ihn, aber er wurde in einem Aufruhr unter sehr gefährlichen Umständen gefangen.«

»Freilich!« krächzte Ambrosius, »ein Crimen laesae majestatis

»Erlaubt Herr! Ich hab die Rechte lang genug studiert, um zu wissen, daß hier durchaus nicht von einem solchen Verbrechen die Rede sein kann. Gestern nacht waren die Bundesräte und der Statthalter noch hier, folglich war Stuttgart noch in der Gewalt des Bundes, und der Ratsschreiber, der durchaus kein Untertan Sr. Durchlaucht ist, hat nicht anders gehandelt als jeder bündische Soldat, der auf Befehl seines Oberen gegen uns zu Feld zog.«

»Ei, die Jugend, die Jugend! Wie Ihr alles überhaspelt, junger, sehr wertgeschätzter Freund! Sobald der Herzog die Stadt aufgefordert hatte und eingezogen war, war auch alles, was in den Mauern sich befand, sein. Folglich, wer eine Verschwörung gegen ihn anzettelte, ist ein Majestätsverbrecher. Besagter Herr von Kraft aber hat schrecklich gefährliche Reden an das Volk gehalten.«

»Nicht möglich! Es wäre ganz gegen seine Art und Weise! Herr Herzog, das kann nicht sein!«

»Georg!« sagte dieser ernst. »Wir haben lange Geduld gehabt, Dich anzuhören. Es hilft Deinem Freund doch nichts. Hier liegt das Protokoll. Der Kanzler hat, ehe ich kam, ein Zeugenverhör angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir müssen ein Exempel statuieren. Wir müssen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden; der Kanzler hat ganz recht. Darum kann ich keine Gnade geben.«

»So erlaubt mir nur noch eine Frage an ihn und die Zeugen, nur ein paar Worte.«

»Ist gegen alle Form Rechtens«, fiel der Kanzler ein. »Ich muß dagegen protestieren, Lieber! Dies ist ein Eingriff in mein Amt.«

»Laß ihn, Ambrosius. Mag er meinetwegen noch ein paar Fragen an den armen Sünder tun, er ist doch verloren.«

»Dietrich von Kraft«, fragte Georg, »wie kommt Ihr hierher?«

Der arme Ratsschreiber, den der Tod schon an der Kehle gefaßt hatte, verdrehte die Augen und seine Zähne schlugen aneinander. Endlich konnte er herausstoßen: »Bin hierher geschickt worden vom Rat, wurde Schreiber beim Statthalter.«

»Wie kamt Ihr gestern nacht zu den Bürgern von Stuttgart?«

»Der Statthalter befahl mir abends, wenn etwa die Bürger sich aufrührerisch zeigten, sie anzureden und zu ihrer Pflicht und ihrem Eid zu verweisen.«

»Ihr seht, er kam also auf höheren Befehl dorthin – Wer nahm Euch gefangen?« fuhr Georg zu fragen fort.

»Der Mann, der neben Euch steht.«

»Ihr habt diesen Herrn gefangen? Also müßt Ihr auch gehört haben, was er sprach? Was sagte er denn?«

»Ja, was wird er gesagt haben?« antwortete der Bürger. »Er hat keine sechs Worte gesprochen, so warf ihn der Bürgermeister Hartmann von der Bank herunter. Ich weiß noch, er hat gesagt: ›Aber bedenkt, ihr Leute, was wird der durchlauchtigste Bundesrat dazu sagen!‹ Das war alles, da nahm ihn der Hartmann beim Kragen und warf ihn herunter. Aber dort, der Doktor Calmus, der hielt eine längere Rede.«

Der Herzog lachte, daß das Gemach dröhnte, und sah bald Georg, bald den Kanzler an, der ganz bleich und verstört sich umsonst bemühte, sein Lächeln beizubehalten. »Das war also die gefährliche Rede, das Majestätsverbechen? ›Was wird der Bundesrat dazu sagen!‹ Armer Kraft! Wegen dieses kraftvollen Sprüchleins verfielst Du beinahe dem Scharfrichter. Nun, das haben selbst unsere Freunde oft gesagt: ›Was werden die Herren sagen, wenn sie hören, der Herzog ist im Land.‹ Deswegen soll er nicht bestraft werden. Was sagst Du dazu, Sturmfeder?«

»Ich weiß nicht, was Ihr für Gründe habt, Herr Kanzler«, sagte der Jüngling, indem sein Auge noch immer von Unmut strahlte, »die Sachen so auf die Spitze zu stellen und dem Herrn Herzog zu Maßregeln zu raten, die ihn überall – ja ich sage es, die ihn überall als einen Tyrannen ausschreien müssen. Wenn es nur Diensteifer ist, so habt Ihr diesmal schlecht gedient.«

Der Kanzler schwieg und warf nur einen grimmigen, stechenden Blick aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann. Der Herzog aber stand auf und sprach: »Laß mir mein Kanzlerlein gehen; diesmal freilich war er zu streng. Da – nimm Deinen rosenroten Freund mit Dir. Gib ihm zu trinken auf die Todesangst, und dann mag er laufen, wohin er will. Und Du, Hund von einem Doktor, der Du zu schlecht zu einem Hundedoktor bist, für Dich ist ein württembergischer Galgen noch zu gut. Gehängt wirst Du doch noch einmal, ich will mir die Mühe nicht geben. Langer Peter, nimm diesen Burschen, binde ihn rückwärts auf einen Esel und führe ihn durch die Stadt. Und dann soll man ihn nach Eßlingen führen – zu den hochweisen Räten, wo er und sein Tier hingehören. Fort mit ihm!«

Die Züge des Doktor Kahlmäuser, in welchen schon der Tod gesessen war, heiterten sich auf. Er holte freier Atem und verbeugte sich tief. Peter, Staberl und der Magdeburger fielen mit grimmiger Freude über ihn her, luden ihn auf ihre breiten Schultern und trugen ihn weg.

Der Ratsschreiber von Ulm vergoß Tränen der Rührung und Freude. Er wollte dem Herzog den Mantel küssen, doch dieser wandte sich ab und winkte Georg, den Gerührten zu entfernen.

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Kapitel 30

Kapitel 30

Der Schreiber des großen Rates schien noch nicht Fassung genug erlangt zu haben, um auf dem Weg durch die Gänge und Galerien des Schlosses die vielen Fragen seines Erretters zu beantworten. Auf Georgs Zimmer angekommen, sank er erschöpft auf einen Stuhl, und es verging noch eine gute Weile, ehe er geordnet zu denken und zu antworten vermochte.

»Eure Politia, Vetter, hat Euch einen schlimmen Streich gespielt«, sagte Georg, »was fällt Euch aber auch ein, in Stuttgart als Volksredner auftreten zu wollen? Wie konntet Ihr überhaupt nur Eure bequeme Haushaltung, die sorgsame Pflege der Amme und die Nähe der holden Berta fliehen, um hier dem Statthalter zu dienen?«

»Ach! Sie ist es ja gerade, die mich in den Tod geschickt hat. Berta ist an allem schuld. Ach, daß ich nie mein Ulm verlassen hätte! Mit dem ersten Schritt über unsere Markung fing mein Jammer an.«

»Berta hat Euch fortgeschickt?« fragte Georg. »Wie, seid Ihr nicht zum Ziel Eurer Bemühungen gelangt? Sie hat Euch abgewiesen, und aus Verzweiflung seid Ihr -.«

»Gott behüte! Berta ist so gut als meine Braut. Ach, das ist gerade der Jammer! Wie Ihr von Ulm abgezogen waret, bekam ich Händel mit Frau Sabina, der Amme. Da entschloß ich mich und hielt bei meinem Oheim um das Bäschen an. Nun habt Ihr aber dem Mädchen durch Euer kriegerisches Wesen gänzlich den Kopf verrückt. Sie wollte, ich solle vorher zu Feld ziehen und ein Mann werden wie Ihr. – Dann wolle sie mich heiraten. Ach, Du gerechter Gott!«

»Und da seid Ihr förmlich zu Feld gezogen gegen Württemberg? Welche kühne Gedanken das Mädchen hat!«

»Bin zu Feld gezogen; die Strapazen vergesse ich in meinem Leben nicht! Mein alter Johann und ich rückten mit dem Bundesheer aus. Das war ein Jammer! Mußten oft täglich acht Stunden reiten. Die Kleider kamen in Unordnung, alles wurde bestaubt und unsauber, der Panzer drückte mich wund. Ich hielt es nicht mehr aus, und Johann lief heim nach Ulm; da bat ich um eine Stelle bei der Feldschreiberei, mietete mir eine Sänfte und zwei tüchtige Saumrosse dazu, und so ging es doch erträglicher.«

»Da wurdet Ihr also zu Feld getragen, wie der Hund zum Jagen. Habt Ihr auch einem Treffen beigewohnt?«

»Oh ja, bei Tübingen kam ich hart ins Gedränge. Keine zwanzig Schritte von mir wurde einer mausetot geschossen. Ich vergesse den Schreck nicht, und wenn ich achtzig Jahre alt werde! Als wir dann das Land völlig besiegt hatten, bekam ich die ehrenvolle Stelle beim Statthalter. Wir lebten ruhig und im Frieden, da kommt auf einmal wieder der unruhige Herr ins Land. Ach, daß ich meinem Kopf gefolgt und mit dem Bundesobersten nach Nördlingen auf den Bundestag gezogen wäre! Aber ich scheute die beschwerliche Reise.«

»Warum seid Ihr aber nicht mit dem Statthalter davongegangen, als wir kamen? Der sitzt jetzt im Trockenen in Eßlingen, bis wir ihn weiter jagen.«

»Er hat uns im Stich gelassen und meinem Kopf alles anvertraut, und beinahe hätte ich mit dem Kopf dafür büßen müssen. Ich dachte nicht, daß die Gefahr so groß sei, ließ mich vom Doktor Calmus verführen, eine Rede ans Volk zu halten, um Württemberg dem Bund zu retten. Das hätte gewiß Aufsehen gemacht, und Berta wäre noch einmal so freundlich gewesen. Aber die Leute da unten in Württemberg sind Barbaren und ohne alle Lebensart; sie ließen mich nicht einmal zu Wort kommen, warfen mich herab und behandelten mich ganz gemein und grob. Seht nur meinen Mantel da, wie sie ihn zerrissen haben! Es ist schade dafür, er hat mich vier Goldgulden gekostet, und Berta behauptet immer, daß mir rosenfarb so gut zu Gesicht stehe.«

Georg wußte nicht, ob er über die Torheit des Schreibers lachen, oder es als hohen stoischen Gleichmut bewundern sollte, daß er, kaum dem Tod entgangen, sein zerrissenes Mäntelein bedauern konnte. Er wollte ihn noch weiter über sein Schicksal befragen, als ihn ein Geräusch vom Vorplatz des Schlosses her ans Fenster lockte; er sah hinaus und winkte Herrn Dietrich herbei, um ihm das Schauspiel gefallener irdischer Größe zu zeigen.

Der Doktor Calmus hielt seinen Umzug durch die Stadt. Er saß verkehrt auf einem Esel; die Landsknechte hatten ihn wunderlich ausgeschmückt; sie hatten ihm eine Mütze von Leder aufgesetzt, an deren Spitze eine Hahnenfeder angebracht war. Vor ihm gingen zwei Trommler, zu seinen Seiten sah man in gravitätischen Schritten den Magdeburger und den Wiener, den ehemaligen Hauptmann Muckerle und seinen tapfern Obersten gehen, die hin und wieder mit den Enden ihrer Hellebarden den Esel zu kühnen Sprüngen antrieben. Ein ungeheurer Volkshaufen umschwärmte ihn und bewarf ihn mit Eiern und Erde.

Der Ratsschreiber schaute trübselig auf seinen Gefährten hinab und seufzte: »’s ist hart, auf dem Esel reiten zu müssen«, sagte er, »aber doch immer noch besser, als gehängt werden.« Er wandte sich von dem Schauspiel ab und blickte nach einer anderen Seite des Schloßplatzes. »Wer kommt denn hier?« fragte er den jungen Ritter. »Schaut, in einem solchen Kasten zog ich zu Felde.«

Georg wandte sich um. Er sah einen Zug von Reisigen, die eine Sänfte in ihrer Mitte führten. Ein alter Herr zu Pferd folgte dem Zug, der jetzt aufs Schloß einbog, Georg sah schärfer hinab: »Sie sind’s«, rief er, »wahrhaftig, es ist der Vater, und in der Sänfte wird sie sitzen!« In einem Sprung war er zur Tür hinaus, und der Ratsschreiber sah ihm staunend nach. »Wer soll es sein, welcher Vater?« fragte er. Er schaute noch einmal durchs Fenster, die Sänfte hielt vor der Zugbrücke des Schlosses, und in demselben Augenblick stürzte Georg aus dem Tor. Herr Dietrich sah ihn die Tür der Sänfte ungestüm aufreißen, eine verschleierte Dame stieg aus, sie schlug den Schleier zurück – und wunderbar! Es war das Bäschen Marie von Lichtenstein. »Ei, seh doch einer? Er küßt sie auf öffentlicher Straße«, sprach der Ratsschreiber kopfschüttelnd vor sich hin, »was das eine Freude ist! Aber wehe, jetzt kommt der Alte um die Sänfte herum, der wird Augen machen! Der wird schimpfen! – Doch wie? Er nickt dem Jüngling freundlich zu, er steigt ab, er umarmt ihn. Nein, das geht nicht mit rechten Dingen zu!«

Und dennoch schien es durchaus mit rechten Dingen zuzugehen; denn als der Schreiber des großen Rates aus dem Zimmer auf die Galerie trat, um sich zu überzeugen, daß ihn seine Augen getäuscht haben müßten, kam sein Oheim, der alte Herr von Lichtenstein, die Treppe herauf. An der rechten Hand führte er Georg von Sturmfeder, an der linken – Bäschen Marie. Welche Veränderung war mit jenen holden Zügen vorgegangen, die sich so tief in sein Herz, in sein Gedächtnis geprägt hatten.

In Ulm war sie ihm zum ersten Mal wie ein Bote aus einem unbekannten Land erschienen, so erhaben war der Blick ihrer schönen blauen Augen, so majestätisch ihre Stirn, so sinnig jenes kleine Fleckchen zwischen den schönen, dunkeln Bogen der Brauen. Er hatte oft und viel darüber nachgedacht, worin denn der Zauber bestehe, der ihn so unwiderstehlich fessle? Die Ulmer Mädchen hatten frischere Wangen, lebhaftere Augen, ein schalkhafteres Lächeln und den fröhlichen, frischen Glanz einer heiteren Jugend. Und dennoch war Marie unter ihnen gestanden, still und groß wie eine Königin. War es vielleicht der dunkle Schleier ihrer Wimpern, der sich oft mit unnennbarem Reiz über das Auge herabsenkte, um das Geheimnis einer stillen Träne zu verhüllen? Waren es die feinen, geschlossenen Lippen, von süßer Wehmut umlagert? War es der zarte Wechsel der Farben auf ihren Zügen, die bald nur gebietende Hoheit auszustrahlen, bald das reizende Geheimnis leidender Liebe zu verraten schienen? Bertas Heiterkeit, Bertas fröhliche, neckende Gunst hatten dieses ernstere Bild längst aus seinem Herzen verdrängt, und doch fühlte der arme Herr Dietrich die alte Wunde wieder bluten, als das Fräulein von Lichtenstein sich nahte. Aber welcher unbekannten Macht sollte er es zuschreiben, daß Mariens Züge einen ganz anderen Ausdruck gewonnen hatten? Wohl lag noch eine hohe Würde in ihrer Haltung, auf ihrer Stirn, aber in ihren Augen glühte eine stille Freude, ihr Mund lächelte und scherzte, auf ihren Wangen waren die schönsten Rosen aufgeblüht. Sprachlos hatte Dietrich von Kraft diese Erscheinung angestarrt, und jetzt erst wurde auch er von dem alten Ritter bemerkt. »Seh‘ ich recht«, rief dieser. »Dietrich Kraft, mein Neffe! Was führt denn Dich nach Stuttgart, kommst Du etwa zur Hochzeit meiner Tochter mit Georg von Sturmfeder? Aber wie siehst Du aus? Was fehlt Dir doch? Du bist so bleich und elend, und Deine Kleider hängen Dir in Fetzen vom Leib?«

Der Ratsschreiber sah herab auf das rosenfarbige Mäntelein und errötete. »Weiß Gott«, rief er, »ich kann mich vor keinem ehrlichen Menschen sehen lassen! Diese verdammten Württemberger, diese Weingärtner und Schustersjungen haben mich so zerfetzt. Aber wahrhaftig! Der ganze durchlauchtige Bund ist in meiner Person angegriffen und beleidigt!«

»Ihr dürft froh sein, Vetter, daß Ihr so davongekommen seid«, sagte Georg, indem er die Angekommenen in sein Gemach einführte. »Bedenkt, Herr Vater, gestern nacht, als wir vor den Toren standen, hielt er Reden an die Bürger, um sie gegen uns aufzuwiegeln. Da hat ihn heute früh der Kanzler wollen köpfen lassen. Mit großer Mühe bat ich ihn los, und jetzt klagt er die Württemberger wegen seines zerfetzten Mänteleins an.«

»Mit gnädiger Erlaubnis«, sagte Frau Rosel, und verbeugte sich dreimal vor dem Ratsschreiber, »wenn Ihr meine Hilfe annehmen wollt, so will ich den Mantel flicken, daß es eine Lust ist. Da geht’s wie im Sprichwort: ›Hat der Junge den Rock zerrissen, hat der Alt‘ ihn flicken müssen‹.«

Herrn Dietrich war diese Hilfe sehr angenehm. Er bequemte sich, zu der Frau Rosel ans Fenster zu sitzen, um sich seine Gewänder zurechtrichten zu lassen. Sie zog aus ihrer großen Ledertasche Zwirn von allen Farben und machte sich an die Wunden, die ihm die Württemberger geschlagen hatten. Sie unterhielt ihn dabei mit ergötzlichen Reden von der Haushaltung und der Zubereitung verschiedener Speisen, die in Frau Sabinas Kochregister nicht vorgekommen waren. Entfernt von diesem Paar, um die ganze Breite des Zimmers, saßen Georg und Marie im traulichen Flüstern der Liebe.

Der Leser wird uns Dank wissen, wenn wir ihn von dieser Szene hinwegführen und den Schritten des Ritters von Lichtenstein folgen. Er hatte seine Tochter unter der Pflege Georgs, seinen Neffen unter der kunstreichen Hand von Frau Rosalie gelassen, und schritt nun den Gemächern des Herzogs zu. Seine Züge, welchen Alter und Erfahrung einen sinnenden Ernst eingedrückt hatten, erschienen in dieser Stunde noch ernster – beinahe traurig. Dieser Mann hatte von seinen Vätern die Liebe zum Haus Württemberg geerbt, Gewohnheit und Neigung hatten ihn an die Regenten gefesselt, die während seines langen Lebens über Württemberg geherrscht hatten, und das Unglück und die Verleumdung, welche auf Ulrich unablässig hereinstürmten, hatten das Herz des alten Herrn nicht von diesem Herzog losreißen können, sie fesselten ihn nur mit noch stärkeren Banden. Mit der Freude eines Bräutigams, der zur Hochzeit zieht, mit der Kraft eines Jünglings, hatte er den weiten und beschwerlichen Weg von seinem Schloß nach Stuttgart zurückgelegt, als man ihm gemeldet hatte, daß der Herzog Leonberg erobert habe und auf Stuttgart zuziehe. Keinen Augenblick zweifelte er am Sieg des Herzogs, und so traf es sich, daß er schon am andern Morgen der neuen Herrschaft Ulrichs nach Stuttgart kam.

Nicht so fröhlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. »Der Herzog«, hatte ihm jener zugeflüstert, »der Herzog ist nicht so, wie er sollte; Gott weiß, was er mit seinem Land machen will; er hat unterwegs sonderbare Reden fallen lassen, und ich fürchte, er ist nicht in den besten Händen. Der Kanzler Ambrosius Volland -.« Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein große Besorgnisse zu erregen. Er kannte diesen Volland, er wußte, daß er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschäften überaus wohl erfahren, zu jedem, auch dem schwersten Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon öfter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe.

»Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschläge befolgt, dann sei Gott gnädig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stück Leder, das man nach Willkür handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller für den Herzog, und die Abschnitzel für sich behalten. Aber, wie Frau Rosel zu sagen pflegt: Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennähen?« So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging, er streichelte unmutig seinen langen, weißen Bart, und seine Augen glühten vor Eifer für die gute Sache Württembergs.

Er wurde sogleich vorgelassen und traf den Herzog in großer Beratung mit Ambrosius. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Tinte in vielen zierlichen Schnörklein beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem großen Siegel, das er in der Hand hielt; er schien mit sich zu kämpfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Siegel. Sie waren beide so vertieft, daß Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit großer Teilnahme die edlen Züge Ulrichs von Württemberg. Er sah, wie auf seiner Stirn, in seinen sprechenden Augen so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirn, seine Augenbrauen zuckten, sein Auge rollte, dann glätteten sich diese Falten. Aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken überging, und oft schien ein Anflug von Güte den strengen Ausdruck seiner Züge zu mildern. Aber der im gelben Mäntelein, mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm! Er wand und drehte sich vor ihm wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Lächeln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen grünen Äuglein zu geben wußte, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen, den Apfel anzubeißen.

»Ich kann nicht begreifen«, sprach er mit heiserer, feiner Stimme, »warum Ihr es nicht tun mögt. Hat wohl Cäsar so lange gezaudert, als er über den Rubikon ging? Ein großer Mann hat große Mittel nötig, und die Mitwelt und die Nachwelt wird Euch preisen, daß Ihr diese Fesseln von Euch geworfen.«

»Weißt Du dies so gewiß, Ambrosius Volland?« entgegnete der Herzog, indem er ihn düster anblickte. »Man wird sagen Herzog Ulrich war ein Tyrann. Er hat die alte Ordnung umgestoßen, die seinen Vätern heilig war, er hat den Vertrag, den er selbst aufgerichtet, gebrochen, er hat sein Land wie ein fremdes behandelt, er hat die Gesetze nicht gehalten, die -.«

»Erlaubt«, unterbrach ihn jener, »es kommt nur allein auf die Frage an: Wer ist Herr? Der Herzog oder das Land? Wenn das Land Herr ist, dann ist’s was anderes. Dann freilich sind allerlei Fakten, Verträge und Klauseln und dergleichen nötig. Die Ritterschaft, die Prälaten und die Landschaft sind dann Meister, und Euer Durchlaucht – nun, sind dann der, welcher den Namen dazu hergibt. Seid Ihr aber, was man so eigentlich Herr nennt, dann seid Ihr es auch, der Gesetze gibt. Jetzt habt Ihr das Heft in der Hand; jetzt noch seid Ihr Herr und Meister. Drum fort mit dem alten Recht, hier ist ein neues – da, nehmt in Gottes Namen die Feder, unterzeichnet!«

Der Herzog stand noch eine Weile unschlüssig, seine Wangen glühten, seine ganze Gestalt richtete sich höher auf, aber sein Auge haftete am Boden. Jetzt schlug er es auf, und es blitzte vom Gefühl seiner Würde. »Ich heiße Württemberg«, sagte er. »Ich bin das Land und das Gesetz – ich unterschreibe.« Er streckte die Rechte aus, die Schwanenfeder aus der Hand seines Kanzlers zu empfangen, aber mit sanfter Gewalt wurde sein Arm von einer fremden Hand ergriffen und weggezogen. Erstaunt sah er sich um und blickte in die ruhigen, aber ernsten Züge des Ritters von Lichtenstein.

»Ha! Willkommen!« rief er, »mein getreuer Lichtenstein. Sogleich steh ich Euch Rede, laßt mich nur zuvor dies Pergament unterzeichnen.«

»Erlauben Euer Durchlaucht«, sagte der alte Mann, »Ihr habt mir eine Stimme zugesagt in Eurem Rat, darf ich nicht auch um die erste Verordnung wissen, die Ihr an Euer Land ergehen laßt?«

»Mit Euer Hochedlen Erlaubnis«, fiel Ambrosius Volland hastig ein, »das Ding hat Eile; die Bürgerschaft von Stuttgart versammelt sich schon auf der Wiese. Diese Schrift muß ihr vorgelesen werden. Es hat wahrhaftig Eile.«

»Nun, Ambrosius!« sagte der Herzog, »so gar eilig ist es nicht, daß wir Unserem alten Freund die Sache nicht mitteilen sollten. Wir haben nämlich beschlossen, Uns huldigen zu lassen, und zwar nach neuen Verträgen und Gesetzen. Die alten sind null und nichtig.«

»Das habt Ihr beschlossen? Um Gottes willen, habt Ihr auch bedacht, zu was dies führt? Habt Ihr nicht erst vor wenigen Jahren den Tübinger Vertrag beschworen?«

»Tübingen!« rief der Herzog mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen vor Zorn glühten. »Tübingen! Nenne dies Wort nicht mehr! Dort hatte ich all meine Hoffnung, dort war mein Land, meine Kinder, ha! Und dort haben sie mich verraten und verkauft. Ich bat, ich flehte, sie sollten zu mir halten, ich wollte Gut und Blut mit ihnen teilen – nichts! Man wollte von Ulrich nichts mehr. Das neue Regiment gefiel ihnen besser; im Elend haben sie mich schmachten lassen, haben zugegeben, daß ihr Herzog in der Verbannung war, haben geduldet, daß der Name Württemberg ein Hohngelächter wurde in allen Reichen – jetzt bin ich wieder Herr und Meister und habe das Heft in der Hand, und will mir’s nicht wieder aus der Hand winden lassen. Haben Sie ihren Eid vergessen, bei Sankt Hubertus, so ist mein Gedächtnis auch nicht länger. Tübinger Vertrag? Ich sag‘, der Teufel soll alles holen, was mit diesem Namen sich verknüpft!«

»Aber bedenken Euer Durchlaucht!« sprach Lichtenstein, von diesem Ausbruch der Leidenschaft erschüttert, »bedenkt doch, welchen Eindruck ein solcher Schritt auf das Land machen muß. Noch habt Ihr nichts als Stuttgart und die Umgegend; noch liegen in Urach, Asperg, Tübingen, Göppingen überall bündische Besatzungen. Wird die Landschaft Euch beistehen, den Bund zu versagen, wenn sie hört, auf welche neue Ordnung sie huldigen soll?«

»Ich sag‘: Ist mir die Landschaft beigestanden, als ich Württemberg mit dem Rücken ansehen mußte? Sie haben mich laufen lassen und dem Bund gehuldigt!«

»Vergebt mir, Herr Herzog«, entgegnete der Alte mit bewegter Stimme, »dem ist nicht so. Ich weiß noch wohl den Tag bei Blaubeuren. Wer hielt da zu Euch, als die Schweizer abzogen? Wer bat Euch, nicht vom Land zu lassen; wer wollte Euch sein Leben opfern? Das waren achttausend Württemberger. Habt Ihr den Tag vergessen?«

»Ei, ei, Wertester!« sagte der Kanzler, dem es nicht entging, welchen mächtigen Eindruck diese Worte auf Ulrich machten. »Ei! Ihr sprecht doch auch etwas zu kühn. Ist übrigens jetzt auch gar nicht die Rede von damals, sondern von jetzt. Die Landschaft ist von der alten Huldigung gänzlich abgekommen, hat dem Bund eine andere Huldigung getan; Seine Durchlaucht ist jetzt als ein neuangekommener Herr anzusehen, er hat dies Land mit Gewalt erobert; hat sich nun der Bund auf besondere Verträge huldigen lassen, so kann es der Herzog ebenso halten. Neuer Herr, neu Gesetz. Man kann sich in allewege nach eigenem Gutdünken huldigen lassen. Soll ich die Feder eintauchen, gnädiger Herr?«

»Herr Kanzler!« sagte Lichtenstein mit fester Stimme. »Habe alle mögliche Ehrfurcht vor Eurer Gelehrtheit und Einsicht, aber was Ihr da sagt, ist grundfalsch und kein guter Rat. Jetzt gilt es, zu wissen, wen das Volk liebt. Der Bund hat durch sein Walten im Land alles gegen sich aufgebracht; es war die rechte Zeit, daß Seine Durchlaucht wiederkam, jetzt fliegen ihm alle Herzen zu. Wird er sie nicht gewaltsam von sich stoßen, wenn er alles Alte umreißt und nach eigener, neuer Satzung schaltet und waltet? Oh, bedenkt, die Liebe eines Volkes ist eine mächtige Stütze!«

Der Herzog stand mit untergeschlagenen Armen da, düster vor sich hinblickend, er antwortete nicht. Desto eifriger tat dies der Kanzler im gelben Mäntelein. »Hi, hi, hi! Wo habt Ihr die schönen Sprüchlein her, Liebwerter, Hochgeschätzter? Liebe des Volkes, sagt Ihr? Schon die Römer wußten, was davon zu halten sei. Seifenblasen, Seifenblasen! Hätt‘ Euch für gescheiter gehalten. Wer ist denn das Land? Hier, hier steht es in persona, das ist Württemberg, dem gehört’s, hat’s geerbt und jetzt noch dazu erobert. Volksliebe! Aprilwetter! Wäre ihre Liebe so stark gewesen, so hätten sie nicht dem Bund gehuldigt.«

»Der Kanzler hat recht!« rief Ulrich, aus seinen Gedanken erwachend. »Du magst es gut meinen, Lichtenstein. Aber er hat diesmal recht. Meine Langmut hat mich zum Land hinausgetrieben; jetzt bin ich wieder da, und sie sollen fühlen, daß ich Herr bin. Die Feder her, Kanzler, ich sag‘, so will ich’s; so wollen wir Uns huldigen lassen!»

»Oh Herr, tut nichts in der ersten Hitze! Wartet, bis Euer Blut sich abkühlt. Ruft die Landschaft zusammen, macht Änderungen nach Eurem Sinn, nur jetzt nicht, nur nicht, solange der Bund noch Land in Württemberg besitzt; es könnte Euch bei den übrigen schaden. Gestattet nur noch eine kurze Frist.«

»So?« unterbrach ihn der Kanzler. »Daß man dann allgemach wieder in das alte Wesen hineinkommt? Gebt acht, wenn die Landschaft erst beisammen ist, wenn sie sich erst zusammen beraten, meint Ihr, da werden sie so gutwillig nachgeben? Hi, hi! Da wird man Gewalt anwenden müssen, und das macht erst verhaßt. Schmiedet das Eisen, solange es warm ist. Oder gelüstet Euer Durchlaucht, wieder ganz gehorsam unter das alte Joch zu stehen und den Karren zu ziehen?«

Der Herzog antwortete nicht. Er riß mit einer hastigen Bewegung Feder und Pergament dem Kanzler aus der Hand, warf einen schnellen, durchdringenden Blick auf ihn und den Ritter, und ehe noch dieser es verhindern konnte, hatte Ulrich seinen Namen unterzeichnet. Der Ritter stand in stummer Bestürzung, er senkte bekümmert das Haupt auf die Brust herab. Der Kanzler blickte triumphierend auf den Ritter und den Herzog. Doch dieser ergriff eine silberne Glocke, die auf dem Tisch stand und klingelte. Ein Diener erschien und fragte nach seinem Befehl.

»Ist die Bürgerschaft versammelt?« fragte er.

»Ja, Euer Durchlaucht! Auf den Wiesen gegen Cannstatt sind sie versammelt, Amt und Stadt; die Landsknechte rücken soeben aus, sechs Fähnlein.«

»Die Landsknechte? Wer gab die Erlaubnis?«

Der Kanzler zitterte bei dem Ton dieser Frage. »Es ist nur wegen der Ordnung«, sagte er, »ich habe gedacht, weil es bei solchen Fällen gebräuchlich ist, daß bewaffnete Mannschaft -.«

Der Herzog winkte ihm zu schweigen. Er begegnete einem trüben, fragenden Blick des alten Lichtenstein, der ihn erröten machte. »Mit meinem Befehl geschah es nicht«, sprach er, »doch es möchte auffallen, wenn Wir sie zurückriefen. Es ist ja gleichgültig. Man bringe mir den roten Mantel und den Hut; schnell!«

Der Herzog trat ans Fenster und sah schweigend hinaus. Der Kanzler schien nicht recht zu wissen, ob sein Herr erzürnt sei oder nicht, er wagte nicht zu sprechen, und der Ritter von Lichtenstein beharrte in seinem trüben Schweigen. So standen sie geraume Zeit, bis sie von den Dienern unterbrochen wurden. Es traten vier Edelknaben ins Gemach, der erste trug den Mantel, der zweite den Hut, der dritte eine Kette von Gold und der vierte des Herzogs Schlachtschwert. Sie bekleideten den Herzog mit dem Fürstenmantel von purpurrotem Samt, mit Hermelin verbrämt. Sie reichten ihm den Hut, der die schwarze und gelbe Farbe des Hauses Württemberg in reichen, wehenden Federn zeigte, diese wurden zusammengehalten von einer Agraffe aus Gold und Edelsteinen, die eine Grafschaft wert waren. Der Herzog bedeckte sein Haupt mit diesem Hut. Seine kräftige Gestalt schien in diesem fürstlichen Schmuck noch erhabener als zuvor, und die freie majestätische Stirn, das glänzende Auge sah gebietend unter den wallenden Federn hervor. Er ließ sich die Kette umhängen, steckte das Schlachtschwert an und winkte seinem Kanzler aufzubrechen.

Noch immer sprach der Ritter von Lichtenstein kein Wort. Mit bekümmerter Miene hatte er diesen Anstalten zugesehen und sich dann abgewendet. Der Herzog schritt mit leichtem Neigen des Hauptes an dem alten Ritter vorüber zur Tür, und die wunderliche Figur des Kanzlers Ambrosius Volland folgte ihm mit majestätischen Schritten. Hatte der Herr den Alten nicht gegrüßt, glaubte auch der Kanzler ihm dies nicht schuldig zu sein. Er warf einen tückischen Blick nach dem Platz hinüber, wo jener noch immer stand, und sein großer, zahnloser Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. In der Tür stand der Herzog still. Er sah rückwärts, seine bessere Natur schien über ihn zu siegen, er kehrte zur Verwunderung des Kanzlers zurück und trat zu Lichtenstein.

»Alter Mann!« sagte er, indem er vergeblich strebte, seine tiefe Bewegung zu unterdrücken. »Du warst mein einziger Freund in der Not, und in hundert Proben habe ich Deine Treue bewährt gefunden. Du kannst es mit Württemberg nicht schlimm meinen. Ich fühle, es ist einer der wichtigsten Schritte meines Lebens, und ich gehe vielleicht einen gewagten Gang. – Aber wo es das Höchste gilt, muß man alles wagen.«

Der Ritter von Lichtenstein richtete sein greises Haupt auf; in den weißen Wimpern hingen Tränen. Er ergriff Ulrichs Hand. »Bleibt«, rief er, »nur diesmal, diesmal folgt meiner Stimme. Mein Haar ist grau, ich habe lange gelebt, Ihr erst drei Jahrzehnte.« – Indem ertönten die Trommeln der Landsknechte im Hof. Das ungeduldige Stampfen der Rosse drang herauf und die Herolde stießen, zur Huldigung rufend, in die Trompeten

»Jacta alea est.! War der Wahlspruch Cäsars«, sagte der Herzog mit mutiger Miene. »Jetzt gehe ich über meinen Rubikon. Aber Dein Segen möchte mir frommen, alter Mann, zum Rat ist es zu spät!«

Der Ritter blickte schmerzlich aufwärts. Die Stimme versagte ihm, er drückte segnend seines Herzogs Rechte an die Brust. Noch zögerte Ulrich bei ihm, da streckte der Kanzler den langen, dürren Arm unter dem gelben Mäntelein hervor und winkte ihm mit der Pergamentrolle. Er war anzuschauen wie der Versucher, dem es gelingt, eine arme Seele mit sich hinabzuziehen. Ulrich von Württemberg riß sich los und ging, um sich von seiner Hauptstadt huldigen zu lassen.

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Kapitel 31

Kapitel 31

Die Besorgnisse des alten Herrn schienen nicht so unbegründet gewesen zu sein, als Ambrosius Volland sie dargestellt hatte. Ein sehr großer Teil des Landes fiel zwar dem Herzog zu, weil die Vorliebe für den angestammten Regenten, der Druck des Bundes und die anfangs so siegreichen Waffen Ulrichs viele bewogen, die Huldigung, die sie gezwungenerweise dem Bund getan, zu vergessen und sich für Württemberg zu erklären.

Aber die neue Huldigung, die alle früheren Verträge umstieß, das Gerücht, daß manche Stadt durch Gewalt zu diesen Formen gezwungen worden sei, bewirkte wenigstens, daß der Herzog keine Popularität gewann, ein Mangel, der in so zweifelhafter Lage oft nur zu bald fühlbar wird. Noch beharrten Urach, Göppingen und Tübingen auf ihren, dem Bund geleisteten Pflichten, denn ihre bündisch gesinnten Obervögte zwangen sie mit Gewalt dazu. Zu Urach hauste Dietrich Späth, des Herzogs bitterster Feind. Er brachte in wenigen Tagen so viel Mannschaft auf, daß er nicht nur sein ganzes Amt im Zaum hielt, sondern auch Einfälle in die Ländereien machte, die dem Herzog wieder zugefallen waren. Es ging auch das Gerücht, die Bundesstände seien schnell von Nördlingen aufgebrochen, jeder in seine Heimat geeilt, um frische Heere aufzubieten und Ulrich zum zweitenmal auf Leben und Tod zu bekämpfen.

Ulrich selbst schien weder der einen noch der anderen dieser Besorgnisse Raum zu geben. Er pflog bei verschlossenen Türen mit Ambrosius Volland Rat. Man sah viele Eilboten kommen und abgehen, aber niemand erfuhr, was sie brachten. In Stuttgart aber glaubte man fest, der Herzog müsse in der fröhlichsten Stimmung sein, denn wenn er mit seinem glänzenden Gefolge durch die Straßen ritt, alle schönen Jungfrauen grüßte und mit den Herren zu seiner Seite scherzte und lachte, da sagten sie: »Herr Ulrich ist wieder so lustig wie vor dem armen Konrad.« Er hatte seinen Hofstaat wieder glänzend eingerichtet. Zwar war er nicht mehr wie früher der Sammelplatz der bayerischen, schwäbischen und fränkischen Grafen und Herren, zwar fehlte die Fürstin, die sonst einen schönen Kranz blühender Fräulein um sich versammelt hatte, aber dennoch fehlte es nicht an schönen Frauen und schmucken Edlen, seinen Hof zu verherrlichen, und die Luft dieser Stadt schien schon damals der Schönheit so günstig zu sein, daß die bunten Reihen an den Sälen und Hallen des Schlosses nicht einer gewöhnlichen Versammlung, sondern einer Auswahl aus den schönen Frauen des Landes glichen.

Tänze und Ritterspiele waren in ihre alten Rechte eingesetzt worden. Fest drängte sich an Fest, und Ulrich schien eifrig nachholen zu wollen, was er in der Zeit seines Unglücks versäumt hatte. Keines dieser geringsten Feste war die Hochzeit Georgs von Sturmfeder mit der Erbin von Lichtenstein.

Der alte Herr hatte sich lange nicht entschließen können, sein Wort zu halten. Nicht, daß er die Wahl seiner Tochter mißbilligt hätte, denn er liebte seinen Eidam väterlich; er sah in ihm seine eigene Jugend wieder aufblühen, er schlug ihm seine freiwillige Verbannung mit dem Herzog hoch an. Aber wie der Horizont von Ulrichs Glück, so war auch die Stirn des alten Mannes noch immer umwölkt, denn er ahnte, daß es nicht so bleiben werde, wie es jetzt war, und tief schmerzte es ihn, daß der Herzog in so mancher wichtigen Angelegenheit von seinem Rat nicht Gebrauch machte, sondern alles heimlich mit seinem Kanzler abhandelte. So hatte er unschlüssig und betrübt diesen Tag der Freude immer hinausgeschoben; aber die schönen Augen seiner Tochter, in welchen er oft einen leisen Vorwurf zu lesen glaubte, Georgs Bitten nötigten ihm endlich einen bestimmten Termin ab. Der Herzog ließ es sich nicht nehmen, die Hochzeit auszurichten. Er mochte sich jener Nächte erinnern, wo der Vater nicht müde wurde, ihm seine Anhänglichkeit zu bezeigen, wo die zarte Tochter keinen Sturm, keine Kälte scheute, um ihn am Burgtor zu empfangen und ihn mit warmen Speisen zu laben. Er mochte sich noch aus der jüngsten Vergangenheit der Opfer erinnern, die ihm der Bräutigam gebracht hatte, er zeigte auf glänzende Art, wie er Treue, Aufopferung und Liebe, die sich ihm so selten bewährt hatten, zu vergelten wisse. Der Ritter und seine Tochter waren bisher noch immer seine Gäste im Schloß zu Stuttgart gewesen, jetzt ließ er ein schönes Haus nächst der Kollegiatkirche mit neuem Hausgerät versehen und übergab am Vorabend der Hochzeit den Schlüssel dem Fräulein von Lichtenstein mit dem Wunsch, sie möchte es, so oft sie in Stuttgart sei, bewohnen.

Und jetzt endlich war der Tag gekommen, welchen Georg oft in ungewisser Ferne, aber immer mit gleicher Sehnsucht geschaut hatte. Er rief sich am Morgen dieses Tages das ganze Leben seiner Liebe zurück; er wunderte sich, wie alles so anders gekommen war, als er sich gedacht hatte. Wie hätte er, als er damals durch den Schönbuch nach der Heimat zog, denken können, daß das Glück, die Geliebte ganz zu besitzen, nicht mehr so ferne liegen werde, als er fürchtete. Jedes Wort der Geliebten kehrte wieder in seiner Erinnerung, und er mußte aufs neue ihre hohe Zuversicht, ihren schönen Glauben an ein gütiges Geschick bewundern, den sie auch damals, wo die Zukunft mit einem düstren Schleier verhüllt, und keine Aussicht, keine Hoffnung mehr war, nicht verlor, den sie mit dem letzten Abschiedskusse auch ihm mitzuteilen wußte.

»Er hat uns nicht belogen, dieser Glaube«, sprach der junge Mann, von der Erinnerung bewegt, zu sich, »es lebt eine heilige, ahnungsvolle Stimme in ihrer reinen Seele, und ihr klares Auge, das in dem meinigen die Gewißheit meiner Liebe las, tauchte auch damals tief in die Zukunft und verkündete Glück, es wird sie auch jetzt nicht täuschen, wenn es ein süßes, ungestörtes Glück in unserer Verbindung liest.«

Ein bescheidenes Pochen an der Tür unterbrach die lange Gedankenreihe, die sich an den heutigen Tag knüpfen und in die ferne Zukunft hinausziehen wollte. Es war Dietrich von Kraft, der stattlich geschmückt zu ihm eintrat.

»Wie?« rief dieser Schreiber des großen Rates zu Ulm und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Wie? In diesem Wams wollt Ihr Euch doch hoffentlich nicht trauen lassen? Es ist schon neun Uhr, die Gänge und Treppen des Schlosses wimmeln von Hochzeitsgästen, die von Samt und Seide glänzen, und Ihr, die Hauptperson im Stück, schaut ruhig zum Fenster hinaus, statt Euern Anzug zu besorgen?«

»Dort liegt der ganze Staat«, erwiderte Georg lächelnd. »Barett und Federn, Mantel und Wams, alles aufs schönste zubereitet, aber Gott weiß, ich habe noch nicht daran gedacht, daß ich dieses Flitterwerk an mich hängen solle. Dies Wams ist mir lieber als jedes schöne neue. Ich habe es in schweren, aber dennoch glücklichen Tagen getragen.«

»Ja, ja! Ich kenne es wohl; das habt Ihr bei mir in Ulm getragen, und es ist mir noch wohl erinnerlich, wie Euch Berta in diesem blauen Kleid abschilderte, daß ich recht eifersüchtig wurde. Aber Flitterwerk nennt Ihr die Kleider da? Ei, der Tausend! Hätte ich nur mein lebenlang solche Flitter. Ha, das weiße Gewand, mit Gold gestickt. und der blaue Mantel von Samt! Kann man was Schöneres sehen? Wahrlich, Ihr habt mit Umsicht ausgewählt, das mag trefflich stehen zu Euren braunen Haaren.«

»Der Herzog hat mir es zugeschickt«, antwortete Georg, indem er sich ankleidete, »mir wäre alles zu kostbar gewesen.«

»Ist doch ein prächtiger Herr, der Herzog, und jetzt erst, seit ich einige Zeit hier bin, sehe ich ein, daß man ihm bei uns in Ulm zu viel getan hat. An einem solchen Hof ist es doch was anderes als in den Städten. Und Herzog von Württemberg klingt auch schöner als Bürgermeister von Ulm. Und doch möcht‘ ich nicht in seiner Haut stecken. Ihr werdet sehen, Vetter, es geht noch einmal bergab mit ihm.«

»Das ist Euer altes Lied, Herr Dietrich. Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr damals in Ulm so groß tatet mit Eurer Politika und wie Ihr regieren wolltet in Württemberg? Wie ist es denn jetzt?«

»Ist nicht alles eingetroffen?« erwiderte der Ratsschreiber mit weiser Miene. »Weiß noch wie heute, daß ich prophezeite, die Schweizer ziehen heim, die Landschaft werden wir für uns gewinnen, und die Burgen werden wir einnehmen.«

»Ja, ja! Ihr habt sie erobern helfen«, lachte Georg, »seid ja in einer Sänfte zu Feld getragen worden; aber damals sagtet Ihr auch, der Herzog werde nie zurückkehren, und jetzt sitzt er ganz warm und ruhig hier.«

»Nicht so ruhig, als Ihr glaubt. Zwar ich wollte ihm und Euch wünschen, er behielte sein Land; uns hat es doch nichts genützt, die großen Herren nehmen alles für sich, an unser einen kam nichts als etwa die Ehre, für den Bund geköpft zu werden; aber – glaubt mir, es sieht nicht so ruhig aus, als man hier meint. Die vertriebenen Räte haben von Eßlingen aus an den Kaiser und das Reich geschrieben und geklagt; der Bund ist wieder auf den Beinen, bei Ulm steht schon wieder ein neues Heer.«

»Gerede, nichts weiter; ich weiß gewiß, daß der Herzog sich mit Bayern versöhnen wird.«

»Ja will, aber nicht versöhnen wird. Das hat noch manchen Haken. Aber was sehe ich? Ihr werdet doch nicht den alten Fetzen von einer Feldbinde zu dem stattlichen Hochzeitschmuck anlegen wollen? Pfui, das paßt nicht zusammen, lieber Vetter.«

Der Bräutigam betrachtete die Schärpe mit inniger Liebe. »Das versteht Ihr nicht«, sagte er, »wie gut sich dies zum Hochzeitsgewand schickt. Es ist ihr erstes Geschenk; sie flocht sie heimlich bei Nacht auf ihrem Kämmerlein, als ihr die Kunde kam, daß sie bald scheiden müsse. Sie hat manche Träne hineingewoben, hat das Gewebe oft an die Lippen gedrückt, drum wurde es mir eine Zauberbinde und meinen Augen ein Trost, wenn ich im Unglück auf die Brust herniedersah. Sie darf nicht fehlen diese Binde; hat sie die Not mit mir getragen, so sei sie mir ein heiliger Schmuck am Tag des Glücks.«

»Nun, wie Ihr wollt, hängt sie in Gottes Namen um; jetzt noch das Barett aufgesetzt und schnell den Mantel umgehängt, sie läuten schon das Erste drüben in der Kirche. Sputet euch, laßt das Bräutlein nicht so lange warten!«

Georgs Wangen röteten sich, sein Herz pochte, als er sein Gemach verließ. Die Freude, die Erwartung, die Erfüllung jahrelanger Wünsche bestürmten seine Sinne, und wie trunken ging er neben Herrn Dietrich durch die Galerien. Die Tür ging auf und Marie im Glanz ihrer Schönheit stand umgeben von vielen Frauen und Fräulein, die, vom Herzog eingeladen, heute ihre Begleitung bilden sollten. Marie errötete, als sie den Geliebten sah, sie betrachtete ihn staunend, als seien seine Züge heute mit einem neuen Glanz übergossen, sie schlug die Augen nieder, als sie seinen freudetrunkenen Blicken begegnete. Was hätte Georg darum gegeben, die Geliebte an sein Herz ziehen, den Morgengruß der Liebe auf ihre Lippen drücken zu dürfen, aber die strenge Sitte der Zeit trennte an diesem Tag durch eine weite Kluft, was sich sonst schon längst gefunden hatte. Dem Bräutigam war es nicht erlaubt, die Hand der Braut zu berühren, ehe sie der Priester in die seinige legte, und der Braut wurde es übel aufgenommen, wenn sie den Bräutigam gar zu viel und gar zu lange ansah. Züchtig, ehrbar, die Augen auf den Boden geheftet, die Hände unter der Brust gefaltet, mußte sie stehen – so wollte es die Sitte.

Verschwunden war die erhabene Haltung Mariens, verschwunden die Majestät ihrer Stirn und jener gebietende, ernste Blick, der auch den Kühnsten gefesselt hätte; aber man war versucht, jene erhabeneren Schönheiten nicht zurückzuwünschen; lag doch in diesem verschämten Bekenntnis, durch einen Blick des Geliebten überwunden zu sein, ein höherer Reiz, als wenn das stolze Auge frei um sich geblickt und dieser geschlossene Mund das Geständnis der Liebe laut und offen ausgesprochen hätte. So hatte die Natur Marien an diesem Tag einen neuen Zauber verliehen, der so mächtig wirkte, daß Georg einige Momente seine Braut verwundert betrachtete und sein Herz sich stolzer hob, im Gefühl, dieses liebliche Kind sein nennen zu dürfen.

Jetzt kam auch der Herzog, der den Ritter von Lichtenstein an der Hand führte. Er musterte mit schnellen Blicken den reichen Kreis der Damen, und auch er schien sich zu gestehen, daß Marie die schönste sei. »Sturmfeder!« sagte er, indem er den Glücklichen auf die Seite führte, »dies ist der Tag, der Dich für vieles belohnt. Gedenkst Du noch der Nacht, wo Du mich in der Höhle besuchtest und nicht erkanntest? Damals brachte Hans, der Pfeifer, einen guten Trinkspruch aus: ›Dem Fräulein von Lichtenstein! Möge sie blühen für Euch!‹ Jetzt ist sie Dein, und was nicht minder schön ist, auch Dein Trinkspruch ist erfüllt; Wir sind wieder eingezogen in die Burg Unserer Väter.«

»Möge Euer Durchlaucht dieses Glück so lange genießen, als ich an Mariens Seite glücklich zu sein hoffe. Aber Eurer Huld und Gnade habe ich diesen schönen Tag zu verdanken, ohne Euch wäre vielleicht der Vater -.«

»Ehre um Ehre, Du hast Uns treulich beigestanden, als Wir Unser Land wiedererobern wollten, drum gebührte es sich, daß auch Wir Dir beigestanden, um sie zu besitzen – Wir stellen heute Deinen Vater vor, und als solchem wirst Du Uns schon erlauben, nach der Kirche Deine schöne Frau auf die Stirn zu küssen.«

Georg gedachte jener Nacht, als der Herzog unter dem Tor von Lichtenstein sich auf diesen Tag vertröstete; unwillkürlich mußte er lächeln, wenn er der Würde und Hoheit gedachte, mit welcher die Geliebte den Mann der Höhle damals zurückgewiesen hatte. »Immerhin, Herr Herzog, auch auf den Mund! Ihr habt es längst verdient durch Eure großmütige Fürsprache.«

»Wer sind Deine Gesellen, die Dich zum Altar geleiten?« fragte der Herzog.

»Marx Stumpf und der Ulmer Ratsschreiber, ein Vetter von Lichtenstein.«

»Wie, das feine Männlein, das mein Kanzler köpfen lassen wollte? Da hast Du links den zierlichsten und rechts den tapfersten Mann des Schwabenlandes. Glück zu, junger Herr: doch ich will Dir raten, mehr rechts zu halten als links, dann kann es Dir nie fehlen auf Erden, und wärst Du so eifersüchtig wie ein Türke. Sieh, sieh, da kommt ja der Rechte. Sieh, wie seine breite, kurze Gestalt sich wunderlich ausnimmt unter den Frauenzimmern. Und wie er sich stattlich angetan hat! Den verschossenen grünen Mantel trug er schon Anno elf auf Unserer Hochzeit mit Frau Sabina Lobesan.«

»Kann mich nicht viel mit dem Anzug befassen«, erwiderte der tapfere Ritter von Schweinsberg, der die letzten Worte noch gehört hatte, »auch mit dem Tanzen will es nicht recht gehen. Ihr werdet mich entschuldigen; will aber heute abend im Ritterspiel der neue Eheherr eine Lanze mit mir brechen, so -.«

»So willst Du ihm aus lauter Zärtlichkeit und Höflichkeit ein paar Rippen einstoßen!« lachte der Herzog, »das heiße ich einen Bräutigamsgesellen von echter Art. Nein, da rate ich Dir, Georg, Dich lieber links zu halten; der Ulmer wird Dir nicht weh tun.«

Die Flügeltüren öffneten sich jetzt, und man sah auf der breiten Galerie das Hofgesinde des Herzogs in Ordnung aufgestellt. An diese schlossen sich die Edelknaben an, welche brennende Kerzen trugen; dann folgte der glänzende Zug der Fräuleins und Edelfrauen, die sich zu diesem Fest eingefunden hatten. Sie waren in reiche, mit Gold und Silber durchwirkte Stoffe gekleidet, und jede hatte einen Blumenstrauß und eine Zitrone in der Hand. Die Braut wurde von Georg von Hewen und Reinhardt von Gemmingen geführt. Viele Ritter und Edelleute schlossen sich an diese an, in ihrer Mitte ging Georg von Sturmfeder, Marx Stumpf zu seiner Rechten, der Ratsschreiber Dietrich von Kraft zu seiner Linken. Sein ganzes Wesen schien von einer würdigen Freude gehoben, seine Augen blinkten freudig, sein Gang war der Gang eines Siegers. Er ragte mit dem wallenden Haar, mit den wehenden Federn des Baretts weit über seine Gesellen hervor. Die Leute betrachteten ihn staunend, die Männer lobten laut seine hohe, männliche Gestalt, seine edle Haltung, aber die Mädchen flüsterten leise und priesen seine schönen Züge.

So ging der Zug aus dem Tor des Schlosses nach der Kirche, die nur durch einen breiten Platz von ihm getrennt war. Kopf an Kopf standen die schönen Mädchen und die redseligen Frauen, sie musterten die Anzüge der Fräulein, strengten Blicke an, als die schöne Braut vorbeiging, und waren voll Lobes für den Bräutigam.

Unter den zahlreichen Zuschauern sah man auch eine rüstige runde Bauersfrau mit ihrem Töchterlein stehen. Diese Frau verneigte sich immerwährend zur Belustigung der Städter umher, die nur der Braut und dem Herzog diese Aufmerksamkeit bewiesen. Sie unterhielt sich dabei eifrig mit ihrer Tochter. Das schöne Kind an ihrer Seite schien aber wenig auf ihre Reden zu achten; sie übersah den glänzenden Zug der Fräuleins, ihre hellen Augen waren nur immer auf die nahende Braut gerichtet. Je näher diese kam, desto röter färbten sich die Wangen des Mädchens, das rote Mieder hob und senkte sich ungestüm, und das pochende Herz schien die silbernen Ketten, womit es eingeschnürt war, zersprengen zu wollen. Sie sah Marien fest und durchdringend an, die hohe Schönheit der jungen Braut schien sie zu überraschen, ein wehmütiges Lächeln zuckte um ihren kleinen Mund. »Sie ist’s!« rief sie unwillkürlich aus und verbarg dann schnell ihr Gesicht hinter dem Rücken ihrer Mutter, denn die Umstehenden sahen verwundert nach ihr hin.

»Jo, dia ist’s, Bärbele! Dia ist grausig schö!« flüsterte die runde Frau und neigte sich tief. »Jetzt wellet mer uf da Junker bassa.«

Das Mädchen schien dieses Rates nicht erst zu bedürfen, denn sie blickte schon längst hinüber nach jener Seite, woher er kommen mußte. »Er kommt, er kommt«, hörte sie ihre Nachbarn flüstern, »der ist’s in dem weißen Kleid, mit dem blauen Mantel, er geht gerade vor dem Herzog.« Sie sah ihn, nur einen Blick warf sie nach ihm hin und wagte dann nicht mehr aufzublicken; die tiefe Röte ihrer Wangen verschwand, als er vorüberging, sie zitterte, eine Träne fiel herab auf das rote Mieder; jetzt war er vorüber, jetzt hob sie das Köpfchen wieder ein wenig auf und sandte ihm einen Blick nach, der mehr auszudrücken schien als die reine Bewunderung oder das Staunen der Neugierde.

Als der Zug vorüber war, drängten sich die Zuschauer mit Ungestüm zu den Kirchtüren, und in einem Augenblick war der Platz, der noch kurz zuvor den Anblick einer bunten wogenden Menge dargeboten hatte, wie ausgestorben. Die runde Frau blickte noch immer staunend den schönen geputzten Stadtjungfern nach, welche mit ihren brokatenen Hauben und goldgestickten Miedern, mit ihren feinen langen Röcken, an welchen man nur um den Hals und Busen das Zeug allzusehr gespart zu haben schien, in der Bauersfrau mächtige Sehnsucht nach solcher Pracht und Herrlichkeit erweckt hatten.

Als sie sich umwandte, erschrak sie nicht wenig, denn ihr holdes Kind hatte das blühende Gesichtchen in die Hände verborgen und weinte. Sie konnte nicht begreifen, was dem Mädchen begegnet sein könne, sie faßte ihre Hand, zog sie herab von den Augen – sie weinte bitterlich. »Was hoscht denn, Bärbele«, fragte sie unmutig, doch nicht ohne Teilnahme, »was heulscht denn? Hoscht’s denn et g’seha? Gang‘, ’s ist jo a Schand! Wenn’s jo ebber sieht; so sag‘ no, worum Du heulscht?«

»I wois et, Muater!« flüsterte sie, indem sie vergeblich ihre Tränen zu bezwingen suchte. »Es ist mer so weh im Herz drin, i wois et worum.«

»Laß jetzt bleiba, sag e! Komm, sonst komme mer z’spot in d’Kirch. Hairsch, wie se musizieret und singet? Komm, sonst sehe mer nix mai!« Die Frau zog bei diesen Worten das Mädchen nach der Kirche. Bärbele folgte, sie bedeckte die Augen mit der weißen Schürze, um nicht den Stadtleuten zum Gespött zu werden; aber die tiefen Seufzer, die sich aus ihrer Brust heraufstahlen, ließen ahnen, daß sie einen tiefen Schmerz vergeblich zu unterdrücken suche. Die Orgel schwieg, der Chorgesang verstummte, als sie an der Kirchtür anlangten. Die Einsegnung des schönen Paares mußte jeden Augenblick beginnen. Aber vergebens suchte die runde Frau durch die dichten Reihen zu dringen, welche die Tür füllten, sie wurde, sooft sie sich in einen freien Raum zu schieben suchte, unwillig und mit Scheltworten zurückgestoßen.

»Komm, Muater!« sprach das Mädchen »Mer wellet hoim; mer sent arme Leut, uns lasset se et in d’Kirch; komm hoim.«

»Was? D’Kircha sind für älle Leut erschaffa; au für d’Arme. Wia, Ihr Herra, lent es e bisle do nei. Mer sehet jo gar nix.«

»Waz!« sprach der Mann, an den sie sich gewendet hatte, und kehrte ihr ein rotbraunes Gesicht mit schrecklichem Bart zu. »Waz? Packt Euch fort, wir lassen niemand durch; wir sind die allergnädigsten Landsknechte wir, und nach dem Sanktus, hat der Hauptmann befohlen, darf keine Seele mehr durch.«

»Die Olte muß weg, sogen wer, ober das Dienderl darf rein; komm‘ Schatzerl! Du konnst’s recht gut sehen; schaut’s, jetzt steckt ihr der Probst den Ring on, jetzt legt er ihne die Händ zusommen – gib mir en Schmazerl, dann darfst seh’n.« Der Staberl von Wien streckte bei diesen Worten seine tapfere Hand nach dem Mädchen aus, doch diese schrie laut auf und entfloh weinend; die runde Frau aber verwünschte die Stadtleute, die Stadtkirchen und die unanständigen Landsknechte und folgte ihrer Tochter.

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Kapitel 32

Kapitel 32

Herzog Ulrich von Württemberg liebte eine gute Tafel, und wenn in guter Gesellschaft die Becher kreisten, pflegte er nicht so bald das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Auch am Hochzeitsfest Mariens von Lichtenstein blieb er seiner Gewohnheit treu. Man war, als die heilige Handlung in der Kirche vorüber war, in den Lustgarten am Schloß gezogen; dort hatten sich in den Laubgängen und künstlich verschlungenen Wegen die Hochzeitsgäste ergangen oder an den zahmen Hirschen und Rehen im Gehege, oder an den Bären, die in einem der Gräben des Schlosses umherwandelten, sich ergötzt. Um zwölf Uhr hatten die Trompeten zur Tafel gerufen. Sie wurde in der Tyrnitz gehalten, einer weiten hohen Halle, die viele hundert Gäste faßte.

Heute sah man hier einen gemischten Kreis schöner Frauen und fröhlicher Männer um reichbesetzte Tafeln sitzen: Auf den Galerien schwangen die Geiger lustig ihre Fiedelbogen. Die Zinkenisten bliesen ihre Backen auf, die Trommler schlugen kräftig auf die Felle, und mit Jauchzen und Hallo stimmte die Volksmenge, die man auf den übrigen Teilen der Galerien zugelassen hatte, ein, wenn die Herren unten einen Trinkspruch ausgebracht hatten. Am oberen Ende der Halle saß unter einem Thronhimmel der Herzog. Er hatte seinen Hut weit aus der Stirn gerückt, schaute fröhlich um sich und sprach dem Becher fleißig zu. Zu seiner Rechten, an der Seite des Tisches, saß Marie; jetzt wollte die Sitte nicht mehr, daß sie die Augen niederschlug und sechs Schritte von dem Geliebten entfernt blieb. Ein fröhliches Leben war in ihre Augen, um ihren Mund eingezogen; sie blickte oft nach ihrem neuen Gemahl, der ihr gegenübersaß, es war ihr oft, als müsse sie sich überzeugen, daß dies alles nicht ein Traum, daß sie wirklich eine Hausfrau sei, und den Namen, den sie achtzehn Jahre getragen, gegen den Namen Sturmfeder vertauscht habe; sie lächelte, so oft sie ihn ansah, denn es kam ihr vor, als gebe er sich, seitdem er aus der Kirche kam, eine gewisse Würde.

Und es war so, wie Marie zu bemerken glaubte; Georg fühlte sich gehobener, mit einer neuen Würde umgeben; es schien ihm, als zeigten ihm die Junker mehr Ehrfurcht, als zögen ihn die älteren Ritter freundlicher zu sich heran, seit er nicht mehr allein in der Welt stand, sondern wie sie ein Hausvater, vielleicht der Stammhalter eines glänzenden Geschlechtes geworden war.

In die Nähe des Herzogs war der Ritter von Lichtenstein, Marx Stumpf von Schweinsberg und der Kanzler gezogen worden, und auch der Ratsschreiber von Ulm saß nicht fern, weil er heute als Geselle des Bräutigams diesen Ehrenplatz sich erworben hatte. Der Wein begann schon den Männern aus den Augen zu leuchten und den Frauen die Wangen höher zu färben, als der Herzog seinem Küchenmeister ein Zeichen gab. Die Speisen wurden weggenommen und im Schloßhof unter die Armen verteilt; auf die Tafel kamen jetzt Kuchen und schöne Früchte, und die Weinkannen wurden für die Männer mit besseren Sorten gefüllt; den Frauen brachte man kleine silberne Becher mit spanischem, süßem Wein. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo nach der Sitte der Zeit dem neuen Ehepaar Geschenke überbracht wurden. Man stellte Körbe neben Marien auf, und als die Geiger und Pfeifer von neuem gestimmt hatten und aufzuspielen anfingen, bewegte sich ein langer, glänzender Zug in die Halle. Voran gingen die Edelknaben des fürstlichen Hofes, sie trugen goldene Deckelkrüge, Schaumünzen, Schmuck von edlen Steinen als Geschenke des Herzogs.

»Mögen Euch diese Becher, wenn sie bei den Hochzeiten Eurer Kinder, bei den Taufen Eurer Enkel kreisen, mögen sie Euch an einen Mann erinnern, dem Ihr beide im Unglück Liebe und Treue bewiesen, an einen Fürsten, der im Glück Euch immer gewogen und zugetan ist.«

Georg war überrascht von dem Reichtum der Geschenke. »Euer Durchlaucht beschämen uns«, rief er. »Wollt Ihr Liebe und Treue belohnen, so wird sie nur zu bald um Lohn feil sein.«

»Ich habe sie selten rein gefunden«, erwiderte Ulrich, indem er einen unmutigen Blick über die lange Tafel hinschickte und dem jungen Mann die Hand drückte, »noch seltener, Freund Sturmfeder, hat sie mir Probe gehalten, drum ist es billig, daß Wir die reine Treue mit reinem Gold und edle Liebe mit edlen Steinen zu belohnen suchen. Doch wie, Eure schöne Frau vergießt Tränen? ich weiß die Quelle dieses klaren Taues, es ist die Erinnerung an Unser bitteres Geschick, die Wir selbst heraufbeschworen haben. Hinweg mit diesen Tränen, schöne Frau; am Hochzeitstag ist es kein gutes Zeichen. Doch mit Verlaub Eures Eheherrn will ich jetzt eine alte Schuld einziehen, Ihr wißt noch welche?«

Marie errötete und warf einen forschenden Blick nach Georg hinüber, als fürchtete sie, jenes alte Übel, das sie oft kaum zu beschwören vermochte, möchte wiederkehren. Georg wußte recht wohl, was der Herzog meine, denn jene Szene, die er hinter der Tür belauscht, war ihm noch immer im Gedächtnis, doch er fand Gefallen daran, den Herzog und Marien zu necken, und antwortete, als diese noch immer schwieg: »Herr Herzog, wir sind jetzt zusammen ein Leib und eine Seele, wenn also meine Frau in früheren Zeiten Schulden gemacht hat, so steht es mir zu, sie zu bezahlen.«

»Ihr seid zwar ein hübscher Junge«, entgegnete Ulrich mit Laune, »und manche unserer Fräulein hier am Tisch möchte vielleicht gerne einen solchen Schuldbrief an Euern schönen Mund einzufordern haben; mir aber kann dies nicht frommen, denn meine Urkunde lautet auf die roten Lippen Eurer Frau.«

Der Herzog stand bei diesen Worten auf und näherte sich Marien, die bald errötend, bald erbleichend, ängstlich auf Georg herübersah »Herr Herzog«, flüsterte sie, indem sie den schönen Nacken zurückbog, »es war nur Scherz; – ich bitte Euch.« Doch Ulrich ließ sich nicht irremachen, sondern zog die Schuld samt den Zinsen von ihren schönen Lippen ein.

Der alte Herr von Lichtenstein sah bei dieser Szene finster bald auf den Herzog, bald auf seine Tochter; vielleicht mochte ihm Ulrich von Hutten einfallen, denn seine Blicke streiften auch ängstlich auf seinen Schwiegersohn. Der Kanzler Ambrosius Volland aber schaute mit höhnischer Schadenfreude aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann. »Hi, hi«, rief er ihm zu, »ich leere meinen Becher auf gutes Wohlsein. Eine schöne Frau ist eine gute Bittschrift in aller Not; wünsche Glück, liebster wertgeschätzer Herr; hi! hi! ’s ist ja auch was Unschuldiges, so lange es vor den Augen des Ehemanns geschieht.«

»Allerdings, Herr Kanzler!« erwiderte Georg mit großer Ruhe. »Umso unschuldiger, als ich selbst dabei war, wie meine Frau Seiner Durchlaucht diesen Dank zusagte. Der Herr Herzog versprach beim Vater für uns zu bitten, daß er mich zu seinem Eidam annehme, und bedung sich dafür diesen Lohn an unserem Hochzeitstage.«

Der Herzog sah den jungen Mann mit Staunen an; Marie errötete von neuem, denn sie mochte sich jene ganze Szene ins Gedächtnis zurückrufen; aber keines von beiden widersprach ihm, sei es, weil sie es für unschicklich hielten, ihn Lügen zu strafen, sei es, weil sie ahnten, er könne sie belauscht haben. Aber Ulrich konnte doch nicht unterlassen, ihn heimlich um die näheren Umstände zu befragen; er teilte sie ihm in wenigen Worten mit.

»Du bist ein sonderbarer Kauz!« flüsterte der Herzog lachend. »Was hättest Du denn gemacht, wenn Wir damals ein Küßchen erobert hätten?«

»Ich kannte Euch noch nicht«, flüsterte Georg ebenso leise, »drum hätte ich Euch auf der Stelle niedergestochen und an die nächste Eiche aufgehängt.«

Der Herzog biß sich in die Lippen und sah ihn verwundert an; dann aber drückte er ihm freundlich die Hand und sagte: »Da hättest Du alles Recht dazu gehabt, und Wir wären in Unseren Sünden abgefahren – Doch siehe, da bringen sie wieder Spenden für die Braut.«

Es erschienen jetzt die Diener der Ritter und Edlen, die zur Hochzeit geladen waren, die trugen allerlei seltenes Hausgerät, Waffen, Stoff zu Kleidern und dergleichen; man wußte zu Stuttgart, daß es der Liebling des Herzogs sei, dem dieses Fest gelte, drum hatte sich auch eine Gesandtschaft der Bürger eingestellt, ehrsame, angesehene Männer in schwarzen Kleidern, kurze Schwerter an der Seite, mit kurzen Haaren und langen Bärten. Der eine trug eine aus Silber getriebene Weinkanne, der andere einen Humpen aus demselben Metall, mit eingesetzten Schaumünzen geschmückt. Sie nahten sich ehrerbietig zuerst dem Herzog, verbeugten sich vor ihm, und traten dann zu Georg von Sturmfeder.

Georg von Sturmfeder reichte beiden die Hand und dankte ihnen für ihr schönes Geschenk; Marie ließ ihre Weiber und Mädchen grüßen, und auch der Herzog bezeigte sich ihnen gnädig und freundlich. Sie legten den silbernen Becher und die Kanne in den Korb zu den übrigen Geschenken und entfernten sich ehrbaren und festen Schrittes aus der Tyrnitz. Doch die Bürger waren nicht die letzten gewesen, welche Geschenke gebracht hatten; denn kaum hatten sie die Halle verlassen, so entstand ein Geräusch an der Tür, wo die Landsknechte Wache hielten, das selbst die Aufmerksamkeit des Herzogs auf sich zog. Man hörte tiefe Männerstimmen fluchen und befehlen, dazwischen ertönten hohe Weiberstimmen, von denen besonders eine, die am heftigsten haderte, der Gesellschaft am obersten Ende der Tafel sehr bekannt schien.

»Das ist wahrhaftig die Stimme der Frau Rosel,« flüsterte Lichtenstein seinem Schwiegersohn zu. »Gott weiß, was sie wieder für Geschichten hat.«

Der Herzog schickte einen Edelknaben hin, um zu erfahren, was das Lärmen zu bedeuten habe; er erhielt zur Antwort, einige Bauernweiber wollten durchaus in die Halle, um den Neuvermählten Geschenke zu bringen, da es aber nur gemeines Volk sei, so wollen sie die Knechte nicht einlassen Ulrich gab Befehl, sie vorzubringen, denn die Sprüchlein der Bürger hatten ihm gefallen, und auch von den Bauersleuten versprach er sich Kurzweil. Die Knechte gaben Raum und Georg erblickte zu seinem Erstaunen die runde Frau des Pfeifers von Hardt mit ihrem schönen Töchterlein, geführt von der Frau Rosel, ihrer Base.

Schon auf dem Weg in die Kirche hatte er die holden Züge des Mädchens von Hardt, die er nicht aus seinem Gedächtnis verloren, zu bemerken geglaubt; aber wichtigere Gedanken und die Heiligkeit des Sakraments, die seine ganze Seele füllten, hatten diese flüchtige Erscheinung verdrängt. Er belehrte die Gesellschaft, wer die Nahenden seien, und mit großem Interesse blickten sie alle auf das Kind des Mannes, dessen wunderbares Eingreifen in das Schicksal des Herzogs ihnen oft so unbegreiflich gewesen war, dessen Treue so erhaben, dessen Hilfe in der Not so willkommen erschienen war. Das Mädchen hatte die blonden Haare, die offene Stirn, die Züge ihres Vaters; nur die List, die aus seinen Augen, die Kühnheit und Kraft, die aus seinem Wesen sprach, war bei ihr; wenn sie nicht schüchtern und blöde war, in eine neckende Freundlichkeit und in rüstiges, behendes Wesen übergegangen. So hatte sie Georg erkannt, als er im Haus des Pfeifers wohnte; doch heute schien sie vor den vielen vornehmen Leuten etwas schüchtern, ja es wollte ihm sogar scheinen, als sei ein neuer Zug in ihr Gesicht gekommen, den er früher nicht an ihr bemerkt hatte, eine gewisse Wehmut und Trauer, die sich um ihren Mund und in ihren Augen aussprach.

Die Pfeifersfrau wußte, was Lebensart sei, sie verbeugte sich daher von der Tür der Tyrnitz an in einem fort, bis sie zum Stuhl des Herzogs kam. Frau Rosel hatte noch die Röte des Zornes auf ihren magern Wangen, denn die Landsknechte, namentlich der Magdeburger und Kasper Staberl, hatten sie höchlich beleidigt und sie eine dürre Stange geheißen. Ehe sie noch sich sammeln und den Herrschaften geziemend die Familie ihres Bruders vorstellen konnte, hatte die runde Frau schon einen Zipfel von des Herzogs Mantel gefaßt und ihn an die Lippen gedrückt. »Gueten Abed, Herr Herzich«, sprach sie dazu mit tiefen Knixen, »wie got Uichs, seit Er wieder in Stuagert send; mei Ma loßt Uich schö grüaßa; mer komme aber et zum Herr Herzich, noi, zu dem Herra dort drübe welle mer. Mer hent a Hochzeitschenke für sei Frau. Da sitzt se jo, gang Bärbele, lang’s aus em Krättle.«

»Ach! Du lieber Gott«, fiel Frau Rosel ihrer Schwägerin ins Wort, »bitt‘ untertänigst um Verzeihung, Euer Durchlaucht, daß ich die Leut‘ ‚reingebracht habe; ’s ist Frau und Kind vom Pfeifer von Hardt. Ach! Du Herrgott, nehmt doch nichts übel, Herr Herzog, die Frau meint’s g’wiß gut.«

Der Herzog lachte mehr über diese Entschuldigung der Frau Rosel als über die Reden ihrer Schwägerin: »Was macht denn Dein Mann, der Pfeifer? Wird er uns bald besuchen? Warum kam er nicht mit Euch?«

»Sell hot sein Grund, Herr!« erwiderte die runde Frau. »Wenn’s Krieg geit, bleibt er g’wiß et aus; do ka mer’n brauche; aber im Frieda? Noi, do denkt er, mit grauße Herra ist’s et guet Kirsche fressa.«

Frau Rosel wollte beinahe verzweifeln über die Naivität der runden Frau, sie zog sie am Rock und am langen Zopfband, es half nichts, die Frau des Pfeifers sprach zu großer Ergötzung des Herzogs und seiner Gäste immer weiter, und das unauslöschliche Gelächter, das ihre Antworten erregten, schien ihr Freude zu machen. Bärbele hatte indessen mit dem Deckel des Körbchens gespielt, sie hatte einige Male gewagt, ihre Blicke zu erheben, um jenes Gesicht wiederzusehen, das im Fieber der Krankheit sooft an ihrem Busen geruht und in ihren treuen Armen Ruhe und Schlummer gefunden hatte, jenen Mund wiederzusehen, den sie so oft heimlicherweise mit ihren Lippen berührt hatte, und jene Augen, deren klarer, freundlicher Strahl ewig in ihrem Gedächtnis fortglühte. Sie erhob ihre Blicke immer wieder von neuem, doch, wenn sie bis an seinen Mund gekommen war, schlug sie sie wieder – aus Furcht, seinem Auge zu begegnen – herab.

»Sieh Marie«, hörte sie ihn sagen, »das ist das gute Kind, das mich pflegte, als ich krank in ihres Vaters Hütte lag, das mir den Weg nach Lichtenstein zeigte.«

Marie wandte sich um und ergriff gütig ihre Hand, das Mädchen zitterte, und ihre Wangen färbte ein dunkles Rot; sie öffnete ihr Körbchen und überreichte ein Stück schöner Leinwand und einige Bündel Flachs, so fein und zart wie Seide. Sie versuchte zu sprechen, aber umsonst, sie küßte die Hand der jungen Frau und eine Träne fiel herab auf ihren Ehering.

»Ei, Bärbele«, schalt Frau Rosel, »sei doch nicht so schüchtern und ängstlich. Gnädiges Fräulein – wollte sagen, gnädige Frau, habt Nachsicht, sie kommt selten zu vornehmen Leuten. Es ist niemand so gut, er hat zweierlei Mut, heißt es im Sprichwort. Das Mädchen kann so fröhlich sein, wie eine Schwalbe im Frühling -.«

»Ich danke Dir, Bärbele!« sagte Marie. »Wie schön Deine Leinwand ist! Die hast Du wohl selbst gesponnen?«

Das Mädchen lächelte durch Tränen; sie nickte ein Ja! – Zu sprechen schien ihr in diesem Augenblick unmöglich zu sein. Der Herzog befreite sie von dieser Verlegenheit, um sie in eine noch größere zu ziehen.

»Sag einmal, Kind, hast Du auch schon einen Schatz? Einen Liebsten?«

»Ei was, Euer Durchlaucht!« unterbrach ihn da die runde Frau. »Wer wird so ebbes von so ema Kind denka! Se ist a ehrliches Mädle, Herr Herzich!«

Der Herzog schien nicht auf diese Bemerkung zu hören; er betrachtete lächelnd die Verlegenheit, die sich auf den reinen Zügen des Mädchens spiegelte; sie seufzte leise, sie spielte mit den bunten Bändern ihrer Zöpfe; sie sandte unwillkürlich einen Blick, aber einen Blick voll Liebe auf Georg von Sturmfeder, und schlug dann errötend wieder die Augen nieder. Der Herzog, dem dies alles nicht entging, brach in lautes Lachen aus, in das die übrigen Männer einstimmten. »Junge Frau!« sagte er zu Marien, »jetzt könnt Ihr billig die Eifersucht Eures Herrn teilen; wenn Ihr gesehen hättet, was ich sah, könntet Ihr allerlei deuteln und vermuten.«

Marie lächelte und blickte teilnehmend auf das schöne Mädchen: sie fühlte, wie weh ihr der Spott der Männer tun müsse. Sie flüsterte der Frau Rosel zu, sie und die runde Frau zu entfernen. Auch dieses bemerkte Ulrichs scharfer Blick, und seine heitere Laune schrieb es der schnell wachsenden Eifersucht zu. Marie aber band ein schönes, aus Gold und roten Steinen gearbeitetes Kreuzchen ab, das sie an einer Schnur um den Hals getragen, und reichte es dem überraschten Mädchen. »Ich danke Dir«, sagte sie ihr dazu, »grüße Deinen Vater und besuche uns recht oft hier und in Lichtenstein. Wie wäre es, wenn Du mir dientest als Zofe? Du sollst es gut haben, und hast ja auch Deine Muhme, Frau Rosel, bei uns.«

Das Mädchen erschrak sichtbar; sie schien mit sich zu kämpfen; oft schien ein freundliches Lächeln ja sagen zu wollen, aber ebenso oft drängte ein schmerzlicher Zug um den Mund diesen Entschluß zurück. »I dank‘ schö, gnädige Frau«, antwortete sie, indem sie Mariens schöne Hand küßte. »Aber i mueß daheim bleibe: d’Mueter wird alt und braucht me, b’hüt Uich Gott der Herr, älle Heilige walten über Uich, und die heilige Jungfrau sei Uich gnädig. Lebet g’sund und froh mit Euerem Herra, ’s ist a gueter‘ lieber Herr!« Noch einmal beugte sich Bärbele herab auf Mariens Hand und entfernte sich dann mit ihrer Mutter und der Base.

»Hör einmal«, rief ihr der Herzog nach, »wenn Deine Mutter einmal zugibt, daß Du einen Liebsten bekommst, so bring‘ ihn mir; ich will Dich ausstatten, Du hübsches Pfeiferskind!«

Unter diesen Szenen war es vier Uhr geworden; und der Herzog hob die Tafel auf. Dies war das Zeichen, daß sich jetzt das Volk von den Galerien entfernen müsse, die sogleich mit Polstern und Teppichen belegt und zum Empfang der Damen eingerichtet wurden. In dem Parterre der Tyrnitz wurden schnell die Tafeln weggeräumt, Lanzen, Schwerter, Schilde, Helme und der ganze Apparat zu Ritterspielen herbeigeschleppt, und in einem Augenblick war diese große Halle, die noch soeben der Sitz der Tafelfreuden gewesen war, zum Waffensaal eingerichtet.

Es wurden an diesem Abend sogar Pferde in die Halle geführt, und Marie hatte die Freude, ihrem Geliebten den zweiten Dank im Rennen überreichen zu können, denn er machte den Herrn von Hewen zweimal im Sattel wanken. Der tapferste Kämpfer war Herzog Ulrich von Württemberg, eine Zierde der Ritterschaft seiner Zeit. Meldet ja doch die Sage von ihm, daß er an seinem eigenen Hochzeitstag acht der stärksten Ritter des Schwaben- und Frankenlandes in den Sand warf. Nachdem die Ritterspiele einige Stunden gedauert hatten, zog man zum Tanz in den Rittersaal, und den Siegern im Kampf wurden die Vortänze zugestanden. Der fröhliche Reigen ertönte bis in die Nacht. Der Herzog schien alle Sorgen vor der bangen Zukunft auf den Höcker seines Kanzlers geschoben zu haben, der wie die böse Zeit in einem Fenster saß und mit bitterem Lächeln einem Vergnügen zuschaute, von welchem ihn seine eigene Mißgestalt ausschloß. Zum letzten Tanz vor dem Abendtrunk wollte Ulrich die Krone des Festes, die junge, schöne Frau Marie aufrufen; doch im ganzen Saal suchte er und Georg sie vergebens auf, und die lächelnden Frauen gestanden, daß sechs der schönsten Fräuleins sie entführt und in ihre neue Wohnung begleitet hätten, um ihr dort, wie es die Sitte wollte, die mysteriösen Dienste einer Zofe zu erzeigen.

»Sic transit gloria mundi.!« sagte der Herzog lächelnd. »Und siehe, Georg, da nahen sie schon mit den Fackeln, Seine Gesellen und zwölf Junker, sie wollen Dir ›heimzünden‹. Doch zuvor leere noch einen Becher mit Uns. Geh, Mundschenk! Bring vom Besten.«

Marx Stumpf von Schweinsberg und Dieterich von Kraft nahten sich mit Fackeln und boten sich an, Georg nach Hause zu geleiten. An sie schlossen sich zwölf Junker, ebenfalls mit Fackeln, an, um dem jungen Mann diese Ehre zu erweisen; denn so wollte es die Sitte der guten alten Zeit. Der Mundschenk goß die Becher voll und kredenzte sie seinem Herzog und Georg von Sturmfeder. Ulrich sah ihn lange und nicht ohne Rührung an; er drückte seine Hand und sagte: »Du hast Probe gehalten. Als ich verlassen und elend unter der Erde lag, hast Du Dich zu mir bekannt; als jene Vierzig meine Burg übergaben und kein Stückchen Württemberg mehr mein war, bist Du mir aus dem Land gefolgt, hast mich oft getröstet und auch auf diesen Tag verwiesen. Bleibe mein Freund, wer weiß, was die nächsten Tage bringen. Jetzt kann ich wieder Hunderten gebieten und sie schreien ›Hoch!‹ auf das Wohl meines Hauses, und doch war mir Dein Trinkspruch mehr wert, den Du in der Höhle ausbrachtest und den das Echo beantwortete. Ich erwidere ihn jetzt und gebe ihn Dir: Sei glücklich mit Deinem Weib, möge Dein Geschlecht auf ewige Zeiten grünen und blühen; möge es Württemberg nie an Männern fehlen, so mutig im Glück, so treu im Unglück wie Du!«

Der Herzog trank, und eine Träne fiel in seinen Becher. Die Gäste stimmten jubelnd in seinen Ruf, die Fackelträger ordneten sich, und seine Gesellen führten Georg von Sturmfeder aus dem Schloß der Herzoge von Württemberg.

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Kapitel 18

Kapitel 18

Als dieser Mann das Zimmer verlassen hatte, sahen die Gäste erstaunt einander an, es war ihnen, als hätten sie ein schweres Gewitter aufsteigen sehen, es hätte gekracht, als ob die Erde bersten wolle, ja, als wäre ein erschrecklicher, tötender Blitz auf sie herabgefahren, und siehe da, es war nur ein »kalter Schlag«. Dem Mann mit dem Lederrücken dankten sie, daß er den ungezogenen übermütigen Gast so schnell entfernt habe, und fragten, was er wohl von dem hageren Fremden wisse?

»Den kenne ich wohl«, antwortete dieser, »das ist unseres Herrgotts Tagdieb, ein fahrender Arzt, der den Leuten Pillen verkauft gegen die Pest, den Hunden den Wurm schneidet und die Ohren stutzt, die Mädchen von dicken Hälsen befreit und den Weibern Augenwasser gibt, daß sie blind werden. Er heißt eigentlich Kahlmäuser, aber weil er ein Gelehrter sein will, heißt er sich Doktor Calmus. Er nistet sich bei allen großen Herren ein, und wenn ihn einer einmal einen Esel geheißen hat, so meint er schon, er sei sein bester Freund.«

»Mit dem Herzog muß er aber nicht gut stehen«, bemerkte der schlaue Herr, »denn er hat doch lästerlich über ihn geschimpft.«

»Ja, mit Herrn Ulrich steht er freilich nicht gut; das ging aber so: Der Herzog hatte einen schönen dänischen Jagdhund, der hatte sich im Schönbuch einen Dorn tief in die Pfote getreten. Den Herzog dauerte der Hund; er forschte nach einem geschickten Mann, der das Tier heilen könnte, und zufällig war der Kahlmäuser da und bot sich mit wichtigem Gesicht dazu an. Er bekam im Schloß in Stuttgart alle Tage gut zu essen und eine Maß Wein; das schmeckte ihm nun so gut, daß er über ein Vierteljahr an der Hundspfote dokterte. Da ließ ihn eines Tages der Herzog samt dem Hund rufen und fragte, was er ausgerichtet habe. Er soll viel gelehrtes Zeug geschwatzt haben, doch der Herr hat nicht darauf geachtet, sondern die Pfote selbst untersucht, und da fand es sich, daß sie schon ganz schwarz und brandig war. Da nahm der Herzog den Kahlmäuser, so lang er war, trug ihn an die lange Treppe, auf der man bis in den zweiten Stock hinaufreiten kann, und warf ihn hinunter, daß er halb tot unten ankam. Und seit der Zeit ist der Doktor Calmus nicht gut auf den Herzog zu sprechen. Andere sagen auch, er sei der Kundschafter gewesen zwischen dem Hutten und Frau Sabina und habe nur deswegen den Hund übernommen, weil er dadurch ins Schloß kam.«

»So? Mit dem Hutten hat er es gehalten?« sagte einer der Bürger. »Das hätten wir wissen sollen, so hätten wir ihm das Fell recht gegerbt, dem Lumpendoktor! Der Hutten ist doch an all dem unseligen Krieg schuld mit seiner Liebelei, und der dürre Kahlmäuser hat ihm dazu geholfen?«

»De mortuis nil nisi bene; man muß die Toten schonen, sagen die Lateiner«, entgegnete der fette Herr, »der arme Teufel hat es mit dem Leben teuer genug bezahlt.«

»Aber es ist ihm recht geschehen«, rief jener Bürger mit großer Hitze, »an des Herzogs Stelle hätt‘ ich’s gerade auch so gemacht, ein jeder Mann muß sein Hausrecht wahren.«

»Reitet Ihr zuweilen mit dem Vogt auf die Jagd?« fragte der fette Herr mit überaus schlauem Lächeln. »Da habt Ihr die beste Gelegenheit, ein Schwert habt Ihr ja, und eine Eiche wird sich auch finden, wohin Ihr seinen Leichnam hängen könnt.«

Ein schallendes Gelächter der Bürger von Pfullingen belehrte den Gast im Erker, daß jener eifrige Verteidiger des Hausrechts in seinem eigenen Haus nicht so ganz strenge Justiz üben müsse. Er errötete und murmelte einige unverständliche Worte in seinen Becher hinein.

Der Zerlumpte aber, der als Fremder nicht mitlachen wollte, nahm sich seiner an: »Ja, wohl hat der Herzog ganz recht gehabt; denn er hätte den Hutten auf der Stelle hängen können, ohne daß er erst mit ihm focht; er ist ja Freischöff vom westfälischen Stuhl, vom heimlichen Gericht, und darf einen solchen Ehrenschänder ohne weiteres abtun. Und er hatte die besten Beweise gleich bei der Hand.«

Das Gespräch der Bürger sank jetzt zum Geflüster herab, und Georg glaubte zu bemerken, daß sie über ihn ihre Glossen machten. Auch die freundliche Wirtin schien neugierig zu wissen, wen sie in ihrem Erkerlein beherberge. Sie setzte die Speisen, die sie ihm bereitet hatte, vor ihn hin, nachdem sie ein schönes Tafeltuch über den runden Tisch ausgebreitet hatte. Dann nahm sie selbst an der entgegengesetzten Seite Platz und befragte ihn, wiewohl sehr bescheiden, über das Woher? Und Wohin?

Der junge Mann war nicht gesonnen, ihr über den eigentlichen Zweck seiner Reise genaue Auskunft zu geben. Das Gespräch der Gäste an der langen Tafel hatte ihn belehrt, daß es hier nicht minder gefährlich sei, zu gar keiner Partei zu gehören, als sich für irgendeine bestimmt zu erklären; er sagte daher, er komme aus Franken und werde noch weiter hinauf ins Land, in die Gegend von Zollern reisen, und schnitt somit jede weitere Frage ab; denn die Wirtin war zu bescheiden, als daß sie sich den Ort, wohin er gehe, noch näher hätte bezeichnen lassen. Es schien ihm aber eine gute Gelegenheit, sich nach Marien zu erkundigen, denn er war glücklich, wenn ihm die Wirtin zum goldenen Hirsch auch nur ihren Namen nennen, nur den Saum ihres Kleides beschreiben würde. Er fragte daher nach den Burgen umher und nach den ritterlichen Familien, die in der Nachbarschaft wohnen.

Die Wirtin schwatzte gerne. Sie gab ihm in weniger als einer Viertelstunde die Chronik von fünf bis sechs Schlössern aus der Gegend, und bald kam auch Lichtenstein an die Reihe. Der junge Mann holte bei diesem Namen tiefer Atem und schob die Schüssel weit weg, um seine Aufmerksamkeit ganz der Erzählerin zu widmen

»Nun, die Lichtensteiner sind gar nicht arm, im Gegenteil, sie haben schöne Felder und Wälder, und keine Rute Landes verpfändet. Da ließe sich der Alte lieber seinen langen Bart abscheren, obgleich er gar nicht viel darauf hält und ihn immer streichelt, wenn er mit den Leuten spricht. Er ist ein strenger, ernster Mann. Was er einmal haben will, das muß geschehen, und sollte es biegen oder brechen. Er ist auch einer von denen, die es so lange mit dem Herzog hielten. Die Bündischen werden es ihm übel entgelten lassen.«

»Wie ist denn seine…, ich meine, Ihr sagtet, er habe eine Tochter, der Lichtenstein?«

»Nein«, antwortete die Wirtin, indem sich ihr sonst so heiteres Gesicht in grämliche Falten zog, »von der habe ich gewiß nicht gesprochen, daß ich es wüßte. Ja, er hat eine Tochter, der gute alte Mann, und es wäre ihm besser, er führe kinderlos in die Grube, als daß er aus Jammer über sein einziges Kind abfährt.«

Georg traute seinen Ohren nicht. Was konnte die Wirtin gerade von Marien so Arges denken, daß sie den Vater glücklich pries, wenn er dieses Kind nicht hätte? »Was ist es denn mit diesem Fräulein?« fragte er, indem er sich vergebens abmühte, recht scherzhaft auszusehen: »Ihr macht mich neugierig, Frau Wirtin. Oder ist es ein Geheimnis, das Ihr nicht sagen dürft?«

Die Frau zum goldenen Hirsch schaute aus dem Erker heraus nach allen Seiten, ob niemand lausche. Aber die Bürger waren ruhig in ihrem Gespräch begriffen und achteten nicht auf sie, und sonst war niemand in der Nähe, der sie hören konnte. »Ihr seid ein Fremder«, hub sie nach diesen Forschungen an, »Ihr reist weiter und habt nichts mit dieser Gegend zu schaffen, darum kann ich Euch wohl sagen, was ich nicht jedem vertrauen möchte. Das Fräulein dort oben auf dem Lichtenstein ist ein – ein – ja bei uns Bürgersleuten würde man sagen, sie ist ein schlechtes Ding, eine lose Dirne – «

»Frau Wirtin!« rief Georg.

»So schreit doch nicht so, verehrter Herr Gast, die Leute schauen sich ja um. Meint Ihr denn, ich sage, was ich nicht ganz gewiß weiß? Denkt Euch, alle Nacht Schlag elf Uhr läßt sie ihren Liebsten in die Burg. Ist das nicht schrecklich genug für ein sittsames Fräulein?«

»Bedenkt, was Ihr sprecht! Ihren Liebsten?«

»Ja leider, nachts um elf Uhr ihren Liebsten. Es ist eine Schande und ein Spott! Es ist ein ziemlich großer Mann, der kommt in einen grauen Mantel gehüllt ans Tor. Sie hat es zu machen gewußt, daß zu dieser Zeit alle Knechte vom Tor entfernt sind, und nur der alte Burgwart, der ihr auch in ihrer Kindheit zu allen losen Streichen half, um den Weg ist. Da kommt sie nun allemal, wenn es drüben in Holzelfingen elf Uhr schlägt, selbst herunter in den Hof, die Nacht mag so kalt sein, als sie will, und bringt den Schlüssel zur Zugbrücke, den sie zuvor ihrem alten Vater vom Bett stiehlt. Dann schließt der alte Sünder, der Burgwart, auf, die Brücke fällt nieder, und der Mann im grauen Mantel eilt in die Arme des Fräuleins.«

»Und dann?« fragte Georg, der beinahe keinen Atem mehr in der Brust, kein Blut mehr in den Wangen hatte. »Und dann?«

»Ja, dann wird Braten, Brot und Wein geholt. Soviel ist gewiß, daß der nächtliche Liebste einen ungeheuren Hunger haben muß, denn er hat in mancher Nacht einen halben Rehziemer rein aufgezehrt und zwei, drei Nößel Wein dazu getrunken. Was weiter geschieht, weiß ich nicht. Ich will nichts vermuten, nichts sagen, aber das weiß ich«, setzte sie mit einem christlichen Blick gen Himmel hinzu, »beten werden sie nicht.«

Georg schalt sich nach kurzem Nachdenken selbst aus, daß er nur einen Augenblick gezweifelt habe, daß diese Erzählung eine Lüge, von irgendeinem müßigen Kopf ersonnen sei. Oder wenn auch etwas Wahres daran wäre, so konnte es doch nichts sein, das Marien zur Unehre gereicht hätte. Er trug diese Zweifel auch seiner Wirtin vor.

»So? Meint Ihr, der Vater wisse um die Geschichte?« sprach sie.

»Dem ist nicht so. Sehet, ich weiß das gewiß, denn die alte Rosel, die Amme des Fräuleins –«

»Die alte Rosel hat es gesagt?« rief Georg unwillkürlich. Ihm war ja diese Amme, die Schwester des Pfeifers von Hardt, so wohlbekannt. Freilich, wenn diese es gesagt hatte, war die Sache nicht mehr so zweifelhaft. Denn er wußte, daß sie eine fromme Frau und dem Fräulein sehr zugetan war.

»Ihr kennt die alte Rosel?« fragte die Wirtin, erstaunt über den Eifer, womit ihr fremder Gast nach dieser Frau fragte.

»Ich? Sie kennen? Nein, erinnert Euch nur, daß ich heute zum ersten Mal in diese Gegend komme. Nur der Name Rosel fiel mir auf.«

»Sagt man bei Euch nicht so? Rosel heißt Rosina bei uns, und so nennt man die alte Amme in Lichtenstein. Nun seht, diese hält viel auf mich und kommt hie und da zu mir, dann koche ich ein süßes Weinmüschen, was sie für ihr Leben gerne ißt, und zum Dank vertraut sie mir allerlei Neues. Von ihr habe ich auch, was ich Euch sagte. Der Vater weiß gar nichts von diesen nächtlichen Besuchen; denn er geht schon um acht Uhr zu Bett. Die Amme schickte das Fräulein jedes Mal um acht Uhr in ihre Kammer. Das fiel nun nach ein paar Tagen der guten Rosel auf. Sie stellte sich, als gehe sie zu Bett, und siehe da, was geschieht? Kaum ist alles ruhig im Schloß, so macht das Fräulein, das sonst keinen Span anrührt, eigenhändig ein Feuer auf dem Herd, kocht und bratet, was sie kann und weiß, holt Wein aus dem Keller, holt Brot aus dem Schrank und deckt in der Herrenstube den Tisch. Dann schaut sie zum Fenster hinaus in die kalte schwarze Nacht, und richtig, wenn es drüben elf Uhr schlägt, rasselt die Zugbrücke nieder, der nächtliche Geselle wird eingelassen und geht mit dem Fräulein in die Herrenstube. Sie hat auch schon gehorcht, die Rosel, was wohl drinnen vorgehe, aber die eichenen Türen sind gar dick. Dann lugt sie auch einmal durch’s Schlüsselloch, sah aber nichts als den Kopf des Fremden.«

»Nun, und ist er schon alt? Wie sieht er aus?«

»Alt? Wo denkt Ihr hin! Die sieht mir auch danach aus, daß sie es mit einem Alten hätte! Jung ist er und schön, wie mir die Rosel sagt. Er hat einen dunklen Bart um Mund und Kinn, schönes gerolltes Haar auf dem Kopf und sah recht freundlich und liebreich aus.«

»Daß ihm der Satan den Bart Haar für Haar auszwicke!« murmelte Georg und strich mit der Hand über sein Kinn, das noch ziemlich glatt war. »Frau, besinnt Euch, habt Ihr denn dies alles so recht gehört von der Frau Rose!? Hat sie dies alles so gesagt? Macht Ihr nicht noch mehr dazu?«

»Gott bewahre mich, daß ich über jemand lästere! Da kennt Ihr mich schlecht, Herr Ritter! Das alles hat mir Frau Rosel gesagt, und noch mehr hat sie vermutet und mir ins Ohr geflüstert, was eine ehrliche Frau einem schönen jungen Herrn nicht wieder sagen kann. Und denkt Euch, wie recht schlecht das Fräulein ist, sie hat noch einen anderen Liebhaber gehabt, und dem ist sie also untreu geworden!«

»Noch einen?« fragte Georg aufmerksam, denn die Erzählung schien ihm mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit zuzunehmen.

»Ja, noch einen. Es soll ein gar schöner, lieber Herr sein, sagte mir die Rosel. Sie war mit dem Fräulein einige Zeit in Tübingen, und da war ein Herr von – von – ich glaube Sturmfittich heißt er – der war auf der hohen Schule. Und da lernten sich die beiden Leutchen kennen, und die Amme schwört, es sei nie ein schmuckeres Paar erfunden worden im ganzen Schwabenland. Sie hat ihn auch ganz schrecklich liebgehabt, das ist wahr, und sei sehr traurig gewesen um ihn, als sie von Tübingen ging. Nun ist sie dem armen Jungen untreu geworden, das falsche Herz, und die Amme heult, wenn sie nur an den schönen, treuen Herrn denkt. Er soll noch viel, viel schöner gewesen sein als der, den sie jetzt hat.«

»Frau Wirtin, wie oft laßt Ihr mich denn klopfen, bis ich einen vollen Becher bekomme«, rief der fette Herr aus der Trinkstube herauf; denn die Frau Wirtin hatte über ihrer Erzählung alles übrige vergessen.

»Gleich, gleich!« antwortete sie und flog an den Schenktisch hin, den durstigen Herrn mit seiner besseren Sorte zu versehen. Und von da ging es zum Keller, und Boden und Küche nahmen sie in Anspruch, so daß der Gast im Erker gute Weile hatte, einsam über das, was er gehört hatte, nachzusinnen.

Den Kopf auf die Hand gestützt, saß er da und schaute unverrückt in die Tiefe seines silbernen Bechers. So saß er am Nachmittag, so saß er am Abend. Die Nacht war schon lange eingebrochen, und er saß noch immer so hinter dem runden Tisch im Erker, tot für die Welt umher, nur hin und wieder verriet ein tiefes Seufzen, daß noch Leben und Empfindung in ihm sei. Die Wirtin wußte nicht, was sie aus ihm machen sollte. Sie hatte sich wenigstens zehnmal neben ihn gesetzt, hatte versucht, mit ihm zu sprechen aber er hatte ihr gedankenlos mit starren Augen ins Gesicht geschaut und nichts geantwortet. Es war ihr ganz Angst dabei geworden, denn gerade so hatte sie ihr seliger Mann angestarrt, als er das Zeitliche segnete und ihr den goldenen Hirsch hinterließ.

Sie beriet sich mit dem fetten Herrn, und auch der Mann mit dem Lederrücken gab seine Meinung preis. Die Wirtin behauptete, entweder sei er verliebt bis über die Ohren, oder man habe es ihm angetan. Sie belegte ihre Behauptung mit einer schrecklichen Geschichte von einem jungen Ritter, den sie gesehen und der aus lauter Liebe am ganzen Leib erstarrt sei, bis er am Ende gestorben.

Der Zerlumpte war nicht dieser Meinung. Er glaubte, dem jungen Mann sei vielleicht ein Unglück geschehen, wie jetzt oft im Krieg vorkomme, und er sei deswegen in so tiefe Trauer versenkt. Der fette Herr aber blinzelte einige Male nach dem stummen Gast im Erker hinauf und fragte dann mit sehr pfiffiger Miene, von welchem Gewächs und Jahrgang der Ritter trinke?

»Nun, ich hab‘ ihm Heppacher gegeben von 1480. Es ist das Beste, was der goldene Hirsch hat.«

»Da haben wir es!« rief der kluge Mann. »Ich kenn‘ den Heppacher Achtziger, den kann solch ein Junkerlein nicht führen, und der ist ihm zu Kopf gestiegen. Laßt ihn sitzen, laßt ihn immer sitzen, seinen schweren Kopf in der Hand, ich wette, ehe es acht Uhr schlägt, hat er ausgeschlafen und ist wieder so frisch wie der Fisch im Wasser.«

Der Zerlumpte schüttelte den Kopf und sagte nichts dazu, die Wirtin aber lobte den gewohnten Scharfsinn des fetten Herrn und fand seine Vermutung am wahrscheinlichsten.

Es war neun Uhr in der Nacht, die täglichen Zechgäste hatten schon alle die Trinkstube verlassen, und auch die Wirtin wollte sich zum Abendsegen rüsten, als der fremde Herr aus seinem Zustand erwachte. Er sprang auf, machte einige Gänge durchs Zimmer und blieb endlich vor der Hausfrau stehen. Er sah düster und verstört aus, und die wenigen Stunden vom Mittag bis jetzt hatten seinen sonst so freundlichen offenen Zügen tiefe Spuren des Grams eingedrückt.

Die Wirtin dauerte sein Anblick. Sie wollte ihm, eingedenk des klugen fetten Herrn, noch ein heilsames Süpplein kochen und ihm dann ein treffliches, weiches Bett anweisen, doch er schien für diese Nacht ein rauheres Lager sich erwählt zu haben.

»Wann sagt Ihr«, hub er mit leiser, unsicherer Stimme an, »wann geht der nächtliche Gast nach Lichtenstein, und wann kommt er zurück?«

»Um elf Uhr, lieber Herr, geht er hinein, und um den ersten Hahnenschrei kommt er wieder über die Zugbrücke.«

»Laßt mein Pferd satteln und besorgt mir einen Knecht, der mich nach Lichtenstein geleite.«

»Jetzt in der Nacht?« rief die Wirtin und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Jetzt wollt Ihr ausreiten? Ei geht doch Ihr treibt Spaß mit mir.«

»Nein, gute Frau, es ist mein Ernst. Aber sputet Euch ein wenig, ich habe Eile.«

»Die habt Ihr den ganzen Tag nicht gehabt«. entgegnete jene, »und jetzt wollt Ihr auf einmal über Hals und Kopf in die Nacht hinaus. Zwar die frische Luft kann nichts schaden bei solchen Kranken. Aber weiß Gott, Euer Pferd lasse ich nicht aus dem Stall, Ihr könnt mir herunterfallen oder allerlei Unglück anrichten, und dann hieße es, wo hat denn die Hirschwirtin wieder den Kopf gehabt, daß sie die Leute so laufen läßt.«

Der junge Mann hatte ihre Rede ganz überhört, denn er war wieder in sein düsteres Sinnen zurückgesunken. Als sie aufhörte zu sprechen, schrak er auf und wunderte sich, daß sie seinen Befehl noch nicht befolgt habe.

Er ging, als sie noch immer zauderte, um sein Pferd selbst zu besorgen. Da dachte sie, daß sie doch keine Gewalt habe, ihn zurückzuhalten und daß es geratener sein möchte, ihn ziehen zu lassen. »Laßt dem Herrn seinen Braunen herausführen«, rief sie, »und der Andres soll sich rüsten, heute nacht noch ein Stück Wegs zu gehen! – Er hat recht, daß er jemand mitnehmen will«, sprach sie für sich weiter, »der kann ihn doch im Notfall halten. Zwar sagt man, sie haben ein paar Sinne mehr, wenn sie etwas im Kopf haben, und es falle keiner so leicht vom Pferd, wenn er auch hin und her schwankt wie der Schwengel in der großen Glocke, aber besser ist besser. – Was Ihr schuldig seid, Herr Ritter? Nun, Ihr habt gehabt eine Maß Alten, macht zwölf Kreuzer, und das Essen – nun, es ist nicht der Rede wert, was Ihr gegessen habt. Ihr habt ja mein Huhn kaum angesehen. Nun, wenn Ihr für den Stall und das Essen noch zwei Kreuzer zulegen wollt, so wird Euch eine arme Witfrau schön danken.«

Nachdem die Rechnung in dem niederen Münzfuß der guten, alten Zeit berichtigt war, entließ die Wirtin zum goldenen Hirsch ihren Gast. Sie war ihm zwar nicht mehr so gewogen wie heute mittag, als er herrlich wie der junge Tag in ihre Trinkstube getreten war, aber dennoch konnte sie sich nicht verhehlen, als er beim Schein der Kienfackeln sich aufs Pferd schwang, daß sie nicht leicht einen schöneren Mann gesehen habe, und sie schärfte daher ihrem Knecht, der sie begleitete, um so sorgfältiger ein, recht genau auf ihn acht zu haben, weil es bei diesem Herrn »doch nicht ganz richtig im Kopf sei«.

Vor dem Tor von Pfullingen fragte der Knecht den nächtlichen Reiter, wohin er reiten wolle, und auf seine Antwort: »Nach Lichtenstein«, schlug er einen Weg rechts ein, der zum Gebirge führte. Der junge Mann ritt schweigend durch die Nacht hin. Er sah nicht rechts, er sah nicht links, er sah nicht auf nach den Sternen, nicht hinaus in die Weite, seine gesenkten Blicke hafteten am Boden. Es war ihm wie damals, als ihn die Mörder am Weg niedergeschlagen hatten. Seine Gedanken standen still, er hoffte nicht mehr, er hatte zu leben, zu lieben und zu wünschen aufgehört. Und doch war ihm damals wohler gewesen, als ihm auf dem kühlen Teppich des Wiesentales die Besinnung schwand. Er war ja entschlummert mit dem erhebenden Gedanken an sie, und die erstarrenden Lippen hatten noch einmal einen süßen Namen ausgesprochen.

Aber jetzt war die Leuchte verlöscht, die seinen Pfad durchs Leben erhellt hatte. Es war ihm, als habe er nur noch einen kurzen Weg im Dunkeln hinzugehen und dann in lichteren Höhen als auf dem Lichtenstein seine Ruhe zu finden. Und unwillkürlich zuckte seine Rechte hie und da ans Schwert, als wolle er sich versichern, daß ihm dieser Gefährte wenigstens treu geblieben sei, als sei dies der gewichtige Schlüssel, der die Pforte sprengen sollte, die aus dem Dunkel zum Licht führt.

Der Wald hatte längst die Wanderer aufgenommen. Steiler wurden die Pfade, und das Roß strebte mühsam unter der Last des Reiters und seiner Rüstung bergan, doch der Reiter bemerkte es nicht. Die Nachtluft wehte kühler und spielte mit den langen Haaren des Jünglings, er fühlte es nicht. Der Mond kam herauf und beleuchtete seinen Pfad, beleuchtete kühne Felsenmassen und die hohen gewaltigen Eichen, unter welchen er hinzog, er sah es nicht. Unbemerkt von ihm rauschte der Strom der Zeit an ihnen vorüber, Stunde um Stunde verging, ohne daß ihm der Weg lang dünkte.

Es war Mitternacht, als sie auf der höchsten Höhe ankamen. Sie traten heraus aus dem Wald, und getrennt durch eine weite Kluft von der übrigen Erde, lag auf einem einzelnen, senkrecht aus der nächtlichen Tiefe aufsteigenden Felsen der Lichtenstein.

Seine weißen Mauern, seine zackigen Felsen schimmerten im Mondlicht. Es war, als schlummere das Schlößchen abgeschieden von der Welt, im tiefen Frieden der Einsamkeit.

Der Ritter warf einen düsteren Blick dorthin und sprang ab. Er band das Pferd an einen Baum und setzte sich auf einen bemoosten Stein, gegenüber von der Burg. Der Knecht stand wartend, was sich weiter begeben werde, und fragte mehrere Male vergeblich, ob er seines Dienstes jetzt entlassen sei?

»Wie weit ist’s noch bis zum ersten Hahnenschrei?« fragte endlich der stumme Mann auf dem Stein

»Zwei Stunden, Herr!« war die Antwort des Knechtes.

Der Ritter reichte ihm reichlichen Lohn für sein Geleit und winkte ihm zu gehen. Er zögerte, als scheue er sich, den jungen Mann in diesem unglücklichen Zustand zu verlassen. Als aber jener ungeduldig seinen Wink wiederholte, entfernte er sich still. Nur einmal noch sah er sich um, ehe er in den Wald eintrat. Der schweigende Gast saß noch immer, die Stirn in die Hand gestützt, im Schatten einer Eiche, auf dem bemoosten Stein.

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Kapitel 19

Kapitel 19

Georg von Sturmfeder war nicht von so kühlem Blut, daß ihn die Nachricht, die er heute erhielt, nicht aus allen Schranken der Billigkeit und Mäßigung herausgejagt hätte; er war überdies in einem Alter, wo zwar die offene Seele sich noch nicht daran gewöhnt hat, den Menschen a priori zu mißtrauen wo aber ein solcher Fall umso überraschender ist, umso gefährlicher wirkt, eben weil das arglose Herz ihn nie gedacht hat.

Georg war auf der Stufe der düsteren, stillen Wut und der Rache angekommen; über diese Empfindung brütend, saß er unempfindlich gegen die Kälte der Nacht auf dem bemoosten Stein, und sein einziger, immer wiederkehrender Gedanke war, den nächtlichen Freund »zu stellen, und ein Wort mit ihm zu sprechen«.

Es schlug zwei Uhr in einem Dorf über dem Wald, als er sah, daß sich Lichter an den Fenstern des Schlosses hin bewegten; erwartungsvoll pochte sein Herz, krampfhaft hatte seine Hand den langen Griff des Schwertes umfaßt. Jetzt wurden die Lichter hinter den Gittern des Tores sichtbar, Hunde schlugen an; Georg sprang auf und warf den Mantel zurück. Er hörte, wie eine tiefe Stimme ein vernehmliches »gute Nacht« sprach. Die Zugbrücke rauschte nieder und legte sich über den Abgrund, der das Land von Lichtenstein scheidet, das Tor ging auf, und ein Mann, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, den dunklen Mantel fest umgezogen, schritt über die Brücke und gerade an den Ort zu, wo Georg Wache hielt.

Er war noch wenige Schritte entfernt, als dieser mit einem dröhnenden: »Zieh, Verräter, und wehr Dich Deines Lebens!«, auf ihn einstürzte; der Mann im Mantel trat zurück und zog; im Augenblick begegneten sich die blitzenden Klingen und rasselten klirrend aneinander.

»Lebendig sollst Du mich nicht haben«, rief der andere; »wenigstens will ich mein Leben teuer genug bezahlen!« Zugleich sah ihn Georg tapfer auf sich eindringen, und an den schnellen und gewichtigen Hieben merkte er, daß er keinen zu verachtenden Gegner vor der Klinge habe. Georg war kein ungeübter Fechter, und er hatte manch ernsten Kampf mit Ehre ausgefochten, aber hier hatte er seinen Mann gefunden. Er fühlte, daß er sich bald auf die eigene Verteidigung beschränken müsse, und wollte eben zu einem letzten, gewaltigen Stoß ausfallen, als plötzlich sein Arm mit ungeheurer Gewalt festgehalten wurde; sein Schwert wurde ihm in demselben Augenblick aus der Hand gewunden; zwei mächtige Arme schlangen sich um seinen Leib und fesselten ihn regungslos, und eine furchtbare Stimme schrie:

»Stoßt zu, Herr! Ein solcher Meuchelmörder verdient nicht, daß er noch einen Augenblick zum letzten Paternoster habe!«

»Das kannst Du verrichten, Hans«, sprach der im Mantel, »ich stoße keinen Wehrlosen nieder; dort ist sein Schwert, schlag ihn tot, aber mach es kurz.«

»Warum wollt Ihr mich nicht lieber selbst umbringen, Herr!« sagte Georg mit fester Stimme. »Ihr habt mir meine Liebe gestohlen, was liegt an meinem Leben?«

»Was habe ich?« fragte jener und trat näher.

»Was Teufel ist das für eine Stimme?« sprach der Mann, der ihn noch immer umschlungen hielt, »Die sollte ich kennen!« Er drehte den jungen Mann in seinen Armen um, und wie von einem Blitz getroffen, zog er die Hände von ihm ab! »Jesus, Maria und Joseph! Da hätten wir bald etwas Schönes gemacht! Aber welcher Unstern führt Euch auch gerade hierher, Junker? Was denken auch meine Leute, daß sie Euch fortlassen, ohne daß ich dabei bin!«

Es war der Pfeifer von Hardt, der Georg so anredete und ihm die Hand zum Gruß bot; dieser aber schien nicht geneigt, dieses freundliche Zeichen einem Mann zu erwidern der noch soeben das Handwerk des Henkers an ihm verrichten wollte; wild blickte er bald den Mann im Mantel, bald den Pfeifer an. »Meinst Du«, sagte er zu diesem, »ich hätte mich von Deinen Weibern in Gefangenschaft halten lassen sollen, daß ich Deine Verräterei hier nicht sehe? Erbärmlicher Betrüger! Und Ihr«, wandte er sich zu dem anderen, »wenn Ihr ein Mann von Ehre seid, so steht mir, und fallt nicht zu zweit über einen her; wenn Ihr wißt, daß ich Georg von Sturmfeder bin, so mögen Euch meine früheren Ansprüche auf das Fräulein nicht unbekannt sein, und mit Euch mich zu messen, bin ich hierher gekommen. Darum befehlt diesem Schurken, daß er mir mein Schwert wiedergebe, und laßt uns ehrlich fechten, wie es zwei Männern geziemt.«

»Ihr seid Georg von Sturmfeder?« sprach jener mit freundlicher Stimme und trat näher zu ihm. »Es scheint mir, Ihr seid etwas im Irrtum hier. Glaubt mir, ich bin Euch sehr gewogen und hätte Euch längst gerne gesehen. Nehmt das Ehrenwort eines Mannes, daß mich nicht die Absichten in jenes Schloß führen, die Ihr mir unterlegt, und seid mein Freund!«

Er bot dem überraschten Jüngling die Hand unter dem Mantel hervor, doch dieser zauderte; die gewichtigen Hiebe dieses Mannes hatten ihm zwar gesagt, daß er ein Ehrenwerter und Tapferer sei, darum konnte und mußte er seinen Worten trauen; aber sein Gemüt war noch so verwirrt von allem, was er gehört und gesehen, daß er ungewiß war, ob er den Handschlag dessen, den er noch vor einem Augenblick als seinen bittersten Feind angesehen hatten empfangen sollte oder nicht.

»Wer ist es, der mir die Hand bietet?« fragte er. »Ich habe Euch meinen Namen genannt und könnte wohl billigerweise dasselbe von Euch verlangen.«

Der Unbekannte schlug den Mantel auseinander und schob das Barett zurück; der Mond beleuchtete ein Gesicht voll Würde, und Georg begegnete einem glänzenden Auge, das den Ausdruck gebietender Hoheit trug. »Fragt nicht nach Namen«, sprach er, indem ein Zug von Wehmut um seinen Mund blitzte, »ich bin ein Mann und dies mag Euch genug sein; wohl führte auch ich einst einen Namen in der Welt, der sich mit dem ehrenwertesten messen konnte, wohl trug auch ich die goldenen Sporen und den wallenden Helmbusch, und auf den Ruf meines Hüfthorns lauschten viele hundert Knechte; er ist verklungen. Aber eines ist mir geblieben«, setzte er mit unbeschreiblicher Hoheit hinzu, indem er die Hand des jungen Mannes fester drückte, »ich bin ein Mann und trage ein Schwert: Si fractus illabatur orbis, Impavitum ferient ruinae.«

Er drückte das Barett wieder in die Stirn zog seinen Mantel hoch herauf und ging vorüber in den Wald.

Georg stand in stummem Erstaunen auf sein Schwert gestützt. Der Anblick dieses Mannes – es war ihm unbegreiflich – hatte alle Gedanken der Rache in seinem Herzen ausgelöscht. Dieser gebietende Blick, dieser gewinnende, wohlwollende Zug um den Mund, das tapfere, gewaltige Wesen dieses Mannes erfüllten seine Seele mit Staunen, mit Achtung, mit Beschämung. Er hatte geschworen, mit Marien in keiner Berührung zu stehen, er hatte es bekräftigt mit jener tapferen Rechten, die noch eben die gewichtige Klinge leicht wie im Spiel geführt hatte; er hatte es bekräftigt mit einem jener Blicke, deren Strahl Georg wie den der Sonne nicht zu ertragen vermochte, eine Bergeslast wälzte sich von seiner Brust, denn er glaubte, er mußte glauben.

»Wer ist dieser Mann?« fragte Georg den Pfeifer, der noch immer neben ihm stand.

»Ihr hörtet ja, daß er keinen Namen hat, und auch ich weiß ihn nicht zu nennen.«

»Du wüßtest nicht, wer er ist?« entgegnete Georg, »und doch hast Du ihm beigestanden, als er mit mir focht? Geh! Du willst mich belügen!«

»Gewiß nicht, Junker«, antwortete der Pfeifer, »es ist, Gott weiß es, wahr, daß jener Mann derzeit keinen Namen hat; wenn Ihr übrigens durchaus erfahren wollt, was er ist, so wißt, er ist ein Geächteter, den der Bund aus seinem Schloß vertrieb; einst aber war er ein mächtiger Ritter im Schwabenland.«

»Der Arme! Darum also ging er so verhüllt? Und mich hielt er wohl für einen Meuchelmörder! Ja, ich erinnere mich, daß er sagte, er wolle sein Leben teuer genug verkaufen.«

»Nehmt mir nicht übel, werter Herr«, sagte der Bauer, »auch ich hielt Euch für einen, der dem Geächteten auf das Leben lauern wollte, darum kam ich ihm zu Hilfe, und hätte ich nicht Eure Stimme noch gehört, wer weiß, ob Ihr noch lange geatmet hättet. Wie kommt Ihr aber auch um Mitternacht hierher, und welches Unheil führt Euch gerade dem geächteten Mann in den Wurf! Wahrlich, Ihr dürft von Glück sagen, daß er Euch nicht in zwei Stücke gehauen; es leben wenige, die vor seinem Schwert standgehalten hätten. Ich vermute, die Liebe hat Euch da einen argen Streich gespielt!«

Georg erzählte seinem ehemaligen Führer, welche Nachrichten ihm im Hirsch in Pfulligen mitgeteilt worden seien. Namentlich berief er sich auf die Aussage der Amme, des Pfeifers Schwester, die ihm so höchst wahrscheinlich gelautet habe.

»Dacht‘ ich’s doch, daß es so was sein müsse«, antwortete der Pfeifer. »Die Liebe hat manchem noch ärger mitgespielt, und ich weiß nicht, was ich in jungen Jahren in ähnlichem Fall getan hätte. Daran ist aber wieder niemand schuld als meine alte Rosel, die alte Schwätzerin, was hat sie nötig, der Wirtin im Hirsch, die auch nichts bei sich behalten kann, zu beichten?«

»Es muß aber doch etwas Wahres an der Sache sein«, entgegnete Georg, in welchem das alte Mißtrauen hin und wieder aufblitzte. »So ganz ohne Grund konnte doch Frau Rosel nichts ersinnen!«

»Wahr? Etwas Wahres müsse daran sein? Allerdings ist alles wahr nach der Reihe; die Knechte werden zu Bett geschickt und die alte Aufpasserin auch, um elf Uhr kommt der Mann vor das Schloß, die Zugbrücke fällt herab, die Tore tun sich ihm auf, das Fräulein empfängt ihn und führt ihn in die Herrenstube -«

»Nun? Siehst Du?« rief Georg ungeduldig. »Wenn dies alles wahr ist, wie kann dann jener Mann schwören, daß er mit dem Fräulein -«

»Daß er mit dem Fräulein ganz und gar nichts wolle?« antwortete der Pfeifer. »Allerdings kann er das schwören; denn es ist nur ein Unterschied bei der ganzen Sache, den die Gans, die Rosel, freilich nicht gewußt hat, nämlich, daß der Ritter von Lichtenstein in der Herrenstube sitzt, das Fräulein aber sich entfernt, wenn sie ihre heimlich bereiteten Speisen aufgetragen hat. Der Alte bleibt bei dem geächteten Mann bis um den ersten Hahnenschrei, und wenn er gegessen und getrunken und die erstarrten Glieder am Feuer wieder erwärmt hat, verläßt er das Schloß, wie er es betreten.«

»Oh ich Tor! Daß ich dies alles nicht früher ahnte. Wie nahe lag die Wahrheit und wie weit ließ ich mich irreleiten! – Aber sprich«, fuhr Georg nach einigem Nachsinnen fort, »auffallend ist es mir doch, daß dieser geächtete Mann alle Nacht ins Schloß kommt; in welch unwirtlicher Gegend wohnt er denn wo er keine warme Kost, keinen Becher Wein und keinen warmen Ofen findet? – Höre, wenn Du mich dennoch belögest!«

Des Pfeifers Auge ruhte mit einem beinahe spöttischen Ausdruck auf dem jungen Mann. »Ein Junker wie Ihr«, antwortete er, »weiß freilich wenig, wie weh Verbannung tut; Ihr wißt es nicht, was es heißt, sich vor den Augen seiner Mörder verbergen, Ihr wißt nicht, wie schaurig sich’s in feuchten Höhlen, in unwirtlichen Schluchten wohnt, Ihr kennt die Wohltat nicht, die ein warmer Bissen und ein feuriger Trunk dem gewährt, der bei den Eulen speist und beim Uhu in der Miete ist: aber kommt, wenn es Euch gelüstet; der Morgen bricht noch nicht an, und in der Nacht könnt Ihr nicht nach Lichtenstein; ich will Euch dahin führen, wo der geächtete Ritter wohnt, und Ihr werdet nicht mehr fragen, warum er um Mitternacht nach Speise geht.«

Die Erscheinung des Unbekannten hatte Georgs Neugierde zu sehr aufgeregt, als daß er nicht begierig den Vorschlag des Pfeifers von Hardt angenommen hätte, besonders auch, da er darin den besten Beweis für die Wahrheit oder Falschheit seiner Aussagen finden konnte. Sein Führer ergriff die Zügel des Rosses und führte es einen engen Waldweg bergab. Georg folgte, nachdem er noch einen Blick nach den Fenstern des Lichtensteins zurückgeworfen hatte. Sie zogen schweigend immer weiter, und dem jungen Mann schien dieses Schweigen nicht unangenehm zu sein, denn er machte keinen Versuch, es zu unterbrechen. Er hing seinen Gedanken nach über den Mann, zu dessen geheimnisvoller Wohnung er geführt wurde. Unablässig beschäftigte ihn die Frage, wer dieser Geächtete sein könnte. Er erinnerte sich fast wie aus einem Traum, daß mehrere Anhänger des vertriebenen Herzogs aus ihren Besitzungen gejagt worden seien, ja es deuchte ihm sogar, es sei in der Herberge zu Pfullingen während seines teilnahmslosen Hinbrütens, von einem Ritter, Marx Stumpf von Schweinsberg, die Rede gewesen, nach welchem die Bündischen fahnden. Die Tapferkeit und ausgezeichnete Stärke dieses Mannes war in Schwaben und Franken wohlbekannt; und wenn sich Georg die zwar nicht überaus große, aber kräftige Gestalt, die gebietende Miene, das heldenmütige, ritterliche Wesen des Mannes ins Gedächtnis zurückrief, wurde es ihm immer mehr zur Gewißheit, daß der Geächtete kein anderer als der treueste Anhänger Ulrichs von Württemberg, Marx Stumpf von Schweinsberg, sei.

So dachte in jener Nacht Georg von Sturmfeder, aber noch viele Jahre nachher, als der Mann, den er in jener Nacht bekämpfte, längst wieder in seine Rechte eingesetzt war, und seinem Hüfthorn wieder Hunderte folgten, rechnete er es unter seine schönsten Waffentaten, dem tapferen, gewaltigen Unbekannten keinen Schritt breit gewichen zu sein.

Die Wanderer waren während dieses Selbstgesprächs des jungen Mannes auf einer kleinen, freien Waldwiese angekommen; der Pfeifer band das Pferd seitwärts an und winkte Georg zu folgen. Die Waldwiese brach in eine schroffe, mit dichtem Gesträuch bewachsene Abdachung ab; dort schlug der Pfeifer einige verschlungene Zweige zurück, hinter welchen ein schmaler Fußpfad sichtbar wurde, welcher abwärts führte. Nicht ohne Mühe und Gefahr folgte Georg seinem Führer, der ihm an einigen Stellen kräftig die Hand reichte. Nachdem sie etwa achtzig Fuß hinabgestiegen waren, befanden sie sich wieder auf ebenem Grund, aber umsonst suchte der junge Mann nach der Stätte des geächteten Ritters. Der Pfeifer ging nun zu einem Baum von ungeheurem Umfang, der innen hohl sein mußte, denn jener brachte zwei große Kienfackeln daraus hervor; er schlug Feuer und zündete mit einem Stückchen Schwefel die Fackeln an.

Als diese hell aufloderten, bemerkte Georg, daß sie vor einem großen Portal standen, das die Natur in die Felsenwand gebrochen hatte, und dies mochte wohl der Eingang zu der Wohnung sein, wo der Geächtete, wie sich der Pfeifer ausdrückte, beim Uhu zur Miete war. Der Mann von Hardt ergriff eine der Fackeln und bat den Jüngling, die andere zu tragen, denn ihr Weg sei dunkel und hie und da nicht ohne Gefahr. Nachdem er diese Warnung geflüstert, schritt er voran in das dunkle Tor.

Georg hatte eine niedere Erdschlucht erwartet, kurz und eng, dem Lager der Tiere gleich, wie er sie in den Forsten seiner Heimat hin und wieder gesehen, aber wie erstaunte er, als die erhabenen Hallen eines unterirdischen Palastes vor seinen Augen sich auftaten. Er hatte in seiner Kindheit aus dem Munde eines Knappen, dessen Urgroßvater in Palästina in Gefangenschaft geraten war, ein Märchen gehört, das von Geschlecht zu Geschlecht überliefert worden war; dort war ein Knabe von einem bösen Zauberer unter die Erde geschickt worden, in einen Palast, dessen erhabene Schönheit alles übertraf, was der Knabe je über der Erde gesehen hatte. Diese Sage, die sich der kindlichen Einbildungskraft tief eingedrückt, lebte auf und verwirklichte sich vor den Blicken des staunenden Jünglings. Alle Augenblicke stand er still, von neuem überrascht, hielt die Fackel hoch und staunte und bewunderte, denn in hohen, majestätisch gewölbten Bogen zog sich der Höhlengang hin, und flimmerte und blitzte, wie von tausend Kristallen und Diamanten. Aber noch größere Überraschung stand ihm bevor, als sich sein Führer links wandte und ihn in eine weite Grotte führte, die wie der festlich geschmückte Saal des unterirdischen Palastes anzusehen war.

Sein Führer mochte den gewaltigen Eindruck bemerken, den dieses Wunderwerk der Natur auf die Seele des Jünglings machte. Er nahm ihm die Fackel aus der Hand, stieg auf einen vorspringenden Felsen und beleuchtete so einen großen Teil der Grotte.

Der Führer stieg, nachdem er das Auge des Jünglings für hinlänglich gesättigt halten mochte, wieder herab von seinem Felsen. »Das ist die Nebelhöhle«, sprach er, »man kennt sie wenig im Land, und nur den Jägern und Hirten ist sie bekannt; doch wagen es nicht viele hereinzugehen, weil man allerlei böse Geschichten von diesen Kammern der Gespenster weiß. Einem, der die Höhle nicht genau kennt, möchte ich nicht raten, sich herabzuwagen; sie hat tiefe Schlünde und unterirdische Wasser, aus denen keiner mehr ans Licht kommt. Auch gibt es geheime Gänge und Kammern, die nur fünf Männern bekannt sind, die jetzt leben.«

»Und der geächtete Ritter?« fragte Georg.

»Nehmt die Fackel und folgt mir«, antwortete jener, und schritt voran in einen Seitengang. Sie waren wieder etwa zwanzig Schritte gegangen, als Georg die tiefen Töne einer Orgel zu vernehmen glaubte. Er machte seinen Führer darauf aufmerksam.

»Das ist Gesang«, entgegnete er, »der tönt in diesen Gewölben gar lieblich und voll. Wenn zwei oder drei Männer singen, so lautet es, als sänge ein ganzer Chor Mönche die Hora.« Immer vernehmlicher tönte der Gesang, je näher sie kamen, desto deutlicher wurden die Biegungen einer angenehmen Melodie. Sie bogen um eine Felsenecke und von oben herab ertönte ganz nah die Stimme des Singenden, brach sich an den zackigen Felsenwänden in vielfachem Echo, bis sie sich verschwebend mit den fallenden Tropfen der feuchten Steine und mit dem Murmeln eines unterirdischen Wasserfalles mischte, der sich in eine dunkle, geheimnisvolle Tiefe ergoß.

»Hier ist der Ort«, sprach der Führer, »dort oben in der Felswand ist die Wohnung des unglücklichen Mannes; hört Ihr sein Lied? Wir wollen warten und lauschen, bis er zu Ende ist, denn er war nicht gewohnt, unterbrochen zu werden, als er noch oben auf der Erde war.«

Die Männer lauschten und verstanden durch das Echo und das Gemurmel der Wasser etwa folgende Worte, die der Geächtete sang:

»Vom Turme, wo ich oft gesehen
Hernieder auf ein schönes Land,
Vom Turme fremde Fahnen wehen,
Wo meiner Ahnen Banner stand.
Der Väter Hallen sind gebrochen,
Gefallen ist des Enkels Los,
Er birgt, besiegt und ungerochen,
Sich in der Erde tiefem Schoß.

Und wo einst in des Glückes Tagen
Mein Jagdhorn tönte durchs Gefild,
Da meine Feinde gräßlich jagen,
Sie hetzen gar ein edles Wild.
Ich bin das Wild, auf das sie pirschen,
Die Bluthund‘ wetzen schon den Zahn,
Sie dürsten nach dem Schweiß des Hirschen,
Und sein Geweih steht ihnen an.

Die Mörder han‘ in Berg und Heide
Auf mich die Armbrust aufgespannt,
Drum in des Bettlers rauhem Kleide
Durchschleich‘ ich nachts mein eigen Land;
Wo ich als Herr sonst eingeritten
Und meinen hohen Gruß entbot,
Da klopf‘ ich schüchtern an die Hütten
Und bettle um ein Stückchen Brot.

Ihr warft mich aus den eignen Toren,
Doch einmal klopf‘ ich wieder an,
Drum Mut! Noch ist nicht all verloren,
Ich hab‘ ein Schwert und bin ein Mann.
Ich wanke nicht; ich will es tragen;
Und ob mein Herz darüber bricht,
So sollen meine Feinde sagen,
Er war ein Mann und wankte nicht.«

Er hatte geendet, und der tiefe Seufzer, den er den verhallenden Tönen seines Liedes nachsandte, ließ ahnen, daß er im Gesang nicht viel Trost gefunden habe. Dem rauhen Mann von Hardt war während des Liedes eine große Träne über die gebräunte Wange gerollt, und Georg war es nicht entgangen, wie er sich anstrengte, die alte feste Fassung wiederzuerhalten und dem Bewohner der Höhle eine heitere Stirn und ein ungetrübtes Auge zu zeigen. Er gab dem Junker auch die zweite Fackel in die Hand und klimmte den glatten schlüpfrigen Felsen hinan, der zu der Grotte führte, woraus der Gesang erklungen war. Georg dachte sich, daß er ihn vielleicht dem Ritter melden wolle, und bald sah er ihn mit einem tüchtigen Strick zurückkehren. Er klimmte die Hälfte des Felsens wieder herab und ließ sich die Fackeln geben, die er geschickt in eine Felsenritze an der Seite steckte; dann warf er Georg den Strick zu und half ihm so die Felsenwand erklimmen, was ihm ohne diese Hilfe schwerlich gelungen wäre. Er war oben und wenige Schritte noch, so stand er vor dem Felsengemach des Geächteten.

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Kapitel 20

Kapitel 20

Der Teil jener großen Höhle, welchen sie jetzt betraten, unterschied sich merklich von den übrigen Grotten und Kammern durch seine Trockenheit. Der Boden war mit Binsen und Stroh bestreut, eine Lampe, die an der Wand angebracht war, verbreitete ein hinreichendes Licht auf die Breite und den größten Teil der Länge dieser Grotte. Gegenüber saß jener Mann auf einem breiten Bärenfell, neben ihm stand sein Schwert und ein Hüfthorn; ein alter Hut und der graue Mantel, mit welchem er sich verhüllt hatte, lagen am Boden. Er trug ein Wams von dunkelbraunem Leder und Beinkleider von grobem blauem Tuch; ein unscheinbarer Anzug, der aber seinen kräftigen Körperbau und seine feinen, edlen Züge nur noch mehr heraushob. Er mochte ungefähr vierunddreißig Jahre alt sein, und sein Gesicht war noch immer hübsch und angenehm zu nennen, obgleich die erste Blüte der Jugend von Gefahren und Strapazen abgestreift schien und der verwilderte Bart ihm zuweilen etwas Furchtbares verlieh; diese flüchtigen Bemerkungen drängten sich Georg auf, als er am Eingang der Grotte still stand.

»Willkommen in meinem Palast, Georg von Sturmfeder!« rief der Bewohner der Höhle, indem er sich von dem Bärenfell aufrichtete, dem Jüngling die Hand bot und ihm winkte, auf einen ebenso kunstlosen Sitz von Rehfellen sich niederzulassen. »Seid herzlich willkommen. Es war kein übler Einfall Unseres Spielmanns, Euch in diese Unterwelt herabzuführen und mir einen so angenehmen Gesellschafter zu bringen. Hans! Du treue Seele, Du warst bisher Unser Majordomus, Truchseß und Kanzler, Wir ernennen Dich jetzt zu Unserem Kellermeister und Obermundschenk. Sieh, dort hinter jener Säule muß ein Krug stehen, worin sich noch ein Rest alten Weines befindet. Nimm meinen Jagdbecher von Buchsbaum, das einzige Tafelgeschirr, das Wir jetzt führen, gieß ihn voll bis an den Rand und kredenze ihn Unserem ehrenwerten Gast.«

Georg sah erstaunt auf den geächteten Mann. Er hatte nach dem Schicksal, das ihn betroffen, nach seinen unwirtlichen Umgebungen, zuletzt noch nach dem Klagegesang, den er gehört hatte, einen Mann erwartet, der zwar unbesiegt von den Stürmen des Lebens, aber ernst, vielleicht sogar finster in seinem Umgang sein werde. Und er fand ihn heiter, unbesorgt, scherzend über seine Lage, als habe ihn auf der Jagd ein Sturm überfallen und genötigt, eine kleine Weile in dieser Höhle Schutz gegen das Wetter zu suchen.

»Ihr schaut mich verwundert an, werter Gast«, sagte der Ritter, als Georg bald ihn, bald seine Umgebung mit verwunderten Blicken maß. »Vielleicht habt Ihr erwartet, daß ich Euch etwas vorjammern werde? Aber über was soll ich klagen? Mein Unglück kann in diesem Augenblick keiner wenden, darum ziemt es sich, daß man heitere Miene zum bösen Spiel mache. Und sagt selbst, wohne ich hier nicht, wie Fürsten selten wohnen? Habt Ihr meine Hallen gesehen und die weiten Säle meines Palastes? Glänzen nicht ihre Wände wie Silber? Wölben die Decken sich nicht wie aus Perlen und Diamanten zusammengesetzt? Werden sie nicht getragen von Säulen, die von Smaragden und Rubinen und allen Edelsteinen der Erde prangen? Doch hier kommt Hans, mein Obermundschenk, mit dem Wein. Sprich, mein Getreuer! Ist das all Unser Getränke, was in diesem Becher ist?«

»Wasser so klar als Kristall hat Eure Wohnung«, sprach der Pfeifer, der mit der heiteren Laune seines Gefährten schon vertraut war, »aber auch ein Restchen Wein, das wenigstens noch drei Becher füllt, ist im Krug und – nun, wir haben ja heute einen Gast und können schon etwas draufgehen lassen – ich will es nur gestehen, ich habe heute nacht einen vollen Krug alten Uhlbacher hereingebracht, er steht bei dem anderen.«

»Das hast Du wohl gemacht«, rief der geächtete Ritter, und ein Strahl der Freude drang aus seinem glänzenden Auge. »Glaubt nicht, Herr Georg, daß ich ein Schlemmer und Säufer bin; aber guter Wein ist ein edles Ding, und ich liebe es, in guter Gesellschaft den vollen Becher rundgehen zu lassen. Pflanze die Krüge nur hier auf, werter Kellermeister, Wir wollen tafeln, wie in den Tagen des Glückes. Ich bring‘ es Euch, auf den alten Glanz des Hauses Sturmfeder!«

Georg dankte und trank. »Ich sollte die Ehre erwidern«, sagte er, »und doch weiß ich Euren Namen nicht, Herr Ritter. Doch ich bringe es Euch! Mögt Ihr bald wieder siegreich in die Burg Eurer Väter einziehen, möge Euer Geschlecht auf ewige Zeiten grünen und blühen – es lebe!« Georg hatte die letzten Worte mit starker Stimme gerufen und wollte eben den Becher ansetzen, als das Geräusch vieler Stimmen, vom Eingang der Grotte her, aus der Tiefe emporstieg, die vernehmlich »Es lebe! lebe!« riefen. Verwundert setzte er den Becher nieder. »Was ist das?« sagte er. »Sind wir nicht allein?«

»Es sind meine Vasallen, die Geister«, antwortete der Ritter lächelnd, »oder wenn Ihr so lieber wollt, das Echo, das Eurem freundlichen Ruf beistimmte. Ich habe oft«, setzte er ernster hinzu, »in den Zeiten des Glanzes das Wohl meines Hauses von hundert Stimmen ausrufen hören, doch hat es mich nie so erfreut und gerührt als hier, wo mein einziger Gast es ausbrachte und die Felsen dieser Unterwelt es beantworteten. Fülle den Becher, Hans, und trinke, und weißt Du einen guten Spruch, so gib ihn preis.«

Der Pfeifer von Hardt füllte sich den Becher und blickte Georg mit freundlichen Blicken an: »Ich bring‘ es Euch, Junker, und etwas recht Schönes dazu: ›Das Fräulein von Lichtenstein!‹«

»Hallo, Sa! Sa! Trinkt, Junker, trinkt!« rief der Geächtete und lachte, daß die Höhle dröhnte. »Aus bis auf den Boden, aus! Sie soll blühen und leben für Euch! Das hast Du gut gemacht, Hans! Sieh nur, wie unserem Gast das Blut in die Wangen steigt, wie seine Augen blitzen, als küsse er schon ihren Mund. – Dürft Euch nicht schämen! Auch ich habe geliebt und gefreit und weiß, wie einem fröhlichen Herzen von vierundzwanzig Jahren zumute ist!«

»Armer Mann!« sagte Georg, »Ihr habt geliebt und gefreit und mußtet vielleicht ein geliebtes Weib und gute Kinder zurücklassen?« Er fühlte sich, während er dies sprach, heftig am Mantel gezogen, er sah sich um, und der Spielmann winkte ihm schnell mit den Augen, als sei dies ein Punkt, worüber man mit dem Ritter nicht sprechen müsse. Und den Jüngling gereuten auch seine Worte, denn die Züge des unglücklichen Mannes verfinsterten sich, und er warf einen wilden Blick auf Georg, indem er sagte:

»Der Frost im September hat schon oft verdorben, was im Mai gar herrlich blühte, und man fragt nicht, wie es geschehen sei. Meine Kinder habe ich in den Händen rauher, aber guter Ammen gelassen, sie werden sie, so Gott will, bewahren, bis der Vater wieder heimkommt.« Er hatte dies mit bewegter, dumpfer Stimme gesprochen, doch als wolle er die trüben Gedanken aus dem Gedächtnis wischen, fuhr er mit der Hand über die Stirn, und wirklich glätteten sich die Falten, die sich dort zusammengezogen hatten, augenblicklich, er blickte wieder heiterer um sich her und sprach: »Der Hans hier kann mir bezeugen, daß ich schon oft gewünscht habe, Euch zu sehen, Herr von Sturmfeder. Er hat mir von Eurer sonderbaren Verwundung erzählt, wo man Euch wahrscheinlich für einen der Vertriebenen gehalten und angefallen hat, indessen der Rechte Zeit gewann zu entfliehen.«

»Das soll mir lieb sein«, antwortete Georg. »Ich möchte fast glauben, man hat mich für den Herzog selbst gehalten denn diesem paßten sie damals auf; und ich will gerne die tüchtige Schlappe bekommen haben, wenn er dadurch gerettet wurde.«

»Ei, das ist doch viel. Wißt Ihr nicht, daß der Hieb, der nach Euch geführt wurde, ebensogut tödlich werden konnte?«

»Wer zu Feld zieht«, entgegnete Georg, »der muß seine Rechnung mit der Welt so ziemlich abgeschlossen haben. Es ist zwar schöner, in einer Feldschlacht vor dem Feind bleiben, wenn die Freunde jubeln und die Kameraden umherstehen, um einem den letzten Liebesdienst zu erweisen – Aber doch wäre ich damals auch gestorben, wenn es hätte sein müssen, um die Streiche dieser Meuchelmörder vom Herzog abzulenken.«

Der Geächtete sah den Jüngling mit Rührung an und drückte seine Hand. »Ihr scheint großen Anteil am Herzog zu nehmen«, sagte er, indem er seine durchdringenden Augen auf ihn heftete, »das hätte ich kaum gedacht; man sagte mir, Ihr wäret bündisch.«

»Ich weiß, Ihr seid ein Anhänger des Herzogs«, antwortete Georg, »aber Ihr werdet mir schon ein freies Wort gestatten. Seht, der Herzog hat manches getan, was nicht recht ist. Zum Beispiel die huttische Geschichte, sie mag nun sein wie sie will, hätte er unterlassen können. Sodann mag er mit seiner Frau hart umgegangen sein, und Ihr müßt selbst gestehen, er ließ sich doch zu sehr vom Zorn bemeistern, als er Reutlingen sich unterwarf -«

Er hielt inne, als erwarte er die Antwort des Ritters, doch dieser schlug die Augen nieder und winkte schweigend dem jungen Mann fortzufahren. »Nun, so dachte ich von dem Herzog, als ich bündisch wurde, so, und nur etwas stärker sprach man von ihm im Heer. Aber eine große Fürsprecherin hatte er an Marien, und es ist Euch vielleicht bekannt, daß ich mich auf ihr Zureden lossagte. Nun bekamen die Sachen bald eine andere Gestalt in meinen Augen, sei es, weil ich von Natur mitleidig bin und niemand ungerecht mißhandelt sehen kann, oder auch, weil ich die Absichten der Bündischen besser durchschaute – ich sah, daß dem Herzog zuviel geschehe; denn der Bund hatte offenbar kein Recht, den Herzog aus allen seinen Besitzungen, und sogar von seinem Fürstenstuhl, zu vertreiben und ihn ins Elend zu jagen. Und da gewann der Herzog wieder in meinen Augen. Er hätte ja vielleicht noch eine Schlacht wagen können, aber er wollte nicht das Blut seiner Württemberger auf ein so gewagtes Spiel setzen. Er hätte den Leuten Geld abpressen können und die Schweizer damit halten, aber er war größer als sein Unglück. Seht – das hat mich zu seinem Freund gemacht.«

Der Ritter schlug die Augen auf, seine Brust schien höher zu schlagen, seine edle Gestalt richtete sich stolz empor, er sah Georg lange an und drückte seine Hand an sein pochendes Herz. »Wahrlich«, sagte er, »es lebt eine heilige, reine Stimme in Dir, junger Freund! Ich kenne den Herzog wie mich selbst, aber ich darf sagen, wie Du sagtest, er ist größer als sein Unglück, und – besser als der Ruf von ihm sagt. Aber er hat wenige gefunden, die ihm die Probe gehalten haben! Ach, daß er nur Hundert gehabt hätte, wie Du bist, und es hätte kein Fetzen der bündischen Paniere auf einer württembergischen Zinne geweht. Daß Du sein Freund werden könntest! Doch es sei fern von mir, Dich einzuladen, sein Unglück mit ihm zu teilen, es ist genug, daß Deine Klinge und ein Arm wie der Deinige nicht mehr seinen Feinden gehört. Mögen Deine Tage heiterer sein als die seinigen, möge der Himmel Dir Deine guten Gesinnungen gegen einen Unglücklichen belohnen!«

Es wehte ein Geist in den Worten des geächteten Ritters, der manche verwandte Saite in dem Herzen des Jünglings anschlug. War es die Anerkennung seines persönlichen Wertes, die ihm aus dem Mund eines Tapferen so ermunternd klang, war es die Ähnlichkeit des Schicksales dieses Unglücklichen mit seiner eigenen Armut und mit dem Unglück seines Hauses, war es die romantische Idee, nicht für das siegende Unrecht, sondern für die gerechte Sache, gerade weil sie im tiefsten Unglück war, sich zu erklären – Georg fühlte sich unwiderstehlich zu diesem geächteten Mann, zu der Sache, für die er litt, hingezogen; begeistert faßte er seine Hand und rief: »Es spreche mir keiner von Vorsicht, nenne es keiner Torheit, sich an das Unglück anzuschließen! Mögen andere dieses schöne Land dort oben teilen und in den Gütern dieses unglücklichen Fürsten schwelgen – ich fühle Mut in mir, mit ihm zu tragen, was er trägt, und wenn er sein Schwert zieht, seine Lande wieder zu erobern, so will ich der erste sein der sich an seine Seite stellt. Nehmt meinen Handschlag, Herr Ritter, ich bin, wie es auch komme, Ulrichs Freund für immer!«

Eine Träne glänzte in dem Auge des Geächteten, indem er den Handschlag zurückgab. »Du wagst viel, aber Du bist viel, wenn Du Ulrichs Freund bist. Das Land da oben gehört jetzt den Räubern und Dieben, aber hier unten ist noch gut Württemberg. Hier vor mir sitzt der Ritter und der Bürger, vergeßt einen Augenblick, daß ich ein armer Ritter und ein unglücklicher, geächteter Mann bin, und denkt, ich sei Fürst des Landes, wie ich der Herr der Höhle bin. Ha! Noch gibt es ein Württemberg, wo diese drei zusammenhalten, und sei es auch tief im Schoß der Erde. Fülle den Becher, Hans, und lege Deine rauhe Hand in die unsrigen, wir wollen den Bund besiegeln!«

Hans ergriff den vollen Krug und füllte den Becher. »Trinkt, edle Herren, trinkt«, sagte er, »Ihr könnt Euch in keinem edleren Wein Bescheid tun, als in diesem Uhlbacher.«

Der Geächtete trank in langen Zügen den Becher aus, ließ ihn wieder füllen und reichte ihn Georg. »Wie ist mir doch?« sagte dieser. »Blühte nicht dieser Wein um Württembergs Stammschloß? Ich glaube, man nennt so den Wein, der auf jenen Höhen wächst?«

»Es ist so«, antwortete der Geächtete, »Rothenberg heißt der Berg, an dessen Fuß dieser Wein wächst, und auf seinem Gipfel steht das Schloß, das Württembergs Ahnen gebaut haben – Oh, ihr schönen Täler des Neckars, ihr herrlichen Berge voll Frucht und Wein! Von euch, von euch auf immer!« Er rief es mit einer Stimme, die aus einem gebrochenen Herzen voll Schmerz und Kummer heraufstieg, denn die Wehmut hatte die Decke gesprengt, womit der feste, unbeugsame Sinn dieses Mannes seine kummervolle Seele verhüllt hatte.

Der Bauer kniete nieder zu ihm, ergriff seine Hand und weckte ihn aus dem düsteren Hinbrüten, dem er sich einige Augenblicke hingegeben hatte. »Seid stark, guter Herr! Ihr werdet sie wiedersehen, fröhlicher, als Ihr sie verlassen habt.«

»Ihr werdet sie wiedersehen, die Täler Eurer Heimat«, rief Georg, »wenn der Herzog einrückt in sein Land, wenn er einzieht in die Burg seiner Ahnen, wenn die Täler des Neckars und seine weinreichen Höhen widerhallen vom Jubel des Volkes, dann werdet auch Ihr Eurer Wohnung wieder entgegenziehen. Verscheucht die trüben Gedanken: trinkt, vergeßt nicht, was wir vorhin gesprochen haben, ich tue Euch Bescheid in diesem Württemberger Wein – der Herzog und seine Treuen!«

Ein angenehmes Lächeln ging wie ein Sonnenblick bei diesen Worten auf den düsteren Zügen des Ritters auf. »Ja!« rief er, »Treue ist das Wort, das Genesung gibt dem gebrochenen Herzen, wie ein kühler Trank dem einsamen Wanderer in der Wüste. Vergeßt meine Schwäche, Junker. Verzeiht sie einem Mann, der sonst seinem Kummer nicht Raum gibt. Aber wenn Ihr je vom Gipfel des roten Berges hinabgesehen hättet auf das Herz von Württemberg, wie der Neckar durch grüne Ufer zieht, wie manneshohe Halme in den Feldern wogen, wie sanfte Hügel am Fluß sich hinaufziehen, bepflanzt mit köstlichem Wein, wie dunkle, schattige Forsten die Gipfel der Berge bekränzen, wie Dorf an Dorf mit den freundlichen roten Dächern aus den Wäldern von Obstbäumen hervorschaut, wie gute fleißige Menschen, kräftige Männer, schöne Weiber auf diesen Höhen, in diesen Tälern walten und sie zu einem Garten anbauen – hättet Ihr dieses gesehen, Junker, gesehen mit meinen Augen, und säßet jetzt hier unten, hinausgeworfen, verflucht, vertrieben, umgeben von starren Felsen, tief im Schoß der Erde! Oh, der Gedanke ist schrecklich und oft zu mächtig für ein Männerherz!«

Georg bangte, der Ritter möchte durch die traurige Gegenwart und seine schöneren Erinnerungen wieder in seine Wehmut zurückgeführt werden, daher suchte er schnell dem Gespräch eine andere Wendung zu geben: »Ihr wart also oft um den Herzog, Herr Ritter? Oh sagt mir, ich bin ja jetzt sein Freund, sagt mir, wie ist er im Umgang? Wie sieht er aus? Nicht wahr, er ist sehr veränderlich und hat viele Launen?«

»Nichts davon«, antwortete der Geächtete, »Ihr werdet ihn sehen und lernt ihn am besten ohne Beschreibung kennen. Aber schon zu lange haben wir von fremden Angelegenheiten gesprochen. Von Euren eigenen sagt Ihr gar nichts? Nichts von dem Zweck Eurer jetzigen Reise, nichts von dem schönen Fräulein von Lichtenstein? – Ihr schweigt und schlagt die Augen nieder? Glaubt nicht, daß es Neugierde sei, warum ich frage. Nein, ich glaube Euch in dieser Sache nützlich sein zu können.«

»Nach dem, was diese Nacht zwischen uns geschehen ist«, antwortete Georg, »ist von meiner Seite keine Zurückhaltung, kein Geheimnis mehr nötig. Es scheint auch, Ihr wüßtet längst, daß ich Marien liebe, vielleicht auch, daß sie mir hold ist?«

»Oh ja«, entgegnete der Ritter lächelnd, »wenn ich anders die Zeichen der Liebe verstehe und richtig deuten kann. Denn sie schlug, wenn von Euch die Rede war, die Augen nieder und errötete bis an die Stirn; auch nannte sie Euren Namen mit eigenem, so eigenem Ton, als gäben alle Saiten ihres Herzens den Akkord zu diesem Grundton an.«

»Ich glaube, Euer scharfes Auge hat richtig bemerkt, und deswegen will ich nach Lichtenstein. Ich war von Anfang willens, als ich mich vom Bund lossagte, nach Haus zu ziehen, aber die Alb ist schon halbwegs von Franken hierher, da dachte ich, ich könnte das Fräulein noch einmal zuvor sehen. Der Mann hier führte mich über die Alb. Ihr wißt, was meine Reise um acht Tage verzögerte. Sobald der Morgen herauf ist, will ich oben im Schloß einsprechen, und ich hoffe, ich komme dem alten Herrn jetzt willkommener, da ich das neutrale Gebiet verlassen und zu seiner Farbe mich geschlagen habe.«

»Wohl werdet Ihr ihm willkommen sein, wenn Ihr als Freund des Herzogs kommt, denn er ist ihm treu und sehr ergeben. Doch könnte es sein, daß er Euch nicht traute, denn er soll ein wenig mißtrauisch und grämlich gegen fremde Menschen sein. Ihr wißt, wie ich mit ihm stehe, denn er ist der barmherzige Samariter, der mich, wenn ich nachts aus meiner Höhle steige, mit warmer Speise und mit noch wärmerem Trost für die Zukunft labt. Ein paar Zeilen von mir mögen Euch bei ihm besser empfehlen als ein Freibrief des Kaisers, und zum Zeichen für ihn und manchen andern, nehmt diesen Ring und tragt ihn zum Andenken an diese Stunde, er wird Euch als einen Freund der gerechten Sache Württembergs verkünden.« Er zog bei diesen Worten einen breiten Goldreif vom Finger. Ein roter Stein war in der Mitte gefaßt, und in den drei Hirschgeweihen mit dem Jagdhorn auf dem Wappenhelm, die darin eingegraben waren, erkannte der junge Mann das Zeichen Württembergs. Um den Ring standen erhaben eingeprägte Buchstaben, deren Sinn er nicht verstand. Sie hießen Uhzwut.

»Uhzwut? Was bedeutet dieser Name?« fragte er. »Ist es etwa ein Feldgeschrei für die Anhänger des Herzogs?«

»Nein, mein junger Freund«, antwortete der geächtete Ritter. »Diesen Ring trug der Herzog lange an seiner Hand, und er war mir immer sehr wert, ich habe aber noch viele andere Andenken von ihm und könnte dieses an keinen Besseren abtreten. Die Zeichen heißen Ulrich Herzog zu Württemberg und Teck!«

»Er wird mir ewig teuer sein«, erwiderte Georg, »als ein Andenken an den unglücklichen Herrn, dessen Namen er trägt, und als schöne Erinnerung an Euch, Herr Ritter, und die Nacht in der Höhle.«

»Wenn Ihr an die Zugbrücke von Lichtenstein kommt«, fuhr der Ritter fort, »so gebt dem nächsten besten Knecht den Zettel, den ich Euch schreiben werde, und diesen Ring, solches dem Herrn des Schlosses zu bringen, und Ihr werdet gewiß empfangen werden, als wäret Ihr des Herzogs eigener Sohn. Doch für das Fräulein müßt Ihr Eure eigenen Zeichen haben, denn auf sie erstreckt sich mein Zauber nicht. Etwa ein herzlicher Händedruck, die geheimnisvolle Sprache der Augen oder ein süßer Kuß auf ihren roten Mund. Doch, um gehörig vor ihr zu erscheinen, habt Ihr Ruhe nötig, denn Eure Augen möchten nach einer durchwachten Nacht etwas trübe sein. Daher folgt meinem Beispiel, streckt Euch auf die Rehfelle nieder und legt Euren Mantel als Kopfkissen unter. Und Du, würdiger Majordomus, oberster Kämmerer und Mundschenk, Hans, getreuer Gefährte im Unglück, reiche diesem Paladin noch einen Becher zum Schlaftrunk, daß ihm jene Felle zum weichen Pfühl, diese Felsengrotte zum Schlafgemach werde und ihn der Gott der Träume mit seinen lieblichen Bildern besuche!«

Die Männer tranken und legten sich zur Ruhe, und Hans setzte sich, wie ein treuer Hund, an die Pforte der Felsenkammer. Bald kam Morpheus mit leisen Tritten zu dem Lager des Jünglings und streute seine Schlummerkörner über ihn, und er hörte nur noch halb im Traum, wie der geächtete Mann sein Nachtgebet sprach und mit frommer Zuversicht zu dem Lenker der Schicksale flehte, über ihn und jenes unglückliche Land, in dessen tiefem Schoß er jetzt ruhte, seinen Schutz und seine Hilfe herabzusenden.

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Kapitel 21

Kapitel 21

Georg konnte sich anfangs nicht recht auf seine Lage und die Gegenstände umher besinnen, als er vom Pfeifer von Hardt aus dem Schlaf aufgeschüttelt wurde; allmählich aber kehrten die Bilder der vergangenen Nacht in seine Seele zurück, und er erwiderte freudig den Handschlag, mit welchem ihn der geächtete Ritter begrüßte. »So gerne ich Euch noch tagelang in meinem Palast beherbergen würde«, sprach dieser, »so möchte ich Euch doch raten, nach Lichtenstein aufzubrechen, wenn Ihr anders ein warmes Frühstück haben wollt. In meiner Höhle kann ich Euch leider keines bereiten lassen, denn wir machen niemals Feuer an, weil der Rauch uns gar zu leicht verraten könnte.«

Georg stimmte seinen Gründen bei und dankte ihm für seine Beherbergung. »Wahrlich«, sagte er, »ich habe selten eine fröhlichere Nacht beim Becher verlebt als in dieser Höhle. Es hat etwas Reizendes, so tief unter den Füßen der Menschen zu atmen und mit Freunden sich zu besprechen Ich gebe nicht den herrlichsten Saal des schönsten Schlosses um diese Felsenwände!«

»Ja, unter Freunden, wenn der Becher munter kreist«, entgegnete der Bewohner der Höhle, »aber unfreiwillig hier zu sitzen, tagelang einsam in diesen Kellern über sein Unglück zu brüten, wenn das Herz sich hinaussehnt in den grünen Wald, unter den blauen Himmel, wenn das Auge, müde dieser unterirdischen Pracht, hineintauchen möchte in die reizende Landschaft, hinüberschweifen möchte über lachende Täler zu den fernen Bergen der Heimat; wenn das Ohr, betäubt von dem eintönigen Gemurmel dieser Wasser, die Tropfen um Tropfen von den Wänden rieseln und gesammelt in bodenlose Tiefen hinabstürzen, sich hinaussehnt, den Gesang der Lerche zu hören, zu lauschen, wie das Wild in den Büschen rauscht!«

»Armer Mann! Es ist wahr, eine solche Einsamkeit muß schrecklich sein!«

»Und dennoch«, fuhr jener fort und richtete sich höher auf, indem ein stolzer Trotz aus seinen Augen blitzte, »und dennoch preise ich mich glücklich, mit Hilfe guter Leute diese Zuflucht gefunden zu haben. Ja, ich wollte lieber noch hundert Faden tiefer hinabsteigen, wo die Brust keine Luft mehr zu atmen findet, als in die Hände meiner Feinde zu fallen und ihr Gespött werden; und wenn sie dahin mir nachkämen, die blutgierigen Hunde des Bundes, so wollte ich mich mit meinen Nägeln weiter hineinscharren in die härtesten Felsen, ich wollte hinabsteigen, tiefer und immer tiefer, bis zum Mittelpunkt der Erde. Und kämen sie auch dorthin, so wollte ich die Heiligen lästern, die mich verlassen haben, und wollte den Teufel rufen, daß er die Pforten der Finsternis aufreiße und mich berge gegen die Verfolgung dieses übermütigen Gesindels.« Der Mann war in diesem Augenblick so furchtbar, daß Georg unwillkürlich vor ihm zurückbebte. Seine Gestalt schien größer, alle seine Muskeln waren angespannt, seine Wangen glühten, seine Augen schossen Blitze, als suchten sie einen Feind, den sie vernichten sollten, seine Stimme dröhnte hohl und stark, und das Echo der Felsen sprach ihm in schrecklichen Tönen seine Verwünschungen nach. Obgleich diese Gradation dem Jüngling zu stark vorkommen mochte, so konnte er doch die Gefühle eines Mannes nicht tadeln, den man, weil er seinem Herrn treu geblieben war, aus seinen Besitzungen hinausgeworfen hatte, den man wie ein angeschossenes Wild suchte, um ihn zu töten. »Es liegt ein Trost in dieser Besinnung«, sagte er zu dem Geächteten, »und Ihr werdet Euer Unglück leichter tragen, wenn Ihr den Gegensatz recht scharf ins Auge faßt. Ich bewundere Euch um Eure Seelenstärke, Herr Ritter; aber eben dieses Gefühl der Bewunderung nötigt mir eine Frage ab, die vielleicht noch immer zu unbescheiden klingt, doch Ihr habt mich in der letzten Nacht zu oft Freund genannt, als daß ich sie nicht wagen dürfte; nicht wahr, Ihr seid Marx Stumpf von Schweinsberg?«

Es mußte etwas Lächerliches in dieser Fragen liegen, das Georg nicht finden konnte, denn der Ernst, der noch immer auf den Zügen des Ritters gelegen, war wie weggeblasen; er lachte zuerst leise vor sich hin, dann aber brach er in lautes Gelächter aus, in welches, wie auf ein gegebenes Zeichen, auch der Spielmann einstimmte.

Georg sah bald den einen, bald den andern fragend an, aber seine verlegenen Blicke schienen nur die Lachlust der beiden Männer noch mehr zu reizen. Endlich faßte sich der Geächtete, »Verzeiht, werter Gast, daß ich das Gastrecht so gröblich verletzte und mir nicht lieber die Zunge abgebissen habe, ehe ich etwas von Euch lächerlich fand; aber wie kommt Ihr nur auf den Marx Stumpf? Kennt Ihr ihn denn?«

»Nein, aber ich weiß, daß er ein tapferer Ritter ist, daß er wegen des Herzogs vertrieben wurde und daß die Bündischen auf ihn lauern, und paßt dieses nicht alles ganz gut auf Euch?«

»Danke Euch, daß Ihr mich für so tapfer haltet, aber das möchte ich Euch doch raten, daß Ihr dem Stumpf nicht bei Nacht in den Weg kommt wie mir, denn dieser hätte Euch ohne weiteres zu Kochstücken zusammengehauen. Der Schweinsberg ist ein kleiner dicker Kerl, einen Kopf kleiner als ich, und darum kam mir unwiderstehlich das Lachen. Übrigens ist er ein ehrenwerter Mann, und einer von den wenigen, die ihren Herrn im Unglück nicht verließen.«

»So seid Ihr nicht dieser Schweinsberg?« entgegnete Georg traurig »und ich muß gehen, ohne zu wissen, wer mein Freund ist?«

»Junger Mann!« sagte der Geächtete mit Hoheit, die nur durch den gewinnenden Ausdruck der Freundlichkeit gemildert wurde. »Ihr habt einen Freund gefunden durch Euer tapferes, ehrenvolles Wesen, durch Euren offenen, freien Blick, durch Eure warme Teilnahme an dem unglücklichen Herzog. Es sei Euch genug, diesen Freund gewonnen zu haben, fragt nicht weiter, ein Wort könnte vielleicht dieses trauliche Verhältnis zerstören, das mir so angenehm ist. Lebt wohl, denkt an den geächteten Mann ohne Namen, und seid versichert, ehe zwei Tage vorbeigehen, sollt Ihr von mir und meinem Namen hören.« Es wollte Georg dünken, als stehe dieser Mann, trotz seines unscheinbaren Kleides, vor ihm wie ein Fürst, der seinen Diener huldreich entläßt, so groß war jene unbeschreibliche Hoheit, die ihm auf der Stirn thronte, so erhaben der Glanz, der aus seinem Auge drang.

Der Pfeifer hatte unter diesen Worten die Fackeln angezündet und stand wartend am Eingang der Grotte; der geächtete Ritter drückte einen Kuß auf die Lippen des Jünglings und winkte ihm zu gehen. Er ging und wußte nicht, wie ihm geschah, noch nie war ihm ein Mensch so freundlich nahe, und doch zugleich so unendlich hoch über ihm gestanden, noch nie hatte er gefühlt, wie in jenen Augenblicken, daß ein Mann, entkleidet von jenem irdischen Glanz, der das Leben schmückt, selbst in ärmlicher Hülle und Umgebung eine Erhabenheit und Größe von sich strahlen könne, die das Auge blendet, und das Gefühl des eigenen Ichs so plötzlich überrascht und hinabdrückt.

Ein heller, freundlicher Tag empfing sie, als sie aus der Nacht der Höhle zum Licht herausstiegen. Georg atmete freier und leichter in der kühlen Morgenluft, denn der feuchte Dunst, der in den Gängen und Grotten der Höhle umzieht und wovon sie vielleicht den Namen Nebelhöhle trägt, lagert sich beengend auf die Brust. Sie fanden das Pferd des jungen Ritters noch an derselben Stelle angebunden, munter und frisch wie sonst, und selbst die Waffenstücke, die am Sattel befestigt waren, hatten durch den Nachttau nicht Schaden gelitten, wie Georg befürchtet hatte, denn der Pfeifer von Hardt hatte ein grobes Tuch, das ihm beim Unwetter gegen Regen und Kälte dienen mochte, über den Rücken des Pferdes ausgebreitet. Georg machte seine Kleidung und das Zeug des Rosses zurecht, während der Bauer diesem einige Händevoll Heu zum Morgenbrot reichte, und dann ging es weiter den Berg hinan Sie waren erst wenige Schritte vorgerückt, als der Klang einer Glocke aus dem Tal herauftönte und die feierliche Stille des Morgens unterbrach; eine andere antwortete, drei bis vier stimmten ein, bis die melodischen Töne von wenigstens zwölf Glocken von den Höhen umher und aus den Tälern aufstiegen. Überrascht hielt der junge Mann sein Pferd an.

»Was ist das?« rief er. »Brennt es irgendwo, oder wie, sollten wir heute ein Fest im Kalender haben? Weiß Gott, ich bin durch meine Krankheit so aus aller Zeit heraus gekommen, daß ich den Sonntag nur daran erkenne, daß die Mädchen neue Röcke und frische Schürzen anhaben.«

»Es ist wohl schon manchem Kriegsmann so gegangen«, antwortete Hans der Spielmann, »ich selbst habe mich oft erst auf die Zeit besinnen müssen, wenn ich wichtigere Dinge im Kopf hatte, als Mess‘ und Predigt; aber heute ist es ein anderes Ding«, setzte er ernster hinzu und schlug ein Kreuz, »heut ist Karfreitag. Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit!« erwiderte der Jüngling. »Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich den Tag nicht würdig begehe, wie ich soll, und dieser Tag erinnert mich an manche schöne Stunde meiner Kindheit. Damals lebte noch mein Vater; ich hatte eine sanfte, gute Mutter und ein ganz kleines Schwesterlein. Wir beide freuten uns immer, wenn der Karfreitag kam; wir wußten nichts von der Bedeutung des Tages, aber wir rechneten dann, daß es nur noch zwei Tage bis Ostern sei, wo uns die Mutter schöne Sachen bescherte. Requiescant in pace!« setzte er ernster hinzu, indem er seitwärts blickte, um eine Träne zu verbergen. »Sie sind drüben alle drei und feiern dort ihren heiligen Freitag.«

»Man sollte nicht von so unheiligen Dingen sprechen«, sagte der Pfeifer nach einigem Stillschweigen, »aber mein Beichtiger mag es mir schon vergeben. Ich denke, Ihr solltet nicht traurig sein, Junker! Denen, die schlafen, ist es wohl, und die, die wachen, sollen vorwärts und nicht rückwärts sehen. So würde ich an Eurer Stelle daran denken, wie Ihr einst auch Euren Kindlein das Ostern bescheren könnt und wie sie sich freuen werden am Karfreitag. Seid Ihr nicht auf der Brautfahrt, und wird ein gewisses Fräulein nicht auch eine gute, sanfte Mutter werden?«

Georg suchte umsonst ein Lächeln zu unterdrücken, das dieser sonderbare Trostspruch hervorgelockt hatte. »Höre, guter Freund«, entgegnete er, »Dir ist zur Not ein solches Wort erlaubt; doch möchte ich keinem andern raten, meine Ohren durch solche sündige Gedanken zu entweihen.«

»Nichts für ungut, Herr! Ich wollte weder Euch noch das Fräulein damit beleidigen; soll auch nicht mehr geschehen. Aber seht Ihr nicht dort schon den Turm aus den Wipfeln ragen? Noch eine kleine Viertelstunde, und wir sind oben.«

»So viel ich gestern in der Nacht bemerken konnte, ist das Schloß auf einen einzelnen, jähen Felsen hinausgestellt? Bei Gott, ein kühner Gedanke, da konnte wohl niemand hinüberkommen, wer nicht mit den Geiern im Bund war und fliegen gelernt hatte; freilich jetzt könnte man mit Stückschüssen sehr zusetzen.«

»Meint Ihr? Nun, es stehen auch vier gute Doppelhaken in der Halle, die auch ein Wörtchen antworten würden. Wenn Ihr recht gesehen habt, so müßt Ihr bemerkt haben, daß der Felsen ringsum durch ein breites Tal von den Bergen umher gesondert ist, dorther könnte man nicht viel Schaden tun; die einzige Seite, die näher am Berg liegt, ist die, wo die Zugbrücke herübergeht. Pflanzt einmal dort Geschütz auf und seht zu, ob es Euch der Lichtensteiner nicht in den Grund schießt, ehe Ihr nur ein Fenster aufs Korn genommen habt. Und wie wollt Ihr Geschütz heraufführen in diesen Schluchten und Bergen, ohne daß Euch wenige entschlossene Männer mehr Schaden tun, als das ganze Nest wert ist?«

»Da habt Ihr recht«, antwortete Georg »ich möchte wissen, wer den Gedanken gehabt hat, auf den Felsen ein Schloß zu bauen.«

»Das will ich Euch sagen«, erwiderte der Spielmann, der mit allen Sagen seines Landes vertraut war, »es lebte einmal vor vielen Jahren eine Frau, die mußte viel Verfolgung dulden und wußte sich nicht mehr zu raten. Da kam sie an diesen Felsen und sah, wie ein großer Geier mit seiner Familie und allem Haushalt dort lebte und gegen alle Nachstellung sicher war. Da beschloß sie, den Geier zu verdrängen. Sie ließ das Schloß dorthin bauen, und als alles fertig war, ließ sie die Brücke aufziehen, stieg auf die Zinne ihres Turmes und sprach: »Nun bin ich Gottes Freund und aller Welt Feind.« Und es konnte ihr keiner mehr etwas anhaben. Aber seht, da sind wir schon. Lebt wohl, vielleicht daß ich Euch schon heute nacht wiedersehe. Ich steige jetzt ins Land hinab und bringe dann dem Herrn in der Höhle Kundschaft, wie es dort unten aussieht. Vergeßt nicht, an der Brücke Brief und Ring dem Herrn des Schlosses zu senden, und hütet Euch, das Siegel selbst zu brechen.«

»Sei ohne Sorgen! Ich danke Dir für Dein Geleit, und grüße meinen werten Gastfreund in der Höhle.« Georg sprach es, trieb sein Pferd an, und in wenigen Augenblicken war er vor der äußeren Verschanzung von Lichtenstein angelangt.

Ein Knecht, der das Tor bewachte, fragte nach seinem Begehr und rief einen andern herbei, ihrem Herrn das Brieflein und den Ring zu übergeben. Georg hatte indes Zeit genug, das Schloß und seine Umgebungen zu betrachten. War ihm schon in der Nacht, beim ungewissen Schein des Mondes und in einer Gemütsstimmung, die ihn nicht zum aufmerksamsten Beobachter machte, die kühne Bauart dieser Burg aufgefallen, so staunte er jetzt noch mehr, als er sie vom hellen Tag beleuchtet anschaute. Wie ein kolassaler Münsterturm steigt aus einem tiefen Alptal ein schöner Felsen, frei und kühn, empor. Weit ab liegt alles feste Land, als hätte ihn ein Blitz von der Erde weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt oder eine Wasserflut vor uralten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge sich nähert, klafft eine tiefe Spalte, hinlänglich weit, um auch den kühnsten Sprung einer Gemse unmöglich zu machen, doch nicht so breit, daß nicht die erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Teile vereinigen konnte.

Wie das Nest eines Vogels, auf den höchsten Wipfel einer Eiche oder auf die kühnsten Zinnen eines Turmes gebaut, hing das Schlößchen auf dem Felsen. Es konnte oben keinen sehr großen Raum haben, denn außer einem Turm sah man nur eine befestigte Wohnung, aber die vielen Schießscharten im untern Teil des Gebäudes und mehrere weite Öffnungen, aus denen die Mündungen von schwerem Geschütz hervorragten, zeigten, daß es wohl verwahrt und trotz seines kleinen Raumes eine nicht zu verachtende Feste sei; und wenn ihm die vielen hellen Fenster des obern Stockes ein freies, luftiges Ansehen verliehen, so zeigten doch die ungeheuern Grundmauern und Strebepfeiler, die mit dem Festen verwachsen schienen und durch Zeit und Ungewitter beinahe dieselbe braungelbe Farbe wie die Steinmasse, worauf sie ruhten, angenommen hatten, daß es auf festem Grund wurzelte, und weder vor der Gewalt der Elemente noch dem Sturm der Menschen erzittern werde. Eine schöne Aussicht bot sich schon hier dem überraschten Auge dar, und eine noch herrlichere, freiere ließ die hohe Zinne des Wartturms und die lange Fensterreihe des Hauses ahnen.

Diese Bemerkungen drängten sich Georg auf, als er wartend an der äußern Pforte stand, die wohlverschanzt herwärts über der Kluft auf dem Land den Zugang zu der Brücke deckte. Jetzt tönten Schritte über die Brücke, das Tor tat sich auf, und der Herr des Schlosses erschien selbst, seinen Gast zu empfangen. Es war jener ernste, ältliche Mann, den Georg in Ulm mehrere Male gesehen, dessen Bild er nicht vergessen hatte; denn die düsteren feurigen Augen, die bleichen, aber edlen Züge, seine große Ähnlichkeit mit der Geliebten, hatten sich tief in die Seele des Jünglings geprägt.

»Ihr seid willkommen in Lichtenstein!« sagte der alte Herr, indem er seinem Gast die Hand bot und eine gütige Freundlichkeit den gewöhnlichen strengen Ernst seiner Züge milderte. »Was steht Ihr müßig da Ihr Schlingel!« wandte er sich nach dieser ersten Begrüßung zu seinen Dienern. »Soll etwa der Junker sein Roß mit hinaufführen in die Stube? Schnell, hinein mit in den Stall; das Rüstzeug tragt auf die Kammer am Saal! – Verzeiht, werter Herr, daß man Euch solange unbedient stehen ließ, aber in diese Burschen ist kein Verstand zu bringen. Wollt Ihr mir folgen?«

Er ging voran über die Zugbrücke, Georg folgte. Sein Herz pochte bei diesem Gang voll Erwartung, voll Sehnsucht, seine Wangen röteten sich vor Liebe und vor Scham, wenn er an die letzte Nacht und an die Gefühle zurückdachte, die ihn zuerst vor diese Burg geführt hatten. Sein Auge suchte an den Fenstern umher, ob er nicht die Geliebte erspähe, sein Ohr schärfte, vielleicht ihre Stimme zu vernehmen, wenn auch ihr Anblick ihm jetzt noch verborgen war. Aber umsonst suchten seine Blicke diese Mauern zu durchbohren, umsonst fing sein scharfes Ohr jeden Laut begierig auf, noch schien sie sich nicht zeigen zu wollen.

Sie gelangten jetzt an das innere Tor. Es war nach alter Art tief, stark gebaut, und mit Fallgattern, Öffnungen für siedend Öl und Wasser, und allen jenen sinnreichen Verteidigungsmitteln versehen, womit man in den guten alten Zeiten den stürmenden Feind, wenn er sich der Brücke bemeistert haben sollte, abhiellt. Doch die ungeheuren Mauern und Befestigungen, die sich von dem Tor an rings um das Haus zogen, verdankte Lichtenstein nicht der Kunst allein, sondern auch der Natur; denn ganze Felsen waren in die Mauerlinie gezogen, und selbst der schöne, geräumige Pferdestall und die kühlen Kammern, die statt des Kellers dienten, waren in den Felsen eingehauen. Ein bequemer, gewundener Schneckengang führte in die oberen Teile des Hauses, und auch dort waren kriegerische Verteidigungen nicht vergessen, denn auf dem Vorplatz, der zu den Zimmern führte, wo in andern Wohnungen häusliche Gerätschaften aufgestellt sind, waren hier furchtbare Doppelhaken und Kisten mit Stückkugeln aufgepflanzt. Das Auge des alten Ritters ruhte mit einem gewissen Ausdruck von Stolz auf diesem sonderbaren Hausrat, und in der Tat konnten diese Geschütze damals für ein Zeichen von Wohlhabenheit und selbst Reichtum gelten, denn nicht jeder Privatmann war imstande, seine Burg mit vier oder sechs solchen Stücken zu versehen.

Von hier ging es noch einmal aufwärts in den zweiten Stock, wo ein überaus schöner Saal, ringsum mit hellen Fenstern, den Ritter von Lichtenstein und seinen Gast aufnahm.

Der Hausherr gab einem Diener, der ihnen gefolgt war, mehr durch Zeichen als Worte einige Befehle, die ihn aus dem Saal entfernten.

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Kapitel 22

Kapitel 22

Als die beiden Männer in dem weiten Saal von Lichtenstein allein waren, trat der Alte dicht vor Georg hin und schaute ihn an, als messe er prüfend seine Züge. Ein Strahl von Begeisterung und Freude drang aus seinen Augen, und die Melancholie seiner Stirn war verschwunden, er war heiter, fröhlich sogar, wie der Vater, der einen Sohn empfängt, der von langen Reisen zurückkehrt. Endlich stahl sich eine Träne aus seinem glänzenden Auge, aber es war eine Träne der Freude, denn er zog den überraschten Jüngling an sein Herz.

»Ich pflege nicht weich zu sein«, sprach er nach dieser feierlichen Umarmung zu Georg, »aber solche Augenblicke überwinden die Natur, denn sie sind selten. Darf ich denn wirklich meinen alten Augen trauen? Trügen die Züge dieses Briefes nicht? Ist dieses Siegel echt und darf ich ihm glauben? Doch – was zweifle ich! Hat nicht die Natur Euch ihr Siegel auf die freie Stirn gedrückt? Sind die Züge nicht echt, die sie auf den offenen Brief Eures Gesichtes geschrieben? Nein, Ihr könnt nicht täuschen – die Sache meines unglücklichen Herrn hat einen Freund gefunden?«

»Wenn Ihr die Sache des vertriebenen Herzogs meint, so habt Ihr recht gesehen, sie hat einen warmen Anhänger gefunden. Der Ruf bezeichnete mir längst den Herrn von Lichtenstein als einen treuen Freund des Herzogs, und ich wäre vielleicht auch ohne den Rat jenes unglücklichen Mannes, der mich zu Euch schickte, gekommen, Euch zu besuchen.«

»Setzt Euch zu mir, junger Freund«, sagte der Alte, dessen Augen immer noch mit Liebe auf dem Jüngling zu ruhen schienen, »setzt Euch hier und hört, was ich sage. Ich liebe es sonst nicht, wenn die Leute ihre Farbe ändern, ich habe in meinem langen Leben gelernt, daß man die Überzeugung eines jeden ehren müsse, und daß ein Mann, wenn er nur sonst reine Absichten hat, nicht gerade deswegen zu verdammen sei, weil er anderer Meinung ist als wir. Aber wenn man seine Farbe mit so uneigennützigen Absichten ändert wie Ihr, Georg von Sturmfeder, wenn man dem Glück den Rücken kehrt, um sich an das Unglück anzuschließen, da hat die Änderung großen Wert, denn sie trägt das Gepräge einer edlen Tat an der Stirn.«

Georg errötete über sich selbst, als er hörte, wie der Lichtensteiner seine uneigennützigen Absichten pries. War es denn nicht auch die schöne Tochter, die ihn zu der Fahne des Vaters führte? Und mußte er nicht in der Achtung dieses Mannes sinken, wenn über kurz oder lang dieses Motiv seines Übertrittes ans Licht kam? »Ihr seid zu gütig«, antwortete er, »die Absichten eines Menschen liegen oft tiefer verborgen, als man auf den ersten Anblick glaubt; seid versichert, daß mein Übertritt zu Eurer Sache zwar zum Teil von dem empörten Gefühl des Rechtes geleitet wurde; doch könnte es auch einen irdischeren Beweggrund geben, Herr Ritter, und ich möchte nicht, daß Ihr mich für zu gut hieltet, es würde mir um so weher tun, wenn Ihr nachher ungünstiger von mir urteiltet.«

»Ich liebe Euch um dieser Offenheit willen nur noch mehr,« entgegnete der Herr des Schlosses und drückte seinem Gast die Hand. »Doch traue ich meiner Erfahrung und meiner Kenntnis der Gesichter, und von Euch will ich kühn behaupten, daß, wenn Euch auch noch eine andere Absicht leitet, als das Gefühl des Rechtes, diese Absicht doch keine schlechte sein kann. Wer Schlechtes im Schilde führt, ist feig, und wer feig ist, wagt es nicht, den Truchseß, den Herzog von Bayern und den schwäbischen Bund vor den Kopf zu stoßen und so aufzutreten, wie ihr aufgetreten seid.«

»Was wißt Ihr von mir?« rief Georg mit freudigem Erstaunen. »Habt Ihr denn je von mir gehört vor diesem Augenblick?«

Der Diener, welcher bei diesen Worten die Türe öffnete, unterbrach die Antwort des alten Herrn; er setzte Wildpret und volle Becher vor Georg hin und schickte sich an, den Gast zu bedienen. Doch ein Wink seines Herrn entfernte ihn aufs neue. »Verschmäht diesen Morgenimbiß nicht«, sagte er zu dem jungen Mann, »den ersten Becher sollte zwar die Hausfrau kredenzen, wie es die angenehme Sitte heischt; aber die meinige ist schon lange tot, und meine einzige Tochter, Marie, die an ihrer Stelle das Hauswesen versieht, ist ins Dorf hinabgegangen, um am hohen Fest eine Predigt zu hören und die Messe. Nun, Ihr fragt mich, ob ich noch nie von Euch gehört hätte? Ihr seid ja jetzt unser, daher darf ich Euch wohl sagen, was man sonst verschweigt. Ich war zur Zeit, als Ihr in Ulm einrücktet, in jener Stadt, um meine Tochter abzuholen, die sich dort aufhielt, hauptsächlich aber, um manches zu erfahren, was für den Herzog zu wissen wichtig war; Gold öffnet alle Pforten«, setzte er lächelnd hinzu, »auch die des hohen Rates, und so hörte ich täglich, was die Bundesobersten beschlossen. Als der Krieg erklärt wurde, war ich genötigt, abzureisen, ich hielt aber treue Männer in jener Stadt, die mir auch das Geheimste berichteten, was vorging.«

»War nicht einer davon der Pfeifer von Hardt«, fragte Georg, »den ich bei dem Geächteten traf?«

»Und der Euch über die Alb führte? Jawohl! Diese brachten immer Kundschaft. So erfuhr ich denn auch, daß man beschloß, einen Späher hinter den Rücken des Herzogs zu schicken, etwa in die Gegend von Tübingen, um dem Bund sogleich Nachricht von unseren Schritten zu erteilen. Ich erfuhr auch, daß die Wahl auf Euch gefallen sei. Nun muß ich Euch redlich gestehen, Ihr und Euer Name war mir ziemlich gleichgültig, nur bedauerte ich Euch, als ich hörte, daß Ihr noch solch ein junges Blut wäret, denn sobald Ihr über die Alb kämet als Kundschafter, wäret Ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit totgeschlagen oder unter die Erde gesetzt worden, wo keine Sonne und kein Mond hinscheint. Um so überraschender war mir und vielen Männern die Nachricht, wie Ihr es ausgeschlagen und wie tapfer Ihr vor jenen Herren gesprochen. Auch daß Ihr absagtet und auf vierzehn Tage Urfehde schwören mußtet, erfuhr ich. Und wie freut es mich, daß Ihr nun gar unser Freund geworden seid!«

Die Wangen des jungen Mannes glühten, sein Auge strahlte vor Freude; brach ja doch dieser Augenblick alle Schranken, welche die Verhältnisse zwischen ihm und Marie gezogen hatten. Sein langer Wunsch, dessen Erfüllung oft so weit in die Ferne hinausgerückt schien, war in Erfüllung gegangen; er hatte unbewußt Mariens Vater für sich gewonnen. »Ja, ich habe ihnen abgesagt«, antwortete Georg, »weil ich ihr Wesen nicht mehr leiden mochte; ich bin Euer Freund geworden; doch wäre es möglich, ich hätte mich nicht so bald zu Eurer Sache bekannt; aber als ich unten in der Höhle neben jenem geächteten Mann saß, als ich bedachte, wie man mit den Edlen und selbst mit dem Herrn des Landes umgehe, wie seine gewaltigen Reden so mächtig an meiner Brust anklopften, da war es mir auf einmal hell und klar, hierher müsse ich stehen, hier müsse ich streiten. Und glaubt Ihr, es werde bald etwas zu tun geben? Denn ich bin nicht zu Euch herübergeritten, um die Hände in den Schoß zu legen!«

»Das konnte ich mir denken«, sagte der Ritter lächelnd, »vor vierzig Jahren hatte ich auch so rasches Blut, und es ließ mich nicht lange auf einem Fleck. Wie die Sachen stehen, wißt Ihr; man kann sagen, eher schlimm als gut. Sie haben das Unterland, sie haben den ganzen Strich von Urach herauf. Auf eines kommt alles an, hält Tübingen fest, so siegen wir.«

»Die Ehre von vierzig Rittern birgt dafür«, rief Georg mit Unmut, »das Schloß ist stark, ich habe kein stärkeres gesehen, Besatzung ist hinlänglich da, und vierzig Männer von Adel werden sich so leicht nicht ergeben. Es kann nicht sein, es darf nicht sein. Haben sie nicht des Herzogs Kinder bei sich und den Schatz des Hauses? Sie müssen sich halten.«

»Wohl, wenn sie alle dächten wie Ihr. Es kommt gar viel auf Tübingen an. Wenn der Herzog Entsatz bringen kann, so hat er an Tübingen einen festen Punkt, von wo aus er sein Land wieder erobern kann; es sind große Kriegsvorräte, es ist ein großer Teil des Adels dort; solange sie zu seiner Partie halten, ist Württemberg nur dem Boden nach gewonnen, dem Geist nach ist es noch des Herzogs; aber ich fürchte, ich fürchte!«

»Wie? Unmöglich können sich die Vierzig ergeben!«

»Ihr habt noch wenig erfahren in der Welt«, erwiderte der Alte, »Ihr wißt nicht, welche Lockungen und Schlingen manchen ehrlichen Mann straucheln machen können. Und es ist mancher in der Burg, dem der Herzog zuviel getraut hat. Er merkt auch wohl, daß es nicht ganz lauter und rein hergeht, denn er schickte den Ritter Marx Stumpf von Schweinsberg an sie mit einem bewegten Schreiben, das Schloß nicht zu übergeben, sondern ihm Gelegenheit zu machen, in dasselbe zu kommen, weil er dort zu sterben bereit sei, wenn es Gott über ihn verhänge.«

»Der arme Herr!« rief Georg bewegt. »Aber ich kann nicht glauben, daß der Landesadel so schändlich freveln könnte; sie werden ihn einlassen in die Burg, er wird ihren Mut aufs neue beseelen, er wird Ausfälle machen, er wird sie schlagen, die Belagerer, trotz Bayern und Frondsberg, wir werden uns an ihn anschließen, wir werden fechtend durch das Land ziehen und diese Bündler verjagen.«

»Marx Stumpf ist noch nicht zurück«, sagte der Ritter von Lichtenstein mit besorgter Miene, »auch haben sie seit gestern das Schießen eingestellt. Sonst hörte man jeden Stückschuß hier auf dem Lichtenstein, aber seit gestern ist es still wie im Grab.«

»Vielleicht schweigt das Geschütz wegen des Festes; gebt acht, sie werden morgen oder am Ostermontag wieder donnern lassen, daß es durch Eure Felsen hallt.«

»Was da!« entgegnete jener. »Wegen des Festes? Seinem Herzog treu zu dienen, ist auch ein frommer Dienst, und es wäre den Heiligen im Himmel vielleicht lieber, sie hörten den Donner der Feldschlangen von Tübingens Wällen, als daß sie die Ritter müßig sähen. Müßiggang ist aller Laster Anfang! Aber wenn nur der Stumpf in das Schloß kommt, der wird sie aufrütteln aus ihrem Schlummer.«

»Der Herzog hat den Ritter von Schweinsberg nach Tübingen geschickt, sagt Ihr? Der Herzog will ins Schloß, weil die Besatzung seit einigen Tagen zu wanken scheint? Da kann also Ulrich nicht bis Mömpelgard entflohen sein, wie die Leute sagen. Da ist er vielleicht in der Nähe? Oh daß ich ihn sehen könnte, daß ich mich mit ihm nach Tübingen schleichen könnte!«

Ein sonderbares Lächeln zog flüchtig über die ernsten Züge des Alten. »Ihr werdet ihn sehen, wenn es Zeit ist«, sagte er, »Ihr werdet ihm angenehm sein, denn er liebt Euch schon jetzt. Und ist das Glück gut, so sollt Ihr auch mit ihm nach Tübingen kommen, Ihr habt mein Wort drauf. – Doch jetzt muß ich Euch bitten, Euch ein Stündchen allein zu gedulden Mich ruft ein Geschäft, das aber bald abgetan sein wird. Nehmt Euch meinen Wein zum Gesellschafter, schaut Euch um in meinem Haus, ich würde Euch einladen, auf die Jagd auszureiten, wenn ein solches Vergnügen zum Karfreitag paßte.«

Der alte Herr drückte seinem Gast noch einmal die Hand und verließ das Zimmer. Bald nachher sah ihn Georg aus dem Schloß dem Wald zureiten.

Als sich der junge Mann allein gelassen sah, fing er an, seinen Anzug ein wenig zu besorgen, der durch den Ritt in der Nacht, durch seinen Aufenthalt in der Höhle etwas außer Ordnung gekommen war. Er erging sich dann in dem großen Zimmer und suchte unter den vielen Fenstern eines auf, von welchem er auf den Felsenweg hinabschauen konnte, den Marie von der Kirche im Tal heraufkommen mußte.

Es waren fröhliche Gedanken, die sich in bunter Menge an seiner Seele vorüberdrängten, schnell und flüchtig wie ein Zug heller Wölkchen, die am blauen Gewölbe des Himmels dahingleiten. Dies war die Burg, die er seit mehr als einem Jahr im Wachen geträumt, in Träumen klar gesehen hatte. Dies die Berge, die Felsen, von denen sie ihm so oft erzählte, dies die Gemächer ihrer Kindheit! Es hat etwas Anziehendes, in den Zimmern zu verweilen, wo die Geliebte groß geworden ist.

Es war ihm so heimisch, so wohl in diesem Hause, es war ihr Geist, der hier waltete, der ihn umschwebte, den er, ob sie auch fern war, freundlich begrüßte. Dieses Gärtchen, auf einem schmalen Raum am Felsen, hatte sie besorgt und gepflegt, diese Blumen, die in einem Topf auf dem Tisch standen, hatte sie vielleicht heute schon gepflückt. Er ging hin, die Zeichen ihres freundlichen Sinnes zu begrüßen.

Er beugte sich herab über die Blumen, er führte die duftenden Veilchen zum Mund. In diesem Augenblick glaubte er ein Geräusch vor der Tür zu vernehmen. Er sah sich um – sie war es, es war Marie, die staunend und regungslos, als traue sie ihren Augen nicht, an der Tür stand. Er flog zu ihr hin, er zog sie in seine Arme, und seine Lippen erst schienen sie zu überzeugen, daß es nicht der Geist des Geliebten sei, der ihr hier erscheine. Wieviel hatten sie sich zu fragen, bei weitem mehr, als sie nur antworten konnten! Es gab Augenblicke, wo sie, wie aus einem Traum erwacht, sich ansahen, sich überzeugen mußten, ob sie denn wirklich sich wieder hätten.

»Wieviel habe ich um Dich gelitten«, sagte Marie, und ihre Wangen straften sie nicht Lügen, »wie schwer wurde mir das Herz, als ich aus Ulm scheiden mußte. Zwar hattest Du mir gelobt, vom Bund abzulassen, aber hatte ich denn Hoffnung, Dich so bald wiederzusehen? – Und dann, wie mir Hans die Nachricht brachte, daß Du mit ihm nach Lichtenstein kommen wolltest, aber überfallen, verwundet worden seiest. Das Herz wollte mir bald brechen, und doch konnte ich nicht zu Dir, konnte Dich nicht pflegen!«

Wie beschämt war Georg, wenn er an seine törichte Eifersucht zurückdachte, wie fühlte er sich so klein und schwach Mariens zarter Liebe gegenüber. Er suchte sein Erröten zu verbergen, er erzählte, oft unterbrochen von ihren Fragen, wie sich alles so gefügt habe, wie er dem Bund abgesagt, wie er überfallen worden, wie er der Pflege der Pfeifersfrau sich entzogen habe, um nach Lichtenstein zu reisen.

Georg war zu ehrlich, als daß ihn Mariens Fragen nicht hin und wieder in Verlegenheit gesetzt hätten. Besonders als sie mit Verwunderung fragte, warum er denn so tief in der Nacht erst nach Lichtenstein aufgebrochen sei, wußte er sich nicht zu raten. Die schönen, klaren Augen der Geliebten ruhten so fragend, so durchdringend auf ihm, daß er um keinen Preis eine Unwahrheit zu sagen vermocht hätte.

»Ich will es nur gestehen«, sagte er mit niedergeschlagenen Augen, »die Wirtin in Pfullingen hat mich betört. Sie sagte mir etwas von Dir, was ich nicht mit Gleichmut hören konnte.«

»Die Wirtin? Von mir?« rief Mane lächelnd. »Nun, was war denn dies, daß es Dich noch in der Nacht die Berge herauftrieb?«

»Laß es doch! Ich weiß ja, daß ich ein Tor war. Der geächtete Ritter hat mich schon längst überzeugt, daß ich völlig unrecht hatte.«

»Nein, nein«, entgegnete sie bittend, »so entgehst Du mir nicht. Was wußte die Schwätzerin wieder von mir? Gestehe nur gleich – «

»Nun, lache mich nur recht aus. Sie erzählte, Du habest einen Liebsten und lassest ihn, wenn der Vater schlafe, alle Nacht in die Burg.«

Marie errötete. Unwille und die Lust, über diese Torheit zu lachen, kämpften in ihren schönen Zügen. »Nun, ich hoffe«, sagte sie, »Du hast ihr darauf geantwortet, wie es sich gehört, und aus Unmut über eine solche Verleumdung ihr Haus verlassen? Dachtest vielleicht, Du könntest unser Schloß noch erreichen und hier übernachten?«

»Ehrlich gestanden, das dachte ich nicht. Sieh, ich war noch halb krank, ich glaubte ihr auch anfangs gewiß nicht; aber Deine Amme, die alte Frau Rosel, wurde angeführt, sie hatte es der Wirtin gesagt, sie hatte mich selbst mit ins Spiel gebracht und bedauert, daß ich um meine Liebe betrogen sei, da – oh sieh nicht weg, Marie, werde mir nicht böse! Ich schwang mich aufs Pferd und ritt vors Schloß herauf, um ein Wort mit dem zu sprechen, der es wage, Marien zu lieben.«

»Das konntest Du glauben?« rief Marie, und Tränen stürzten aus ihren Augen. »Daß Frau Rosel solche Sachen aussagt, ist unrecht, aber sie ist ein altes Weib, klatscht gerne. Daß die Frau Wirtin solche Sachen nachsagt, nehme ich ihr nicht übel, denn sie weiß nichts Besseres zu tun. Aber Du, Du, Georg, konntest nur einen Augenblick so arge Lügen glauben, Du wolltest Dich überzeugen daß –« Von neuem strömten ihre Tränen, und das Gefühl bitterer Kränkung erstickte ihre Stimme.

Georg zürnte selbst, daß er so töricht hatte sein können, aber er fühlte auch, daß, wenn er ein großes Unrecht an der Geliebten begangen hatte, es nur die Liebe war, die ihn verleitete. »Verzeihe mir nur diesmal«, bat er. »Sieh, wenn ich Dich nicht so liebgehabt hätte, ich hätte gewiß nicht geglaubt. Aber wenn Du wüßtest, was Eifersucht ist!«

»Wer recht liebt, kann gar nicht eifersüchtig sein«, sagte Marie unmutig, »Aber schon in Ulm hast Du etwas der Art gesagt, und schon damals hat es mich recht tief betrübt. Aber Du kennst mich gar nicht, wenn Du mich recht gekannt hättest, wenn Du mich geliebt hättest, wie ich Dich, wärest Du nicht auf solche Gedanken gekommen.«

»Nein! Ungerecht mußt du doch nicht werden«, rief Georg und faßte ihre Hand, »Wie kannst Du mir vorwerfen, daß ich Dich nicht liebe, wie Du mich? Hätte es denn nicht möglich sein können, daß ein Würdigerer als ich erschienen, daß der arme Georg durch irgendeinen bösen Zauberer aus Deinem Herzen verdrängt worden wäre? Es ist ja doch alles möglich auf der Erde!«

»Möglich?« unterbrach ihn Marie, und jener Stolz, den Georg oft mit Lächeln an der Tochter des Ritters von Lichtenstein betrachtet hatte, schien sie allein zu beseelen. »Möglich? Wenn Ihr nur einen Augenblick so Arges von mir für möglich halten konntet, ich wiederhole es, Herr von Sturmfeder! so habt Ihr mich nie geliebt. Ein Mann muß sich nicht wie ein Rohr hin und her bewegen lassen, er muß fest stehen auf seiner Meinung, und wenn er liebt, so muß er auch glauben.«

»Diesen Vorwurf habe ich von Dir am wenigsten verdient«, sagte der junge Mann, indem er unmutig aufsprang, »Wohl bin ich ein Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird, und mancher wird mich darum verachten – «

»Es könnte sein«, flüsterte sie, doch nicht so leise, daß es sein Ohr nicht erreichte und seinen Unmut zum Zorn anblies.

»Auch Du willst mich also darum verachten, und doch bist Du es, was mich hin und her bewegt! Ich habe Dich auf bündischer Seite gesucht, ich war selig, als ich Dich dort fand. Du batest mich, davon abzulassen, ich ging. Ich tat noch mehr. Ich kam zu Euch herüber, es kostete mich beinahe das Leben, und doch ließ ich mich nicht abschrecken. Ich ergriff Württembergs Partei; ich kam zu Deinem Vater, er nahm mich wie einen Sohn auf und freute sich, daß ich sein Freund geworden – aber seine Tochter schilt mich ein Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird! Aber noch einmal will ich mich – zum letzten Mal – von Dir bewegen lassen. Ich will fort, weil Du meine Liebe so vergiltst, noch in dieser Stunde will ich fort!«

Er gürtete unter den letzten Worten sein Schwert um, ergriff sein Barett und wandte sich zur Türe.

»Georg!« rief Marie mit den süßesten Tönen der Liebe, indem sie aufsprang und seine Hand faßte. Ihr Stolz, ihr Zorn, jede Wolke des Unmuts war verschwunden, selbst die Tränen hemmten ihren Lauf, und nur bittende Liebe blickte aus ihrem Auge. »Um Gottes willen, Georg! Ich meinte es nicht so böse. Bleibe bei mir, ich will alles vergessen, ich schäme mich, daß ich so unwillig werden konnte.«

Aber der Zorn des jungen Mannes war nicht so schnell zu besänftigen, er sah weg, um nicht durch ihre Blicke, durch ihr bittendes Lächeln gewonnen zu werden, denn sein Entschluß stand fest, das Schloß zu verlassen »Nein!« rief er, »Du sollst das Rohr nicht mehr zurückwenden. Aber Deinem Vater kannst du sagen, wie Du seinen Gast aus seinem Haus vertrieben hast.« Die runden Fensterscheiben zitterten vor seiner Stimme, sein Auge blickte wild umher, er entriß seine Hand der Geliebten, gefolgt von ihr, schritt er fort, er riß die Tür auf, um auf ewig zu fliehen, als ihn auf der Schwelle eine Erscheinung fesselte.

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Kapitel 23

Kapitel 23

Als Georg die Türe öffnete, richtete sich aus einer sehr gebückten Stellung die hagere, knöcherne Gestalt der Frau Rosel auf. Es war dies eine jener alten Dienerinnen, die, wenn sie von früher Jugend an in einer Familie bleiben, sich einbürgern, in die Familie verwachsen und gleichsam ein notwendiger Zweig davon werden. Sie hatte ihre Nützlichkeit besonders nach dem Tod der Frau von Lichtenstein erprobt, wo sie Marie mit großer Sorgfalt pflegte und aufzog. Sie war so von einer Zofe zur Kindsfrau, von der Kindsfrau zur Haushälterin, von diesem Posten zu Mariens Oberhofmeisterin und Vertrauten avanciert. Sie hatte aber wie ein kluger Feldherr sich den Rücken gesichert, sie hatte jene Posten, aus denen sie in die höheren Stellen vorgerückt war, nicht wieder besetzen lassen, sondern verwaltete sie alle zusammen, wie sie behauptete, mit großer Gewissenhaftigkeit, und weil es doch sonst niemand verstehe. Sie hatte durch diesen Kunstgriff und durch ihre lange Dienstzeit die Zügel der häuslichen Regierung an sich gebracht, das Gesinde ging und kam nach ihrem Blick, und sie gab zu verstehen, daß sie beim Herrn alles gelte, obgleich seine ganze Gnade nur darin bestand, daß er sie nicht in Gegenwart der übrigen auszankte.

Mit dem Fräulein lebte sie in neueren Zeiten nicht mehr im besten Verhältnis. Sie hatte in den Tagen der Kindheit und ersten Jugend ihr ganzes Vertrauen besessen. Noch in Tübingen war sie wenigstens halb ins Geheimnis ihrer Liebe gezogen, und Frau Rosel nahm wirklich so tätigen Anteil an allem, was ihr Fräulein betraf, daß sie gesagt hätte: »Wir lieben den Herrn von Sturmfeder aufs zärtlichste«, oder: »uns will das Herz beinahe brechen, weil wir scheiden müssen.«

Diesem Vertrauen machten aber zwei Dinge ein Ende. Das Fräulein bemerkte, daß Frau Rosel zu gern schwatze, sie war ihr auf der Spur, daß sie sogar von ihrem Verhältnis zu Georg geplaudert habe. Sie war daher von jetzt an kälter gegen die Alte, und Frau Rosel merkte im Augenblick, warum dies geschehe. Als aber bald darauf die Reise nach Ulm angetreten wurde, als Frau Rosel, obgleich sie sich einen neuen Rock von Fries und eine köstliche Haube von Brokat hierzu verfertigt hatte, auf höheren Befehl in Lichtenstein bleiben mußte, da wurde die Kluft noch weiter; denn die Alte glaubte, das Fräulein habe es beim Vater dahin gebracht, daß sie nicht nach Ulm mitreisen dürfe.

Das Vertrauen wurde nicht hergestellt, als Marie von Ulm zurückkehrte. Frau Rosel zwar, die lieber mit der Herrschaft als dem Gesinde lebte, suchte einige Male Erkundigungen über Herrn Georg einzuziehen und so das alte Verhältnis wieder anzuknüpfen, doch Mariens Herz war zu voll, die Amme ihr zu verdächtig als daß sie etwas gesagt hätte. Als daher der geächtete Ritter nächtlicher Weile ins Schloß kam, als das Fräulein so geheimnisvoll Speisen für ihn bereitete und, wie Frau Rosel glaubte, mit ihm allein war, als sie auch hier nicht mehr ins Geheimnis gezogen wurde, da schüttete sie ihr Herz gegen die Frau Wirtin in Pfullingen aus, und es war Georg nicht so ganz zu verdenken, daß er jenen Worten traute, kannte er ja doch Frau Rosel nur als Vertraute ihres Fräuleins, wußte er ja doch nicht, wie dieses Verhältnis indessen so anders sich gestaltet habe.

Frau Rosel war im Sonntagsstaat mit ihrer Dame diesen Morgen in die Kirche gewallfahrtet. Sie hatte ihre Sünden, worunter Neugierde ziemlich weit obenan stand, dem Priester gebeichtet, auch Absolution dafür erhalten, und war mit soviel leichterem Herzen und Gewissen auf den Lichtenstein zurückgekehrt, als sie vorher schwer und unter der Last der Sünden seufzend, hinabgestiegen war. Die salbungsvollen Worte des Paters mochten aber doch nicht so tief gedrungen sein, um ihre Sünden mit der Wurzel auszurotten, denn als sie in ihr Kämmerlein hinaufstieg um Rosenkranz und Sonntagsschmuck abzulegen, hörte sie ihr Fräulein und eine tiefe Männerstimme heftig miteinander sprechen; es wollte ihr sogar bedünken, ihr Fräulein weine.

»Sollte er wohl bei Tag hier sein, weil der Alte ausgeritten?« dachte sie. Die natürliche Menschenliebe und ein zartes Mitgefühl zog ihr Auge und Ohr ans Schlüsselloch, und sie vernahm in abgebrochenen Worten den Streit, dessen Zeugen auch wir gewesen sind.

Der junge Mann hatte die Türe so rasch geöffnet, daß sie nicht mehr Zeit gehabt hatte, sich zu entfernen, sondern kaum noch aus ihrer gebückten Stellung am Schlüsselloch auftauchen konnte. Doch sie wußte zu helfen in solchen mißlichen Fällen, sie ließ Georg nicht an sich vorüber, ließ beide nicht zum Wort kommen, sie ergriff die Hände des jungen Mannes und überströmte ihn mit einem Schwall von Worten.

»Ei, du meine Güte! Hätt‘ ich glaubt, daß meine alten Augen den Junker von Sturmfeder noch schauen würden! Und ich mein‘, Ihr seid noch schöner worden und größer, seit ich Euch nimmer sah! Hätt‘ ich das gewußt! Steh‘ da, wie ein Stock an der Tür‘, denke, ei! Wer spricht jetzt mit dem gnädigen Fräulein? Der Herr ist’s nicht. Von den Knechten ist’s auch keiner! Ei, was man nicht erlebt! Jetzt ist’s der Junker Georg, der da drin spricht!«

Georg hatte sich während dieser Rede der Frau Rosel vergeblich von ihr loszumachen gesucht. Er fühlte, daß es sich nicht gezieme, vor ihr zu zeigen, daß er auf Marien zürne, und doch glaubte er, keinen Augenblick mehr bleiben zu können. Er rang endlich eine Hand aus der knöchernen Faust der Alten, aber indem er sie frei fühlte, hatte sie auch schon Marie ergriffen, hatte sie, ohne auf Frau Rosels höhnisches Lächeln zu achten, an ihr Herz gedrückt. Er war bei dieser Bewegung einem ihrer Blicke begegnet, die ihn auf ewig zu bannen schienen. Jetzt aber erwachte in ihm ein neuer Kampf, eine neue Verlegenheit. Er fühlte seinen Unmut schwinden, er fühlte, daß es Marie nicht so bös mit ihm gemeint habe. – Wie sollte er aber jetzt mit Ehren zurückkehren? Wie sollte er so ganz ungekränkt scheinen? Wäre er mit Marien allein gewesen, so war es vielleicht noch eher möglich, aber vor diesem Zeugen, vor der wohlbekannten Frau Rosel umzukehren, sich durch einen Händedruck, durch einen Blick erweichen lassen und gefangengeben? Er schämte sich vor diesem Weib, weil er sich vor sich selbst schämte.

Frau Rosel hatte sich einige Augenblicke an der Angst, an dem Gram ihres Fräuleins geweidet, dann aber siegte die ihr angeborene Gutmütigkeit über die kleine Schadenfreude, die in ihr aufgestiegen war. Sie faßte die Hand des Junkers fester: »Ihr werdet uns doch nicht schon wieder verlassen wollen, nachdem Ihr kaum ein Stündchen auf dem Lichtenstein verweilt habt? Ehe Ihr etwas zu Mittag gegessen, läßt Euch die alte Rosel gar nicht weiter, das ist gegen alle Sitte des Schlosses. Und den Herrn habt Ihr wahrscheinlich auch noch nicht begrüßt?«

Es war schon ein großer Gewinn für Mariens Sache, daß Georg sprach: »Ich habe ihn schon gesprochen, dort stehen noch die Becher, die wir zusammen leerten.«

»Nun?« fuhr die Alte fort. »Da werdet Ihr wohl noch nicht von ihm Abschied genommen haben?«

»Nein, ich sollte ihn im Schloß erwarten.«

»Ei, wer wird denn gehen wollen?« sagte sie und drängte ihn sanft in das Zimmer zurück. »Das wär mir eine schöne Sitte. Der Herr könnte ja Wunder meinen, was für einen sonderbaren Gast er beherbergte. Wer bei Tag kommt«, setzte sie mit einem stechenden Blick auf das Fräulein hinzu, »wer beim hellen Tag kommt, hat ein gut Gewissen und darf sich nicht wegschleichen wie der Dieb in der Nacht.«

Marie errötete und drückte die Hand des Jünglings, und unwillkürlich mußte dieser lächeln, wenn er an den Irrtum der Alten dachte und die strafenden Blicke sah, die sie auf Marien warf.

»Ja, ja, wie ich sagte«, fuhr Frau Rosel fort, »braucht Euch nicht wegzustehlen wie der Dieb in der Nacht. Wäre vielleicht besser gewesen, Ihr wäret schon früher gekommen. Im Sprichwort heißt es: ‚Sieh für Dich, irren ist mißlich; und wer will haben Ruh, bleib‘ bei seiner Kuh!‘ Aber ich will nichts gesagt haben.«

»Nun ja«, sagte Marie, »Du siehst, er bleibt da. Was willst Du nur mit Deinen Reden und Sprüchlein? Du weißt selbst, sie passen nicht immer.«

»So? Aber bisweilen treffen sie doch einen, dem es nicht lieb ist. ‚Aber Reu‘ und guter Rat ist unnütz nach geschehener Tat‘. Ich weiß schon, ‚Undank ist der Welt Lohn‘, ich kann ja schweigen. ‚Wer will haben gute Ruh, der seh‘ und hör‘ und schweig‘ dazu.’«

»Nun, so schweig‘ immerhin«, entgegnete das Fräulein, etwas gereizt. »Übrigens wirst Du wohl tun, wenn du den Vater nicht geradezu merken läßt, daß Du Herrn von Sturmfeder schon kennst. Es wäre möglich, er könnte glauben, er sei wegen uns nach Lichtenstein gekommen.«

Frau Rosel kämpfte zwischen guter und böser Laune. Es tat ihr wohl, daß man sie brauchte, daß man Stillschweigen von ihr erbitten mußte. Auf der andern Seite war sie noch unwillig darüber, daß das Fräulein seit neuerer Zeit so wenig Vertrauen in sie gesetzt habe. Sie murmelte daher nur einige unverständliche Worte vor sich hin, indem sie die Stühle wieder an die Wände stellte, die Becher vom Tisch nahm und die Flecken abwischte, die der Wein auf der Schieferplatte, womit der Tisch eingelegt war, zurückgelassen hatte. Marie gab Georg der sich an ein Fenster gestellt hatte und noch nicht völlig mit sich und der Geliebten ausgesöhnt schien, einen Wink, den er nicht unbeachtet ließ. Ihm selbst war viel daran gelegen, daß Mariens Vater noch nichts um ihre Liebe wußte, er fürchtete, jener möchte es als einziges Motiv seines Übertritts zu Württemberg ansehen, er möchte ihn darum weniger günstig beurteilen, als er bisher getan. Dies erwägend, näherte sich Georg der alten Frau Rosel. Er klopfte ihr traulich auf die Schultern, und ihre Züge hellten sich zusehends auf. »Man muß gestehen«, sagte er freundlich, »Frau Rosalie hat eine schöne Haube; aber dies Band paßt doch wahrlich nicht dazu, es ist alt und verschossen.«

»Ei was!« sagte die Alte etwas ärgerlich, denn sie hatte sich wohl auf eine freundlichere Rede gefaßt gemacht. »Was kümmert Euch meine Haube, ‚Ein jeder fege vor seiner Tür‘. ‚Sieh auf Dich und auf die Deinen, danach schilt mich und die Meinen‘. Ich bin ein armes Weib und kann nicht Staat machen wie eine Reichsgräfin. ‚Wenn alle Leute wären gleich, und wären alle sämtlich reich, und wären all‘ zu Tisch gesessen, wer wollt‘ auftragen Trinken und Essen?’«

»Nun, so habe ich’s nicht gemeint«, sagte Georg besänftigend, indem er eine Silbermünze aus seinem Beutel zog. »Aber mir zu Gefallen ändert Frau Rosalie schon ihr Band. Und daß meine Forderung nicht gar zu unbillig klinge, wird sie diesen Dicktaler nicht verschmähen!«

Wer hat nicht an einem Oktobertag trotz Sturm und Wolken die Sonne durchdringen und Gewölk und Nebel verjagen sehen? So ging es auch am Horizont der Frau Rosel freundlich auf. Die artige Weise des Junkers, ihr Lieblingsname Rosalie, der ihr viel wohltönender dünkte als das verdorbene Rosel, und endlich der Dicktaler mit dem Krauskopf des Herzogs und dem Wappen von Teck – wie konnte sie so vielen Reizen widerstehen? »Ihr seid doch der alte freundliche Junker!« sagte sie, indem sie, sich tief verneigend, den Taler in die ungeheure lederne Tasche an ihrer Seite gleiten ließ und den Saum von Georgs Mantel zum Mund führte. »Gerade so wußtet Ihr es in Tübingen zu machen. Stand ich am Jörgenbrunnen, ging ich von der Burgsteig hinab auf den Markt, richtig rief es hinter mir: ‚Guten Morgen, Frau Rosalie, und wie geht es dem Fräulein?‘ Und wie oft und reich habt Ihr mich dort beschenkt: wenigstens zwei Drittel von dem Rock, den ich hier trag‘, verdank‘ ich Eurer Gnade!«

»Laßt das, gute Frau«, unterbrach sie Georg. »Und was den Herrn betrifft, so wirst Du – «

»Was meint Ihr!« erwiderte sie, indem sie die Augen halb zudrückte. »Habe Euch in meinem Leben nicht gesehen. Nein, da könnt Ihr Euch drauf verlassen. ‚Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß, und was mich nicht brennt, das blase ich nicht!’«

Sie verließ bei diesen Worten das Zimmer und stieg in den ersten Stock hinab, um dort in der Küche ihr Regiment zu verwalten.

Die Liebenden aber hatten sich nach ihrem Abzug bald wieder gefunden. Georg vermochte nicht den bittenden Blicken Mariens zu widerstehen, und als sie mit den süßesten Tönen der Liebe ihn fragte, ob er ihr wieder gut sei, da vermochte er ihr nicht nein zusagen, und der Friede war, was selten der Fall ist, in kürzerer Zeit wieder geschlossen, als die Fehde begonnen hatte.

Mit hohem Interesse hörte Marie auf Georgs fernere Erzählung und es gehörte der feste Glaube des jungen Mannes an die Geliebte und sein Vertrauen in das Wort des Geächteten dazu, um nicht von neuem außer Fassung zu kommen. Denn als er beschrieb, wie er auf den Ritter getroffen und sich mit ihm geschlagen habe, da errötete sie, sie richtete sich stolzer auf und drückte die Hand des Geliebten, sie gestand ihm, daß er einen wichtigen Kampf bestanden habe, denn jener Mann sei ein tapferer Kämpe. Und als er erzählte, wie sie hinabstiegen in die Nebelhöhle, wie sie den Geächteten besuchten, wie er tief unter der Erde in ärmlicher Umgebung doch so groß und erhaben geschienen; da stürzten Tränen aus ihren Augen, sie blickte hinauf zum Himmel, als bete sie im stillen, er möchte das traurige Geschick dieses Mannes wenden, und als er fortfuhr und sagte, was sie gesprochen, und wie der Mann der Höhle sich seinen Freund genannt, wie er sich zu Württembergs Sache, zu der Sache der Unterdrückten und Vertriebenen mit Wort und Handschlag verpflichtet habe, da strahlte Mariens Auge von wunderbarem Glanz; sie sah Georg lange an, er glaubte eine Begeisterung in ihrem Auge, in ihren Zügen zu lesen, die nicht die Freude, daß er ihres Vaters Partei ergriffen habe, allein hervorbrachte.

»Georg!« sagte sie, »es werden viele sein, die Dich einst um diese Nacht beneiden werden. Du darfst es Dir auch zur Ehre rechnen, denn glaube mir, nicht jeden hätte Hans zu dem Vertriebenen geführt.«

»Du kennst ihn«, erwiderte Georg, »Du weißt um sein Geheimnis? Oh sag mir doch, wer ist er? Ich habe selten einen Mann gesehen, dessen Auge, dessen Miene, dessen ganzes Wesen mich so beherrscht hätte wie dieser. Wo lagen seine Besitzungen, wo ist das Schloß, aus dem er vertrieben ist? Er sagt, er wolle jetzt keinen andern Namen haben als ‚der Mann‘, aber sein Arm, dessen Stärke ich gefühlt, sein heller Blick verbürgten mir, daß er einst einen berühmten Namen in der Welt gehabt haben müsse.«

»Er hatte einen Namen«, antwortete Marie, »einen, der sich mit den besten messen konnte. Aber wenn er Dir ihn nicht selbst gesagt hat, so darf ich ihn auch nicht nennen, das wäre gegen mein Wort, das ich darauf gegeben. Herr Georg muß sich also schon noch gedulden«, setzte sie lächelnd hinzu, »so hart es ihn auch ankommt, denn er ist ein neugieriger Herr.«

»Mir kannst Du es ja doch sagen«, unterbrach sie Georg, »sind wir nicht eins? Darf das eine ein Geheimnis haben, ohne daß es der ander Teil wissen muß? Schnell! Antworte, wer ist der Mann in der Höhle?«

»Werde nicht böse; sieh, wenn es nur mein Geheimnis wäre, so müßtest Du es auch wissen und könntest es mit Recht verlangen aber so – ich weiß zwar, daß es bei Dir so sicher wäre als bei mir, aber ich darf nicht.«

Sie sprach noch, als die Tür aufsprang und eine Dogge von ungeheurer Größe hereinstürzte. Georg fuhr unwillkürlich auf, denn einen Hund von solcher Größe und Stärke hatte er nie gesehen. Der Hund stellte sich ihm gegenüber, schaute ihn mit rollenden Augen an und fing an zu murren. Es tönte aus seiner breiten Brust herauf dumpf und hohl wie ein nahender Sturm, und die wohlgeordnete Reihe scharfer Zähne, die er vorwies, zeigten ihn als einen Kämpfer, dessen Zorn man nicht reizen dürfe. Ein Wort von Marie reichte hin, ihn ruhig und besänftigt zu ihren Füßen zu legen. Sie streichelte seinen schönen Kopf, aus welchem die klugen Augen noch immer bald nach ihr, bald nach dem Junker spähten.

»Er hat Menschenverstand!« sagte sie lächelnd. »Er kommt, um mich zu warnen, daß ich den Mann in der Höhle nicht verraten soll.«

»Ein herrlicher Hund, wie ich nie einen gesehen! Wie er den Kopf so stolz aus dem goldenen Halsband hervorträgt, als gehöre er einem Kaiser oder König!«

»Er gehört ihm, dem Vertriebenen«, erwiderte Marie, »und wenn ich auf dem Sprung war, den Namen seines Herrn zu nennen, kam er, mich zu warnen.«

»Warum aber führt der Ritter seinen Hetzer nicht mit sich. Wahrlich, ein Arm wie der seine, unterstützt von einem solchen Tier, darf sechs Mörder nicht fürchten.«

»Das Tier ist wachsam«, antwortete sie, »aber wild. Wenn er es in der Höhle unten hätte, so hätte er zwar einen sicheren Schutz. Wie aber, wenn durch Zufall ein Mensch in jene Höhle käme? Sie ist so groß, daß man den Mann nicht darin ahnen kann, aber die Dogge würde ihn verraten. Sie würde knurren und anschlagen, sobald sie Tritte hörte, und sein Aufenthalt wäre entdeckt. Darum hat er ihm befohlen, als er wegging, hier zu bleiben, er versteht dies Gebot, und ich sorge für ihn. Er hat ordentlich das Heimweh nach seinem Herrn, und die Freude solltest Du sehen, wenn es Nacht wird; er weiß, daß dann sein Herr bald ins Schloß kommt, und wenn die Zugbrücke niederfällt und die Schritte des Mannes auf dem Hof tönen, da ist er nicht mehr zu halten; er würde sechsfache Ketten zerreißen, um bei ihm zu sein.«

»Ein schönes Bild der Treue! Doch ein schöneres noch ist der Mann; dem dieser Hund gehört. Hing er doch ebenso treu an seinem Herrn und ließ sich verbannen und ins Elend jagen; es ist töricht von mir«, setzte Georg hinzu, »ich weiß, Neugierde steht einem Mann nicht an, aber wissen möchte ich, wer er ist.«

»So gedulde Dich doch, bis es Nacht wird! Wenn der Mann kommt, will ich ihn fragen, ob Du es wissen darfst, ich zweifle nicht, er wird es erlauben.«

»Es ist noch lange bis dahin, und jeden Augenblick muß ich an ihn denken; wenn Du mir es nicht sagst, so muß ich mich an den Hund wenden, vielleicht ist er gütiger als Du.«

»Versuche es immer«, rief Marie lächelnd, »wenn er sprechen kann, so soll er es nur gestehen.«

»Hör einmal, du ungeheurer Geselle« wandte sich Georg in dem Hund, der ihn aufmerksam ansah. »sage mir, wie heißt dein Herr?«

Der Hund richtete sich stolz auf, riß den weiten Rachen auf und brüllte in schrecklichen Tönen »U-u-u!«

Marie errötete. »Laß doch die Possen«, sagte sie und rief den Hund zu sich, »wer wird mit Hunden sprechen, wenn man in menschlicher Gesellschaft ist!«

Georg schien nicht darauf zu hören. »U hat er gesagt, der gute Hund? Der ist darauf geschult, ich wollte alles wetten! Es ist nicht das erste Mal, daß man ihn fragt: wie heißt dein Herr?«

Kaum hatte Georg die letzten Worte gesprochen, so fing der Hund mit noch gräulicheren Tönen als vorher sein »U-u-u!« zu heulen an. Aufs neue errötete Marie, sie hieß beinahe unwillig den Hund schweigen; er legte sich ruhig zu ihren Füßen.

»Da haben wir’s«, rief Georg lachend, »der Herr heißt U! Und fing das sonderbare Wort auf dem Ring den mir der Ritter gab, nicht auch mit U an? Ungeheuer! Heißt dein Herr vielleicht Uffenheim? Oder Uxküll? Oder Ulm? Oder vielleicht gar -«

»Unsinn! Der Hund hat gar keinen anderen Laut als U; wie magst du Dir nur Mühe geben, daraus etwas zu folgern! Doch hier kommt der Vater den Berg herauf; willst Du, daß es ihm verborgen bleibe, so nimm Dich zusammen und verrate Dich nicht. Ich gehe jetzt, denn es ist nicht gut, wenn er uns beisammen antrifft.«

Georg gelobte es. Er umarmte noch einmal die Geliebte und versah sich von ihrem süßen Mund auf viele Stunden, um wenigstens an der Erinnerung sich zu erfreuen, wenn die Gegenwart des Vaters jede zärtliche Annäherung unmöglich machte.

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